Ich habe eine große Lei­den­schaft: das Kino. Ich bin wohl das, was man einen echt­en Cineas­t­en nen­nen kön­nte. Let­ztes Jahr führte mich mein Weg 48 Mal dor­thin. Doch so sehr ich es liebe — immer öfter lassen mich Kinobe­suche, Entwick­lun­gen in der Filmwelt und weite Teile des Pub­likums frus­tri­ert zurück. Hier kommt mein Liebes­brief an das Kino. 

Der Status Quo 

Die Zahl verkaufter Kinotick­ets war in Deutsch­land seit Mitte der 1970er erstaunlich kon­stant: fast fün­fzig Jahre lang pen­del­ten sich diese jährlich etwa zwis­chen 105 und 140 Mil­lio­nen ein. Dann kam die Covid-Pan­demie. Die Kinos mussten schließen oder durften nur eine geringe Zahl von Sitz­plätzen mit genü­gend Sicher­heitsab­stand zueinan­der vergeben. Im let­zten Jahr fie­len viele Sicher­heits­maß­nah­men weg, es war eine Rück­kehr zur „Nor­mal­ität“ und in den Kinos liefen viele Filme, deren Starts auf­grund der Pan­demie ver­schoben wur­den. Nur die Besucher:innen blieben aus. Ger­ade ein­mal 78 Mil­lio­nen Tick­ets wur­den im let­zten Jahr verkauft. Grob gesagt ist das ein Rück­gang um etwa 30% im Ver­gle­ich zu der Zeit vor der Pan­demie. Die Kinos sind da, die Filme sind da, aber wo sind die Menschen? 

Die Gründe für fehlende Besucher:innen sind natür­lich vielfältig. Nicht alle haben das Sicher­heits­ge­fühl wieder­erlangt, sich unter vie­len Leuten zu bewe­gen. Andere wis­sen schlicht nicht, was momen­tan läuft, weil sie neue Trail­er eben im Kino sahen, also dort, wo viele während der Pan­demie nicht waren. Ein Argu­ment ist natür­lich auch die indi­vidu­elle finanzielle Sit­u­a­tion, die sich für Teile der Bevölkerung in den let­zten Jahren ver­schlechtert hat. 

Doch wenn ich mir anschaue, was den Film in der let­zten Zeit am deut­lich­sten geprägt hat, dann komme ich auf einen Trend, der zwar durch die Pan­demie noch ein­mal unter­mauert wurde, aber zuvor schon inner­halb weniger Jahre ein Gamechang­er für die gesamte Unter­hal­tungsin­dus­trie wurde: Streamingangebote. 

Der Siegeszug des Streamings 

Ja, das Kino wurde schon oft auf­grund ähn­lich­er Entwick­lun­gen tot­ge­sagt: mit der Etablierung von pri­vat­en Fernse­hern, mit der Erfind­ung von Videokas­set­ten und DVDs und eben jet­zt mit der Ver­bre­itung von Streaminganbietern. 

Durch Net­flix und Co. ist die Zahl der Möglichkeit­en schlicht end­los, während gle­ichzeit­ig durch Algo­rith­men und der zeitlichen Flex­i­bil­ität das Ange­bot so indi­vidu­ell ist wie nie zuvor. Und dann ist das Ganze noch bequem von zuhause aus erleb­bar, wo man mit Jog­ging­hose und Chips auf der Couch lüm­meln kann. Es ist prak­tisch, es ist bequem und ein Monatsabo kostet so viel wie ein bis zwei Kinotick­ets. Warum also noch das Haus verlassen? 

Eine Stärke des Kinos war immer seine Exk­lu­siv­ität. Selb­st wenn Filme später ein­mal im TV liefen oder als Kas­sette ver­füg­bar waren, so geschah das doch immer mit zeitlichem Ver­satz. Dieser hat­te sich etwa bei sechs bis neun Monat­en für Home-Enter­tain­ment-Medi­en und zwölf bis 24 Monat­en für das lin­eare Fernse­hen eingepen­delt. Mit dem Aufkom­men von dig­i­tal­en Streams und den dazuge­höri­gen Dien­sten waren Filme auch immer schneller in den eige­nen vier Wän­den ver­füg­bar. Manche Filme launcht Dis­ney heute sechs oder acht Wochen nach Kinos­tart auf seinem Stream­ing­di­enst. Mit „Trolls 2 — Trolls World Tour“ wurde 2020 zum ersten Mal ein Film gle­ichzeit­ig im Kino und als VoD released. 

Die Stream­ing­di­en­ste sind ein wichtiger Aspekt bei der Frage, wie sich das Sehver­hal­ten in den let­zten Jahren verän­dert hat. Binge-watchen, Pause drück­en, wenn man mal auf die Toi­lette muss oder der Piz­z­abote klin­gelt — das alles geht jet­zt immer, nicht nur bei den Fil­men und Serien, die man auf Blu-Ray hat. Die Bere­itschaft, sich in einen großen dun­klen Raum zu set­zten, in dem das nicht möglich ist, scheint da für einige doch recht unattraktiv. 

Die end­lose Ver­füg­barkeit sorgt auch dafür, dass viele Men­schen Filme schauen, während sie etwa putzen oder Wäsche aufhän­gen. Keine Frage, das gab es auch vor Stream­ing­di­en­sten, aber wie viele von euch haben dafür extra eine DVD eingeschoben? Das Fernseh­pro­gramm wiederum ist auf den meis­ten Sendern so getak­tet, dass For­mate, die weniger Fokus vom Pub­likum ver­lan­gen, auf den Tag gelegt wer­den, während die großen Filme und Serien am Abend laufen, wo deut­lich mehr Men­schen sich auf ihr Sofa set­zen, um aktiv fernzusehen. 

Durch Stream­ing­di­en­ste aber wer­den Pro­duk­tio­nen, deren Geschicht­en Konzen­tra­tion ver­lan­gen und ver­di­enen, in den Köpfen viel­er gle­ichge­set­zt mit „leichter Kost“. Da ste­ht das neueste Trash-For­mat gle­ich­w­er­tig neben dem hochkaräti­gen Klas­sik­er – und wird vom Pub­likum auch so behan­delt. Die Streamin­gan­bi­eter unter­stützen diesen Prozess der Gle­ich­schal­tung, indem ein nicht geringer Teil ihrer Eigen­pro­duk­tio­nen genau solche leichte Kost ist, die dann aber als große High­lights ver­mark­tet wer­den. “Das war teuer, da sind Stars drin, das ist gut.”. Mit „The Grey Man“ und „Red Notice“ hat Net­flix erst zwei riesige Pro­duk­tio­nen mit Bud­gets im dreis­tel­li­gen Mil­lio­nen­bere­ich veröf­fentlicht, die filmisch aber kom­plett schwach und unbe­deu­tend sind. Da ver­passt man nichts, wenn man zwis­chen­durch für zehn Minuten auf das Handy star­rt — sie laden sog­ar regel­recht dazu ein. So erzieht man sys­tem­a­tisch sein Pub­likum um. 

Euer Tellerrand 

Bei all den Abo­mod­ellen für Filme und Serien und auch Musik frage ich mich ohne­hin immer mehr: wie viel Wert hat noch das einzelne Stück Kun­st? Wenn ich begeis­tert von einem Film erzäh­le, mein Gegenüber mich fragt, wo der denn ver­füg­bar sei, und ich antworte, ich habe mir den auf DVD besorgt oder online gegen eine Gebühr aus­geliehen, dann weiß ich in der Regel: diese Per­son wird diesen Film nie schauen. Ich habe oft das Gefühl, für viele endet ihre Medi­en­welt inzwis­chen an den Gren­zen ihrer Stream­ingzugänge. Eine Extrameile für einen einzel­nen Film zu gehen, das scheint immer schw­er­er nachvol­lziehbar zu sein. Wenn ich erk­läre, ich habe eine DVD, die ich mir per Mail beim Pro­duzen­ten des Films per­sön­lich bestellen musste, dann bekomme ich Blicke, als sei ich ein ver­we­gen­er Aben­teur­er, der von seinen Erleb­nis­sen im mala­y­sis­chen Dschun­gel berichtet. Streaminga­bos haben die Ten­denz, aus den einzel­nen Werken — den guten, den meis­ter­haften, den schwachen — einen gedanklichen Ein­heits­brei zu machen. “Die eine Serie war jet­zt gut, aber hey, fan­gen wir gle­ich mit ein­er neuen an!” Und alles, was außer­halb des Abos liegt, scheint auch außer­halb jed­er Reich­weite zu sein. 

Doch nein, ich has­se Stream­ing­di­en­ste nicht. Für viele gute Pro­duk­tion sind sie die let­zte Ret­tung, denn das Kino wiederum ver­liert sich momen­tan immer mehr in Mut- und Kreativlosigkeit. 

Fanservice aka Der Tod der visionären Kunst 

Wisst ihr, was das Kino­jahr 2022 so beson­ders gemacht hat? Zum ersten Mal seit 2014 waren mit „Top Gun: Mav­er­ick“ und „Avatar – The Way of Water“ die zwei erfol­gre­ich­sten Filme des Jahres wed­er eine Mar­vel- noch eine Star Wars-Pro­duk­tion. Aber trotz­dem sind bei­de Teil dessen, was die heutige Kinoland­schaft gnaden­los dominiert: Franchises. 

Pre­quels, Sequels, Remakes – der Film- und Serien­markt wird ertränkt von ihnen. Ob nun Buch‑, Comic‑, Game- oder filmis­che Vor­lage, alles wird ver­w­ertet und aus­geschlachtet. Inzwis­chen ver­suchen Pro­duk­tions­fir­men vor allem Fran­chis­es aufzubauen, keine abgeschlosse­nen einzel­nen Geschicht­en wer­den erzählt, son­dern die Hand­lun­gen wer­den so gewählt, dass man sie so beliebig und hanebüchen aus­bre­it­en kann, wie sie Geld abw­er­fen. Als Gegen­spiel­er für den zehn­ten „Fast and the Furios“-Teil haben sie den Sohn eines toten Antag­o­nis­ten aus Teil fünf herange­holt, der vorher nie Erwäh­nung fand. Für Sto­ries, die eigentlich als abgeschlossen gal­ten, lässt man sich im Zweifel was ein­fall­en, um ein Sequel dranzuhän­gen oder man erzählt halt eine Vorgeschichte. Die Kassen klin­geln. Aber­mil­lio­nen schauen diese Sachen. Mich hinge­gen machen sie meist ein­fach nur müde. 

Die Kaufkraft der Liebe 

Ich ver­ste­he, warum man sich freut. Auch ich liebe “Der Herr der Ringe” oder die orig­i­nale “Star Wars”-Trilogie. Diese Wel­ten und diese Geschicht­en haben einen beson­deren Platz in meinem Herzen und die Sehn­sucht, an diese Orte und zu diesen Fig­uren zurück­zukehren, kann ich sehr gut nachvol­lziehen. Ihnen scheint ein Stück Magie innezu­wohnen. Von dieser Sehn­sucht wis­sen die Pro­duk­tion­sstu­dios. Also nehmen sie Geld in die Hand und schus­tern aus den alten Sachen neue Pro­duk­te zusam­men. Die Sehn­sucht treibt die Leute in die Kinos und zu den Streams, die Stu­dios machen Gewinn und leg­en nach. Nur eins fehlt die meiste Zeit: die Magie. So vie­len Sto­ries fehlt die Liebe, die Stu­dios sind sel­ten an kün­st­lerischen Visio­nen der Macher:innen inter­essiert, ihnen geht es haupt­säch­lich darum, mehr Prof­it zu gener­ieren. Ich kenne viele Fans, die von neuen Exkursen in ihre geliebten Wel­ten ent­täuscht sind, aber in der Hoff­nung, das alte Gefühl von früher wieder ein­fan­gen zu kön­nen, schauen sie auch das näch­ste über­flüs­sige Sequel. Oder sie guck­en es, weil sie am Ende doch das ganze ver­füg­bare Uni­ver­sum ken­nen wollen, auch wenn diese Erfahrun­gen immer mehr von Miss­mut geprägt sind. 

Die Liebe zu alten Aben­teuern wird aus­genutzt, um Neues zu verkaufen. Also nicht, dass es zwangsläu­fig etwas Neues zu erzählen gäbe, „aber hey, da fliegt der Spi­der­man mein­er Kind­heit und der Spi­der­man mein­er Jugend mit dem neuen Spi­der­man rum, das lässt mich an meine Kind­heit und Jugend denken, toll!“. Filme und Serien ver­lieren sich zunehmend in Selb­stre­f­eren­zen, aber bieten sel­ten neue Aspek­te, die liebenswert sind. 

Nein, nicht alle diese Sachen sind schlecht; „House of the Drag­on“, “Andor” oder der neue “The Bat­man” zum Beispiel sind großar­tig. Aber die meis­ten sind doch reich­lich egal und her­z­los. Sie sind Con­tent, keine Kunst. 

Der berühmte Disney-Zauber 

Auf dieses Geschäft ver­ste­ht sich übri­gens nie­mand so gut wie die Walt Dis­ney Com­pa­ny. Mit dem MCU, dem Star Wars-Fran­chise und den Remakes ihrer Klas­sik­er dominieren sie die Film­land­schaft wie kein anderes Stu­dio. Tat­säch­lich ist Dis­ney inzwis­chen ein solch­er Gigant, dass sie den Film­markt regel­recht kaputt machen. So fordert Dis­ney von den Kinos höhere Gewinn­beteili­gun­gen als üblich. Sie erpressen die Kinos qua­si, denn die sind oft auf die Besucher:innen der Dis­ney-Pro­duk­tio­nen angewiesen. Damit die Kinos trotz­dem Gewinn machen, müssen viele Säle für die Filme von Dis­ney ges­per­rt wer­den, die son­st anderen Fil­men zur Ver­fü­gung ste­hen wür­den. Die Kinos haben wenig davon, das Pub­likum bekommt seinen näch­sten durch­schnit­tlichen Teil von etwas, was sie früher mocht­en, vorge­set­zt — und am Ende gewin­nt Disney. 

Dieser Sequel-Pre­quel-Remake-Trend sorgt vor allem für eins: Orig­inelle Stoffe haben immer weniger Chan­cen – vor allem im Kino. Die Sehge­wohn­heit­en sind auf dra­matur­gis­chen Ein­heits­brei getrimmt und Geschicht­en, die die Dinge anders machen, wer­den kaum geguckt und damit kaum finanziert. Wer ins Kino geht, will auch, dass das let­zte Drit­tel eine große CGI-Schlacht ist. 

Die Block­buster (Filme, die etwa ein Bud­get >80 Mil­lio­nen US-Dol­lar haben), die nicht Teil dieses Trends sind, wer­den — wenn sie noch gemacht wer­den — kaum gese­hen. Oder wer von euch hat Rid­ley Scotts großar­ti­gen „The Last Duel“ von 2021 geschaut? Wenig­stens davon gehört? Große Empfehlung, wenn auch mit richti­gen Schw­ert­ern statt mit com­put­era­n­imierten Blitzen! 

Die goldene Mitte 

Wie gesagt, die meis­ten Block­buster laufen noch im Kino – sie sind halt fast immer Teil eines Fran­chis­es. Indiepro­duk­tio­nen wer­den eben­so fleißig gedreht, auch wenn viele von euch da kaum was mitkriegen, aber allein das Stu­dio A24 und sein Gespür für Stoffe sind ein Geschenk für jede:n Cineast:in. Doch wo sind die Mid-Budget-Filme? 

Mid-Bud­get-Pro­duk­tio­nen — das sind Filme, die etwa 10 bis 80 Mil­lio­nen US-Dol­lar in der Pro­duk­tion kosten. Früher wur­den diese eben­falls oft von großen Stu­dios finanziert, aber da die Kosten für die Fran­chise-Block­buster explodieren und das bre­ite Pub­likum an diese Art von Film gewöh­nt wurde, kriegen Mid-Bud­get-Pro­jek­te immer sel­tener eine Finanzierung. Der Fokus des bre­it­en Pub­likums auf bekan­nte Marken macht außer­dem jeden Film außer­halb ein­er Rei­he zu einem immer größeren wirtschaftlichen Risiko. Der Film­markt hat seinen Kund:innen das Inter­esse an orig­inellen Stof­fen ja regel­recht abtrainiert. Geschicht­en wie „For­rest Gump“, „Kevin – Allein zu Haus“ oder “Fight Club” hät­ten in der heuti­gen Zeit kaum eine Chance. 

Zudem mussten sich Filme bis vor weni­gen Jahren auch nicht nur über das Kino finanzieren. Ger­ade Mid-Bud­get-Pro­duk­tio­nen spiel­ten ihre Kosten vor allem auch über physis­che Daten­träger ein. Der Videokassetten‑, DVD- und Blu-ray-Markt hat solche Filme in der Ver­gan­gen­heit für die Stu­dios rentabel gemacht, während das bei Lizen­zge­bühren von anderen oder Ein­nah­men mit dem eige­nen Stream­ing­di­enst nicht mehr der Fall ist. 

“You try to go to a pro­duc­er today and say you want to make a film that hasn’t been made before; they will throw you out because they want the same film that works, that makes mon­ey.” sagte 2011 mit Fran­cis Ford Cop­po­la ein­er der bedeu­tend­sten Filmemacher:innen der Geschichte. Damit ein­herge­hend sind es in erster Lin­ie auf­strebende Frauen, BIPoCs und junge Men­schen, denen viele Chan­cen ver­wehrt bleiben. Mid-Bud­get-Pro­duk­tio­nen sind vor allem für Film­schaf­fende hin­ter der Kam­era nach den ersten gelobten Indiepro­jek­ten der näch­ste Schritt auf der Kar­ri­ereleit­er. Während in den let­zten Jahrzehn­ten durch gesellschaftlichen Wan­del immer mehr Räume für mar­gin­al­isierte Grup­pen erkämpft wur­den – vor allem auch Macht­po­si­tio­nen – ste­ht ihnen die Filmwelt, wie sie heute funk­tion­iert, im Weg. 

Wie soll diese sich über­haupt entwick­eln, wenn selb­st große Namen wie Mar­tin Scors­ese oder Spike Lee ihre Pro­jek­te nicht mehr über die etablierten Stu­dios finanziert bekom­men? Die haben zumin­d­est eine Lösung für das Prob­lem, sie gehen zu den Streamingdiensten! 

Ein Rennen im Kreis 

Lee hat seinen let­zten Film „Da 5 Bloods“ — eine klas­sis­che Mid-Bud­get-Pro­duk­tion — über Net­flix pro­duziert. Scors­ese hat die etwa 200 Mil­lio­nen US-Dol­lar für sein Gang­ster-Epos „The Irish­man“ eben­falls von Net­flix bekom­men, während sein neuer Film “Killers of the Flower Moon” von Apple TV+ finanziert wurde. Wenn selb­st jene, die das Kino als Kun­st­form leben und zele­bri­eren, wie kaum andere es tun, ihre Filme über Streamin­gan­bi­eter pro­duzieren, was sagt das über das heutige Kino aus? 

Hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Stream­ing­di­en­ste haben einen großen Anteil daran, dass die Kinow­elt Angst um ihre Exis­tenz hat. Die Stu­dios sind weniger risikobere­it und schaf­fen einen Film­markt, der sich haupt­säch­lich über Fran­chis­es finanziert. Das bre­ite Pub­likum übern­immt diesen Fokus auf große Marken und lässt andere Geschicht­en zuse­hends links liegen. So wer­den die Stu­dios noch ängstlich­er, was Investi­tio­nen in neuar­tige Stoffe ange­ht. Die Stream­ing­di­en­ste wiederum, die als Abo­pro­duk­te weniger abhängig von den Erfol­gen einzel­ner Filme sind, finanzieren jet­zt Sto­ries, die so nicht mehr für das Kino gemacht werden. 

Gute Dinge brauchen Zeit, schlechte Dinge brauchen Hype 

Man kön­nte jet­zt meinen: das ist ärg­er­lich für das For­mat Kino, aber die guten Filme sind ja noch da. Sind sie. Zumin­d­est, wenn die Algo­rith­men sie mit einem matchen und — wenn das der Fall ist — sie auch wirk­lich GESCHAUT wer­den. Das Prob­lem ist das Sehver­hal­ten des Pub­likums. Denn wie gesagt, im Kino erwartet es Fran­chis­es und zuhause verkommt jed­er Film und jede Serie gle­icher­maßen und undif­feren­ziert zu ein­er Nebenbeschäf­ti­gung, während man kocht oder ins Handy schaut. Die Räume für orig­inelle Stoffe sind nicht mehr da, weil die Mehrheit ihnen keinen Platz mehr in ihrem Leben einräumen. 

Warum sollte man noch ins Kino gehen, wenn man Filme zuhause sehen kann? Ok, warum noch Konz­erte besuchen, ich höre ja auch Musik auf dem Weg zur Kaufhalle. Der Unter­schied: Musik auf den Kopfhör­ern ist eine Ecke in meinem All­t­ag, die ich der Musik freis­chaufele, während um mich herum noch ein Dutzend andere Dinge passieren. Gehe ich auf ein Konz­ert, betrete ich einen Raum, der extra für Musik geschaf­fen wurde. Es ist eine bewusste Entschei­dung, meine näch­sten zwei Stun­den dem Erleb­nis Musik zu wid­men. Genau­so funk­tion­iert Kino. Der Soundsys­tem, die Dunkel­heit, die große Lein­wand – das alles ist gemacht, damit ich mich dem For­mat Film voll und ganz wid­men kann. Und Film hat das dur­chaus verdient. 

Es ist die kom­plex­este Kun­st­form, die wir je geschaf­fen haben. Dutzende Gew­erke greifen ineinan­der, meist arbeit­en hun­derte oder gar über tausend Men­schen an einem einzel­nen Pro­jekt. Und wenn alles stimmt, wenn all diese Men­schen richtig gut gear­beit­et haben, dann kann man in einem dun­klen Saal ein kleines Stück Magie erleben. Aber das geht nicht, wenn man zwis­chen­durch eine What­sApp-Nachricht ver­schickt. Das geht auch nicht, wenn sich Showrunner:innen wie am Fließband neue großar­tige kreative Sto­ries aus den Fin­gern saugen müssen, die den Vorgänger-Teilen gerecht wer­den und an sie anknüpfen, aber auch immer etwas Neues erzählen und gle­ichzeit­ig vier weit­ere Sequels vorbereiten. 

Es gibt so viele fan­tastis­che Geschicht­en da draußen, die euch in den Bann ziehen wer­den, die Dinge anders machen, die ihren eige­nen Weg gehen. Ich freue mich zum Beispiel momen­tan wahnsin­nig über den Erfolg von „Every­thing Every­where All at Once“, der bei den diesjähri­gen Oscars sechs Preise gewin­nen kon­nte. Die Begeis­terung, die diesem Film ent­ge­gen­schwappt, ist für mich ein Beweis, dass Viele Lust auf neue und ihnen unbekan­nte Geschicht­en haben. Den meis­ten ist nur nicht klar, dass es vor allem sie selb­st sind, die sich den Zugang dazu verwehren. 

Appell eines Cineasten 

Ich liebe Kino und ich liebe es, von Fil­men über­rascht, mit­geris­sen und begeis­tert zu wer­den. Das wird mir jedoch immer mehr ver­wehrt; Durch ein bre­ites Pub­likum mit Scheuk­lap­pen, das zuse­hends ver­lernt, die Filmkun­st und all seine Wege, Geschicht­en zu erzählen, zu schätzen, und einem Film­markt, der eben­jenes Pub­likum bedient. 

Deshalb mein Appell an euch: geht öfter ins Kino. Aber braucht ihr wirk­lich das drölfzig­ste Live-Action-Remake eines Dis­neyk­las­sik­ers zu sehen, das euch eh nie so verza­ubern wird wie das Orig­i­nal aus eur­er Kind­heit? Schaut ins Pro­gramm der kleineren Kinos, in Halle sind wir mit Zazie, Puschki­no und Luchs richtig ver­wöh­nt, was das ange­ht. Legt beim Guck­en das Handy weg, vor allem, wenn ihr im Kino seid. Wenn wir schon dabei sind: lasst da auch die Chip­stüte zuhause und bitte hört auf, während des Filmes zu quatschen. 

Gebt Fil­men, von denen ihr noch nie gehört habt, eine Chance. Es gibt auch weitaus mehr Film­schmieden als Hol­ly­wood. Wenn ihr auf der Suche nach neuen Sachen seid: auf YouTube gibt es tolle Reviewkanäle wie BeHaind, Robert Hof­mann oder Cin­e­ma Strikes Back. Mit werstreamt.es kön­nt ihr gezielt nach der Online-Ver­füg­barkeit einzel­ner Filme schauen, mit Let­ter­boxd habt ihr eine App, in der ihr euch auf einen Blick die Mei­n­ung von tausenden von User.innen ein­holen kön­nt oder mit zwei Klicks auch von anderen tollen Fil­men erfahrt, die die Regis­seurin gemacht hat, deren Arbeit euch eben erst so begeis­tert hat. 

Schafft Fil­men und auch Serien bewusst Raum in eurem Leben — in ein­er Welt, die eh ständig alle Sinne über­flutet, wie gut kann es da tun, sich mal für zwei Stun­den nur ein­er Sache hinzugeben. Es lohnt sich, ver­sprochen! Denn wenn man guten Geschicht­en seine volle Aufmerk­samkeit schenkt, wird die ein oder andere auch beschließen, zu bleiben. 

Ron­ja Hähnlein

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