Im Mai kon­nten die Europa- und Kom­mu­nal­wahlen bemerkenswert viele Men­schen mobil­isieren. Doch auch bei dieser Abstim­mung haben sich Wahlberechtigte bewusst fer­nge­hal­ten. Was sind ihre Beweg­gründe? Wie bericht­en manche Medi­en darüber? Und wie kann man sich, abge­se­hen vom Wäh­lenge­hen, poli­tisch engagieren? 

Es gibt Sätze, fernab von Aus­sagen über Frem­den­hass und Flüchtlings­de­bat­te, die man in der Öffentlichkeit bess­er nicht ver­laut­en lassen sollte. Ein­er davon ist: »Ich gehe nicht wählen, weil …«

Nicht sel­ten muss man hier mit starkem Gegen­wind rech­nen. Aber wieso sorgt dieser schein­bar lap­i­dare Satz für solche Furore?

Häu­fig wird Nichtwäh­lern ein fehlen­des Inter­esse an der Poli­tik sowie Ver­ant­wor­tungslosigkeit unter­stellt, da das Wahlergeb­nis von den recht­en Parteien dominiert würde, wenn die Wahlbeteili­gung zu ger­ing sei. Viele Wahlbe­für­worter sind schock­iert über die Selb­stver­ständlichkeit, mit der das Wahlrecht betra­chtet wird, und rufen zu mehr Wertschätzung auf. Für einige Nichtwäh­ler sind die Wahlen zweck­los; dies wird oft als pes­simistis­che bis unre­al­is­tis­che Ein­stel­lung aufgenom­men. Doch wieso gibt es dann Men­schen, die sich täglich mit Poli­tik auseinan­der­set­zen, aber trotz­dem nicht wählen gehen?

Standpunkte der Öffentlichkeit
Illus­tra­tion: Elis­a­beth Schulze

Ein Beispiel, wie Medi­en mit der The­matik umge­hen, zeigt dieser satirische Beitrag aus der »Welt«. Hier sind zwei von »Sieben Gründe(n) nicht wählen zu gehen«:

»Gre­ta, 25, aus München: ›Ich bin an dem Tag schon ver­plant. Da ist immer unser Mädelsabend. Und Briefwahl kommt für mich nicht infrage, weil ich immer vergesse, auf welch­er Seite man die Brief­marke ableck­en muss.‹
Jes­si­ca, 41, aus Rosen­heim find­et keine Partei, die 100 Prozent zu ihr passt. ›Ich sehe mich durch nie­man­den richtig vertreten. Ich bin Tier­schützerin, mag keine Flüchtlinge und male gerne Man­dalas. Am Anfang dachte ich, die AfD sei eine echte Alter­na­tive – bis ich im Wahl­pro­gramm vergebens nach Aus­mal-Man­dalas gesucht habe.‹«

Nichtwäh­ler wur­den hier auf sehr humoris­tisch-kri­tis­che Art und Weise dargestellt. Aber ob die Mehrheit der Nichtwäh­ler wirk­lich solche Aus­sagen tre­f­fen würde? Gibt es nicht doch noch bessere Argumente?

Beispiel­haft für den öffentlichen Umgang mit der The­matik ist auch fol­gen­des Zitat aus einem Gas­tar­tikel (»Nicht wählen geht gar nicht!«) in der »Zeit«, der von drei Poli­tik­ern ver­fasst wurde: »Demokratie ist auch, dass man nicht immer eins zu eins seine Mei­n­ung sofort durch­set­zen kann. Wer das will, wün­scht sich keine Demokratie, son­dern will selb­st Dik­ta­tor sein.« Diese Aus­sage soll das Argu­ment manch­er Nichtwäh­ler entkräften, dass keine vertret­bare Partei zur Wahl ste­hen würde. Der Fakt, dass der zitierte Abschnitt auf den ehe­ma­li­gen The­aterkri­tik­er Georg Diez und sein Beken­nt­nis zum Nichtwählen bezo­gen ist, macht schnell den Ein­druck, man könne ihn damit meinen oder unauswe­ich­lich mit Wörtern wie »Dik­ta­tor« in Verbindung set­zen. Er selb­st kommt allerd­ings nicht zu Wort.

Sel­biger Gast­beitrag ruft »alle poten­ziellen Wahlver­weiger­er«, ob The­aterkri­tik­er oder nicht, dazu auf, »mal vor­beizuschauen und etwas zu bewe­gen.« Hier wird sich wieder auf das Vorurteil berufen, dass sich nie­mand der Nichtwäh­ler mit Poli­tik auseinan­der­set­ze und sich alle wie bock­ige Kinder ver­hal­ten wür­den oder die so typ­is­che »kindliche Naiv­ität« aufwiesen. Manche Nichtwäh­ler sind allerd­ings bekan­nt dafür, sich poli­tisch zu engagieren; als Beispiel kann man hier den polar­isieren­den Jour­nal­is­ten Ken Jeb­sen anbrin­gen. Wom­öglich set­zt er sich mehr mit Poli­tik auseinan­der als ein Wäh­ler, der sein Kreuzchen set­zt und dann abwartet, was die gewählte Partei damit anfängt. Hier beste­ht jedoch das Risiko, schnell wieder zurück in die Pas­siv­ität zu fall­en – schließlich trägt nun die gewählte Partei die Bürde des Umsetzens.

Eigeninitiative – was bewegen statt meckern
Illus­tra­tion: Elis­a­beth Schulze

Um Dinge zu verän­dern, braucht man nicht zwangsläu­fig einen Wahlzettel. Die Umset­zung des 1,5‑Grad-Ziels, die Bekämp­fung von Umweltver­schmutzung und Massen­tier­hal­tung sind nur auf den ersten Blick Dinge, die Poli­tik­er in ihren Stühlen sitzend verän­dern wer­den. Das zu bee­in­flussen ist den Bürg­ern über­lassen: durch ihren Kon­sum, indem man zum Beispiel das Fahrrad aus dem Keller holt, weniger Plas­tik kauft oder auf Bio­pro­duk­te set­zt. Im Grunde kön­nen wir uns so jeden Tag neu entschei­den, ob wir uns poli­tisch engagieren oder nicht – nicht nur am Tag der Wahl. Natür­lich schließt das eine das andere nicht aus; aber nicht wählen zu gehen bedeutet nicht zwangsweise, dass man sich nicht mit Poli­tik beschäftigt.

Systemkritik durch Verweigerung

Ein­er der Gründe von poli­tisch inter­essierten Nichtwäh­lern, der Wahl fern zu bleiben, ist die ver­meintlich fehlende Alter­na­tive: Egal, welche Partei man wählt, es würde sich doch eh nichts grundle­gend ändern. Um es bildlich zu beschreiben: Es werde immer nur ver­sucht, die Symp­tome zu lin­dern; die Ursache der Krankheit wird jedoch nicht behoben. Beispiel Flüchtlingskrise: In der Poli­tik wird die Auf­nahme und Unter­bringung der Flüchtlinge disku­tiert, zu sel­ten aber ihre Ursache: der Krieg. Laut manchen Nichtwäh­lern debat­tieren die Poli­tik­er irrel­e­vante The­men, die es sich nicht lohnt zu unterstützen. 

Sicher­lich gibt es diese »typ­is­chen« Nichtwäh­ler: Men­schen, die wirk­lich kein Inter­esse haben oder keine freien Kapaz­itäten, sich mit diesen The­men auseinan­derzuset­zen. Das will nie­mand abstre­it­en, doch es kön­nte allen beteiligten Seit­en dien­lich sein, auf gegen­seit­ige Pauschal­isierun­gen zu verzichten.

Doch es ist ver­meintlich viel leichter, Argu­mente totzuschweigen oder lächer­lich zu machen. Jed­er sollte das Recht haben, sich zu erk­lären und nicht schon beim ersten Satz hoff­nungs­los in eine Schublade gesteckt zu wer­den, aus der er sich nur schw­er wieder befreien kann. Schließlich sagte schon Rosa Lux­em­burg: »Frei­heit ist auch immer die Frei­heit der Andersdenkenden.«

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