Hin und wieder liest man von »Halle, der Stu­den­ten­stadt«. Spätestens fünf Gehminuten vom Cam­pus ent­fer­nt entste­hen erste Zweifel an der Richtigkeit dieser Aus­sage. Wir leben in ein­er Stadt, die Stu­den­ten fan­tastis­che Möglichkeit­en bietet – aber sich­er nicht in ein­er Stu­den­ten­stadt. Warum das vielle­icht auch gar nicht so schlecht ist. Eine Betrachtung. 

Foto: Cata­tine (CC BY-SA 4.0), https://commons.wikimedia.org/wiki/file:HAL-Steintorcampus2b_Fahrr%C3%A4der.JPG

Wie jede große Kul­tur- und Bil­dung­sein­rich­tung liebt es die Mar­tin-Luther-Uni­ver­sität, Pressemit­teilun­gen in bewun­dern­swert­er Regelmäßigkeit in die große, weite Welt hin­auszuschick­en. Die kurzen und manch­mal nicht ganz so kurzen Texte wid­men sich den unter­schiedlich­sten The­men, die für Beobachter ein­er Uni irgend­wie von Inter­esse sein kön­nten. Gele­gentlich wohnt dem Klang manch­er For­mulierun­gen ein nicht zu über­lesender Stolz über das Verkün­dete bei; man will es der MLU nicht ver­denken. Wenn die Uni schon ein­mal gemein­sam mit der Wein­brud­er­schaft Saale-Unstrut e.V. eine Ausstel­lung über den Gott des Weines konzip­iert, kann man dieses alko­holis­che Genuss­mit­tel und dessen Anbau dur­chaus als »die wesentlichen anthro­pol­o­gis­chen Grundzüge des Men­schen berührend« rüh­men. Anlass genug, dass neben einzel­nen regionalen Seit­en sog­ar rtl.de seinen Leserin­nen und Lesern diese Neuigkeit nicht voren­thal­ten wollte.

Es gibt aber auch Pressemit­teilun­gen der hiesi­gen Uni, die für ein noch größeres Medi­ene­cho sorgen:

Stellen wir uns doch ein­mal vor, ein Wet­tbüro käme tat­säch­lich auf den absur­den Gedanken, Quoten für das Ein­treten oder Nicht-Ein­treten des nun vorgestell­ten Fall­es einzuricht­en: Die MLU verkün­det der ges­pan­nten Öffentlichkeit zumeist Mitte Okto­ber eines jeden Jahres, dass sich wieder eine Reko­rdzahl an Erstse­mes­tern für ein Studi­um in der Saalestadt entsch­ieden hat. Wer auf Num­mer sich­er gehen will, wet­tet fol­glich, dass es auch im näch­sten Jahr so kom­men wird; die Wahrschein­lichkeit, dass dieser Fall ein­tritt, ist sehr groß und die Quote ver­schwindend ger­ing. Ähn­lich würde es sich ver­hal­ten, wenn man bei einem Pokalspiel auf den haushohen Favoriten set­zt – sich­er, aber nicht son­der­lich lukra­tiv. Unwahrschein­lich, ja nahezu aus­geschlossen erscheint das Szenario, wonach es tat­säch­lich mal wieder ein Win­terse­mes­ter gibt, bei dem an der Uni Halle weniger Stu­den­ten und Stu­dentin­nen als im Vor­jahr imma­trikuliert wer­den. Die Option für Zock­er schlechthin! Denn es soll ja doch auch mal vorkom­men, dass der Under­dog im Pokal wider aller Erwartun­gen gewinnt.

Warum die hastuzeit vielleicht bald ihre Auflage erhöhen muss

Illus­tra­tion: Emil­ia Peters

Der Trend ist gut erkennbar – offenkundig wer­den Stadt und Uni bei Stu­di­en­an­fängern immer beliebter. Um diese Fest­stel­lung ein­mal mit wasserdicht­en Zahlen zu unter­füt­tern: Die has­tuzeit lässt zu Beginn eines jeden Win­terse­mes­ters 4000 ihrer kost­baren Stücke in die nicht nur bei frisch Eingeschriebe­nen beliebten Ersti-Taschen, die offiziell Stu­dents-wel­come-bags heißen, bei­le­gen. Bis zu 365 Studierende gin­gen zu Beginn des aktuellen Win­terse­mes­ters leer aus und erhiel­ten keine has­tuzeit. Was ler­nen wir daraus? Ein­er­seits, dass 2018 knapp 4400 neu eingeschriebene Stu­di­en­an­fänger an der Uni Halle akademisch aktiv wur­den. Ander­er­seits, dass die has­tuzeit im näch­sten Jahr lieber ein paar hun­dert Hefte mehr druck­en lassen sollte.

Beliebt sind Halle und seine Uni also ohne Frage, und dafür gibt es gute Gründe. Die Aus­bil­dung, die Studierende der Rechtswis­senschaft hier erhal­ten, zählt zum Kreis der besten in ganz Deutsch­land. Auch wer Erziehungswis­senschaften studiert, ist mit der MLU sich­er an kein­er ganz schlecht­en Adresse gelandet. Diese Liste ließe sich prob­lem­los noch um einige Ein­träge erweitern.

Abge­se­hen davon sind die Mieten im Ver­gle­ich zu anderen Unistädten oder deutschen Großstädten im All­ge­meinen gün­stig, und es han­delt sich bei Halle um eine Stadt der kurzen Wege; beina­he alle für Akademik­er wichti­gen Streck­en lassen sich inner­halb von 15 oder 20 Minuten zu Fuß bewälti­gen. Mit der Kleinen Ulrich­straße gibt es min­destens eine Kneipen­meile und durch Freiräume für (fast) alle Ideen erhält sich eine lebendi­ge Kulturszene.

Aber den­noch: Wenn man nicht ger­ade 16 Uhr bei Ede­ka in der Großen Ulrich­straße einkaufen geht, fällt dem aufmerk­samen Beobachter sein­er Umwelt auf, dass es mit der stu­den­tis­chen Präsenz in der Stadt nicht so weit her ist – da kann die Uni noch so oft frohlock­end verkün­den, dass es immer mehr von dieser Sorte hier gibt. Wenn man sich nur ein paar Schritte vom Cam­pus ent­fer­nt, läuft man kaum noch Kom­mili­to­nen über den Weg.

Foto: Timur Y (CC BY 3.0), https://commons.wikimedia.org/wiki/ File:Giebichenstein,_Halle_(Sale),_Germany_-_panoramio(3).jpg

Auch dieser Ein­druck lässt sich mit Zahlen gut verdeut­lichen: In Halle gibt es seit diesem Semes­ter ins­ge­samt fast 21 500 Stu­dentin­nen und Stu­den­ten an MLU und Burg, zu denen noch ein­mal rund 220 000 »andere« Bewohn­er der Stadt kom­men. Nicht ein­mal jed­er zehnte Ein­wohn­er kann also als »studierend« beze­ich­net werden.

In »klas­sis­chen« Stu­den­ten­städten sieht dieses Ver­hält­nis ein wenig anders aus: Im hes­sis­chen Gießen lebt ein Drit­tel der Ein­wohn­er Halles, die Anzahl an Stu­den­ten beträgt allerd­ings beina­he 30 000; in Jena, auch so ein­er Saalestadt, leben in absoluten Zahlen zwar etwas weniger Stu­diosi (~18 000), aber alles in allem auch nur halb so viele Ein­wohn­er wie in Halle. In Tübin­gen ist min­destens die Hälfte der Ein­wohn­er fast direkt mit der Uni ver­bun­den. Wer also in ein­er dieser Städte unter­wegs ist, trifft schon aus demografis­chen Grün­den häu­figer auf andere Studenten.

Dafür, dass Halle keine klas­sis­che Stu­den­ten­stadt ist, sprechen auch die Miet­preise. Ja, diese steigen auch in Halle an – aber nicht in so drastis­chen Dimen­sio­nen wie in anderen Städten, in denen sich eben­falls viele Akademik­er niederge­lassen haben. Die Miete pro Quadrat­meter liegt stadtweit gemäß Miet­spiegel noch immer unter 7 Euro – davon träu­men Stu­den­ten in manch­er (vornehm­lich west­deutsch­er) Stadt nicht ein­mal mehr. Die jahrzehn­te­lange oder gar jahrhun­dertealte Präsenz stu­den­tis­chen Lebens macht eine Stadt attrak­tiv – heute wür­den wir sagen: »hip«. Das führt automa­tisch zu ein­er Wert­steigerung. Gut zu beobacht­en war dies in den let­zten Jahrzehn­ten in Berlin oder auch in Leipzig, wo ganze Stadt­teile durch kün­st­lerisches – oder eben »hippes« – Flair, das nicht sel­ten durch die Anwe­sen­heit von Stu­den­ten ent­standen ist, einem radikalen Wan­del unter­zo­gen wurde. In diesem Zusam­men­hang fällt oft ein Begriff, der nicht stärk­er aufge­laden sein kön­nte und regelmäßig für Span­nun­gen sorgt: Gen­tri­fizierung. Dieser muss an dieser Stelle nicht noch ein­mal näher erörtert wer­den, und natür­lich ist Halle nicht frei von diesem Prozess. Doch fällt oft unter den Tisch, dass diejeni­gen, die ein Vier­tel wieder auf­blühen lassen, indi­rekt mit dafür ver­ant­wortlich sind, dass es dort zügig teur­er wird. Denn in einem mar­o­den Arbeit­er­vier­tel wer­den die Mieten wohl kaum inner­halb kürzester Zeit rapi­de steigen; in ein­er szenisch-kün­st­lerischen Gegend hinge­gen schon.

Foto: paul muster (CC BY 3.0), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Martin-Luther-Universit%C%A4t_Halle-Wittenberg_-_Universit%C3%A4tsplatz_in_der_Altstadt_Halle_Saale_-_panoramio.jpg

Von der Blase kann keine Rede sein

Die im interkul­turellen Aus­tausch zweifel­los ver­sierte Organ­i­sa­tion ESN (Eras­mus Stu­dent Net­work) schreibt auf ihrer Home­page über unsere Stadt: »Durch die 20 000 Stu­den­ten, die in Halle leben, ist hier immer etwas los! Wo auch immer man hinge­ht, wird deut­lich, dass Halle auf jeden Fall eine richtige Stu­den­ten­stadt ist.« Auch in der has­tuzeit kon­nte man diesen Begriff schon ein­mal lesen; gel­o­gen ist dies sicher­lich nicht. Kom­plett der Wahrheit entspricht es jedoch auch nicht. Natür­lich find­et sich jed­erzeit irgend­wo in der Stadt ein Ort, an dem sich etwas erleben lässt. Alles andere würde jedoch auch der Def­i­n­i­tion von »Stadt« an sich zuwider­laufen. Wer allerd­ings erwartet, dass man sich Abend für Abend zwis­chen fünf Party­lo­ca­tions entschei­den kann, ist wohl auf dem Holzweg. Mit Ein­bruch der Dunkel­heit wird es hier sehr schnell sehr ruhig, was selb­st dem nicht son­der­lich feier­affinen Autor dieses Textes schnell aufge­fall­en ist. Gewiss gilt dies jedoch nicht nur für das stu­den­tis­che Leben in Halle. Auch die Tat­sache, dass abends eine Wartezeit von bis zu zwanzig Minuten einkalkuliert wer­den muss, wenn man mit der Straßen­bahn vom Bahn­hof zum Mark­t­platz fahren möchte, sagt etwas über die Dynamik des öffentlichen Lebens in Halle zu fort­geschrit­ten­er Stunde aus.

Gewiss, ohne das stu­den­tis­che Leben und die bloße Präsenz ein­er Uni allein in der Alt­stadt sind kul­turelle Ein­rich­tun­gen wie das Neue The­ater oder auch die Leopold­ina schw­er vorstell­bar. Man mag sich kaum aus­malen, wie es um das hal­lis­che Kul­tur­ange­bot bestellt wäre, gäbe es hier über­haupt kein stu­den­tis­ches Leben. Das bet­rifft sowohl Ange­bot als auch Nach­frage. Doch drängt sich der Ein­druck auf, Halles Stu­den­ten­schaft lebte weit­ge­hend in ihrer stu­den­tis­chen Blase inner­halb der Stadt­gren­zen. Eine echte Stu­den­ten­stadt ist eine Blase für sich. Genau darin beste­ht der alles entschei­dende Unter­schied. Dieser Umstand liegt, auf Halle bezo­gen, in der Natur der Sache – die Saalestadt ist, so gewöh­nungs­bedürftig das auch klin­gen mag, ein­fach zu groß, um als reine Stu­den­ten­stadt zu gel­ten. Nichts­destotrotz ist sie ein Ort, an dem man »gut und gerne studieren« kann. Wer sich Halle manch­mal doch ein klein wenig mehr wie Mar­burg, Mün­ster oder Jena wün­scht, wird von diesem Gedanken spätestens dann Abstand nehmen, wenn er den Immo­bilien­markt betra­chtet. Halle muss und soll keine Stu­den­ten­stadt sein, um eine benei­denswert gute Adresse für Akademik­er aus ganz Deutsch­land darzustellen.

Wer an der Anziehungskraft unser­er Stadt noch immer zweifelt, dem empfehle ich, im Herb­st des kom­menden Jahres ein­mal aufmerk­sam die hau­seige­nen Pressemit­teilun­gen unser­er Uni­ver­sität zu studieren. Vielle­icht ist ja ein Wet­tbüro in der Nähe?

Foto: Michael aus Halle (CC BY-SA 3.0), https://commons.wkimedia.org/wiki/File:Panorama_nach_Halle_-_panoramio.jpg
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