Pflegende, Pflegestudierende und Medizinstudierende enga­gie­ren sich seit dem letz­ten Jahr als „Walk of Care Halle“ für eine men­schen­wür­di­ge Pflege. Im Mai haben sie dazu ein­ge­la­den, mit ihnen dafür zu demons­trie­ren – und ein­fach ein­mal den Pflegeberuf zusam­men zu fei­ern. 

Ströme von Regen ver­wan­deln die Ziegelwiese in einen Sumpf. Schritte plat­schen auf dem Gras, wäh­rend sich immer mehr Menschen am Fuß der Peißnitzbrücke ver­sam­meln. Trotz des Frühlingsgusses war­ten rund 100 Teilnehmer:innen mit far­ben­fro­hen Plakaten, Bannern, Regenjacken und Schirmen dar­auf, dass die Mitglieder des „Walk of Care“ die Demonstration eröff­nen. Wie schon bei ihrem letz­ten Onlinetreffen ver­sprü­hen die­se Freude, Zusammenhalt und vor allem eines: den Ehrgeiz, sich für die gemein­sa­men Ziele einzusetzen. 

Nicht nur in Halle wer­den am 12. Mai, dem Internationalen Tag der Pflegenden, Aktivist:innen aus Gesundheitsberufen laut. In ganz Deutschland haben sie sich als „Walk of Care“ zusam­men­ge­schlos­sen. Ausgangspunkt ist die Gruppe in Berlin, die dort schon seit eini­gen Jahren aktiv ist und jede Woche demons­triert. An der Hauptstadt ori­en­tiert sich der „Walk of Care Halle“ auch, was sei­ne Forderungen für die Pflegeberufe anbe­langt. Unter dem Motto #gibuns5 hat die­ser sie schon im Vorhinein über sozia­le Medien geteilt: eine gesetz­li­che Personalbemessung, eine gerech­te­re Finanzierung des Gesundheitswesens, eine gute Ausbildung, eine Fort- und Weiterbildungsordnung und poli­ti­sche Mitbestimmung. Dabei gestal­tet nicht nur der „Walk of Care Halle“ das Programm, auch Vertreter:innen des Bündnisses „Gesundheit ohne Profite“, der Pflegewissenschaft der MLU und der Gewerkschaft ver.di sind unter ande­rem betei­ligt. Zwischendurch sor­gen zwei DJs immer wie­der mit Musik dafür, dass die Anwesenden der Kälte des Regens mit Tanz begeg­nen können. 

Personalmangel auf Kosten der Patient:innen 

Die rund 15 Aktivist:innen brin­gen ganz indi­vi­du­el­le Erfahrungen zum „Walk of Care“ mit. Für vie­le von ihnen wur­den schon früh Missstände in der Pflege spür­bar. “Da war ein­mal ein Patient, der lag gera­de im Sterben, und es hat sich kei­ner so wirk­lich um ihn geküm­mert”, erzählt Max, „So etwas geht ein­fach nicht“. Der Patient habe kaum Sterbebegleitung erfah­ren. Max befin­det sich gera­de in sei­ner zwei­ten Pflegeausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger. Zuvor war er in der Altenpflege tätig. Die Begeisterung, pro­ble­ma­ti­schen Situationen wie der geschil­der­ten nun kon­struk­tiv zu begeg­nen, blitzt in sei­nen Augen: „Das ist ein unbe­schreib­li­ches Gefühl“. 

Jascha wie­der­um stu­diert Evidenzbasierte Pflege an der MLU. Er kam zum ers­ten Mal in der zehn­ten Klasse mit dem Pflegeberuf in Kontakt, als er ein Praktikum in einem Pflegeheim absol­vier­te. Dort war er bestürzt, wie wenig Personal für die Bewohner:innen zur Verfügung stand und was dar­aus resul­tier­te. „Das geht da los, dass Bewohner:innen über­haupt nicht die Möglichkeit haben, aus dem Bett her­aus­zu­kom­men“, erzählt mir Jascha, „und es pas­siert, dass Leute erst viel zu spät bei der Körperpflege unter­stützt wer­den“. Er füh­re das auf die Strukturen der Einrichtung zurück. Nachdenklich fügt er hin­zu: „Das hat mit men­schen­wür­di­ger Pflege teil­wei­se nicht mehr viel zu tun – oder auch gar nichts“. 

Zwar hat die Corona-Pandemie die Öffentlichkeit auf Kapazitätsgrenzen in der Pflege auf­merk­sam gemacht – vor allem, was die Intensivpflege betrifft –, doch das Zuhören der Öffentlichkeit allein rei­che hier nicht, so Jascha. Es feh­le an Konsequenzen. Daher wer­be der „Walk of Care“ auch mit dem Slogan: „Lieber machen statt klat­schen!“. Weiterhin bedür­fe es einer neu­en Grundhaltung der Gespräche. Statt über Personaluntergrenzen müs­se drin­gend über eine bedarfs­ge­rech­te Personalausstattung dis­ku­tiert wer­den. Anders als der „Walk of Care Berlin“ hat die hal­le­sche Gruppe in ihren Forderungen ergänzt, dass die Personalbemessung von einem exter­nen Gremium über­wacht wer­den sol­le. Dahinter ste­he ein Stück weit die Forderung nach einer Pflegekammer, meint Jascha. „Die Pflegekammerthematik sorgt immer wie­der für Differenzen“, erklärt er. Es gäbe noch kei­ne gesetz­lich bin­den­de Bundespflegekammer, obwohl sich vie­le Teile der Gesundheitsbewegung ein sol­ches Gremium wün­schen – aber eben nicht alle. 

Gute Aus- und Weiterbildung ist das A und O 

Etwa eine Stunde nach Beginn der Demonstration hüpft eine Aktivistin mit Fußverband und auf einem Bein auf den Wiesenabschnitt, der als Bühne dient. Dann setzt sie sich, eine Patientin mimend, auf einen Stuhl. Mit einem erfri­schen­den, iro­ni­schen Sketch prä­sen­tiert der „Walk of Care“ dem Publikum typi­sche Situationen, die sich zwi­schen Patient:innen, Auszubildenden und erfah­re­ne­ren Kolleg:innen begeben. 

„Das haben wir schon immer so gemacht“, wie­der­holt Hannah mehr­mals, wäh­rend sie in ihrer Rolle als „alte Häsin“ den Auszubildenden anlei­tet. In ihrem tat­säch­li­chen Berufsalltag ist es aller­dings sie, die den Satz häu­fig zu hören bekommt. Sie arbei­tet seit fünf Jahren in der Pflege und fin­det, dass es für Pflegende eine Pflicht zur Weiterbildung geben soll­te. Den Auszubildenden im Sketch spielt Max. Er kann sich dabei auf sei­ne eige­ne Erfahrungen bezie­hen. „Ich kann die Forderung nach einer bes­se­ren Ausbildung authen­ti­scher for­mu­lie­ren, als jemand, der vor zehn Jahren aus­ge­lernt hat“, sagt er nach dem Sketch. Er wis­se ein­fach, wo gera­de die Probleme liegen. 

Foto: Walk of Care Halle
Ein neues Verständnis von Pflege 

Neben einer guten Ausbildung kommt es für Jette, eine Medizinstudentin an der MLU, aber am meis­ten auf die poli­ti­sche Mitbestimmung von Pflegenden an. Sie schil­dert, dass hier die größ­ten Defizite vor­han­den sei­en. „Es gibt ja den GBA, den Gemeinsamen Bundesausschuss, der vie­le medi­zi­ni­sche Entscheidungen fällt, die auch die Pflege betref­fen“, erklärt sie. Darin säße aber kei­ne Vertretung der Pflege. Viele Ärzt:innen fühl­ten sich in ihrer Vormachtstellung bedroht, wenn die Pflege in den Gremien stär­ker ver­tre­ten wäre, meint Jette. Die schlech­te Kommunikation zwi­schen Ärzt:innen und Pflegenden sei ein Grund, war­um sie sich als Medizinstudentin beim „Walk of Care“ enga­giert. Bereits in dem drei­mo­na­ti­gen Pflegepraktikum zu Beginn ihres Studiums bemerk­te sie den Mangel an kom­mu­ni­ka­ti­vem Austausch zwi­schen den bei­den Berufsgruppen. Die Wahrnehmung der Pflegenden sah damals so aus: „Ihr wer­det ja spä­ter sowie­so Ärzt:innen und küm­mert euch dann eh nicht mehr um uns“. Diese Haltung ist laut Jette dar­auf zurück­zu­füh­ren, dass sich Pflegende von Ärzt:innen nicht wert­ge­schätzt fühlen. 

Doch es liegt dem „Walk of Care“ nicht nur dar­an, Ärzt:innen für ihren Blick auf die Pflege zu sen­si­bi­li­sie­ren. Auch inner­halb der Gesellschaft, so Jascha, hät­ten Pflegende noch mit einer ver­al­te­ten Vorstellung von ihrem Beruf zu kämp­fen. Dieses Bild der „sich auf­op­fern­den Krankenschwester“ ist für ihn nicht mehr zeit­ge­mäß und sehr anti­eman­zi­pa­to­risch. Zudem müss­ten häu­fig Mediziner:innen für die Belange der Pflege ein­tre­ten, auch wenn sie gar nicht betrof­fen wären. „Wir arbei­ten eng mit Ärzt:innen zusam­men, gar kei­ne Frage, aber wir sind längst nicht mehr die Handlanger der ‚Götter in Weiß‘, wie es oft dar­ge­stellt wird“, hebt Jascha her­vor. Die Pflege sei eine selbst­stän­di­ge Profession, mit eige­ner Wissenschaft und eige­nem Berufsethos. Letztendlich lit­ten ja nicht nur die Pflegenden, son­dern vor allem die Patient:innen unter den Defiziten in der Pflege. So gehe der Appell, sich hin­ter die Pflegenden zu stel­len, sowohl an die Politik und Arbeitgeberverbände als auch an die gesam­te Gesellschaft. 

Schließlich rich­te sich der Aufruf auch an die Pflegenden selbst, sagt Jascha. Die Verbesserungen wür­den von allei­ne nicht ein­tre­ten. Daher sei es wich­tig, sich zu soli­da­ri­sie­ren und sich eine Stimme zu geben. Weiterhin möch­te der „Walk of Care“ Pflegenden Mut machen, gemein­sam ihren Berufsstolz zu zei­gen. Denn es gäbe kaum Pflegende, die nicht für ihren Beruf bren­nen. „Wir haben eigent­lich alle die­sel­ben Ideale“, bemerkt Jascha, „wir wol­len eine men­schen­wür­di­ge Versorgung haben, wir wol­len mit Menschen arbei­ten und ihnen Gutes tun“. Diese Ideale gerie­ten nur lei­der unter den Bedingungen des Berufsalltags in den Hintergrund. Deshalb sei es so wich­tig, das defi­zi­tä­re Bild der Pflege grund­le­gend zu ändern – und dazu gehö­re, stolz dar­auf zu sein, was man tut. 

Wie geht es weiter? 

Trotz des anhal­ten­den Regens sind vie­le Besucher:innen hart­nä­ckig, applau­die­ren und tan­zen. Über mehr als drei Stunden erstreckt sich die Veranstaltung. Doch lang­sam stellt sich die Frage, wo sich der „Walk of Care Halle“ in Zukunft sieht. 

Schon vor dem 12. Mai erhiel­ten die jun­gen Aktivist:innen Zuspruch von außen. Besonders enga­giert war eine Pflegende aus Halle, die über Instagram auf die Gruppe auf­merk­sam wur­de. In Vorbereitung auf die Demonstration schick­te sie dem „Walk of Care“ Videos, wie sie und ihre Belegschaft Plakate und Banner bema­len. „Es freut uns natür­lich, posi­ti­ve Rückmeldung von bereits Pflegenden zu bekom­men“, sagt Jascha, „weil der ‚Walk of Care Halle‘ sehr durch Pflegeauszubildende und Pflegestudierende geprägt ist“. Diese Unterstützung mache Mut für die gemein­sa­men Aktivitäten. Allerdings sei­en eini­ge Strukturen, die die Gruppe ver­än­dern möch­te, auch etwas trä­ge. Doch auch hier ist Jascha zuver­sicht­lich: „Sie wer­den sich mit uns aus­ein­an­der­set­zen müs­sen“. Wichtig sei, einen Dialog zwi­schen allen Akteur:innen auf­zu­bau­en und eine Plattform für Austausch zu bieten. 

Für den „Walk of Care“ ste­he auf jeden Fall fest, auch nach der Demonstration als gesund­heits­po­li­ti­sche Gruppe aktiv zu blei­ben, freut sich Jette. Zum Verfassungszeitpunkt die­ses Artikels sind die Aktivist:innen schon bei der „unteilbar“-Demostration in Halle und auf einer wei­te­ren „Walk of Care“-Demonstration in Berlin gewe­sen. Auch Kreativbeiträge und Austausch ermisst Jascha als wich­ti­gen Aspekt des Engagements. Er freut sich auf eige­ne Videoproduktionen, Songs, Vorträge oder Foren. „Das Schöne ist: Die Demo ist nicht das Ende von irgend­et­was“, bilan­ziert er, „son­dern sie ist erst der Anfang“. 

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