Afropercussion, Tanz, Rap, sogar eine Filmaufführung. Bei der Open Air Hip-Hop-Show „Tribal 2 Theater“ ist alles vertreten. Eins steht dabei im Vordergrund: die Hip-Hop-Szene. Ihre Ursprünge, Werte, Ideen und ihre zahlreichen Gesichter.
„Hip-Hop war ein Ausweg, ein Appell, ein Gegenentwurf! Diesen Spirit, diese kreative Rebellion, diesen Aufstand der Farben gegen Unterdrückung und Ausgrenzung wollen wir heute zelebrieren!“ Mit dieser Ansprache leiten die Veranstalter:innen Max und Anna „Tribal 2 Theater“ ein und geben gleichzeitig das Versprechen, dass es kein gewöhnliches Konzert zum Zurücklehnen und Mitklatschen wird.
Organisiert wird die Veranstaltung vom Projekt „Breathe in – Break out!“, einem informellen Kollektiv aus Künstler:innen und unterschiedlichsten Leuten aus der Szene, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, eine Plattform für alle zu bieten, die sich kreativ ausdrücken wollen.
„BiBo“, wie die Gruppe auch kurz genannt wird, stellt bereits seit 2010 Projekte, wie Battles, Workshops und Festivals auf die Beine. Dabei kooperiert sie mit unterschiedlichen Vereinen und Institutionen, wie dem Studierendenrat der MLU, der das Projekt finanziell fördert. Das „Tribal 2 Theater“ ist dabei ihr erster Auftritt im Theater.
Die Teilnehmenden sind sowohl Organisator:innen als auch Akteur:innen ihrer Shows. So sieht man auch an jenem Abend dieselben Gesichter hinter und auf der Bühne.
Der erste August ist ein warmer Sommerabend, und die Straße ist in orangenes Licht getaucht, als das WUK Theater Quartier sein Tor für die Besucher:innen von „Tribal 2 Theater“ öffnet.
Was im Inneren stattfindet, erinnert nur wenig an traditionelle Theateratmosphäre, sondern verbreitet vielmehr eine entspannte Open-Air-Festival-Stimmung. Der Platz ist mit einer Bühne und den davorstehenden – noch leeren – Liegestühlen überschaubar. In den Ecken sind Essens- und Getränkestände zu finden. Die Beteiligten treffen, mit Masken ausgerüstet, noch die letzten Vorbereitungen: Soundtests, Beleuchtung, Verteilen kleiner Infozettel, während im Hintergrund chillige Reggaeklänge die Luft erfüllen.
Die Stimmung zwischen den Organisator:innen wirkt vertraut, fast familiär. Die Verantwortlichen und Mitwirkenden sind an ihren T‑Shirts zu erkennen, die das gleiche Logo tragen wie die Plakate, die für die Veranstaltung werben: eine Person mit einem Afro in den Farben grün, rot und gelb.
Nach einer kurzen Ankündigung betreten die Künstler:innen des Vereins “Ilê Angola” die Bühne und beginnen unter den Klängen von Trommeln und Berimbau – einem Instrument, das äußerlich an einen Jagdbogen erinnert – mit dem Kampftanz Capoeira. Die Tänzer:innen umkreisen einander, treten, wirbeln und springen aneinander vorbei. Als sie sich zurückziehen, übernehmen die Musiker:innen und ziehen das Publikum mit Afropercussion in ihren Bann. Sie scheinen die Leute vor der Bühne kaum zu bemerken, in fast spielerischer, intuitiver Manier spielen sie miteinander, schauen sich dabei an und lachen. Die gute Laune ist ansteckend, zum schnellen und wilden Trommeln wechselt die Stimmung im Publikum zwischen Staunen und freudigem Mitklatschen. Im Hintergrund bereiten sich die Organisator:innen währenddessen schon auf den nächsten Akt vor.
Der Beginn von etwas Neuem
Für „BiBo“ ist dies die erste Veranstaltung in einem Theater. Max Rademacher und Oli Mammen, die seit den Anfängen des Projektes an diesem arbeiten, berichten, ihre Ursprünge seien weniger professionell und entsprangen einer gemeinsamen Leidenschaft.
Das Projekt sei aus “Jams” in Halle entstanden: Events, bei denen sich Menschen aus allen Richtungen des Hip-Hops treffen. „Die Graffitileute haben ihre Zeichenbücher ausgetauscht, die Breaker standen im Kreis und haben getanzt. Das war so lebendig und vielfältig. Halle hatte krasse Events, aber ab 2000 gab es das nicht mehr.“
Die hallische Hip-Hop-Kultur habe fast nur noch aus Rapkonzerten bestanden, die Leute sich anhörten, ohne selbst zu partizipieren. Die kommerzielle Seite habe immer mehr überhandgenommen. Das sollte sich ändern. So trafen sich Ende 2009 verschiedene Menschen aus der Szene, um dann 2010 mit Hilfe von congrav e.V. das erste Festival umzusetzen. Ziel sei es gewesen, den Spirit des Hip-Hops in Halle wiederzuerwecken und die Teilnahme an verschiedenen Projekten zu fördern. Besonders wichtig sei ihnen die partizipative und aktivierende Komponente gewesen, die den Kontrast zum passiven Konsum bilden sollte.
„Do it yourself“ und „Each one, teach one“, die Mottos, die dem Projekt seine Richtungen gaben, beschreiben auch das, worum es bei Hip-Hop gehen solle: Eine inklusive Gemeinschaft, in der jede:r voneinander lernen kann. „Beim Breakdance und beim Hip-Hop wird man akzeptiert, mit dem, was man kann. Ob man gut oder nicht so gut ist.“, schildert Tänzerin Anna, die aus dem Showtanz kommt, ihren Eindruck.
Die Szene ist international vertreten, wodurch Menschen unterschiedlicher Herkunft, sozialer und kultureller Hintergründe einen Platz finden können. “In der Theorie, in der Praxis gibt es trotzdem komische Leute manchmal. Die gibt es überall. Das ist aber nicht die Idee dahinter. Die Idee ist, alle zusammen zu bringen.”, so Oli.
Beim “Tribal 2 Theater” versucht das Kollektiv, die Diversität der Hip-Hop-Szene in den Auftritten widerzuspiegeln. An diesem Abend sind Künstler:innen unterschiedlicher kultureller Hintergründe, Altersgruppen und Geschlechter vertreten.
Über die Jahre sei das Projekt professioneller geworden und habe mehr Fokus auf Jugendarbeit gelegt: „Da haben wir richtig große Arbeit geleistet und ein Teil der B‑Boys, die heute groß am Start sind, sind aus diesem Projekt hervorgegangen. Wir gaben regelmäßig Kurse: Capoeira, Trommeln, Graffiti, Breakdance an verschiedenen Orten mit benachteiligten Kindern und Jugendlichen. Diese Arbeit, die trägt heute Früchte.“
Auch wenn sich die Formate verändert und gewandelt haben, sei der „Spirit“ der gleiche geblieben.
Die Percussion-Gruppe beendet ihren Auftritt und gibt die Bühne frei für die Tänzer:innen, die nacheinander zeigen, was sie draufhaben. Die Stile sind so unterschiedlich, wie die Künstler:innen: House Dance, Krumping und Breaking. Eine Crew, bestehend aus drei jungen Tänzer:innen im Schulkindalter, bildet den Abschluss. Sie betreten die Bühne und reißen mit einer lockeren Selbstverständlichkeit und Coolness die Zuschauer:innen mit. Nach ihrer Performance werden sie mit wildem Applaus und Jubelrufen von der Bühne begleitet.
“Du kommunizierst, dass das der Normalzustand ist”
Nach nur einer kurzen Aufbaupause geht der Abend in seinen musikalischen Teil über und die Rapper:innen übernehmen. Schnell wird klar, dass sie etwas zu sagen haben und sich nicht mit ihren Statements zurückzuhalten werden. Selbst von den plötzlich vom Himmel fallenden Tropfen, die sich binnen weniger Minuten in einen Schauerregen verwandeln, lassen sich die Künstler:innen nicht aufhalten. Kurzerhand wird die Technik mit einer Plastikplane abgedeckt, und der Rapper FF.Merz leitet mit „Ich bin deine Schwuchtel, sorry, wenn das zu kitschig klang!“ seinen Auftritt ein. Sofort erntet er eine Welle belustigter, überraschter oder verunsicherter Reaktionen vom Publikum.
Das Provozieren mache ihm Spaß, gesteht er nach seinem Auftritt, und das merkt man auch. „Leute unterhalten sich über eine Line, die super kontrovers ist, man kommt vielleicht ins Gespräch über sowas, dafür ist das, glaube ich, cool.“ Jedoch provoziert FF.Merz nicht der Provokation wegen. Seine Musik trägt soziale und politische Messages, was ihm auch wichtig sei. „Ich habe den absoluten Jackpot: Mann, weiß, hetero, Mitteleuropäer, Deutscher. Viel mehr geht eigentlich nicht. Aus der Position heraus habe ich viele Räume, und Leute hören mir zu, deswegen möchte ich das immer dafür nutzen, Raum für andere Sachen zu schaffen und mich damit zu beschäftigen, wie es Leuten geht, die nicht so privilegiert sind wie ich.“
Noch klarer macht es die im Anschluss auftretende Berliner Gruppe „Attackiert das System“. Schnell verdeutlichen sie, dass ihr Name Programm ist. Mit aggressiven Beats und In-your-face-Texten rappen sie über Liebe, Feminismus, Obdachlosigkeit, Polizeigewalt und „racial profiling“. Immer wieder stacheln sie das Publikum an, rufen es auf mitzumachen, und kaum einer kann sich dem entziehen. Überall nicken die Leute im Takt der Beats, die Hände in die Luft erhoben und bekräftigen die Crew mit zustimmenden Rufen und Applaus.
Mit ihren direkten Aussagen und Positionierungen finden sie bei „Tribal 2 Theater“ ihre Bühne, denn die Veranstaltung möchte Werte wie Solidarität, Respekt und „Peace, love, unity, having fun“ repräsentieren. Gleichzeitig werden die Ursprünge von Hip-Hop zelebriert, das als Straßenkultur aus Unterdrückung und Misständen erwachsen ist.
Trotzdem sei das „Tribal 2 Theater“ keine explizite politische Kampagne, wie mir Max später erklärt, da es nicht darum ginge politische Forderungen zu stellen. In erster Linie sei es ein künstlerisches Programm, das jedoch vor der aktueller Situation, in der viele rechtsextreme Leute Stimmung machten, riesige „Black Lives Matter“-Demos in ganz Deutschland stattfinden und „Sven Liebich auf den Markt seine faschistische Hetze betreibt“ durchaus politisch werde.
Mit Entscheidungen, wie Plakate mit einem buntem Afro in der Stadt anzukleben oder explizit weibliche Jurorinnen zu Battles einzuladen, treffen sie die Aussage, dass sie sich hinter diese Werte stellen und dass diese zu Halle gehörten.
„Im Endeffekt funktioniert es, weil wir uns diese Fragen stellen und nicht das Publikum. Für sie sitzt da eine Frau und damit kommunizierst du, dass das der Normalzustand ist“, sagt die Breakdancerin Resi.
Inzwischen ist es dunkel geworden, Laternen und Scheinwerfer erleuchten den Innenhof. Den Abschluss des Abends bildet die Vorführung des Dokumentarfilms „From Mambo to Hip-Hop“, der die Anfänge der Bewegung zeigen soll.
Die ersten Künstler:innen packen zusammen und verabschieden sich. Die Anspannung und Konzentration, die die Veranstaltenden am Anfang noch ausstrahlten, ebbt ab. „BiBo“-Mitglieder und Besucher:innen vermischen sich und führen in lockeren Runden angeregte Konversationen miteinander.
Das scheint der eigentliche Punkt dieser Veranstaltung zu sein: der Austausch, das Miteinander, das Voneinanderlernen, von dem die Gruppe sprach.
Und auch, dass diejenigen, die am Anfang nur zusahen, die Möglichkeit bekommen, Teil von etwas zu sein – wenn auch nur für einen Abend.
Für die Teilnehmenden von „Breathe in – Break out!“ scheint es über das Unterhaltende hinauszugehen, zum Persönlichen. Für sie alle hat die Szene eine eigene Bedeutung. Ob nun als Hobby, wie für Louis, der Breakdance und Beatboxen betreibt, oder als „Therapie“, wie für Resi. Oder als Plattform, um über soziale und globale Missstände aufzuklären, wie für Max, der schon seit jungen Jahren für diese Themen sensibilisiert gewesen sei und sich dadurch mit Hip-Hop identifizieren konnte.
Ein Stichwort fällt jedoch immer wieder. Wie aus einem Mund sprechen Resi, Oli, Louis, Anna und Max über „Community“. Ein Punkt, der im Hip-Hop besonders wichtig sei. Es ginge darum, neue Leute kennenzulernen, eine Gemeinschaft, gar eine Familie zu finden. Oli beschreibt das so: „Man ist Teil des Ganzen, wenn man mitmacht oder Fan ist. Man kann überall hin, auf der ganzen Welt und in jedem Land gibt es verdammt viele Leute, die in dieser Szene aktiv sind.“
Mit dem „Tribal 2 Theater“ hat das Projekt eine neue Location und womöglich Zuschauerschaft für sich entdeckt, doch es gibt immer Aspekte, die ausgebaut werden können und Felder, die es zu entdecken gibt. So wünschen sich vor allem die jüngeren Teilnehmer:innen, dass sich mehr Menschen in Halle für Hip-Hop interessieren und begeistern können und außerdem eine größere Motivation der Partizipierenden bei Veranstaltungen und Training.
Oli und Max hingegen denken darüber hinaus auch an den organisatorischen Gesichtspunkt und einen möglichen Ausbau des Projektes. So solle nicht nur die Zahl an Leuten, sondern auch die Qualität wachsen.
„In Halle gibt es im Moment keinen kostenlosen, geleiteten Kurs, der ganz niedrigschwellig neue Kids lehrt. Das ist so ein bisschen unser Anspruch. Es sollte kein Geld kosten für die Kids“, erklärt Oli.
Neue Projekte und Ideen seien schon in Planung und die Zukunft wird zeigen, in welche Richtungen sich „Breathe in – Break out!“ und die Szene in Halle noch entwickeln können.