In Marian Kindermanns Regiedebut „Die ganze Welt ist eine Bühne: Shakespeares Narren“ treffen nicht nur Komödie und Tragödie in einem gewagten Tempo aufeinander – auch traditionelle, klar abgesteckte Grenzen verwischen auf mehreren Ebenen.
„Mein Name ist Marian Kindermann, ich bin Schauspieler und dies ist heute mein Hof!“ Mit diesen Worten und einer ersten Runde Applaus startete am 8. November 2025 die Premiere des Stückes „‘Die ganze Welt ist eine Bühne‘ – Shakespeares Narren“ im Schaufenster des „neuen theaters“. Der Werbetext verspricht nichts Geringeres als über 20 verschiedene Rollen – gespielt von einer Person – und einen interaktiven Abend gefüllt mit Lachern, philosophischen Fragen und natürlich: Shakespeare.

Sein Name ist bei den Meisten eng verschlungen mit dunklen Erinnerungen aus dem weit entfernten schulischen Englischunterricht. Wer hier aber mit starrem Blick und einem Schaudern an diese oder gar eine Foucault-fokussierte, trockene Präsentation des Schriftstellers aus studentischen Pflichtseminaren denkt, hat weit gefehlt. Die Narren aus König Lear, Hamlet, dem Sommernachtstraum und Co. finden Erwähnung und Verkörperung in einem Tempo, das halsbrecherische Geschwindigkeiten erreicht, aber trotzdem nie gehetzt wirkt. Dabei wird wirklich viel Stoff in diesen 75 Minuten Spiellänge behandelt. Wer mit Shakespeare so gar nichts am Hut hat, wird viele Gags nicht verstehen können; doch selbst Zuschauende, die sich nur schwach an die Eckpunkte der Stücke erinnern können, werden hier auf ihre Kosten kommen. Ein Highlight war auf jeden Fall die Rap-Einlage Hamlets, in der er bemängelt, dass seine Familie nicht genügend Vermögen aufbringen konnte, um für ein besseres Catering auf der Beerdigung seines Vaters zu sorgen und sie so nun gezwungen waren, ausschließlich Pudding mit Gabel zu servieren.
Kindermann, das ist gleichzeitig der Name des Schauspielers und einer der zentraleren, rahmengebenden Figuren im Stück. In dieser Spielsaison seines Theaters verkörpert er eine, in seinen Augen viel zu kleine, Rolle – den Antonio – in Shakespeares „Der Sturm“. Um seinen Lebensunterhalt abzusichern, bespielt er nun die Nebenbühne seines Theaters heimlich mit einer eigenen Darbietung, denn Schauspieler:innen leben bekanntermaßen von Applaus und Standing Ovations. Kindermann nimmt diesen Witz und spinnt ihn weiter. Es sei die tatsächliche Währung seiner Zunft, erklärt er dem Publikum – und beschwert sich daraufhin, wie viel Zeit das Bezahlen an der Supermarktkasse dadurch in Anspruch nähme. Dieses Framing führt zu einer interessanten Dynamik des Stückes, da er immer wieder durch seinen Stage Director in seinen Handlungen unterbrochen wird, welcher im immer genervteren Ton auf seinen Einsatz im „Sturm“ hinweist: „Sonst sitzt du morgen wieder bei der Intendantin und dann klatscht es, aber kein‘ Beifall!“

Durch die Einmannbesetzung und hohe Erzähldichte wird es nicht langweilig. Die vierte Wand, die eigentlich das Publikum vom Performer trennt, bricht bereits in der ersten Sekunde und bleibt porös: Jeder Applaus, jede Stille, jede Träne und weitere Reaktionen aus dem Publikum werden auf einer Kreidetafel per Strichliste protokolliert. Auch eine Karaokeeinlage des Publikums zu Bonnie Tyler‘s „It‘s a Heartache“ und kleinere Aufgaben, zum Beispiel die Lieferung einer Flasche „Shakes-Beer“ von der Bar zu Kindermann, führen zu einem beständigen Gefühl des Eingebundenseins. Weiterhin etabliert sich durch die rasanten Rollen- und Themenwechsel bei den Zuschauer:innen ein Zustand, der sich am besten als eine emotionale, Schleudertrauma-ähnliche Erfahrung zwischen Lachen, Weinen und betroffener Stille beschreiben lässt. Irgendwann kommt man zwar im Text nicht mehr ganz genau mit, die Punchlines aber treffen weiterhin.
Leider führt dieses stürmische Tempo zu einem der wenigen Schwachpunkte des Abends: der fehlenden Tiefe. Die Chance, mit einer Figur länger zu sitzen, die Gefühlswelt genauer zu untersuchen und aufzudecken, ergibt sich nicht. Die vermittelten Emotionen prasseln auf das Publikum ein, aber zu keinem Zeitpunkt wird tiefer in einer Wunde herumgestochert – zu fokussiert der Blick auf die rasante Wechselwirkung polarisiert situierter Gefühlslagen. Das ist schade, denn durch eine Einkürzung der gewählten Stücke hätte man dieses hier verschenkte Potenzial wahrscheinlich recht leicht ausschöpfen können.
Letztendlich versprüht Kindermann in diesem Stück nicht mehr und nicht weniger als Liebe und absolute Hingabe zum schauspielerischen Handwerk. Diese Passion ist es, die die Defizite mehr als wett macht. Alleine das Zuschauen macht hier so viel Spaß, wie ich persönlich schon lange nicht mehr in einem Theater hatte. Am Ende scheint der Witz über das schauspielerische Bezahlsystem – Standing Ovations und Lacher statt Euros und Cent – weniger Witz als persönliche Wahrheit: mit jedem Lacher, jedem Applaus, jeder betroffenen Stille blüht Kindermann weiter auf, wird selbstsicherer und gleichzeitig ungestümer auf der Bühne. Da kann man bei der Entgegennahme des Schlussapplauses auch schon mal die Bühne wieder hinauffallen.
| Die nächsten Vorstellungen finden am 19. und 30. November sowie am 13. und 14. Dezember 2025 um jeweils 20:15 im Schaufenster des neuen theaters statt. Die Ticketpreise liegen bei 21€, mit Ermäßigung, zum Beispiel durch einen Studierendenausweis, bei 10,50€ und können hier erworben werden. |
Text: Ellen Helmecke
Fotos: Anna Kolata
