Sich für gesellschaftlich ausgeschlossene und unterdrückte Menschen einzusetzen, kann zur Herausforderung werden. Erst recht herausfordernd wird es, wenn man trotz dieses Einsatzes als menschenverachtend bezeichnet wird. Aufgrund anhaltender Diskussionen im Stura über die inhaltliche Ausrichtung des AK que(e)r_einsteigen haben wir mit dem Arbeitskreis über die Vorwürfe, sein Selbstverständnis und die Folgen des Streits gesprochen.
Der 30. Stura beschäftigte sich in seinen ersten Sitzungen stundenlang mit dem AK que(e)r_einsteigen und Queerfeminismus im Allgemeinen. In der Haushaltsdebatte wurde die Diskussion von zwei Mitgliedern der OLLi (Offene Linke Liste) mit der Begründung angestoßen, dass Queer-Theorien menschenverachtende Ideologien enthalten. In einer späteren Sitzung leiteten sie diese Ideologien aus der Nähe zum Poststrukturalimus her. Grob beschrieben ist der Poststrukturalismus ein Sammelbegriff für Autor:innen und Theorien, die in den 60er Jahren aufgekommen sind. Zu ihnen zählt auch Judith Butler, eine Philosophin, die eine essentielle Rolle innerhalb der Queer-Theorien einnimmt.
Außerdem unterstützte der Stura laut Angabe der beiden OLLi-Leute in der Vergangenheit queerfeministische Projekte mit knapp 10 Prozent seiner Haushaltsgelder, was eine unhaltbare Situation sei. Um dies zu ändern, forderten sie, die Hälfte des AK-Budgets zu streichen oder keine externen queerfeministischen Projekte mehr zu fördern. Die Halbierung wurde in der Haushaltsdebatte mit sehr knapper Mehrheit beschlossen und einige Wochen später, nach Abschluss aller Diskussionen, ähnlich knapp bestätigt. Der Prozentsatz des Haushaltsgeldes für Projekte und Arbeitskreise, welcher an den AK que(e)r_einsteigen ausgezahlt wurde, lag im Jahr 2018 bei 5 % und 2019 bei 6,5 %. Mit seinem neuen Budget bleiben ihm jetzt lediglich 3,3% zum Planen der Veranstaltungen.
Was aber macht der AK que(e)r_einsteigen eigentlich? In einem Interview verrieten uns Trixi Jenning und Dominic Keßler, beide seit einem Jahr im AK, das Selbstverständnis des Arbeitskreises, die Bedeutung des queeren Lebens und sein aktuelles Programm.
Was macht der AK que(e)r_einsteigen?
Unser AK beschäftigt sich mit verschiedenen Themen, unter anderen auch queerfeministischen Betrachtungsweisen. Uns ist wichtig, eine Informationsplattform für queeres Leben in Halle zu stellen – vorrangig unter Studierenden, dazu sind wir ja ein Arbeitskreis des Stura. Wir organisieren auch viele Veranstaltungen in Kooperation mit der Stadt oder Vereinen hier in Halle, die sich mit queeren oder vielfältigen Leben auseinandersetzen.
Wie würdet ihr euer Selbstverständnis beschreiben?
Wir haben uns dieses Jahr ein Wochenende lang zusammengesetzt und uns genau diese Frage, was unser Selbstverständnis ist, gestellt. In diesen Tagen haben wir erarbeitet, dass es für uns nicht darum geht, queer zu sein, weil es bedeuten würde, nur eine Art Toleranz für einen Bereich zu erstellen, in der man die Möglichkeit hat, queer zu sein. Uns geht es vielmehr darum, queer zu handeln. Wir wollen gar nicht die Möglichkeit eröffnen zu sagen, es gibt Menschen, die queer sind, und Menschen, die es nicht sind. Wir wollen die Möglichkeit eröffnen, sich dazu zu entscheiden, queer zu handeln, um bestehende Deutungshoheiten gegebenenfalls zu irritieren. Queer zu handeln bedeutet einfach Selbstverständlichkeiten aufzurütteln, zu destabilisieren und zu dekonstruieren. Wir wenden uns gegen Menschenfeindlichkeit und Unterdrückung aufgrund von Sexismus, Rassismus, Antisemitismus und Fat-Shaming. All solche Dinge sind auf unserer Agenda, welche wir gerne thematisieren und beleuchten möchten.
Wo und wie ist diese Bewegung entstanden?
Da gibt es große Dinge wie Stonewall (ein Aufstand Homo- und Transsexueller gegen Polizeibeamt:innen im Jahre 1969), die man vielleicht als eine Art Monument sehen kann. Ob man das aber als Bewegung beschreiben kann, wissen wir nicht, denn worauf soll man denn die queerfeministische Bewegung beziehen? Es gibt innerhalb des Queerfeminismus so viele unterschiedliche Richtungen. Und das ist eigentlich auch genau unsere Richtung, dass wir nicht für einen Queerfeminismus einstehen, sondern alle Arten des Auslebens mit einbeziehen und auch andere Arten von Positionen mit heranziehen wollen. Wir wollen verschiedene Facetten kennenlernen und uns mit diesen auseinandersetzen. Unserer Ansicht nach gibt es nicht den einen Queerfeminismus, und zuletzt sind wir auch nicht der AK Queerfeminismus, sondern der AK que(e)r_einsteigen.
Wie seid ihr auf die Thematik aufmerksam geworden, und wann habt ihr euch dazu entschieden, dem AK que(e)r_einsteigen beizutreten?
Im Kontext des Studiums haben wir die ersten Ansatzpunkte bekommen. Da wir Erziehungswissenschaften studieren, konnten wir dem Feminismus nicht entrinnen, und dann ist man da so reingekommen. Im Oktober 2018 haben wir dann im Stud.IP gesehen, dass für diesen AK Werbung gemacht wurde, und dann sind wir einfach mal zum Treffen gegangen, haben es uns angesehen und fanden es ganz nett. Der Wunsch ging dann dahin, dieses Thema in einen politischen Kontext bringen zu können und sich nicht nur im Studium damit auseinanderzusetzen.
Warum findet ihr es wichtig, sich mit queeren Theorien auseinanderzusetzen?
Um einfach auch machtsensibel zu sein, ist es ja keine schlechte Grundlage zu wissen, was die verschiedenen theoretischen Ansätze sind.
Unser Anspruch ist es nicht, alles zu dekonstruieren, um einfach irgendwann sagen zu können: „Alles ist sagbar, und alles ist machbar“, das wäre zu einfach. Wir wollen eher dazu animieren, Dinge zu hinterfragen, und somit eine Sichtbarkeit für verschiedene Lebenswelten herstellen.
Wer ist Judith Butler, und was hält der AK von ihr?
Die frühere Literatur von Judith Butler steht schon im Zentrum des Queerfeminismus, zumindest wird es immer wieder so reproduziert. Ob es so ist, können wir ja mal hinterfragen. Festzuhalten ist auf jeden Fall, dass ihre Gedanken zu dieser Zeit ein sehr revolutionäres Denken waren, zumindest ein anderes, aufbrechendes und radikales. Diese Radikalität wird ihr natürlich auch immer wieder vorgeworfen, sie versucht in ihren Schriften wirklich alles hardcore zu dekonstruieren, was auf einer praktischen Ebene schon sehr anspruchsvoll und teilweise auch fragwürdig erscheinen kann. Aber ähnlich wie bei uns geht es darum, Dinge zu hinterfragen.
Butler ist eine Schlüsselfigur, vielleicht sogar die Schlüsselfigur, aber sie hat das Buch „Gender Trouble“ 1990 veröffentlicht, seitdem hat sich schon noch mal einiges verändert. Es sind ja auch ganz viele neue Theoretiker:innen dazu gekommen. Butler ist sicherlich bei einigen Themen zu kritisieren, und es heißt auch nicht, dass wir das nicht machen würden.
Was ist euer Programm für dieses Semester?
Ganz standardmäßig steht vom Oktober 2019 bis Ende Januar 2020 unsere Veranstaltungsreihe an. Dazu hatten wir jetzt in den letzten Wochen eine Veranstaltung zu Polyamorie mit anschließender Diskussionsrunde. Die Veranstaltung zu Asexualität und Aromantik musste leider krankheitsbedingt ausfallen, wir versuchen sie aber anders wieder einzubringen.
Es stehen noch Thematiken wie das Vorstellen der Studienergebnisse der „LAG Queeres Netzwerk Sachsen e.V.“, welche eine Studie über Gewalterfahrungen von LSBTTIQ* in Sachsen gemacht haben, an. Auf diesen sind wir sehr gespannt. Dann haben wir noch einen Vortrag zu Bodypositivity, das wird aber eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Bereich sein. Wir werden uns mit feministischem und queerfeministischem Porno auseinandersetzen, und wir haben noch einen Vortrag, in dem es um die gesellschaftliche Herstellung des biologischen Geschlechts geht. Darüber hinaus haben wir noch einen Vortrag zu Unsichtbarkeit von Bi- und Pansexualität.
LSBTTIQ*: Die Abkürzung steht als Sammelbegriff für lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, Transgender‑, intersexuelle und queere Menschen. Der Stern repräsentiert Menschen, die sich nicht auf einen der vorgenannten Begriffe festlegen lassen möchten. Es sind weitere ähnliche Abkürzungen mit unterschiedlich vielen Buchstaben in Gebrauch.
Es gibt auch schon Planungen für das Feminismen-Festival, da werden wir sehen, ob und inwiefern wir uns wie letztes Jahr wieder finanziell einbringen können, aber eigentlich würden wir da schon gerne einen bestimmten Teilbereich mitgestalten. Ab Dezember beginnen ansonsten noch die Planungen für den CSD 2020, da stehen wir auch schon im Austausch und sehen, was so thematisch läuft.
Welche Folgen hat die Kürzung eures Budgets?
Das ist eine sehr gute Frage, denn unser AK muss sich diese Frage selbst erst stellen. Es bedeutet natürlich einen ziemlichen Einschnitt für uns, weil wir dieses Jahr deutlich mehr Ausgaben geplant hatten, beispielsweise die Beteiligung am CSD. Beim IDAHIT wollten wir dieses Jahr auch finanzielle Mittel zusteuern und nicht nur danebenstehen wie letztes Jahr, und beim Feminismen-Festival wollten wir unseren AK sichtbarer gestalten. Aber die Vermutung liegt nun nahe, dass das alles zurückgestellt werden muss, denn unser Fokus liegt, wie jedes Jahr, weiterhin auf unserer Veranstaltungsreihe.
Mehr zur Stura-Debatte, die zur Kürzung des AK-Budgets geführt hat: hastuzeit.de/stichwort/queereinsteigen