Sich gesund ernäh­ren, Sport machen und Stress ver­mei­den sind Möglichkeiten, um sei­ne Gesundheit zu ver­bes­sern. Doch die Verantwortung für sei­ne Gesundheit trägt nicht jeder allein.15 Studierende an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg haben sich mit der Frage beschäf­tigt, wie sozia­le Ungleichheit zur gesund­heit­li­chen Benachteiligung füh­ren kann. Daraus ent­stan­den vier mul­ti­me­dia­le Projekte. Ein Gastbeitrag einer Studentin der „Multimedia und Autorschaft“.

In den letz­ten Monaten unter Corona wur­de deut­lich, wie wich­tig Gesundheit ist. Diese ist nicht nur vom indi­vi­du­el­len Verhalten abhän­gig, son­dern auch von ande­ren Faktoren wie Diskriminierung, dem Wohnort oder Armut. Zwar kann die rich­ti­ge Ernährung und viel Bewegung Krankheiten ver­hin­dern, ande­re sozi­al beding­te Faktoren kön­nen jedoch nicht gesteu­ert werden.

Seit mehr als einem Jahr beschäf­tigt sich der aktu­el­le Jahrgang des Masterstudiengangs „Multimedia und Autorschaft“ genau mit die­sen Themen. Unter dem Namen „Diagnose: Unsichtbar“ ent­wi­ckel­te er in Ko­operation mit Medizin-Studierenden jour­na­lis­ti­sche Formate, die dem Thema zu mehr Aufmerksamkeit ver­hel­fen sol­len. Daraus ent­stan­den der Podcast „unbe­han­delt“, das jour­na­lis­ti­sche Instagram-Format „bittere.pille“, der „Up­-stream“-Newsletter für Sozialmedizin und das digi­ta­le Storytelling-Format „Von UN­GLEICHEN T:RÄUMEN“.

Was ist Sozialmedizin?

Ein Teilbereich der Medizin fokus­siert genau die­se Ursachen von Erkrankungen. Sozial­medizin ver­steht Gesundheit und Krankheit als gesell­schaft­li­che Phänomene, die sich aus den Lebensbedingungen, unter denen man auf­wächst und lebt, erge­ben. In sei­ner ers­ten Ausgabe beschäf­tigt sich der „Upstream“-Newsletter mit der Sozialmedizin. Es wird gezeigt, wie sie ver­sucht, die Ursachen der Erkrankungen zu bekämp­fen und nicht nur die Erkrankungen selbst.

Amand Führer betreu­te die Projekte
mit und unter­stützt die Studierenden
bei ihren Recherchen.

Der Sozialmediziner Amand Führer, der das Projekt mit betreut hat, ist wis­sen­schaft­li­cher Mitarbeiter am Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik (IMEBI) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er erklärt, wie genau Sozial­medizin hel­fen kann: „Die Sozialmedizin ver­sucht zu ver­ste­hen, wie durch Veränderungen der Art und Weise, wie wir leben, Gesundheit gebes­sert und Krankheit ver­hin­dert oder ver­min­dert wer­den kann.“ In der Individualmedizin wird ver­sucht, durch Medikamente oder Operationen Krankheiten zu bekämp­fen. Die Sozialmedizin setzt hin­ge­gen viel frü­her ein und betrach­tet den Zusammenhang zwi­schen Krankheit und sozia­ler Umwelt. Ursachen, die dazu füh­ren, dass Menschen ein erhöh­tes Risiko haben, zu erkran­ken, sol­len ver­än­dert wer­den. Daher arbei­ten Sozialmediziner und Sozialmedizinerinnen oft in Organisationen des Gesundheitswesens und der sozia­len Sicherung. In der Wissenschaft erfor­sche die Sozialmedizin die Ursachen, Häufigkeiten und Verteilung von bestimm­ten Erkrankungen und ent­wi­cke­le vor­beu­gen­de Maßnahmen. „Die sozial­medizinische Analyse zeigt, dass es in unse­rer Gesellschaft vie­le gesund­heit­li­che Ungleichheiten gibt und dass die­se ganz wesent­lich durch sozia­le Ungleichheiten her­vor­ge­ru­fen wer­den“, meint Amand Führer.

Kliniken für eine gerech­te­re Gesundheit

Mit Grafiken, Videos und Karussell-Posts
bringt „bittere.pille“ Abonnierenden
sozi­al­me­di­zi­ni­sche Themen näher.

Der Instagram-Account „bittere.pille“ befass­te sich eben­falls mit den sozia­len Faktoren von Gesundheit und stellt dabei das Poliklinik-Syndikat vor. Dieses ist ein Zusammenschluss von Projekten, die sich dem Aufbau sowie Betrieb soli­da­ri­scher Gesundheitszentren wid­men. Die Projekte wol­len so gesund­heit­li­cher Ungleichheit ent­ge­gen­wir­ken und für eine gerech­te und soli­da­ri­sche Gesellschaft ein­tre­ten. Sie betrach­ten nicht nur das indi­vi­du­el­le Verhalten und den kör­per­li­chen Zustand, son­dern auch die gesell­schaft­li­chen und sozia­len Verhältnisse, in denen die Menschen leben. Diese Verhältnisse müss­ten laut der Polikliniken für eine bes­se­re Gesundheit ver­än­dert wer­den. Zu die­sen Veränderungen zäh­len: eine gleich­mä­ßi­ge Reichtumsverteilung, aus­glei­chen­de Sozialpolitik, gerech­te Wohn- und Arbeitsverhältnisse, nach­hal­ti­ge Umweltpolitik, die Bekämpfung von Rassismus und die Gleichstellung der Geschlechter. Die Angebote der Polikliniken rei­chen von einer ambu­lan­ten Gesundheitsversorgung bis hin zu einer psy­cho­lo­gi­schen Beratung, Sozialberatung und Veranstaltungen zur Vernetzung. Zu dem Zusammenschluss gehö­ren die Poliklinik Veddel Hamburg, das Gesundheitskollektiv Berlin, die Poliklinik Solidarisches Gesundheitszentrum Leipzig, das Gesundheitskollektiv Dresden und SoliMed Köln.

„bittere.pille“ sprach mit Philipp Dickel von der Poliklinik Veddel in Hamburg, der die Absichten der Polikliniken zusam­men­fasst: „Wenn heu­te über Gesundheit oder Krankheit
gespro­chen wird, geht es häu­fig um das indi­vi­du­el­le Verhalten der Menschen. Doch wer kann über­haupt sein Verhalten ändern? Es wäre wich­ti­ger, über die sozia­len Determinan­ten zu sprechen.“

Das Stadtviertel, in dem man lebt, hat
Einfluss auf die Gesundheit und kann auch
das Einkaufsverhalten beeinflussen.

Von Verhaltensprävention spricht man, wenn man Krankheiten durch rich­ti­ges Verhalten ent­ge­gen­wirkt. So kön­nen Krankheiten zum Beispiel mit guter Ernährung, weni­ger Stress und mehr Bewegung ver­hin­dert wer­den. Doch vie­le Faktoren, die krank machen, sind nicht unmit­tel­bar vom eige­nen Verhalten abhängig.

Daher gibt es noch die Verhältnisprävention. Hier wer­den bei­spiels­wei­se auch die Lebens- und Wohnverhältnisse, die Arbeit, das Einkommen, Diskriminierungserfahrungen oder Ausgrenzung, die einen gro­ßen Einfluss auf die Gesundheit haben, betrach­tet. Die Verhältnisse, in denen man lebt, bestim­men auch, wie gesund man ist. Jedoch sind die­se nicht über­all gleich. Sie kön­nen von dem Stadtviertel, in dem man wohnt, oder von der finan­zi­el­len Situation abhän­gen: „Sich gut zu ernäh­ren und auch Zugang zu guten Nahrungsmitteln zu haben, ist in ärme­ren Viertel wesent­lich schwie­ri­ger. Sowohl was die Kosten angeht als auch den Zugang“, nennt Dickel als Beispiel. Wenn man die­sem Ansatz fol­gen wür­de, bedeu­te das, dass Gesundheit bei allen politi­schen Entscheidungen mit­ge­dacht und berück­sich­tigt wer­den müs­se. Es müss­ten gemein­sam Verhältnisse geschaf­fen wer­den, in denen alle gesund leben kön­nen. Das betrifft laut Dickel bei­spiels­wei­se den sozia­len Wohnungsbau oder den Ausbau des öffent­li­chen Nahverkehrs.

Hören, Sehen und Lesen

Jeder Jahrgang des Masterstudienganges „Multimedia und Autorschaft“ arbei­tet zwei Semester lang an einem gemein­sa­men Jahrgangsprojekt. Die 15 Studierenden fan­den unter dem Titel „Diagnose:Unsichtbar“ her­aus, was Ungleichheit im Gesundheitssystem bedeu­tet. Damit auch auf die indi­vi­du­el­len Interessen der Studierenden ein­ge­gan­gen wer­den kann, konn­te sich der Jahrgang in Gruppen mit ver­schie­de­nen Formaten ein­tei­len. Gemeinsam wur­den dann Konzepte zu ver­schie­de­nen Medien wie Instagram oder Website ent­wi­ckelt. Auch wenn die Projekte das glei­che Grundthema haben, set­zen die vier Formate – Podcast, Newsletter, Instagram, Storytelling-Website – einen unter­schied­li­chen Fokus.

Der Podcast „unbe­han­delt“ ver­sucht in sei­nen drei Folgen der Frage „Warum bekom­men Menschen nicht die medi­zi­ni­sche Behandlung, die sie brau­chen?“ auf den Grund zu gehen. In der ers­ten Folge wird die schwie­ri­ge Gesundheitsversorgung von EU-Migrant:innen the­ma­ti­siert. Die zwei­te behan­delt die Schwierigkeiten eines Schwangerschaftsabbruches, und die drit­te kon­stru­iert ein opti­ma­les Gesundheitssystem. Ein Intro lei­tet in die Themen ein: „Stell dir vor, du bist krank – aber du kannst nicht zum Arzt. Stell dir vor, du bekommst nicht die medi­zi­ni­sche Beratung, die du brauchst. Stell dir vor, du bleibst unbehandelt.“

Im Newsletter „Upstream“ wer­den Wissenschaft, Journalismus und Praxis mit­ein­an­der ver­wo­ben. Jeden Monat gibt es ein ande­res Thema wie zum Beispiel die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit. Auf ihrer Website kann man alle Ausgaben nach­le­sen und noch mehr über die Themen erfahren.

Das Storytelling-Format „Von UNGLEICHEN T:RÄUMEN“ zeich­net
bei­spiel­haft unter­schied­li­che Lebensräume von Kindern nach.

Das Storytelling-Format „Von UNGLEICHEN T:RÄUMEN“ unter­sucht anhand von Studien, Feldforschung und Expert:innen-Interviews, wie das Stadtviertel, in dem Kinder auf­wach­sen, ihre Gesundheit beein­flus­sen kann. Dafür haben sie sich in Halle beson­ders die Viertel Kröllwitz, Paulusviertel und Halle-Neustadt ange­schaut. Ihre Eindrücke haben sie in Bildern fest­ge­hal­ten. Zusammen mit einer Studie von Karoline Wagner und Interviews mit Organisationen wie dem Kinderschutzbund Blauer Elefant in Silberhöhe fin­den die Studierende so her­aus, dass Kinder für ein gesun­des Leben nicht die glei­chen Voraussetzungen haben. 

Der jour­na­lis­ti­sche Instagram-Account „bittere.pille“ zeigt, wie ver­schie­de­ne Faktoren wie die Umwelt oder der sozia­le Status zur gesund­heit­li­chen Benachteiligung füh­ren können.

Unterstützt wur­den die Projekte durch den Transfer- und Gründerservice der MLU und vom inter­na­tio­na­len Mediennetzwerk „Are We Europe“, sodass ein Teil des Projektes mit einer euro­päi­schen und cross­bor­der­jour­na­lis­ti­schen Perspektive in eng­li­scher Sprache umge­setzt wird. Die Studierenden beschäf­ti­gen sich auch in Zukunft mit dem Thema Gesundheit und set­zen ihre Formate fort.

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Elena L. Hietel
Elena L. Hietel
2 Jahre zuvor

Ganz tol­les Projekt! So wich­tig, die­se Fakten sicht­bar zu machen. Vielen Dank dafür.