Schauer­liche Geschicht­en haben eine selt­same Anziehungskraft. Ob Stephen Kings Pen­ny­wise oder Mary Shel­leys namen­los­es Mon­ster aus Leichen­teilen: Solche Geschicht­en haben eine lange Tra­di­tion, deren Erforschung eben­so inter­es­sant sein kann wie ihr Genuss. Ein Inter­view mit dem The­olo­gen Mar­co Fren­schkows­ki bietet Antworten auf einige Fragen. 

Illus­tra­tion: Sophie Ritter

Woher kommt die Fasz­i­na­tion an unheim­lichen, unerk­lär­lichen Din­gen? Wieso ver­brin­gen Men­schen ihre Zeit mit Meis­tern des Schauer­lichen, wie Edgar A. Poe, Bram Stok­er, Gus­tav Meyrink, H. P. Love­craft oder Stephen King? Wieso ver­brin­gen Autoren ihre Zeit damit, Geschicht­en von Mon­stern zu schreiben, die sie in ihrem Unter­be­wusst­sein suchen und nicht mehr unter ihren Bet­ten? Antworten auf solche Fra­gen gab ein Pro­fes­sor für evan­ge­lis­che The­olo­gie in Leipzig. Dieser hat­te bere­its neben sein­er Lehrtätigkeit an der Uni­ver­sität Leipzig seit vie­len Jahren auch Forschun­gen im Bere­ich unheim­lich­er und fan­tastis­ch­er Lit­er­atur publiziert.

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Fren­schkows­ki, woher, glauben Sie, kommt die men­schliche Fasz­i­na­tion für das Unheim­liche, und welche gesellschaftlichen Gegeben­heit­en ver­leit­en den Men­schen zu sein­er Lust am Gruseln?
Immer und zu allen Zeit­en gab es in der Geschichte der Men­schheit ein Inter­esse am Unheim­lichen und Fan­tastis­chen. Man kön­nte sagen, dass jede Zeit die Mon­ster erfind­et, die ihr entsprechen. Mon­ster verkör­pern in der Lit­er­atur die Äng­ste der Gesellschaft in ihrer jew­eili­gen Epoche, ihrem jew­eili­gen kul­turellen Pro­fil. Im 18. Jahrhun­dert artikuliert zum Beispiel Friedrich Schiller mit seinem Roman »Der Geis­terse­her« die Angst der Men­schen vor Gehe­im­bün­den und der Unüber­schaubarkeit der realen Machtver­hält­nisse. Im späten 19. Jahrhun­dert ste­ht die Erschei­n­ung des Vam­pirs in der unheim­lichen Lit­er­atur als Meta­pher für die Furcht vor ein­er ver­drängten Sex­u­al­ität. In der Nov­el­le »Carmil­la« ver­ar­beit­et der Autor Joseph Sheri­dan Le Fanu das The­ma Homo­sex­u­al­ität mit sein­er Darstel­lung ein­er les­bis­chen Vam­pirin. Das späte 20. Jahrhun­dert erschuf die Angst vor den Kon­se­quen­zen der Nat­u­raus­beu­tung durch den Gedanken, dass der Men­sch durch seine Aus­beute die Natur in ein Mon­ster ver­wan­deln kön­nte, zum Beispiel in den »Revenge of nature«-Filmen der 1970er und 1980er. Und in den 2000ern ver­ar­beit­et der Men­sch mit dem Zom­bie als Mon­ster die Angst, in der Gesellschaft sozusagen nur ein lebendi­ger Tot­er zu sein, eine dumpfe ani­malis­che Exis­tenz uner­füll­ter Begier­den zu führen.

Illus­tra­tion: Sophie Ritter

Sie haben ein umfassendes, 13-bändi­ges Kom­men­tar­w­erk zu den Erzäh­lun­gen und Gedicht­en von H. P. Love­craft ver­fasst. Welche Rolle sprechen Sie seinen Geschicht­en für die Entwick­lung der unheim­lichen und fan­tastis­chen Lit­er­atur zu?

Stephen King sagte ein­mal, dass es zwei Arten mod­ern­er Autoren im Bere­ich der fan­tastis­chen Lit­er­atur gibt: jene, die ver­suchen, wie Love­craft zu schreiben, und jene, die ver­suchen, ger­ade nicht wie er zu schreiben. Das ist eine inter­es­sante Beobach­tung: Love­craft hat vor allem Autoren inspiri­ert. Edgar Allan Poe schrieb in sein­er Zeit über die Abgründe der men­schlichen Seele. H. P. Love­crafts Geschicht­en set­zen sich mit der The­matik der Unendlichkeit des Kos­mos auseinan­der, mit der Kon­fronta­tion mit einem Uni­ver­sum, in dem der Men­sch kaum Bedeu­tung hat. Das verbindet seine Prosa mit ein­er Ein­bindung in eine in hohem Maße real­is­tis­che Schilderung sein­er unmit­tel­baren amerikanis­chen Umwelt – ein bemerkenswert­er Kon­trast. Ger­ade als Athe­ist ist Love­craft in para­dox­er Weise ein religiös­er Autor, wie schon Robert Bloch (der Autor von »Psy­cho«; Anm. d. Red.) gesagt hat, der ihn als junger Mann noch ken­nen­gel­ernt hat­te. Die zen­trale The­matik sein­er Geschicht­en ist die Frage nach der Stel­lung des Men­schen im Kos­mos in ein­er Zeit, in der neue wis­senschaftliche Erken­nt­nisse diesen Kos­mos zunehmend fremd und unheim­lich machten.

Illus­tra­tion: Sophie Ritter

Welche Rolle spielt ihrer Mei­n­ung nach die The­matik der Geschlechter­rollen in fan­tastis­ch­er Literatur?
In unheim­lich­er Lit­er­atur wird stets die Angst vor Unbekan­ntem ver­ar­beit­et. Zum Beispiel hat die Nov­el­le »Carmil­la« das The­ma Homo­sex­u­al­ität im 19. Jahrhundert
aufgenom­men. Heute sind die kom­plizierten Ver­lagerun­gen und Ver­schiebun­gen der Geschlecht­srollen ein wichtiges The­ma unheim­lich­er Lit­er­atur, wenn sie nicht nur klis­chee­haft Tra­di­tionelles wiederholt.

Welche Trends lassen sich in neuer­er Zeit in der fan­tastis­chen Lit­er­atur erkennen?
Durch die Glob­al­isierung fließen stärk­er Ele­mente ander­er Kul­turen in die unheim­liche Lit­er­atur, zum Beispiel in die Lit­er­atur der deutschen und der englis­chen Sprache, ein. Neue Medi­en neben Buch und Film wer­den zu Trägern des Gen­res, Comics, Videospiele, inter­ak­tive Web­seit­en. Den­noch kom­men auch da archais­che, uralte Motive, Fig­uren und Hand­lungsmuster zum Tra­gen, zu deren Erforschung ich gele­gentlich ver­suche, etwas beizutragen.

Gibt es somit eine Sehn­sucht nach ratio­nal nicht erk­lär­baren Phänome­nen, oder glauben Sie, dass das Bedürf­nis nach gruseliger oder fan­tastis­ch­er Lit­er­atur zugun­sten des natur­wis­senschaftlichen Fortschritts ver­schwinden wird?
Es gibt kein­er­lei Indizien, wonach das Fan­tastis­che weniger würde: ganz im Gegen­teil. Ger­ade ratio­nale Diskurse »ver­drän­gen« Aspek­te von Wirk­lichkeit und erzeu­gen Gegen­be­we­gun­gen des Imag­i­na­tiv­en, Mon­strösen, Unheim­lichen. Ich wüsste nicht, warum sich das ändern sollte.

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