»Der Goldene Handschuh« ist ein Drama, das schockiert, eine gewisse Faszination ausübt und polarisiert. Selbst Regisseur Fatih Akin warnt die eher sensibleren Kinogänger vor seinem eigenen Film. Doch ist diese Warnung letztendlich auch gerechtfertigt?
»Du kannst zwanzig Mal aufs Maul haben, du arschgefickte Töle. Du wichst doch den ganzen Tag mit deinen Onanierzangen wie ein Affe, das seh ich doch.«
Dieses durchaus drastische Zitat stammt aus Fatih Akins 110 Minuten langer Verfilmung des Tatsachenromans »Der Goldene Handschuh« von Heinz Strunk und fasst die Grundstimmung dieses Werkes recht gut zusammen. Sowohl Buch als auch Film scheinen es darauf anzulegen, für ordentlich Kontroverse zu sorgen.
Die Handlung basiert auf der Geschichte des Frauenmörders Fritz Honka (Jonas Dassler), der während der 70er Jahre in Hamburg sein Unwesen trieb. Wo das Buch abseits der Haupthandlung rund um Honka noch eine Reihe von fiktiven Nebenhandlungen beinhaltet, wurden diese für den Film zum Großteil gestrichen, was angesichts der bereits üppigen Spiellänge eine nachvollziehbare Entscheidung ist. Lediglich der Subplot vom sozialen Außenseiter Willi (Tristan Göbel) wurde für den Film in stark veränderter Form aufgegriffen. Dieser hat Interesse an seiner bildhübschen Mitschülerin Petra (Greta Sophie Schmidt) und besucht die Kneipe »Zum Goldenen Handschuh« in St. Pauli, um nach eigener Aussage als Mann zu reifen und seine Geliebte zu beeindrucken. Hier treffen sich mitunter die verkommensten Gestalten Hamburgs zum Komasaufen. Passenderweise zieht es daher auch Hauptcharakter Fritz Honka jeden Abend dorthin, um literweise Bier, Fako und Dornkaat zu vernichten. An diesem hoffnungslosen Ort sucht er sich alkoholkranke, ältere Prostituierte, die er mit nach Hause nimmt, um sie zu versklaven, zu misshandeln und schließlich auf brutale Weise zu ermorden. Der »Handschuh« ist dementsprechend Dreh- und Angelpunkt der Geschichte.
Mit der ersten Kamerafahrt durch die Kneipe fällt bereits ein äußerst positiver Aspekt auf: Man blickt in zerfurchte, zahnlose und dreckige Gesichter. Während in vielen Buchverfilmungen Regisseure sich scheuen, verwahrlost und hässlich beschriebene Charaktere auch wirklich so darzustellen, geht Akin aufs Ganze. Heruntergekommene Kneipengänger wie Anus (Simon Görts), Nasen-/Arschloch-Ernie (Lars Nagel) oder der ehemalige SS-Mann Soldaten-Norbert (Dirk Böhling) sehen genauso aus, wie man sie sich vorgestellt hat: zerlumpt, versifft und unästhetisch. Highlight ist jedoch Honka selbst. Dieser ist eine traumhafte Zumutung für den Zuschauer. Fettiges, lichtes Haar, schielende Augen, krumme Nase, fusseliger Oberlippenbart, dreckige, schiefe Zähne und buckeliger Gang. An den Vorher-Nachher-Bildern von Dassler erkennt man, dass die Maskenbildner ihr Handwerk verstehen und eine großartige Arbeit abliefern. Zusammen mit seiner Schauspielkunst schafft es Dassler, den perfekten Fritz Honka darzustellen, was mit Sicherheit keine einfache Aufgabe ist.
Nur Willi wird der Buchbeschreibung leider nicht einmal ansatzweise gerecht. Während Strunk ihn als äußerst unansehnlichen, stets verschwitzten jungen Mann mit Gendefekt (Nooan-Syndrom) und einem von Akne entflammten Gesicht beschreibt, stellt der Film ihn nur als schlaksigen und etwas schüchternen Jungen dar, der neu an der Schule ist. Die eigentliche Dramatik dieser Nebenstory – die gänzliche Unerreichbarkeit der schönen Petra, während sich Willi immer mehr Hoffnung macht und zuversichtlicher wird – geht im Film vollkommen verloren. Kombiniert mit Göbels eher wenig glaubwürdiger Performance ist dieser Subplot der mit Abstand schwächste Teil des Films und könnte theoretisch komplett gestrichen werden, ohne der Geschichte in irgendeiner Weise zu schaden. Diese Nebenhandlung existiert nur, um gegen Ende eine direkte, aber dem Buch fremde Verbindung zur Hauptstory aufzubauen, damit der Zuschauer erneut geschockt wird. Es ist generell bemerkbar, dass der Film sich vollständig auf Honka fokussiert, während die Buchvorlage mit ihren Nebensträngen seine Stammkneipe weitaus mehr in den Vordergrund rückt. Schließlich lautet der Titel auch »Der Goldene Handschuh« und nicht »Fritz Honka«.
»Nachher werd ich alles in deine
Fotze reinstoppn. Schwanz und Sack.
Alles zusamm’. […] Am liebsten möcht ich dir nen lebend’schen Kabeljau in’ Arsch rammen.«
Eine Stärke dagegen stellt die Filmkulisse dar. Vor allem zu Beginn scheint das Produktionsteam an mancher Stelle beinahe etwas über die Stränge zu schlagen. Die Credits überzeugen jedoch vom Gegenteil. Hier werden echte Bilder des Tatorts und des »Handschuhs« gezeigt, wobei man sehen kann, dass die Sets in penibler Detailarbeit nachgebaut wurden. Besonders den entsetzlichen Gestank in Honkas schäbiger Dachgeschosswohnung, entstanden durch in Blut, Alkohol, Urin und Sperma getränkte Teppiche in Kombination mit Duftbäumen und verscharrten Leichenteilen, kann man förmlich durch die Leinwand riechen.
Kabeljau im Arsch und Schmiersuff
Passend zu den heruntergekommenen Locations wirken auch die Dialoge. Die Charaktere unterhalten sich am laufenden Band in unglaublich derber und vom Dialekt geschundener Sprache. Der Großteil des Gesprochenen wurde von Strunk wortgetreu übernommen. Aber auch extra für den Film geschriebene Dialoge kommen seiner Wortgewandtheit generell sehr nah. Hin und wieder gibt es auch einen Funken schwarzen Humor, der meist sogar erfolgreich zündet, was bei deutschen Filmen ja keine Selbstverständlichkeit ist.
Aber was genau ist nun am Film so entsetzlich schlimm, dass er eine Altersfreigabe ab 18 Jahren bekommt? Vergewaltigung, Misshandlung und Nacktheit werden im Film explizit dargestellt. So müssen die Frauen vieles über sich ergehen und sich erniedrigen lassen, wobei das vaginale Einführen und der anschließende Verzehr von Knackwürsten noch harmlos erscheint. Überraschenderweise schockiert die visuelle Darstellung der Morde und die Zerstückelung der Leichen nicht so sehr, wie man es vielleicht erwarten konnte. Wenn man sich Gewaltorgien à la SAW wünscht, wird man enttäuscht, was aber nicht heißt, dass jene Szenen weniger abstoßend sind. Wie man im Opening des Filmes sieht, wird die Brutalität eher auditiv dargestellt, was ein interessantes und wirkungsvolles Konzept ist. Während im Hintergrund Schlagersänger Adamo »Es geht eine Träne auf Reisen« friedvoll und harmonisch aus dem Schallplattenspieler trällert, zeigt das Bild halsabwärts den auf und ab zuckenden toten Körper, wobei man nur hört, wie Honka den Kopf mit einer Säge abtrennt. Das Buch fällt allerdings trotzdem um einiges extremer aus als die Verfilmung. Das Abtrennen von Genitalien und ähnliche Ekelszenen bleiben dem Zuschauer erspart, aber die Altersfreigabe ab 18 hat sich der Film trotzdem verdient.
Im Großen und Ganzen ist Akins »Der Goldene Handschuh« ein für den Zuschauer mehr als herausfordernder, aber zugleich spannender Film mit einigen Ecken und Kanten. Honkas Geschichte wurde mit einer Reihe von Änderungen und Kürzungen gut umgesetzt, während die Nebenhandlung mit Willi und Petra flach verläuft. Schauspieler, Maske, Dialoge und Filmset reißen diese Mängel größtenteils jedoch wieder heraus. Die ekelerregende Ästhetik erinnert in gewisser Weise stilistisch an das Nischengenre New French Extremity mit Filmen wie »Irréversible«. Zwar ist »Der Goldene Handschuh« am Ende nicht ganz so drastisch wie Machwerke aus dieser Sparte, aber er ist trotzdem mit Sicherheit nichts für den eher zartbesaiteten Kinogänger. Fans des Buchs und Freunde härterer Dramen können zweifellos Gefallen an diesem Film finden und sollten ihn sich daher nicht entgehen lassen.