In dieser Rei­he stellt unser Redak­teur Paul regelmäßig Per­sön­lichkeit­en vor, die Uni­ver­sität und Stadt geprägt haben. Dieses Mal beschäftigt er sich gle­ich mit mehreren beson­ders gut erhal­te­nen Köpfen: denen der Anatomen­dy­nas­tie Meckel. 

Genie und Wahnsinn liegen bekan­ntlich nahe beieinan­der, Genie und Skur­ril­ität wahrschein­lich noch näher. Das großzügige Stel­lenange­bot ein­er rus­sis­ch­er Kaiserin auszuschla­gen, tausende Prä­parate anatomis­ch­er Fehlbil­dun­gen im eige­nen Hin­ter­haus aufzube­wahren und seine eige­nen Kinder zu sezieren ist jeden­falls nur schw­er­lich als nor­mal zu beze­ich­nen. Ein Durch­schnittspro­fes­sor war Philipp Friedrich Theodor Meck­el ganz sich­er nicht – dafür aber mit Leib und Seele Anatom. Mit sein­er fast schon an Fanatismus gren­zen­den Lei­den­schaft für die Beschaf­fen­heit und Funk­tion­sweise des men­schlichen Kör­pers zer­legte er Leiche um Leiche und häufte mit den Jahren wahre Berge kon­serviert­er Kör­perteile an. Trotz dieser her­ausstechen­den Eigen­schaft war Philipp Friedrich wed­er der erste Anatom in sein­er Fam­i­lie, noch sollte er der let­zte bleiben – der Name Meck­el ste­ht bis heute für eine ganze Dynas­tie am Sektionstisch.

Die Anfänge der medi­zinis­chen Tätigkeit des Anatomen­clans lassen sich bis zum Urgroß­vater Georg Christoph Möller zurück­ver­fol­gen, der Ende des 17. Jahrhun­derts als Medi­z­in­pro­fes­sor in Gießen tätig ist. Sein Enkel Johann Friedrich Meck­el (der Ältere) führt diese Tra­di­tion fort und lässt sich 1748 schon mit 27 Jahren als frisch pro­moviert­er Arzt in Berlin nieder. Nur ein Jahr später avanciert er zum Mit­glied der Preußis­chen Akademie der Wis­senschaften und wird Pro­fes­sor für Anatomie, Botanik und Geburtshil­fe. Auf ihn geht auch die Grün­dung der später berühmten Samm­lung anatomis­ch­er Prä­parate zurück. Neben sein­er Lehrtätigkeit macht er außer­dem einige neu­roanatomis­che Ent­deck­un­gen wie das Gan­glion ptery­gopalat­inum am Gau­men­bein, auch bekan­nt als Gan­glion Meckeli.

Beste Voraus­set­zun­gen für seinen Sohn Philipp Friedrich Theodor, der am 30. April 1755 im Berlin­er Haus der Fam­i­lie geboren wird. Von Pri­vatlehrern unter­richtet und durch den Vater an die anatomis­che Forschung herange­führt, studiert er ab 1773 Medi­zin in Göt­tin­gen und später auch Anatomie und Geburtshil­fe in Straßburg. Auch der frühe Tod des Vaters 1774 – Philipp Friedrich ist da ger­ade ein­mal 19 – kann ihn nicht von sein­er wis­senschaftlichen Kar­riere abbrin­gen. Nur drei Jahre später wird der junge Arzt und Wis­senschaftler als Pro­fes­sor der Anatomie an die dama­lige Friedrichs-Uni­ver­sität Halle berufen; auf­grund ein­er Bil­dungsreise durch Frankre­ich und Eng­land kann er diese Stelle erst 1779 antreten – im Gepäck die vom Vater ererbte und stetig wach­sende Samm­lung anatomis­ch­er Abson­der­lichkeit­en. Doch nicht nur als Dozent, son­dern auch als prak­tizieren­der Chirurg und Geburtshelfer glänzt Philipp Friedrich. Seine Über­set­zun­gen franzö­sis­ch­er Fach­büch­er zur Geburtshil­fe und der Erfolg der von ihm gegrün­de­ten pri­vat­en Ent­bindungsklinik drin­gen schließlich sog­ar an den rus­sis­chen Zaren­hof. Kaiserin Katha­ri­na II., genan­nt »die Große«, bietet ihm 1795 nach ein­er von ihm betreuten royalen Geburt sog­ar die Posi­tion eines Leit­ers der gesamten Peters­burg­er Uni­ver­sitätsmedi­zin an. Philipp Friedrich Meck­el jedoch lehnt dieses Ange­bot ab und kehrt nach Preußen zurück, wo er zum Lohn prompt zum Geheim­rat ernan­nt wird. Trotz dieser beachtlichen Erfolge bleibt die Anatomie des Men­schen immer seine wahre Lei­den­schaft. Mit Besessen­heit seziert Philipp Friedrich bei jed­er Gele­gen­heit und macht dabei nicht ein­mal vor zweien sein­er eige­nen, früh ver­stor­be­nen Kinder halt – ver­füg­bare Leichen sind in anatomis­chen Kreisen stets knapp.

Im Gegen­satz zu berühmten Vorgängern wie Andreas Vesal­ius (1514–1564), dem Begrün­der der neuzeitlichen Anatomie, geht es Meck­el dabei weniger um die Her­ausar­beitung von aus vie­len ver­gle­ichen­den Unter­suchun­gen abgeleit­eten Durch­schnittsmerk­malen des men­schlichen Organ­is­mus, son­dern vielmehr um die Erfas­sung der anatomis­chen Vielfalt. In zwei Gebäu­den auf seinem Pri­vat­grund­stück stapeln sich daher neben den vom Vater über­nomme­nen Prä­parat­en bald Beispiele der abson­der­lich­sten Vari­etäten und krankhaften Verän­derun­gen von Orga­nen, Glied­maßen und Knochen. Dieser reich­haltige Fun­dus an Lehr­ma­te­r­i­al kommt dem Hochschul­pro­fes­sor sehr gele­gen; seine Stu­den­ten kann er immer wieder mit neuen Anschau­ung­sob­jek­ten beglück­en, denn die Anatomie dient nicht nur dem wis­senschaftlichen Selb­stzweck, son­dern immer auch der Aus­bil­dung ange­hen­der Medi­zin­er. In sein­er uner­müdlichen Tätigkeit beschre­it­et Meck­el auch neue unkon­ven­tionelle Wege: Ent­ge­gen der dama­li­gen (und zum Teil auch heuti­gen) Lehrmei­n­ung schnei­det er beispiel­sweise Arme in Scheiben, statt sie sorgfältig Schicht um Schicht abzu­tra­gen, und erfind­et damit eine Art analoge Urform des CT-Scans. Am 17. März 1803 stirbt Philipp Friedrich Theodor Meck­el anerkan­nt und wohlhabend in Halle; seine inzwis­chen auf über 12 000 Prä­parate angewach­sene Samm­lung ist zu diesem Zeit­punkt bere­its wei­thin bekan­nt und zieht Besuch­er wie Johann Wolf­gang von Goethe an, die einen Blick auf die »Mon­stra« wer­fen wollen. In seinem Tes­ta­ment legt der uner­müdliche Wis­senschaftler fest, dass sein Kör­p­er seziert wer­den soll, um dem tra­di­tionell anrüchi­gen Bild der Anatomie in der Öffentlichkeit ein pos­i­tives Beispiel entgegenzusetzen.

Wie der Vater, so der Sohn

Vorgenom­men wird diese Unter­suchung vom Sohn Johann Friedrich Meck­el (der Jün­gere). Geboren am 17. Okto­ber 1781 in Halle, tritt dieser daraufhin das materielle und wis­senschaftliche Erbe seines Vaters an. Es wirkt, als würde sich die Geschichte wieder­holen: ger­ade ein­mal 22 Jahre alt und frisch pro­moviert find­et sich der zweite Aus­nah­meanatom mit dem Namen Meck­el in der Rolle des Fam­i­lienober­hauptes wieder. Im Gegen­satz zu seinen eben­falls als Ärzte prak­tizieren­den Vor­fahren wid­met er sich jedoch fast auss­chließlich der Wis­senschaft. Gefördert vom berühmten Psy­chi­ater und Fre­und der Fam­i­lie Johann Chris­t­ian Reil, wird Johann Friedrich bere­its 1805 außeror­dentlich­er Pro­fes­sor in Halle; antreten kann er diese Stelle jedoch erst drei Jahre später, nach­dem die Fran­zosen die zunächst geschlossene Uni­ver­sität wiederöffnet haben. In den fol­gen­den Jahren gelin­gen ihm zahlre­iche anatomis­che Ent­deck­un­gen wie etwa das nach ihm benan­nte Meck­el-Diver­tikel, eine abnorme, sack­gasse­nar­tige Aus­for­mung des Dün­ndarms, die ähn­liche Beschw­er­den her­vor­rufen kann wie eine Blind­dar­mentzün­dung. Bedeu­tend sind auch seine Errun­gen­schaften auf dem Gebi­et der ver­gle­ichen­den Anatomie sowie der Unter­suchung von Föten und all­ge­meinen men­schlichen Fehlbil­dun­gen. Wie auch sein Vater und Groß­vater zählt Johann Friedrich damit zu den Begrün­dern der Embry­olo­gie sowie der Ter­a­tolo­gie, der Lehre von den Miss­bil­dun­gen. Nach einem Leben voller Pub­lika­tio­nen, Vor­lesun­gen und Sek­tio­nen stirbt der in Wissenschaftler­kreisen berühmte und mit Ehrun­gen über­häufte Pro­fes­sor am 31. Okto­ber 1833 in sein­er Geburtsstadt Halle.

Das wis­senschaftliche Ver­mächt­nis der Fam­i­lie Meck­el wird von seinen Nach­fahren weit­erge­führt; Johann Friedrichs Brud­er und Neffe wirken eben­falls als Anatomen. Let­zter­er, Johann Hein­rich (1821–1856), kehrt wieder nach Berlin, dem Wirkung­sort seines Urgroß­vaters, zurück und wird Anatomiepro­fes­sor an der Char­ité. Sein Nach­fol­ger in diesem Amt wird Rudolf Vir­chow, der als Begrün­der der mod­er­nen Patholo­gie gilt. Das dauer­hafteste Erbe der Anatomen­dy­nas­tie Meck­el bleibt jedoch die berühmte Meck­elsche Samm­lung. 1836 verkauft Johann Friedrichs Witwe sie an den Staat Preußen und damit an die hal­lis­che Uni­ver­sität. Auch wenn durch Ver­nach­läs­si­gung und Dieb­stahl mit den Jahren viele der 16 000 Objek­te ver­loren gin­gen, zählt die Samm­lung heute mit immer­hin noch fast 9000 Prä­parat­en zu den größten ihrer Art in Europa und ist nach wie vor für Forschung und Lehre unverzicht­bar. Der Ein­fluss der Meck­els auf die hal­lis­che Uni­ver­sität­sanatomie und ihren Schatz an Anschau­ungs- und Forschung­sob­jek­ten beschränkt sich jedoch nicht nur auf den Namen der Samm­lung. Von den Schädeln sein­er Söhne und Enkel umgeben wacht das wohl skur­ril­ste Mit­glied der Fam­i­lie noch heute von einem Schrank aus über die Prä­parate und all jene, die sie besichti­gen: Philipp Friedrich Meck­el – überzeugter Anatom bis zulet­zt – ist als Skelett selb­st Teil sein­er Samm­lung geworden.

  • Fun Fact: Dass Philipp Friedrich Meck­el zum anatomis­chen Exponat wurde, ist anscheinend völ­lig legit­im. Bei sein­er Prä­parierung stellte sich her­aus, dass er nicht nur eine krankhaft ver­größerte Leber, son­dern auch ein zusät­zlich­es 13. Rip­pen­paar besaß.
Illus­tra­tion: Designed by Freepik / Gre­gor Borkowski 
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