In die­sem Gastbeitrag der luh­ze, Hochschulzeitung in Leipzig, beschreibt Sara Wolkers ihre Eindrücke zu Julia Raabs und Anja Schwedes Theaterstück „Der schwar­ze Hund“, wel­ches sicht­bar machen will, wie Depressionen sich anfühlen.

Ich bei­ße mei­ne Zähne auf­ein­an­der und hof­fe, dass es gleich vor­bei ist. Zu dritt ste­hen wir unter einem mit schwar­zem Stoff verhan­genen Sonnenschirm. Um uns her­um Tafeln, auf denen in wei­ßen Buchstaben „Ich habe kei­ne Kraft“, „Es gibt kei­ne Aussicht“ oder „Was stimmt nicht mit mir?“ steht. Christel Römer vom Leipziger Bündnis gegen Depression dreht den Schirm. Erst lang­sam, dann immer schnel­ler krei­sen die nega­ti­ven Tafelaufschriften um mich und die ande­ren unter dem Schirm. Das soll die Gedankenspiralen simu­lie­ren, mit denen an Depression Erkrankte oft zu kämp­fen haben. Depression ist die Krankheit der „Losigkeit“, hat Christel Römer erklärt, als wir den Depressionssimulator betre­ten haben. „Sie sind schlaf­los, freud­los und antriebs­los.“ Die Wahrnehmung sei wie von einem grau­en, dump­fen Schleier überzogen.

Der Blick aus dem Inneren des Schirms durch die Stoffbahnen in den umlie­gen­den Raum ver­deut­licht, was sie damit meint: Die bun­ten Lampions an der Decke der gro­ßen Halle wir­ken grau – ihr sowie­so schon gedämpf­tes Licht irgend­wie leb­los. Unter dem Schirm sind wir abge­schnit­ten vom Rest des Saals und den ande­ren Menschen. Auch das ist eine Erfah­rung, die Betroffene machen. Das Gefühl, nicht ver­stan­den zu wer­den, die Angst, sich über­haupt jeman­dem anzu­ver­trau­en, und die Über­forderung oder Ignoranz von Mitmenschen las­sen die Erkrankten oft iso­liert zurück. Das wie­der­um brin­ge das quä­len­de Gedanken­karussell noch wei­ter in Schwung, beschreibt Römer. Sie erzählt, dass sie die­sen Isolations­effekt oft auch auf Veranstaltungen beobach­tet, wenn sie dort mit dem Schirm steht: Die Menschen machen einen Bogen dar­um und wis­sen nicht, wie sie sich dazu ver­hal­ten sol­len. Als wir den Schirm schließ­lich ver­las­sen, füh­le ich mich erleich­tert, aber auch beklom­men. Auf beein­dru­cken­de Weise ist ein mit Stoff abge­han­ge­ner Sonnenschirm tat­säch­lich in der Lage, eine Depression erschre­ckend real zu simulieren.

Die Krankheit kann sich unter­schied­lich ent­wickeln. Über einen lan­gen Zeitraum kön­nen Missstimmung und Leiden immer wei­ter zuneh­men und zum Lebenszustand wer­den. Aber auch Trigger­-Erlebnisse kön­nen Auslöser einer Depression sein, wie Römer uns erklärt. Etwa ein Fünftel der Deutschen bekommt im Laufe des Lebens min­des­tens ein­mal eine Depression dia­gnos­ti­ziert – die Dunkelziffer an Betroffenen dürf­te um eini­ges höher sein. Als Angehörige*r oder selbst Betroffene*r kommt fast jede*r irgend­wann mit der Krankheit in Kontakt. Trotzdem glau­ben rund 30 Prozent der Deutschen, dass Depression eine Charak­terschwäche sei, lese ich im Programmheft.

Der Saal mit den hohen Backsteinwänden hat sich gefüllt, wäh­rend wir unter dem Schirm waren. Einige der Besucher*innen haben sich schon auf den schwar­zen Holzstühlen vor der Bühne nie­der­ge­las­sen. Viele wir­ken, als wür­den sie sich ken­nen, sie reden und lachen. Der Großteil der Anwesenden scheint über 50 zu sein, ich sehe aber auch eini­ge Jüngere und in der ers­ten Reihe zwei Kinder. An den Seiten ste­hen Infostände des Leipziger Bündnisses gegen Depression. An einer Wand sind Bilder aus­ge­stellt. Sie sind im Rahmen der Woche zur see­li­schen Gesundheit ent­stan­den, die alle zwei Jahre rund um den 8. Oktober, dem Tag für see­li­sche Gesundheit, statt­fin­det, um über psy­chi­sche Krankheiten auf­zu­klä­ren und Hilfsangebote auf­zu­zei­gen. In einem Neben­raum kann man einem von der Theater­gruppe des Vereins pro­du­zier­ten Krimi­-Hör­spiel lauschen.

Nach der Erfahrung im Depressionssimulator füh­le ich mich noch immer etwas abgeschnit­ten von der Umgebung. Meine Begleitung und ich neh­men Platz, kurz dar­auf wird die Saaltür mit einem dump­fen Klacken geschlos­sen, die Lichter gehen aus und das Stück beginnt.

Hundeschau

Julia Raab und Anja Schwede betre­ten ganz in schwarz geklei­det die Bühne und hau­en dem Publikum um die Ohren: „Ich habe auch mal einen schlech­ten Tag“, „Reiß dich ein­fach mal zusam­men“ oder „Du machst das nur für Aufmerksamkeit“ – Dinge, die man Depres­siven nicht sagen soll­te. Mit Nebel, Meeres­rauschen und den Stimmen von Betroffenen aus dem Off ver­las­sen sie die Bühne, um als in grau­en Stoff gewi­ckel­te, wabern­de Masse wie­der aufzutauchen.

Auf eine klei­ne Tafel am Rand der Bühne schreibt Anja Schwede in wei­ßen Buchsta­ben „Alltag“. Mit ver­schie­de­nen Objekten in den Händen spie­len die Schauspielerinnen einen immer glei­chen Alltag nach. Bis die Pro­tagonistin – ein wei­ßes Iphone – schließ­lich zusammenbricht.

Zwei Stühle erle­ben unter der Tafelaufschrift „Du und Ich“ Streit, Missverständnisse und Überforderung, wie sie häu­fig in Beziehungen statt­fin­den, in denen ein Part an Depression erkrankt ist.

Um die Betroffenenperspektive bes­ser zu ver­ste­hen, haben Raab und Schwede Interviews geführt und als Grundlage für das Stück verwendet.

Dann der Auftritt des Hundes und die Auf­schrift „Erkennen“ auf der Tafel. Julia Raab mit Hundemaske pro­biert Jacken an, die auf einer Kleiderstange am Rand der Bühne hän­gen, und wählt einen gro­ßen Pelzmantel. Der Hund tri­um­phiert schließ­lich über die weiß mas­kier­te Anja Schwede.

Auch die­ser Hund will Aufmerksamkeit.

Eine Fausthandpuppe ver­zwei­felt und wird im Gespräch mit einer Hunde­ bezie­hungs­wei­se Mephistopuppe ver­spot­tet. „Das also ist des Pudels Kern? Ein Pudel?“ ruft sie schließ­lich aus. Immer wie­der muss ich schlu­cken. Besonders eine Szene schnürt mir den Hals zusam­men.
Anja Schwede bekommt ein Geschenk vom Hund. Darin ein Brief mit dem Text von John Lennons „Help“. Voller Begeisterung fängt sie an, vor­zu­le­sen. Der Hund redet von der Seite auf sie ein. Sie kommt lang­sam ins Stocken, ver­sucht sich zu fan­gen und gibt schließ­lich auf. Der Hund übernimmt.

Nach „Erleben“ kün­digt die Tafel „Kämpfen“ an. Hier wird die quä­len­de Müdigkeit einer Betroffenen dar­ge­stellt. Trotz läh­men­der Erschöpfung lässt sie der Hund nicht schla­fen. „Das ist der Höhepunkt“ bezie­hungs­wei­se „Das ist der Tiefpunkt“, sagen der Hund und die Betroffene gleichzeitig.

Große Portraits von Amy Winehouse, Johnny Cash, Chester Bennington und ande­ren berühm­ten Menschen, die an Depression erkrank­ten – vie­le davon ver­stor­ben – wer­den von den Schauspielerinnen auf den Requi­siten und dem Boden der Bühne ver­teilt. Am Kleiderständer hängt ein Kurt­-Cobain­Shirt. Vor die­sem Hintergrund füh­ren die Pappauf­steller „Winston Churchill“ und „Charlie“ ein Gespräch dar­über, wie sie mit der Depression umge­hen. Charlie bannt sein depres­si­ves Ich in Briefe, die ihm pein­lich sind, Winston malt. Charlie emp­fiehlt: „Probiere aus, aber ohne Erwartungen.“ Zu „Here Comes the Sun“ von den Beatles tanzt die Faust­Puppe zwi­schen den Portraits. Die weiß mas­kier­te Frau lädt den Hund auf einen Kaffee ein. Mit „Wege“ auf der Tafel am Bühnenrand endet das Stück.

Das Publikum, das ich wäh­rend der Vorstel­lung völ­lig ver­ges­sen habe, klatscht lan­ge. Ich spü­re eine Dankbarkeit und Erleichterung im Raum – viel­leicht kom­men die aber auch aus mir. Ich bin beein­druckt und den­ke, dass nun wirk­lich jede*r im Raum einen Eindruck von die­ser Krankheit bekom­men haben muss.

Betroffenen eine Stimme geben

Es dau­ert nicht lan­ge, bis ich durch das anschlie­ßen­de Publikumsgespräch den Ein­druck bekom­me, dass wahr­schein­lich der Großteil der Anwesenden nur zu gut weiß, was Depression bedeu­tet. Alle, die sich zu Wort mel­den, drü­cken ihre Dankbarkeit für die Darstellung aus. Julia Raab und Anja Schwede erzäh­len, dass sie selbst Angehörige sind. Um die Betroffenenperspektive bes­ser zu ver­ste­hen, haben sie Interviews mit fünf­zehn Erkrankten geführt und als Grundlage für das Stück ver­wen­det. Die Einspieler aus dem Off, die zwi­schen den ver­schie­de­nen Sze­nen im Stück zu hören waren, waren Auszüge aus die­sen Gesprächen. Etwa zwei Jahre hat es von der Idee bis zum fer­ti­gen Stück gedau­ert, erzählt Julia Raab. Das Publikum hat vie­le Fra­gen an die Schauspielerinnen. Das Gespräch dreht sich um den Entwicklungsprozess des Stücks und immer wie­der um eige­ne Erfah­rungen. Der Saal, der vor der Aufführung noch wie eine belie­bi­ge Veranstaltungshalle wirk­te, fühlt sich jetzt wie ein siche­rer Raum an. Ein Raum, in dem Menschen, die eine gemein­same Erfahrung tei­len, zusam­men­ge­kom­men sind, sich ver­stan­den füh­len und sich ausdrü­cken können.

Mit „Der schwar­ze Hund“ ist es Julia Raab und Anja Schwede gelun­gen, eine Krankheit, die so schwer greif­bar, weil unsicht­bar, ist, nicht nur ver­ständ­lich, son­dern sicht­bar zu machen. Diese Sichtbarkeit ist nicht nur wich­tig, um Betroffenen den Umgang mit ihrem Zustand zu erleich­tern, sie ist auch ein Grundstein dafür, dass gesamt­ge­sell­schaft­lich Sensibilität und Veränderung im Umgang mit psy­chi­schen Erkrankungen mög­lich wer­den. Ich kann nur hof­fen, dass das Stück, das in ganz Deutschland auf­ge­führt wird, die drei­ßig Prozent erreicht, die Depression für Charakterschwäche hal­ten, und sie eines Besseren belehrt. 

Für die­je­ni­gen, die sich jetzt noch fra­gen, was denn schwar­ze Hunde mit dem Ganzen zu tun haben: Der Schwarze Hund ist eine Metapher für Depression. Außerdem hat das Bilderbuch „Mein schwar­zer Hund“ von Matthew Johnson Julia Raab und Anja Schwede auf die Idee für das Stück gebracht. Und das Bild des Hundes ist viel­leicht eines der pas­sends­ten. Hunde sind stur und sie brau­chen Liebe, Anleitung und Aufmerksamkeit, damit das Zusammenleben mit ihnen funk­tio­niert. Eine Depression zu haben, ist natür­lich sehr viel weni­ger schön, als einen Hund zu haben. Aber um mit ihr leben zu kön­nen, gibt es sehr ähn­li­che Anfor­derungen. Sie zu igno­rie­ren wird nicht hel­fen. Man muss sie wahr­neh­men, anneh­men und einen Umgang mit ihr fin­den, der das (hof­fentlich nur tem­po­rä­re) Zusammenleben mög­lich macht.

Text: Sara Wolkers
Foto: Julia Fenske

  • Die luh­ze, „Leipzigs unab­hän­gi­ge Hoch­schulzeitung“, wird vom gleich­na­mi­gen Verein her­aus­ge­ge­ben und wur­de im Jahr 2000 unter dem Namen „stu­dent!“ von Leipziger Jorunalistikstudierenden gegründet. 
  • Julia Raab ist freie Theaterpädagogin und Figurenspielerin und seit 2013 in Halle zuhau­se. Anja Schwede lei­tet beim Leipziger Bündnis gegen Depression seit 2015 ein Theaterprojekt. Raab und Schwede ken­nen sich seit ihrem Studium der Theaterpädagogik in Ulm.

0 0 vote
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments