Zah­närztliche Behand­lun­gen assozi­ieren viele mit einem unan­genehmen Gefühl und Schmerzen. Dass das nicht der Fall sein muss, zeigt der Selb­stver­such. 

Das Schlimm­ste ist wahrschein­lich, nicht mit in das Gespräch ein­steigen zu kön­nen, wenn sich Ärztin und Arzthelferin über dem eige­nen Kopf unter­hal­ten. Mit vier Geräten im Mund spricht man lei­der so undeut­lich. Zumin­d­est war das für mich so, bei mein­er Behand­lung­sodyssee, die mich in den ver­gan­genen Monat­en fast wöchentlich in die Zah­narzt­prax­is geführt hat. 

Irgend­wann während mein­er Schulzeit ent­deck­te ich ein Loch an einem mein­er oberen Eck­zähne, was mir meine Kle­in­stadtzah­närztin füllte. Dass der Zahn danach etwas dun­kler war, läge an der Größe der Fül­lung, die durch den Zahn­schmelz schim­mere, meinte sie. 

Der bequem­ste Platz im Behandlungsraum

Sieben oder acht Jahre später, zwis­chen­durch der Umzug nach Halle mit ein­herge­hen­dem Wech­sel der Zah­närztin, habe ich mir mit leicht schlechtem Gewis­sen mal wieder einen Pro­phy­laxe-Ter­min geben lassen, nach­dem ich Zah­narzt­prax­en in zwei Jahren Coro­n­azeit gemieden hat­te. Akute Prob­leme gab es schließlich keine. Dieses Mal bei ein­er Zah­närztin hier in Halle, mit­tels Online-Buchung eine Sache von zwei Minuten. Auch sie hat sich über den dun­klen Schim­mer gewun­dert und war mit „das war schon immer so“ nicht zufrieden. Daher wollte sie ein Rönt­gen­bild machen. Lei­der zeigte dieses nicht nur die Füll­masse, son­dern auch eine riesige Karies darunter. 

Karies entste­ht, wenn Bak­te­rien den in der Nahrung und in Getränken enthal­te­nen Zuck­er ver­dauen. Als Stof­fwech­se­lend­pro­dukt entste­ht dabei unter anderem Säure, die den Zahn­schmelz nach und nach zer­set­zt. Durch die ein­fache Mund­hy­giene kann man dem gut vor­beu­gen: Zäh­neputzen wühlt Bak­te­rien auf, sodass sich keine größere Besied­lung etablieren kann und Zuck­er­reste wegge­spült wer­den, die den Mikroor­gan­is­men als Nahrung dienen wür­den. Nur kann man in einem winzi­gen Spalt, zwis­chen Zahn und Fül­lung, nicht gut putzen. Fol­glich war der Großteil meines Eck­zahns ver­loren und der Zahn musste wurzel­be­han­delt wer­den. Also Ter­mine für die näch­sten drei Wochen. 

Entwurzelt 

So ein Zahn ist in seinem Inneren doch ein Soft­ie. Nor­maler­weise von der Außen­welt durch den Zahn­schmelz geschützt, befind­et sich dort der Nerv, der zum Beispiel für das unan­genehme Gefühl sorgt, wenn man etwas Kaltes trinkt. Ist eine Karies so weit fort­geschrit­ten, dass sie den Nerv erre­icht, führt der oder die Zahnärzt:in eine Wurzel­be­hand­lung durch. Will man in einem Satz beschreiben, was das bedeutet, klingt es richtig schlimm: Der Nerv des betrof­fe­nen Zahns wird ent­fer­nt und der verbleibende Kanal mit Kun­stharzs­tiften gefüllt. Doch wer schon Phan­tom­schmerzen von Gruselgeschicht­en sein­er Eltern bekommt, irrt. 

Der Prozess ist in mod­er­nen Prax­en fast schmerzfrei. Der erste Ter­min begin­nt mit ein­er Spritze, die im Bere­ich des zu behan­del­nden Zahns nur einen Mil­lime­ter in das Zah­n­fleisch gestochen wird. Zugegeben, das piekst und ist etwas unan­genehm. Sekun­den später wird dadurch aber das Gewebe betäubt und man spürt den Rest der Behand­lung kaum. Es fol­gt, wovor die meis­ten sich fürcht­en: Der Bohrer. Das Para­dox­on beim Bohren ist, dass die scho­nend­sten Bohrköpfe, das erschreck­end­ste Gefühl und Geräusch erzeu­gen. „Es fühlt sich an, als wäre der viereck­ig“, meinte ein Fre­und nach sein­er Behand­lung mal zu mir. Natür­lich ist er nicht viereck­ig, son­dern rund, hat aber nicht die feinen Schleif­par­tikel eines Dia­mant­bohrers. Deswe­gen klingt es wie eine Schlag­bohrmas­chine in ein­er Beton­wand und der eigene Schädel vib­ri­ert entsprechend. Warum soll das jet­zt scho­nend sein? Zahn­schmelz ist das härteste Mate­r­i­al, das unsere Kör­p­er pro­duzieren. So hart, dass die Stahllamellen des „Rumpel­bohrers“, wie meine Zah­närztin ihn nen­nt, nicht dage­gen ankom­men. Nur das von der Karies zer­set­zte und dadurch weiche Mate­r­i­al wird ent­fer­nt. Dia­mant­bohrer sind leise und man merkt sie kaum, dafür tra­gen sie auch gesun­des Mate­r­i­al ab. Dieser kommt zum Ein­satz, wenn sich der oder die Zahnärt:in einen besseren Zugang zum Behand­lungs­ge­bi­et ver­schaf­fen muss oder nach ein­er Fül­lung alles noch in Form bringt. 

Ist der zer­set­zte Teil der Zah­n­masse ent­fer­nt, liegt darunter der Nerv. Haben sich die kariesverur­sachen­den Bak­te­rien bis dor­thin aus­ge­bre­it­et, sodass dieser entzün­det ist, muss er während der Wurzel­be­hand­lung ent­fer­nt wer­den. Würde man das nicht tun, bliebe infiziertes Gewebe zurück und die Erreger kön­nten sich von dort wieder aus­bre­it­en und wirk­liche Schmerzen verur­sachen. Wahrschein­lich ist das auch der Behand­lungss­chritt, der den meis­ten Men­schen Angst bere­it­et. Ner­ven leit­en schließlich die Sig­nale durch unseren Kör­p­er, darunter auch Schmerzen. Sich direkt an einem Nerv zu schaf­fen zu machen, muss also ziem­lich weh tun. Doch deswe­gen haben wir den kleinen Piecks der Spritze ertra­gen, durch den das betrof­fene Gebi­et während der Behand­lung gefüh­l­los ist. Faz­it: Keine Schmerzen. 

Die Rumpel­bohrer lassen die Wände wackeln

In meinem Fall war der linke obere Eck­zahn betrof­fen – für Zahnärzt:innen ist das der dritte Zahn im zweit­en Quad­ran­ten, oder kurz 2–3 – der wie eine Röhre mit ein­er ger­aden Wurzel und einem einzel­nen Wurzelka­nal aufge­baut ist. Nach­dem dieser Kanal eröffnet wurde, wird der Nerv mit einem Satz klein­er Feilen und Spi­ralen Stück für Stück abge­tra­gen. Ich riskiere, mich zu wieder­holen, aber: Auch wenn das wirk­lich schlimm klingt, ich hat­te nichts davon gespürt. Nach dem Abtra­gen wird der Wurzelka­nal nun mit ein­er desin­fizieren­den Lösung gespült und der aufge­bohrte Zahn mit ein­er Art Zement ver­schlossen. Bis näch­ste Woche, Frau Doktor. 

Der zweite Ter­min über­raschte mich anfangs ein biss­chen. Keine Spritze, der Griff ging direkt zum Bohrer. Aber dann fiel mir ein: Wozu auch? Seit dem let­zten Besuch hat der betrof­fene Zahn ohne­hin keinen Nerv mehr, der den Schmerz weit­ergeben kön­nte, also ist auch keine Betäubung nötig. Eine Sorge weniger für alle, die lieber keine Nadeln sehen. Stattdessen wird nur der Zementpfropf ent­fer­nt und der Kanal nochmal kurz aus­ge­feilt. Ein let­ztes Werkzeug, eine Sonde mit Skala, wird im Wurzelka­nal steck­en gelassen und ein Rönt­gen­bild des Zahns gemacht. Es dient dazu, die Länge des Kanals auszumessen, um ihn später passend füllen zu kön­nen. Hier gab es von mir übri­gens doch ein kurzes „Au“ – oder zumin­d­est etwas Ähn­lich­es, was man mit offen­em Mund von sich geben kann. Wie sich her­ausstellte, war mein Wurzelka­nal uner­wartet lang, sodass an dessen Ende etwas vom Nerv übrigge­blieben ist, den die Mess­sonde jet­zt getrof­fen hat. Also doch noch eine kleine Spritze, mit den Feilen ein Stück ver­längern, wieder spülen, ver­schließen und dann bis zur näch­sten Woche. 

Aus­ge­feilte Wurzelbehandlung

Es ste­ht die eigentliche Wurzelfül­lung an. Kun­stharzs­tifte passender Länge wer­den in den ent­stande­nen Kanal gesteckt, sodass möglichst kein Spalt mehr bleibt. Um auch den let­zten Zwis­chen­raum zu ver­siegeln, wer­den die Enden noch erhitzt und somit geschmolzen. Die meis­ten wer­den lieber keine heißen Werkzeuge in ihrem Mund haben wollen, für Zahnärzt:innen ist das allerd­ings Rou­tine und unge­fährlich. Daher sollte man sich nicht von dem Geruch irri­tieren lassen, der auf­steigt. Die Kun­stharzs­tifte qual­men leicht, während sie schmelzen. 

Setzen wir dem die Krone auf 

Nach­dem der hohle Zahn jet­zt wieder gefüllt ist, kön­nte er durch eine Fül­lung wieder aufge­baut wer­den. In meinem Fall ist allerd­ings so wenig der ursprünglichen Struk­tur übrigge­blieben, dass er durch eine Kro­ne, also einen kün­stlichen Ersatz aus Met­all und Keramik, erset­zt wird. Wer bish­er keine Panik wegen der Behand­lung hat­te, bekommt sie wahrschein­lich jet­zt wegen der dro­hen­den Rech­nung. Eine Kro­ne wird für den jew­eili­gen Kiefer, in den sie kommt, maßge­fer­tigt, damit sie sich per­fekt in die Zah­n­rei­he ein­fügt. Entsprechend hoch sind die Rech­nun­gen, die in der Regel mehrere hun­dert Euro Eigenan­teil umfasst. Allerd­ings ist den Krankenkassen bewusst, dass Studierende häu­fig nicht so viel Geld zur Ver­fü­gung haben. Ohne regelmäßiges Einkom­men wird man daher als Härte­fall eingestuft. Nor­maler­weise wer­den nur Kosten in Höhe der soge­nan­nten Regelver­sorgung, also dem absoluten Min­i­mum, über­nom­men. Ist das Bonusheft nicht voll, gibt es sog­ar dabei noch einen Eigenan­teil. Als Härte­fall hinge­gen, übern­immt die Kasse in jedem Fall die dop­pelte Höhe der Regelversorgung. 

Um eine Behand­lung als Härte­fall zu beantra­gen, reicht es, mit einem Heil- und Kosten­plan, den der Zah­narzt ausstellt, und gegebe­nen­falls der aktuellen BAföG-Bescheini­gung auf die jew­eilige Krankenkasse zuzuge­hen und die Sit­u­a­tion zu erk­lären. Mehrere Krankenkassen haben Stan­dorte direkt in Halle und sind nur ein klein­er Umweg auf von der Zah­narzt­prax­is, zurück nach Hause. 

So kön­nte man nun als Härte­fall, bewaffnet mit von der Krankenkasse bewil­ligtem Heil- und Kosten­plan, zu seinem näch­sten Ter­min in die Prax­is und den kariesz­er­störten Zahn durch die neue kün­stliche Kro­ne erset­zten lassen. Mit mein­er Sto­ry ist das lei­der nicht so leicht. Der Schaden, der sich unter der alten Fül­lung aus­bre­it­ete, hat­te damit nicht genug und griff den benach­barten Zahn gle­ich mit an und das sog­ar stark genug, dass auch dieser wurzel­be­han­delt wer­den musste. Also das gle­iche Spiel nochmal. Drei weit­ere Besuche später bin ich in der Gegen­wart – beim Schreiben des Artikels angekommen. 

Für die eigentliche Kro­ne wird von dem betrof­fe­nen Zahn alles bis auf einen Stumpf abge­tra­gen und ein Abdruck des Kiefers genom­men. Wer eine Zahnspange hat, erin­nert sich vielle­icht noch, dass auch das nicht schön ist. Der Abdruck ist aber nötig, damit sich der neue kün­stliche Zahn schön ein­fügt und nicht beim Zubeißen behin­dert. Basierend auf den Maßen der ent­stande­nen Lücke und dem sym­metrischen Zahn auf der anderen Seite, wird dieser am Com­put­er mod­el­liert und dann als Einzel­stück für den jew­eili­gen Patien­ten gefer­tigt. Unter­schiedliche Meth­o­d­en und Mate­ri­alien lassen die Kro­ne sehr natür­lich ausse­hen, sind aber auch entsprechend teur­er und erfordern gegebe­nen­falls eine Zuzahlung. 

Bis der Ersatz fer­tig ist, muss man nicht mit ein­er Zahn­lücke im Sem­i­nar sitzen, son­dern bekommt ein Pro­vi­so­ri­um. Ein Zahn „von der Stange“, wenn man so will. Etwa eine Woche dauert die Her­stel­lung der per­sön­lichen Kro­ne. Beim geplant let­zten Ter­min wird sie mit ein­er Art Zement befes­tigt und man kann wieder sein bre­itestes Grin­sen zeigen. 

Mit einem Lächeln nach Hause 

Aus ein­er Pro­phy­laxe­un­ter­suchung, die mich vielle­icht eine halbe Stunde hätte kosten sollen, wur­den also fast wöchentliche Besuche über mehrere Monate. Dabei ist die Reise noch immer nicht geschafft. Naiv und kurzsichtig, kön­nte ich bereuen mir den ganzen Stress gemacht zu haben, ohne ein merk­lich­es Prob­lem. Allerd­ings stimmt das nur ober­fläch­lich. Der Schaden war bere­its da und Zähne wach­sen nicht nach, warten hat keinen Zweck und hätte alles für mich nur schlim­mer gemacht. Stattdessen bin ich froh, dass alle Baustellen erkan­nt und behan­delt wurden. 

Die Ner­vosität vor der Behand­lung und die Sor­gen um die Rech­nung kon­nten sich nicht hal­ten und basierten let­ztlich nur auf böse Geschicht­en und dem Unwis­sen darüber, was wirk­lich passiert. 

Also, liebe:r Leser:innen, suche dir den oder die  Zahnärzt:in, welche:r zu dir passt – mit Onlineb­uchung und Bew­er­tun­gen, war das nie leichter. Wir wis­sen doch bei­de, dass die let­zte Pro­phy­laxe schon zu lange her ist. Und auch, wenn ich einen lan­gen Artikel über meine Odyssee schreiben kon­nte, viel wahrschein­lich­er ist, dass es wirk­lich nur eine kurze Unter­suchung bleibt. 

Text und Fotos: Ste­fan Kranz

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