Die Geburt eines Kindes ist zugleich die Geburt der Elternschaft. Völlig unab­hän­gig von der Ausgestaltung des eige­nen Familienkonzeptes erge­ben sich mit der Übernahme des Sorgerechtes eines Kindes viel­fäl­ti­ge Aufgaben und somit Verantwortung, die gerecht unter den sich Sorgenden auf­zu­tei­len ist. Dennoch wen­den Frauen [1] und somit auch Mütter pro Tag durch­schnitt­lich 52,4 Prozent mehr Zeit als Männer für die Pflege von Angehörigen, Kindererziehung, Hausarbeit und Ehrenamt auf. Aber war­um ist das so? Und wie lässt sich die­ses — ja offen­sicht­lich sys­te­misch — Problem lösen? Um die­se Frage zu beant­wor­ten, erlaubt Gastautorin Marie Ludwig einen per­sön­li­chen Einblick in ihre indi­vi­du­el­le Erfahrung als „Mutter“ und ihr Verhältnis zum Mental Load. Dabei ist es ihr Ziel dafür zu sen­si­bi­li­sie­ren, wel­che gesell­schaft­li­chen Erwartungen bis­her an Eltern – und allem vor­an an die Rolle „Mutter“ — gestellt wer­den und wie die­se Erwartungen mög­li­cher­wei­se auf­zu­lö­sen und neu zuden­ken sind.


[1] Die binä­ren Begriffe Frau, Mann, Mutter, Vater u.ä. sol­len im Kontext die­ses Beitrages als sozio­lo­gisch, his­to­risch und poli­tisch gewach­se­ne Konstrukte ver­stan­den wer­den. Ich erken­ne die gesam­te Bandbreite der Geschlechtervielfalt an und ver­ste­he das Geschlecht selbst als Fluides. Gleiches gilt für das Verständnis von Familienkonzepten.

Als ich vor knapp 5 Jahren das ers­te Mal von dem Begriff „Mental Load“ gehört habe, ist es mir wie Schuppen von den Augen gefal­len. Da gab es schon jah­re­lang die­ses Gefühl, die­se sich krei­sen­den Gedanken, die­se end­lo­se Liste, die sich selbst abends im Bett wei­ter füll­te. Und jetzt – erst jetzt hat­te ich end­lich einen Namen dafür gefun­den. Und das – zunächst ein­mal — beru­hi­gen­de dar­an: mit mei­nem Mental Load war und bin ich nicht alleine.

Seit dem genann­ten Augenblick vor fünf Jahren und vor allem, seit­dem dann auch mein Freund:innenkreis von der Wortbedeutung die­ses Phänomens spitz gekriegt hat­te, fällt es mir und uns defi­ni­tiv leich­ter unse­ren Alltag und auch die Schwierigkeiten unse­res Alltages in Worte zu fas­sen. Ob in Paarbeziehungen oder in der Familie – die unsicht­ba­rer Arbeit, die im gemein­sa­men Zusammenleben anfällt, scheint immer noch – und vor allem in Hetero-Partnerschaften – meist bzw. zu einem gro­ßen Anteil auf Frauen zurückzufallen.

Das Problem ist ein sys­te­mi­sches. Ich möch­te ger­ne an die­ser Stelle klar und deut­lich machen, dass es in die­sem Beitrag nicht dar­um geht, Schuldige zu suchen und/oder spe­zi­fi­sche Verhaltensmuster anzu­pran­gern. Es geht mir um eine Lösungsfindung. Eine Lösungsfindung, die das Problem sys­te­ma­tisch und gesamt­ge­sell­schaft­lich auf­lö­sen soll.

Die indi­vi­du­el­le Aufgabe die­ser sys­te­ma­ti­schen Lösungsfindung besteht für Männer und Frauen glei­cher­ma­ßen dar­in, die eige­ne Sozialisation zu reflek­tie­ren. Es muss klar sein, dass unser all­täg­li­ches Verhalten, und die Erwartung, die wir an uns und unse­re Partner:innen stel­len, wesent­lich durch unse­re Sozialisation geprägt wur­de und bei­des nicht – wie häu­fig sug­ge­riert wird — ein­fach cha­rak­ter­ab­hän­gig ist. Daher ist die wich­tigs­te Grundlage einer gleich­be­rech­tig­ten Beziehung eine offe­ne Kommunikation über Aufgabenverteilung zu ermög­li­chen. Häufig ist es an die­sem Punkt zunächst ein­mal not­wen­dig über bereits bestehen­de, aber bis­her unbe­wuss­te Ungerechtigkeit auf­zu­klä­ren. Erst so kann sowohl sicht­ba­re als auch „unsicht­ba­re“ Arbeit auf­ge­teilt wer­den und so Gleichberechtigung geschaf­fen wer­den. Der letz­te Schritt zu „Equal-Care“ ist das Durchbrechen der Reproduktion von binä­ren Geschlechterrollen und Ansprüchen – sowohl gegen­über unse­ren Mitmenschen wie auch eige­nen Kindern.

Was es für mich per­sön­lich bedeu­tet „Mama“ zu sein und was an mich als „Mama“ und „Frau“ her­an­ge­tra­gen getra­gen wird, habe ich nun in den ver­gan­ge­nen 24 Monaten gedank­lich immer wie­der durchgespielt:

Meine Schwangerschaft ver­lief, trotz Vollzeitstudiums, ent­spannt. Ich hat­te recht gro­ßes Glück, dass der errech­ne­te Geburtstermin mei­nes Kindes genau auf die vor­le­sungs­freie Zeit fiel, sodass ich pro­blem­los das Semester abschlie­ßen und ein Jahr spä­ter nach der Entbindung wie­der naht­los in das nächs­te Fachsemester ein­stei­gen konnte. 

Durch die kom­pe­ten­te Sozialberatung des Studentenwerks Leipzig wur­de ich – eben­falls glück­li­cher­wei­se – aus­führ­lich über die wich­tigs­ten Anträge und To-Dos, die mit der Geburt eines Kindes anfal­len auf­ge­klärt und bera­ten. Es war eine wirk­lich lan­ge Liste. Da sich mein Partner zu der Zeit gera­de noch in sei­ner Ausbildung befand lag es nah, dass ich die Beratungsgespräche ohne ihn in Anspruch nahm. Die Antragstellung – die im Grunde genom­men uns bei­de und unser gemein­sa­mes Kind betraf — über­nahm eben­falls ich allein.

Es lag nah, dass ich die Beratungsgespräche ohne ihn in Anspruch nahm.

Schon in den ers­ten Wochen hat­ten wir uns schnell dazu ent­schie­den, dass wir ger­ne – wenn mög­lich – im Geburtshaus ent­bin­den wür­den. Also mel­de­ten wir uns früh­zei­tig bei den Hebammen und konn­ten erfolg­reich ver­mit­telt wer­den. Durch die per­sön­li­che und sehr enge Betreuung wäh­rend der Schwangerschaft fühl­ten wir uns sehr wohl und gut auf­ge­ho­ben. Allen Hebammen des Geburtshauses lag die Einbindung der Väter oder Partner:innen, wel­che die Gebärende beglei­ten, am Herzen. Auch uns war das von Anfang an sehr wich­tig. Fragen unse­rer­seits wur­den glei­cher­ma­ßen ernst­ge­nom­men und beant­wor­tet. Der Geburtsvorbereitungskurs nahm gro­ße Rücksicht auf die Erwartungen, Ängste und Wünsche bei­der Parteien.

Die Geburt selbst ver­lief schließ­lich genau­so wie erhofft: im Geburtshaus, selbst­be­stimmt und gemein­sam mit mei­nem Partner. Wenn ich an die Geburt, die ers­ten Stunden und die ers­ten Tage mit mei­nem Kind zurück­den­ke habe vie­le zau­ber­haf­te, unfass­bar dank­ba­re und wahr­schein­lich mitt­ler­wei­le auch etwas schlei­er­haft ver­schön­te Bilder vor mei­nem inne­ren Auge. Ich erin­ne­re mich ger­ne daran. 

Nichtsdestotrotz hal­te ich es für wich­tig zu erwäh­nen, dass es für mich eine ganz schön har­te Nuss war mit der Erwartung an die frisch geba­cke­ne Mutter umzu­ge­hen – schließ­lich besteht ja eine bio­lo­gisch mani­fes­tier­te und daher vor­be­stimm­te emo­tio­na­le Verbindung zwi­schen Mutter und dem neu­ge­bo­re­nen Menschenkind und das Mutter-Sein ist uns Frauen damit eingefleischt…?! 

Natürlich nicht. Ich den­ke, ich spre­che im Sinne der meis­ten Mütter, wenn ich sage, dass es mit der Geburt eines „neu­en“ Menschen ist, wie mit dem Kennenlernen einer jeden neu­en Bekanntschaft. Selbstverständlich hinkt die Analogie ein wenig – schließ­lich hat man die­ses Wesen neun Monate im eige­nen Körper getra­gen und es wur­de durch eine selbst in die­se Welt gebo­ren. Trotz allem: jede Bewegung, jeder Blick, jeder Laut, kurz: jedes Bedürfnis die­ses klei­nen Menschenwesens neu, gera­de bei dem ers­ten Kind. Und auch die Welt ist für das Kind neu. Die ers­ten Tage bestehen haupt­säch­lich aus dem Sich-Kennenlernen, inklu­si­ve Sich-Verstehen-Lernen. „Wissen, was zu tun ist“ ist Frauen als Müttern alles ande­re als ein­ge­fleischt. Es ist die glei­che Leistung, die Männer in ihrer Rolle an Väter voll­zie­hen: ler­nen.

Im Wochenbett wur­de mei­nem Partner und mir erneut klar: Wir müs­sen es nicht allei­ne schaf­fen. Es gibt also wirk­lich einen Grund, war­um es heißt: „Zur Kindererziehung braucht es ein gan­zes Dorf“. Erfahrungsgemäß und durch die Berichte wei­te­rer Familien in unse­rem Bekanntenkreis kann ich ein­heit­lich fest­hal­ten: Im Wochenbett herrscht Chaos pur, es gibt kaum Rhythmus und es braucht unglaub­lich viel Unterstützung und lecke­res Essen. Ganz zu schwei­gen von den zwei-stün­di­gen Milchmahlzeiten, die 24/7 (also auch nachts!) gefor­dert wer­den, ist es kaum mög­lich allei­ne Pipi zu machen, zu duschen oder mal kurz in die Küche zu gehen. Gerade in die­ser Zeit ist es also so wich­tig Grundpfeiler für gleich­be­rech­tig­te und gerech­te Aufgabenverteilung zu schaf­fen. Windeln-Wechseln, Kind tra­gen, und Einschlafbegleitung kann von Anfang an jedes Elternteil über­neh­men. Und selbst­ver­ständ­lich darf in die­ser Zeit vor allem auch von außen Hilfe ange­bo­ten und ohne wei­te­re Erwartungen an die Eltern geleis­tet werden.

Das “nor­ma­le” Baby gibt es eben ein­fach nicht.

Und wo wir gera­de bei Erwartungen sind: Auch wenn Ratgeber-Lesen wirk­lich nicht mein Ding ist und ich es grund­sätz­lich ver­mie­den habe all­zu viel Zeit in das Zu-Herzen-neh­men frem­der Ratschläge zu neh­men, konn­te ich mich der geburts­vor­be­rei­ten­den und post­na­ta­len Lektüre nicht voll­stän­dig ent­zie­hen. Die Großeltern mei­nes Partners hat­ten uns ein Buch zuge­schickt, wel­ches ich im Allgemeinen als recht sinn­voll und hilf­reich erach­tet habe: einer der weni­gen Ratgeber, die es dar­auf abse­hen immer wie­der klar­zu­ma­chen, dass es „das nor­ma­le Baby/bzw. Babyverhalten“ nicht gibt. Und das war wirk­lich Gold wert. Die Tatsache, dass das Kind, ent­ge­gen den eige­nen Erwartungen nicht ger­ne im Kinderwagen liegt und Autofahren nicht toll fin­det kann augen­öff­nend sein. Denn „nor­mal“ gibt es eben ein­fach nicht. Neugeborene sind von die­sem Mythos nicht aus­ge­schlos­sen. Leider sind die­se Punkte aber eben­falls „Erwartungen“, die vor allem frisch-geba­cke­ne  Eltern in gro­ße Verzweiflung trei­ben kön­nen, weil sie nicht ver­ste­hen, WAS ZUM KUCKUCK SIE FALSCH MACHEN. Dabei machen sie alles rich­tig. Das Kind ist ein­fach wie es ist und lebt nach Leib und Laune.

Und so hat sich auch für uns nach und nach ein Rhythmus gefun­den. Einer — so voll­kom­men unter­schie­den zu dem Rhythmus in unse­rem Leben noch ohne Kind – aber einer, der zu uns passt. Nachdem ich nach dem ers­ten Lockdown die Vormittage und Mittage allei­ne mit unse­rem Kind ver­bach­te und einen Großteil der Eingewöhnung beim Tagesvater über­nahm, begann für mich ab dem zwei­ten Lebensjahr der Wiedereinstieg ins Vollzeitstudium. 

Neuer Rhythmus: ein stän­di­ger Balance-Akt des Managements von Kind, Partner, Studium, Stipendium, Ehrenamt, Freund:innen und Alltag. Allein schon die­se sie­ben Punkte tag­täg­lich im Gröbsten abzu­ha­ken ist meist eine Herausforderung. Dabei hat jeder die­ser sie­ben Punkte selbst noch vie­le ein­zel­ne Punkte und Aufgaben, die zu erle­di­gen sind. Und die Erfüllung wei­te­rer per­sön­li­cher Bedürfnisse ist unter die­sen sie­ben not­wen­di­gen Punkten noch nicht ein­mal auf­ge­führt. Die Sorgearbeit für ein Kind bringt so viel unsicht­ba­re Care-Arbeit, die so viel Zeit frisst, dass es wirk­lich viel Aufmerksamkeit braucht, ein­zel­ne Aufgaben nicht aus den Augen zu ver­lie­ren. Und wie ich bereits deut­lich mach­te: Frauen und somit Mütter trifft der Mental Load – sozia­li­sa­ti­ons­be­dingt – eher.

Was dar­aus folgt, kann wirk­lich haar­sträu­bend sein. Es setzt extrem unter Druck, dass trotz­dem alles lau­fen muss: …dass alle Zoom-Termine wahr­ge­nom­men wer­den müs­sen, der Kuchen für die bes­te Freundin geba­cken wer­den will, die Staatsexamensarbeit geschrie­ben wer­den muss, das Kind zum vier­ten Mal im Monat zum Kinderarzt muss, weil es wie­der ein­mal Hautausschlag hat, der Partner arbeits­be­dingt in die Heimat fährt und das Kind daher eine Woche allein betreut wer­den muss, die Katze ihren nächs­ten Impftermin hat, der genau wie das Kinderschwimmen auf den Freitagnachmittag fällt. Und trotz­dem – muss – alles – lau­fen. Nein?! Nein, sagt mei­ne mich lie­ben­de Mutter. Nein, sagt mein mich lie­ben­der Partner. Nein, sagt mei­ne mich lie­ben­de bes­te Freundin und nein, sagt auch mein mich selbst­wert­schät­zen­der Anteil in mir. Aber Doch! Doch, sagt das System. Doch, sagt mein gestress­ter Anteil in mir und doch sagt auch der Anteil der Welt, der wegen der unsicht­ba­ren Care-Arbeit nicht sieht, was die Beweggründe sind für Verspätungen, nicht fer­tig-geba­cke­nen Kuchen für die bes­te Freundin und ein gleich­zei­tig tie­fer Wunsch nach Teilhabe.

Ich bin eine wirk­lich sehr zufrie­de­ne Mama und habe in den ver­gan­ge­nen zwei Jahren und neun Monaten von Tag zu Tag sowohl mehr in mei­ne Rolle als Mama als auch wie­der „zurück“ zu mir als Marie gefun­den. Ich hat­te bis­her ein unglaub­li­ches Glück und kann mir ein Leben ohne mein Kind nicht mehr vor­stel­len. Die Care-Arbeit-Teilung zwi­schen mei­nem Partner und mir läuft gut, setzt stän­di­ge Kommunikation vor­aus und strebt 50/50 wei­ter­hin an. Manchmal ist es anstren­gend, aber gleich­zei­tig auch sehr berei­chernd. Vor allem mit Blick auf die Zukunft unse­res Kindes.

Das Leben einer Mutter wird mit einer Waage gleichgesetzt. Auf beiden Seite ist ein Bereich ihres Lebens, welche ausgeglichen sind.
Mütter sind wie eine Waage, sie brin­gen alles ins Gleichgewicht.

Mein Wunsch, den ich mit die­sem Beitrag habe, ist es einen ers­ten Anhaltspunkt zu fin­den, um zu ver­deut­li­chen, dass sich die sozia­li­sier­ten Erwartungen an das Mutter- und Vater-Sein ändern müs­sen. „Mütterliches“ Verhalten, ver­stan­den als selbst­auf­op­fern­des Verhalten, darf es nicht geben. Gleichzeitig soll­te väter­li­che Fürsorge eben­bür­tig mit müt­ter­li­cher Fürsorge ste­hen. Der Anfang ist die eige­ne Reflexion und das Ziel das Vorleben von glei­cher Verteilung von Care-Arbeit. Also fang bei dir an: Was trägst du zum Wohl dei­ner sozia­len Umwelt bei und warum?

Marie stu­diert an der Universität Leipzig. Ihren Sohn hat sie wäh­rend des Studiums bekom­men und sah sich damit vor ganz neue Herausforderungen gestellt.

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