Ich habe eine große Leidenschaft: das Kino. Ich bin wohl das, was man einen echten Cineasten nennen könnte. Letztes Jahr führte mich mein Weg 48 Mal dorthin. Doch so sehr ich es liebe — immer öfter lassen mich Kinobesuche, Entwicklungen in der Filmwelt und weite Teile des Publikums frustriert zurück. Hier kommt mein Liebesbrief an das Kino.
Der Status Quo
Die Zahl verkaufter Kinotickets war in Deutschland seit Mitte der 1970er erstaunlich konstant: fast fünfzig Jahre lang pendelten sich diese jährlich etwa zwischen 105 und 140 Millionen ein. Dann kam die Covid-Pandemie. Die Kinos mussten schließen oder durften nur eine geringe Zahl von Sitzplätzen mit genügend Sicherheitsabstand zueinander vergeben. Im letzten Jahr fielen viele Sicherheitsmaßnahmen weg, es war eine Rückkehr zur „Normalität“ und in den Kinos liefen viele Filme, deren Starts aufgrund der Pandemie verschoben wurden. Nur die Besucher:innen blieben aus. Gerade einmal 78 Millionen Tickets wurden im letzten Jahr verkauft. Grob gesagt ist das ein Rückgang um etwa 30% im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie. Die Kinos sind da, die Filme sind da, aber wo sind die Menschen?
Die Gründe für fehlende Besucher:innen sind natürlich vielfältig. Nicht alle haben das Sicherheitsgefühl wiedererlangt, sich unter vielen Leuten zu bewegen. Andere wissen schlicht nicht, was momentan läuft, weil sie neue Trailer eben im Kino sahen, also dort, wo viele während der Pandemie nicht waren. Ein Argument ist natürlich auch die individuelle finanzielle Situation, die sich für Teile der Bevölkerung in den letzten Jahren verschlechtert hat.
Doch wenn ich mir anschaue, was den Film in der letzten Zeit am deutlichsten geprägt hat, dann komme ich auf einen Trend, der zwar durch die Pandemie noch einmal untermauert wurde, aber zuvor schon innerhalb weniger Jahre ein Gamechanger für die gesamte Unterhaltungsindustrie wurde: Streamingangebote.
Der Siegeszug des Streamings
Ja, das Kino wurde schon oft aufgrund ähnlicher Entwicklungen totgesagt: mit der Etablierung von privaten Fernsehern, mit der Erfindung von Videokassetten und DVDs und eben jetzt mit der Verbreitung von Streaminganbietern.
Durch Netflix und Co. ist die Zahl der Möglichkeiten schlicht endlos, während gleichzeitig durch Algorithmen und der zeitlichen Flexibilität das Angebot so individuell ist wie nie zuvor. Und dann ist das Ganze noch bequem von zuhause aus erlebbar, wo man mit Jogginghose und Chips auf der Couch lümmeln kann. Es ist praktisch, es ist bequem und ein Monatsabo kostet so viel wie ein bis zwei Kinotickets. Warum also noch das Haus verlassen?
Eine Stärke des Kinos war immer seine Exklusivität. Selbst wenn Filme später einmal im TV liefen oder als Kassette verfügbar waren, so geschah das doch immer mit zeitlichem Versatz. Dieser hatte sich etwa bei sechs bis neun Monaten für Home-Entertainment-Medien und zwölf bis 24 Monaten für das lineare Fernsehen eingependelt. Mit dem Aufkommen von digitalen Streams und den dazugehörigen Diensten waren Filme auch immer schneller in den eigenen vier Wänden verfügbar. Manche Filme launcht Disney heute sechs oder acht Wochen nach Kinostart auf seinem Streamingdienst. Mit „Trolls 2 — Trolls World Tour“ wurde 2020 zum ersten Mal ein Film gleichzeitig im Kino und als VoD released.
Die Streamingdienste sind ein wichtiger Aspekt bei der Frage, wie sich das Sehverhalten in den letzten Jahren verändert hat. Binge-watchen, Pause drücken, wenn man mal auf die Toilette muss oder der Pizzabote klingelt — das alles geht jetzt immer, nicht nur bei den Filmen und Serien, die man auf Blu-Ray hat. Die Bereitschaft, sich in einen großen dunklen Raum zu setzten, in dem das nicht möglich ist, scheint da für einige doch recht unattraktiv.
Die endlose Verfügbarkeit sorgt auch dafür, dass viele Menschen Filme schauen, während sie etwa putzen oder Wäsche aufhängen. Keine Frage, das gab es auch vor Streamingdiensten, aber wie viele von euch haben dafür extra eine DVD eingeschoben? Das Fernsehprogramm wiederum ist auf den meisten Sendern so getaktet, dass Formate, die weniger Fokus vom Publikum verlangen, auf den Tag gelegt werden, während die großen Filme und Serien am Abend laufen, wo deutlich mehr Menschen sich auf ihr Sofa setzen, um aktiv fernzusehen.
Durch Streamingdienste aber werden Produktionen, deren Geschichten Konzentration verlangen und verdienen, in den Köpfen vieler gleichgesetzt mit „leichter Kost“. Da steht das neueste Trash-Format gleichwertig neben dem hochkarätigen Klassiker – und wird vom Publikum auch so behandelt. Die Streaminganbieter unterstützen diesen Prozess der Gleichschaltung, indem ein nicht geringer Teil ihrer Eigenproduktionen genau solche leichte Kost ist, die dann aber als große Highlights vermarktet werden. “Das war teuer, da sind Stars drin, das ist gut.”. Mit „The Grey Man“ und „Red Notice“ hat Netflix erst zwei riesige Produktionen mit Budgets im dreistelligen Millionenbereich veröffentlicht, die filmisch aber komplett schwach und unbedeutend sind. Da verpasst man nichts, wenn man zwischendurch für zehn Minuten auf das Handy starrt — sie laden sogar regelrecht dazu ein. So erzieht man systematisch sein Publikum um.
Euer Tellerrand
Bei all den Abomodellen für Filme und Serien und auch Musik frage ich mich ohnehin immer mehr: wie viel Wert hat noch das einzelne Stück Kunst? Wenn ich begeistert von einem Film erzähle, mein Gegenüber mich fragt, wo der denn verfügbar sei, und ich antworte, ich habe mir den auf DVD besorgt oder online gegen eine Gebühr ausgeliehen, dann weiß ich in der Regel: diese Person wird diesen Film nie schauen. Ich habe oft das Gefühl, für viele endet ihre Medienwelt inzwischen an den Grenzen ihrer Streamingzugänge. Eine Extrameile für einen einzelnen Film zu gehen, das scheint immer schwerer nachvollziehbar zu sein. Wenn ich erkläre, ich habe eine DVD, die ich mir per Mail beim Produzenten des Films persönlich bestellen musste, dann bekomme ich Blicke, als sei ich ein verwegener Abenteurer, der von seinen Erlebnissen im malaysischen Dschungel berichtet. Streamingabos haben die Tendenz, aus den einzelnen Werken — den guten, den meisterhaften, den schwachen — einen gedanklichen Einheitsbrei zu machen. “Die eine Serie war jetzt gut, aber hey, fangen wir gleich mit einer neuen an!” Und alles, was außerhalb des Abos liegt, scheint auch außerhalb jeder Reichweite zu sein.
Doch nein, ich hasse Streamingdienste nicht. Für viele gute Produktion sind sie die letzte Rettung, denn das Kino wiederum verliert sich momentan immer mehr in Mut- und Kreativlosigkeit.
Fanservice aka Der Tod der visionären Kunst
Wisst ihr, was das Kinojahr 2022 so besonders gemacht hat? Zum ersten Mal seit 2014 waren mit „Top Gun: Maverick“ und „Avatar – The Way of Water“ die zwei erfolgreichsten Filme des Jahres weder eine Marvel- noch eine Star Wars-Produktion. Aber trotzdem sind beide Teil dessen, was die heutige Kinolandschaft gnadenlos dominiert: Franchises.
Prequels, Sequels, Remakes – der Film- und Serienmarkt wird ertränkt von ihnen. Ob nun Buch‑, Comic‑, Game- oder filmische Vorlage, alles wird verwertet und ausgeschlachtet. Inzwischen versuchen Produktionsfirmen vor allem Franchises aufzubauen, keine abgeschlossenen einzelnen Geschichten werden erzählt, sondern die Handlungen werden so gewählt, dass man sie so beliebig und hanebüchen ausbreiten kann, wie sie Geld abwerfen. Als Gegenspieler für den zehnten „Fast and the Furios“-Teil haben sie den Sohn eines toten Antagonisten aus Teil fünf herangeholt, der vorher nie Erwähnung fand. Für Stories, die eigentlich als abgeschlossen galten, lässt man sich im Zweifel was einfallen, um ein Sequel dranzuhängen oder man erzählt halt eine Vorgeschichte. Die Kassen klingeln. Abermillionen schauen diese Sachen. Mich hingegen machen sie meist einfach nur müde.
Die Kaufkraft der Liebe
Ich verstehe, warum man sich freut. Auch ich liebe “Der Herr der Ringe” oder die originale “Star Wars”-Trilogie. Diese Welten und diese Geschichten haben einen besonderen Platz in meinem Herzen und die Sehnsucht, an diese Orte und zu diesen Figuren zurückzukehren, kann ich sehr gut nachvollziehen. Ihnen scheint ein Stück Magie innezuwohnen. Von dieser Sehnsucht wissen die Produktionsstudios. Also nehmen sie Geld in die Hand und schustern aus den alten Sachen neue Produkte zusammen. Die Sehnsucht treibt die Leute in die Kinos und zu den Streams, die Studios machen Gewinn und legen nach. Nur eins fehlt die meiste Zeit: die Magie. So vielen Stories fehlt die Liebe, die Studios sind selten an künstlerischen Visionen der Macher:innen interessiert, ihnen geht es hauptsächlich darum, mehr Profit zu generieren. Ich kenne viele Fans, die von neuen Exkursen in ihre geliebten Welten enttäuscht sind, aber in der Hoffnung, das alte Gefühl von früher wieder einfangen zu können, schauen sie auch das nächste überflüssige Sequel. Oder sie gucken es, weil sie am Ende doch das ganze verfügbare Universum kennen wollen, auch wenn diese Erfahrungen immer mehr von Missmut geprägt sind.
Die Liebe zu alten Abenteuern wird ausgenutzt, um Neues zu verkaufen. Also nicht, dass es zwangsläufig etwas Neues zu erzählen gäbe, „aber hey, da fliegt der Spiderman meiner Kindheit und der Spiderman meiner Jugend mit dem neuen Spiderman rum, das lässt mich an meine Kindheit und Jugend denken, toll!“. Filme und Serien verlieren sich zunehmend in Selbstreferenzen, aber bieten selten neue Aspekte, die liebenswert sind.
Nein, nicht alle diese Sachen sind schlecht; „House of the Dragon“, “Andor” oder der neue “The Batman” zum Beispiel sind großartig. Aber die meisten sind doch reichlich egal und herzlos. Sie sind Content, keine Kunst.
Der berühmte Disney-Zauber
Auf dieses Geschäft versteht sich übrigens niemand so gut wie die Walt Disney Company. Mit dem MCU, dem Star Wars-Franchise und den Remakes ihrer Klassiker dominieren sie die Filmlandschaft wie kein anderes Studio. Tatsächlich ist Disney inzwischen ein solcher Gigant, dass sie den Filmmarkt regelrecht kaputt machen. So fordert Disney von den Kinos höhere Gewinnbeteiligungen als üblich. Sie erpressen die Kinos quasi, denn die sind oft auf die Besucher:innen der Disney-Produktionen angewiesen. Damit die Kinos trotzdem Gewinn machen, müssen viele Säle für die Filme von Disney gesperrt werden, die sonst anderen Filmen zur Verfügung stehen würden. Die Kinos haben wenig davon, das Publikum bekommt seinen nächsten durchschnittlichen Teil von etwas, was sie früher mochten, vorgesetzt — und am Ende gewinnt Disney.
Dieser Sequel-Prequel-Remake-Trend sorgt vor allem für eins: Originelle Stoffe haben immer weniger Chancen – vor allem im Kino. Die Sehgewohnheiten sind auf dramaturgischen Einheitsbrei getrimmt und Geschichten, die die Dinge anders machen, werden kaum geguckt und damit kaum finanziert. Wer ins Kino geht, will auch, dass das letzte Drittel eine große CGI-Schlacht ist.
Die Blockbuster (Filme, die etwa ein Budget >80 Millionen US-Dollar haben), die nicht Teil dieses Trends sind, werden — wenn sie noch gemacht werden — kaum gesehen. Oder wer von euch hat Ridley Scotts großartigen „The Last Duel“ von 2021 geschaut? Wenigstens davon gehört? Große Empfehlung, wenn auch mit richtigen Schwertern statt mit computeranimierten Blitzen!
Die goldene Mitte
Wie gesagt, die meisten Blockbuster laufen noch im Kino – sie sind halt fast immer Teil eines Franchises. Indieproduktionen werden ebenso fleißig gedreht, auch wenn viele von euch da kaum was mitkriegen, aber allein das Studio A24 und sein Gespür für Stoffe sind ein Geschenk für jede:n Cineast:in. Doch wo sind die Mid-Budget-Filme?
Mid-Budget-Produktionen — das sind Filme, die etwa 10 bis 80 Millionen US-Dollar in der Produktion kosten. Früher wurden diese ebenfalls oft von großen Studios finanziert, aber da die Kosten für die Franchise-Blockbuster explodieren und das breite Publikum an diese Art von Film gewöhnt wurde, kriegen Mid-Budget-Projekte immer seltener eine Finanzierung. Der Fokus des breiten Publikums auf bekannte Marken macht außerdem jeden Film außerhalb einer Reihe zu einem immer größeren wirtschaftlichen Risiko. Der Filmmarkt hat seinen Kund:innen das Interesse an originellen Stoffen ja regelrecht abtrainiert. Geschichten wie „Forrest Gump“, „Kevin – Allein zu Haus“ oder “Fight Club” hätten in der heutigen Zeit kaum eine Chance.
Zudem mussten sich Filme bis vor wenigen Jahren auch nicht nur über das Kino finanzieren. Gerade Mid-Budget-Produktionen spielten ihre Kosten vor allem auch über physische Datenträger ein. Der Videokassetten‑, DVD- und Blu-ray-Markt hat solche Filme in der Vergangenheit für die Studios rentabel gemacht, während das bei Lizenzgebühren von anderen oder Einnahmen mit dem eigenen Streamingdienst nicht mehr der Fall ist.
“You try to go to a producer today and say you want to make a film that hasn’t been made before; they will throw you out because they want the same film that works, that makes money.” sagte 2011 mit Francis Ford Coppola einer der bedeutendsten Filmemacher:innen der Geschichte. Damit einhergehend sind es in erster Linie aufstrebende Frauen, BIPoCs und junge Menschen, denen viele Chancen verwehrt bleiben. Mid-Budget-Produktionen sind vor allem für Filmschaffende hinter der Kamera nach den ersten gelobten Indieprojekten der nächste Schritt auf der Karriereleiter. Während in den letzten Jahrzehnten durch gesellschaftlichen Wandel immer mehr Räume für marginalisierte Gruppen erkämpft wurden – vor allem auch Machtpositionen – steht ihnen die Filmwelt, wie sie heute funktioniert, im Weg.
Wie soll diese sich überhaupt entwickeln, wenn selbst große Namen wie Martin Scorsese oder Spike Lee ihre Projekte nicht mehr über die etablierten Studios finanziert bekommen? Die haben zumindest eine Lösung für das Problem, sie gehen zu den Streamingdiensten!
Ein Rennen im Kreis
Lee hat seinen letzten Film „Da 5 Bloods“ — eine klassische Mid-Budget-Produktion — über Netflix produziert. Scorsese hat die etwa 200 Millionen US-Dollar für sein Gangster-Epos „The Irishman“ ebenfalls von Netflix bekommen, während sein neuer Film “Killers of the Flower Moon” von Apple TV+ finanziert wurde. Wenn selbst jene, die das Kino als Kunstform leben und zelebrieren, wie kaum andere es tun, ihre Filme über Streaminganbieter produzieren, was sagt das über das heutige Kino aus?
Hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Streamingdienste haben einen großen Anteil daran, dass die Kinowelt Angst um ihre Existenz hat. Die Studios sind weniger risikobereit und schaffen einen Filmmarkt, der sich hauptsächlich über Franchises finanziert. Das breite Publikum übernimmt diesen Fokus auf große Marken und lässt andere Geschichten zusehends links liegen. So werden die Studios noch ängstlicher, was Investitionen in neuartige Stoffe angeht. Die Streamingdienste wiederum, die als Aboprodukte weniger abhängig von den Erfolgen einzelner Filme sind, finanzieren jetzt Stories, die so nicht mehr für das Kino gemacht werden.
Gute Dinge brauchen Zeit, schlechte Dinge brauchen Hype
Man könnte jetzt meinen: das ist ärgerlich für das Format Kino, aber die guten Filme sind ja noch da. Sind sie. Zumindest, wenn die Algorithmen sie mit einem matchen und — wenn das der Fall ist — sie auch wirklich GESCHAUT werden. Das Problem ist das Sehverhalten des Publikums. Denn wie gesagt, im Kino erwartet es Franchises und zuhause verkommt jeder Film und jede Serie gleichermaßen und undifferenziert zu einer Nebenbeschäftigung, während man kocht oder ins Handy schaut. Die Räume für originelle Stoffe sind nicht mehr da, weil die Mehrheit ihnen keinen Platz mehr in ihrem Leben einräumen.
Warum sollte man noch ins Kino gehen, wenn man Filme zuhause sehen kann? Ok, warum noch Konzerte besuchen, ich höre ja auch Musik auf dem Weg zur Kaufhalle. Der Unterschied: Musik auf den Kopfhörern ist eine Ecke in meinem Alltag, die ich der Musik freischaufele, während um mich herum noch ein Dutzend andere Dinge passieren. Gehe ich auf ein Konzert, betrete ich einen Raum, der extra für Musik geschaffen wurde. Es ist eine bewusste Entscheidung, meine nächsten zwei Stunden dem Erlebnis Musik zu widmen. Genauso funktioniert Kino. Der Soundsystem, die Dunkelheit, die große Leinwand – das alles ist gemacht, damit ich mich dem Format Film voll und ganz widmen kann. Und Film hat das durchaus verdient.
Es ist die komplexeste Kunstform, die wir je geschaffen haben. Dutzende Gewerke greifen ineinander, meist arbeiten hunderte oder gar über tausend Menschen an einem einzelnen Projekt. Und wenn alles stimmt, wenn all diese Menschen richtig gut gearbeitet haben, dann kann man in einem dunklen Saal ein kleines Stück Magie erleben. Aber das geht nicht, wenn man zwischendurch eine WhatsApp-Nachricht verschickt. Das geht auch nicht, wenn sich Showrunner:innen wie am Fließband neue großartige kreative Stories aus den Fingern saugen müssen, die den Vorgänger-Teilen gerecht werden und an sie anknüpfen, aber auch immer etwas Neues erzählen und gleichzeitig vier weitere Sequels vorbereiten.
Es gibt so viele fantastische Geschichten da draußen, die euch in den Bann ziehen werden, die Dinge anders machen, die ihren eigenen Weg gehen. Ich freue mich zum Beispiel momentan wahnsinnig über den Erfolg von „Everything Everywhere All at Once“, der bei den diesjährigen Oscars sechs Preise gewinnen konnte. Die Begeisterung, die diesem Film entgegenschwappt, ist für mich ein Beweis, dass Viele Lust auf neue und ihnen unbekannte Geschichten haben. Den meisten ist nur nicht klar, dass es vor allem sie selbst sind, die sich den Zugang dazu verwehren.
Appell eines Cineasten
Ich liebe Kino und ich liebe es, von Filmen überrascht, mitgerissen und begeistert zu werden. Das wird mir jedoch immer mehr verwehrt; Durch ein breites Publikum mit Scheuklappen, das zusehends verlernt, die Filmkunst und all seine Wege, Geschichten zu erzählen, zu schätzen, und einem Filmmarkt, der ebenjenes Publikum bedient.
Deshalb mein Appell an euch: geht öfter ins Kino. Aber braucht ihr wirklich das drölfzigste Live-Action-Remake eines Disneyklassikers zu sehen, das euch eh nie so verzaubern wird wie das Original aus eurer Kindheit? Schaut ins Programm der kleineren Kinos, in Halle sind wir mit Zazie, Puschkino und Luchs richtig verwöhnt, was das angeht. Legt beim Gucken das Handy weg, vor allem, wenn ihr im Kino seid. Wenn wir schon dabei sind: lasst da auch die Chipstüte zuhause und bitte hört auf, während des Filmes zu quatschen.
Gebt Filmen, von denen ihr noch nie gehört habt, eine Chance. Es gibt auch weitaus mehr Filmschmieden als Hollywood. Wenn ihr auf der Suche nach neuen Sachen seid: auf YouTube gibt es tolle Reviewkanäle wie BeHaind, Robert Hofmann oder Cinema Strikes Back. Mit werstreamt.es könnt ihr gezielt nach der Online-Verfügbarkeit einzelner Filme schauen, mit Letterboxd habt ihr eine App, in der ihr euch auf einen Blick die Meinung von tausenden von User.innen einholen könnt oder mit zwei Klicks auch von anderen tollen Filmen erfahrt, die die Regisseurin gemacht hat, deren Arbeit euch eben erst so begeistert hat.
Schafft Filmen und auch Serien bewusst Raum in eurem Leben — in einer Welt, die eh ständig alle Sinne überflutet, wie gut kann es da tun, sich mal für zwei Stunden nur einer Sache hinzugeben. Es lohnt sich, versprochen! Denn wenn man guten Geschichten seine volle Aufmerksamkeit schenkt, wird die ein oder andere auch beschließen, zu bleiben.
Ronja Hähnlein