Schienenge­bun­den, mit elek­trisch­er Energie betrieben, dient als öffentlich­es Per­so­nen­nahverkehrsmit­tel – die Rede ist von der Straßen­bahn. In Halle gestal­ten sich Fahrten mit dieser regelmäßig als mod­ernes Reiseaben­teuer. Eine Kolumne über Fahrten rot-weiß. Dies­mal geht es um die akustis­che Beschal­lung in Halles Straßenbahnen. 

Halle – die Stadt, in der Straßen­bah­n­durch­sagen gesprächiger sind als die Kassier­er im 24-Stun­den-Ede­ka. Für Let­ztere hat man im besten Fall Ver­ständ­nis übrig, im nicht so opti­malen Fall nur das gesam­melte Klein­geld der let­zten drei Monate. Ver­ständ­nis und Klein­geld; bei­des Dinge, die – beson­ders in Kom­bi­na­tion – auch das Straßen­bah­n­fahren erle­ichtern kön­nen. Studierende prof­i­tieren insofern vom Semes­tertick­et, dass sie ihr Klein­geld sämtlich für Kassier­er sparen kön­nen, statt es an Tick­e­tau­to­mat­en im ansäs­si­gen ÖPNV ver­pul­vern zu müssen. Studieren heißt allerd­ings auch in den meis­ten Fällen, dass man Zuge­zo­gen­er ist – und somit am Anfang vom Studi­um viele neue Erfahrun­gen auf einen warten.

Eine dieser neuen Erfahrun­gen für Erstis ist zum Beispiel die Bekan­ntschaft mit Julia. Julia klingt vielle­icht etwas blech­ern und über­trieben höflich, aber sie meint es nicht so. Ihr alle ken­nt Julia übri­gens, da bin ich mir sich­er. Julia ist näm­lich die Com­put­er­stimme, die in den hal­lis­chen Straßen­bah­nen so schöne Dinge sagt wie: »Stein­tor-Vari­eté. Ältestes Vari­eté Deutsch­lands.« Was man als Ersti vielle­icht noch mit einem Min­i­mum an Inter­esse aufn­immt, hört man in der Regel bere­its ein Semes­ter später nicht mal mehr. So nahm auch ich lange Zeit Julia gar nicht mehr wirk­lich wahr, außer es standen beispiel­sweise Hän­delfest­spiele an und sie war aus diesem Grund beson­ders gesprächig. Doch vor einiger Zeit gab es einen Zwis­chen­fall mit Julia, welch­er mich zwar nur kurz (doch dafür umso stärk­er) irri­tierte. Ich weiß nur noch, dass ich vom Franck­e­platz aus in Rich­tung Markt unter­wegs war.

Kurz bevor wir das Ziel erre­icht­en, schien es mir, als würde Julia etwas sagen. Doch statt dem üblichen Hin­weis darauf, dass wir gle­ich den Mark­t­platz erre­ichen wür­den, erzählte sie zuerst irgen­det­was von einem dubiosen Fis­ch­er. Auf­grund der Laut­stärke um mich herum blieb mir der volle Wort­laut unver­ständlich. »Hab’ das jet­zt nur ich gehört?«, fragte ich mich ver­wirrt. Ich ver­suchte, mich nicht allzu auf­fäl­lig umzuschauen und Blick­kon­takt zu den anderen Fahrgästen aufzunehmen. Doch deren Mimik blieb unbe­wegt, kein­er ließ sich etwas anmerken. Ger­adezu demon­stra­tiv schaut­en die Pas­sagiere, welche nicht ger­ade in eine Unter­hal­tung ver­tieft waren, aneinan­der vor­bei. Beim genaueren Hin­schauen erkan­nte man allerd­ings Schweißtropfen auf ihrer Stirn; sehr verdächtig. Es schien ein jed­er beschäftigt mit der Frage, ob diese soeben ver­nommene akustis­che Hal­luz­i­na­tion als erster Vor­bote ein­er Störung aus dem Schiz­o­phre­nie-Spek­trum oder anderen psy­cho­tis­chen Störung zu deuten war. Wie so häu­fig üblich beg­in­gen wir alle den Anfänger­fehler, nicht unsere Umwelt zu hin­ter­fra­gen, son­dern unsere eigene tadel­lose Wahrnehmung. Dabei war die Lage klar: Nicht wir wichen von unserem gewohn­ten Ver­hal­ten ab, son­dern Julia! Die Sache ließ mir keine Ruhe – gab es vielle­icht seit neuestem nicht nur Händel‑, son­dern auch Fis­cher­fest­spiele, mit Helene Fis­ch­er als spe­cial guest? War Julia in Wirk­lichkeit mehr als eine bloße Com­put­er­stimme? Näm­lich eine aus­ge­feilte kün­stliche Intel­li­genz, welche sich nicht mehr vorschreiben ließ, welche Ansagen sie wo zu brin­gen hat­te? Oder waren wir alle Teil ein­er neuen Folge von »Ver­ste­hen Sie Spaß?«

Am Mark­t­platz angekom­men leerte sich die Bahn ruckar­tig. Doch der Men­schen­strom löste sich nicht ein­fach so in Luft auf, stattdessen zog es sämtliche mein­er Lei­densgenossen zu einem bes­timmten Laden: »Mein Fis­ch­er seit 1832«. Auch meine Beine wan­derten beina­he mech­a­nisch auf das Bek­lei­dungs­geschäft zu, doch ein Blick in das Porte­mon­naie ließ mich dem Sog schnell entkom­men: Kein Kleid von Calvin Klein Jeans in Reg­u­lar Fit mit Stehkra­gen für 129,90 Euro für mich. Stattdessen ging mir ein Licht auf, was Julia in diesem schick­sal­strächti­gen Moment durchge­sagt hat­te: »Mein Fis­ch­er – dein Mod­e­part­ner.« Aus Protest bin ich sei­ther übri­gens im MEIN FISCHER CLUB angemeldet. Natür­lich nur, damit Julia irgend­wann wieder den Kopf frei hat für wichtige Durch­sagen, das ver­ste­ht sich ja von selb­st. Denn nichts mit Schiz­o­phre­nie oder KI, Julia hat sich verkauft!

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