13 Stock­w­erke, 280 Wohn­plätze, 10 Mil­lio­nen Euro Sanierungskosten: Das Wohn­heim in der Richard-Paulick-Straße 13 musste Ende 2019 geschlossen wer­den. Hier hat­ten vor allem inter­na­tionale Studierende gewohnt, die das Stu­di­enkol­leg in Halle-Neustadt besuchen.

Foto: Ele­na Neugebauer

So hat­te sich Mavis das Leben in Europa nicht vorgestellt. Riesige Plat­ten­baut­en, die kaum voneinan­der zu unter­schei­den sind, die mehrspurige Magis­trale und die leer­ste­hen­den Hochhauss­cheiben im Zen­trum geben Halle-Neustadt nicht unbe­d­ingt den europäis­chen Flair, den sie erwartet hat­te. Mavis studiert seit März 2019 am Stu­di­enkol­leg in Halle. Den Wohn­heim­platz in Halle-Neustadt bekam sie direkt nach ihrer Auf­nahme am Stu­di­enkol­leg zugewiesen. Die Woh­nung beschreibt sie als prak­tisch, die Anbindung an die Stadt sei gut gewe­sen. Aber schon sieben Monate später musste sie wieder ausziehen und sich eine neue Unterkun­ft suchen.

„Das Gebäude in der Richard-Paulick-Straße war immer zur Abgabe vorge­se­hen“, sagt Lydia Hüskens, Geschäft­slei­t­erin des Stu­den­ten­werkes Halle. Es sei das let­zte Gebäude gewe­sen, das das Stu­den­ten­werk zur Miete nutzte. Eigen­tümer des zweit­eili­gen Haus­es ist das Land Sach­sen-Anhalt. Die Kosten für die umfassende Sanierung des 1969/70 ent­stande­nen Gebäudes schätzte das Stu­den­ten­werk zulet­zt auf etwa 10 Mil­lio­nen Euro. Eine so hohe Summe dürfe das Stu­den­ten­werk nicht in Eigen­tum Ander­er investieren, so Hüskens. Die Kon­se­quenz: Alle Bewohner:innen des Wohn­heims mussten bis 30. Sep­tem­ber 2019 ausziehen.

So auch Mavis. Sie hat­te bere­its im Som­mer eine neue Woh­nung gefun­den, kon­nte diese dann aber nicht beziehen, weil ihr ein vorzeit­iger Ausstieg aus ihrem Mietver­trag ver­wehrt wurde. Denn die Verträge mit dem Stu­den­ten­werk sind nur zum Semes­terende künd­bar. Laut Hüskens hat­te dieser Umstand zu mehreren Diskus­sio­nen zwis­chen Mieter:innen und dem Stu­den­ten­werk geführt, am Ende sei die Räu­mung des Gebäudes aber prob­lem­los verlaufen.

Mavis hätte sich bei der Suche nach ein­er neuen Woh­nung mehr Unter­stützung und Beratung seit­ens des Stu­den­ten­werkes gewün­scht: „Wir sind neu hier in Halle, und ich denke, sie hät­ten sich ein biss­chen bess­er um uns küm­mern müssen.“ Ein­schlägige Web­sites zur WG- und Woh­nungssuche sind inter­na­tionalen Studieren­den nur bed­ingt bekannt.

Wohnheimplätze nur für wenige
Foto: Ele­na Neugebauer

„Viele inter­na­tionale Studierende kon­tak­tieren mich ger­ade am Anfang vor allem mit dem Prob­lem, eine Woh­nung zu find­en“, sagt Paula Klötzke, Ref­er­entin für Inter­na­tionales für den Studieren­den­rat der MLU. Inter­na­tionale Studierende bei der Woh­nungssuche zu unter­stützen gehört zu den zen­tralen Prob­le­men, mit denen sie sich auseinan­der­set­zt. Wer in einem anderen Land ein neues Zuhause sucht, hat schließlich nicht nur mit dem räum­lichen Abstand zu kämpfen, son­dern muss sich auch mit sprach­lichen Hin­dernissen und der Über­set­zung divers­er Nach­weise herum­schla­gen. Hinzu kommt, dass inter­na­tionale Studierende oft nur eine begren­zte Zeit in der jew­eili­gen Stadt bleiben. Dadurch seien sie auf dem pri­vat­en Woh­nungs­markt nicht die beliebtesten Mieter:innen, so Lydia Hüskens. Das Stu­den­ten­werk ver­sucht hier mit seinen Wohn­heimen Abhil­fe zu schaf­fen. „Aber unsere Auf­gabe ist es nicht, allen einen Wohn­platz zu bieten“, sagt Hüskens. Ins­ge­samt ver­sorgt das Stu­den­ten­werk Halle neun Prozent aller Studierende, inter­na­tionale wie deutsche, mit ein­er Unterkun­ft. Auf die 1500 Plätze in den verblieben­den sieben Wohn­heimen kom­men in Halle dop­pelt so viele Bewer­bun­gen. „Im Gegen­satz zu anderen Län­dern wie den USA oder Großbri­tan­nien sind Wohn­heime in Deutsch­land keine sehr bre­it aufgestellte Alter­na­tive“, bemän­gelt Paula Klötzke. In Halle kann nur ein sehr geringer Anteil der Studieren­den in einem Wohn­heim leben.

Was geschieht nun?

Mit der Schließung des 13-stöck­i­gen Plat­ten­baus in der Richard-Paulick-Straße ent­fall­en 280 Wohn­plätze. Diese will das Stu­den­ten­werk Halle im Raum Uni­ver­sität­sring und Stein­tor-Cam­pus erset­zen. Im Novem­ber 2019 hieß es, dass die Gebäude an der Emil-Abder­halden-Straße 7 und 45 zu Wohn­heimen umge­baut wer­den sollen. Halle-Neustadt hat somit vor­erst sein let­ztes Studieren­den­wohn­heim ver­loren. Was mit dem Haus nun passiert, ist noch unklar. „Ein leeres Gebäude hat immer das Poten­tial, mit neuen Inhal­ten gefüllt zu wer­den“, sagt Johan­na Lud­wig, Quartier­man­agerin in Halle-Neustadt. Im Rah­men des bun­desweit­en Wet­tbe­werbs „Zukun­ftsstadt“ wurde 2015 ein Konzept aus­gear­beit­et, das die Schaf­fung eines Bil­dungscam­pus in der südlichen Neustadt vor­sieht. Für Johan­na Lud­wig wäre das die opti­male Nutzung des Gebäudes: Ein Werk­statthaus, mit Gemein­schaft­sräu­men für das Quarti­er, ein­er Men­sa und einem Mak­er Space, ver­net­zt mit den umgebe­nen Schulen.

Zu wün­schen wäre Halle-Neustadt die Umset­zung dieses Konzepts. Es kön­nte dazu beitra­gen, den Stadt­teil attrak­tiv­er und lebenswert­er zu gestalten.

Halle-Neustadt gilt als das Muster­beispiel ein­er sozia­listi­schen Planstadt. In der DDR wurde es als eigen­ständi­ge Stadt angelegt, vor allem für die Chemiearbeiter:innen in Leu­na und Schkopau. Der Bau wurde 1964 begonnen und endete 1989. 1972 lag das Durch­schnittsalter der Anwohner:innen bei 24 Jahren. Nach der Wende wurde es in die Stadt Halle (Saale) einge­mein­det, die Bevölkerungszahl ging von 90 000 Einwohner:innen im Jahr 1990 auf heute etwa 45 600 zurück.

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