Mit dem Fahrrad zum Campus, dem eigenen To-Go-Becher in die Cafébar und dem digitalen Reader ins Seminar. Wir haben so einige Möglichkeiten dafür, unseren Uni-Alltag nachhaltiger zu gestalten. Wenn einen aber doch mal der unerwartete Müdigkeitsschub ereilt, muss eben der Kaffee im Einwegbecher her. Das erntet böse Blicke und das schlechte Gewissen steigt. Der Druck, allen Anforderungen in puncto Umweltbewusstsein zu entsprechen, ist groß. Doch der perfekte nachhaltige Lebensstil ist nicht nur sehr schwer erreichbar, sondern kann auch unproduktiv sein.
Manchmal kann man es gar nicht genau erklären. Wir alle wissen, dass Frischhaltefolie kurzlebiges, schnell in den Müll wanderndes Plastik ist. Wir wissen auch, dass es mittlerweile Alternativen dafür gibt, wie zum Beispiel Bienenwachstücher. Doch es gibt Fälle, in denen man eben doch zur Folie greift, zum Beispiel beim Abdecken von stark riechendem Essen oder von Fleisch und Fisch. Sie ist in dem einen oder anderen Fall eben praktischer. Aber können wir damit leben, dies unserer Umwelt zuzumuten?
Apropos Fleisch und Fisch: Eine Kampagne für den Veganismus ist jedes Jahr aufs Neue präsent auf Social Media: Der Veganuary. Er soll dazu anregen, den ganzen Januar über eine vegane Ernährung einzuschlagen und erfährt vor allem bei jungen Menschen Beliebtheit. Doch was ist mit Studierenden, die sich teurere vegane Alternativen eventuell nicht leisten können, selbst wenn sie es möchten? Nicht nur der Kauf von pflanzlichen Ersatzprodukten, auch der von Bio-Lebensmitteln schlägt aufs Portemonnaie.
Am liebsten würden wir perfekt nachhaltig leben. Nur so können wir unserer Umwelt mit gutem Gewissen entgegentreten. Doch hohe Eigenerwartungen können große Frustration auslösen, wenn sie wieder und wieder nicht erfüllt werden. Oft folgt das Argument: Man kann doch gar nicht alles richtig machen. Das mag stimmen, sollte jedoch nicht die Motivation hemmen, sich ein paar Schritte in die richtige Richtung zu bewegen.
Why so perfect, honey?
Das sieht auch das Team von „Mit Ecken und Kanten“ so. „MEuK” ist ein Online-Shop, der Unternehmen ihre nachhaltigen und fairen Produkte abkauft, die im regulären Handel nicht verkauft werden. Das können zum Beispiel ein T‑Shirt mit einer schiefen Naht sein, eine Yogamatte mit einer beschädigten Verpackung oder auch Lebensmittel, die kurz vor ihrem Mindesthaltbarkeitsdatum stehen. So erhalten die unperfekten Produkte die Chance, doch noch gekauft zu werden — für einen geringeren Preis. Die Philosophie des Unternehmens: „Why so perfect, honey?“, womit zum einen die unperfekten Produkte gemeint sind, aber auch wir Konsument:innen, die sich nicht immer makellos verhalten können und müssen. Im Interview sprechen wir mit der MEuK-Gründerin Jessica Könnecke über den Shop, ihr Verständnis von Nachhaltigkeit und unseren ständigen Drang zur Perfektion.
Interview
Anna: Hallo Jessica! Du hast „Mit Ecken und Kanten“ vor einigen Jahren gegründet. Was hat dich damals dazu bewegt?
Jessica: „Mit Ecken und Kanten“ ist im Prinzip ein Unperfektshop, sagen wir immer. Wir verkaufen nachhaltige und faire Produkte, die eben unter Umständen einen kleinen Schönheitsfehler haben, aus einer älteren Kollektion stammen oder aus anderen Gründen nicht mehr regulär im Handel verkauft werden können. Wir haben uns mit unserem Konzept überlegt, dass es doch viel zu schade wäre, solche scheinbar unperfekten Artikel nicht mehr zu verkaufen. Aus dem Grund habe ich die Plattform Ende 2017 gegründet; um nochmal die Wertigkeit von solchen Produkten hervorzuheben und ihnen eine zweite Chance geben zu können.
Euer Motto lautet „Why so perfect, honey?“. Was steckt hinter diesem Satz?
Ich finde, dass das ganze Thema Nachhaltigkeit bei vielen Menschen oft mit sehr viel Druck verbunden ist. Wenn man sich zum Beispiel vornimmt: Ich möchte plastikfrei leben, ab sofort nur noch Bio-Lebensmittel kaufen, mich vegan ernähren. Ich habe selbst erlebt, dass ich mir damit Druck gemacht habe und auch im Umfeld bemerkt, dass Leute sagen: entweder ich mache das komplett oder gar nicht. Ich will dieses Nicht-perfekt-Sein ein bisschen in unseren Lebensstil reinholen, gerade beim Thema Nachhaltigkeit. Denn ich finde es viel wichtiger, dass jeder von uns kleine Schritte in die richtige Richtung macht, als zu sagen: „Ich höre jetzt auf, weil ich das Gefühl habe, ich schaffe es nicht zu 100%.“
Und deswegen sollten wir auch Produkte kaufen, die nicht zu 100% perfekt sind?
Ich finde es super wichtig, solche Denkweisen auch nach außen zu tragen und klar lässt sich das dann auch auf unsere Produkte übertragen. Wir verkaufen eben auch die unperfekten Produkte, die so nicht mehr verkauft werden könnten, weil Kunden und Kundinnen sehr anspruchsvoll sind. Die meisten von uns, so habe ich das früher auch gemacht, haben sicherlich schonmal ein Produkt von ganz hinten aus dem Regal genommen. Total schwachsinnig eigentlich. Und da wird es wichtig, dass man auch sein eigenes Handeln hinterfragt und sich überlegt: Brauche ich denn immer das beste Produkt in dem Sinne, dass es keine Fehler hat oder keine sichtbaren Makel? Bei uns Menschen ist schließlich auch niemand perfekt.
In eurem Online-Shop findet man auch Lebensmittel, die regulär nicht mehr verkauft werden. Wieso verkauft ihr diese Produkte und warum sollte ich sie kaufen? Könnte es schädlich für mich sein, diese Lebensmittel noch zu konsumieren?
Gerade in der Lebensmittelindustrie ist es ja wirklich immens, was an Ware weggeworfen wird. Das können Produkte sein, die schon über dem Mindesthaltbarkeitsdatum sind, aber ganz oft sind es auch solche, die einfach knapp davorstehen. Schon die sind nicht mehr verkäuflich. Ich überlege dann immer: Wie ist es denn für die Firmen, die die Sachen herstellen? Sie haben schließlich viel an Kapital und Ressourcen reingesteckt, um die Sachen zu produzieren. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist nur ein Richtwert dafür, wie lange ein Produkt mindestens als haltbar angesehen wird, vor allem in Hinblick auf Konsistenz, Farbe und Geruch. Es ist kein Verfallsdatum. Für mich ist es ein wichtiges Thema, dafür zu sensibilisieren, dass man so etwas mit dem eigenen Menschenverstand prüfen kann. Zum Beispiel indem man das Lebensmittel probiert, bevor man es in den Müll schmeißt.
Wie geht’s nun richtig?
Das Thema Nachhaltigkeit ist und bleibt komplex. Es beinhaltet viele Dimensionen, die für uns vielleicht nicht in erster Linie sichtbar sind. Wichtig ist es, nicht gleich aufzugeben, wenn man sie nicht alle durchblickt. Wir befinden uns in einem ständigen Lernprozess. Wir können uns aber immer um nachhaltiges Denken und Handeln bemühen und das tun, was gerade im Rahmen unserer Möglichkeiten steht. Das eigene Verhalten stetig zu reflektieren, ist ein weiterer wertvoller Schritt, der uns lernen lässt. Vielleicht ist es gerade der perfekte Weg, uns ein wenig Unperfektheit zu erlauben.
Text: Anna Griebel
Fotos: Mit Ecken und Kanten (https://miteckenundkanten.com)