Polen steht bei vie­len ver­mut­lich nicht an ers­ter Stelle, wenn es um die Frage nach den belieb­tes­ten Erasmus-Zielländern geht. Meret Lanze und Jonas Baake sehen das jedoch anders. Die deut­schen Studierenden ver­brin­gen ein Semester an der Jagiellonen-Universität in Krakau und sind über­zeugt, dass das Land zu Unrecht unter­schätzt wird.

Es ist ein fros­ti­ger Tag in Krakau und der Marktplatz ist von einer dün­nen Schneeschicht bedeckt. Jonas über­quert den Platz mit beschwing­tem Schritt und steu­ert auf die Marienkirche zu. Seit zwei Monaten stu­diert der Geschichtsstudent aus Köln an der Jagiellonen-Universität in Krakau. Vor der Marienkirche ange­kom­men erblickt der 24-Jährige sei­ne Kommilitonin und die bei­den umar­men sich mit einem lau­ten „Hallo“. Meret stu­diert Politikwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und lernt seit rund zwei Monaten am Institut für European Studies der Jagiellonen-Universität in Krakau. Die bei­den deut­schen Studierenden lern­ten sich in einem gemein­sa­men Seminar zum Thema „Erinnerung an den Holocaust in Politik und Medien“ kennen.

„Das Wissen über Polen ist begrenzt“

Die Kälte dringt bis in die Knochen, ver­stärkt durch den frü­hen Sonnenuntergang um 16 Uhr. Nach einem Spaziergang durch die beleuch­te­ten Tuchhallen auf dem Rynek steht die Entscheidung fest: Das Treffen muss drin­nen statt­fin­den – es ist schlicht­weg zu kalt, um drau­ßen zu bleiben.

Meret schlägt die Bar Betel vor, die tags­über als Café fun­giert und bei Erasmus-Studierenden beliebt ist. Nach einem kur­zen Fußmarsch, vor­bei an den ers­ten Ständen des bevor­ste­hen­den Weihnachtsmarkts, der Ende der Woche auf dem Marktplatz eröff­net wer­den soll, und durch eine Seitenstraße, errei­chen Meret und Jonas einen Hinterhof. Dort blei­ben sie vor der Bar Betel ste­hen. Gedämpfte Musik dringt nach außen, eine Regenbogenfahne fällt ins Auge.

Bewaffnet mit hei­ßer Schokolade und einem Espresso Tonic set­zen sich die Studierenden an einen der Tische und reflek­tie­ren über die ver­gan­ge­nen bei­den Monate ihres Auslandsstudiums. „Erasmus war für mich eine Gelegenheit, kul­tu­rel­le Vielfalt zu erle­ben und das Studierendenleben an einer ande­ren Universität ken­nen­zu­ler­nen“, erzählt Meret über ihre Entscheidung, ein Semester in Polen zu ver­brin­gen. Besonders inter­es­siert sich die 23-Jährige für das Land auf­grund der geschicht­li­chen Verbundenheit zu Deutschland. „Halle ist auch nicht all­zu weit ent­fernt“, fügt sie hin­zu. Die Studentin bedau­ert, dass zwi­schen Deutschland und Polen kei­ne ähn­lich enge Partnerschaft besteht wie bei­spiels­wei­se mit Frankreich. „Das Wissen über Polen ist begrenzt, was auch auf his­to­ri­sche Konflikte zurück­zu­füh­ren ist. Ich hal­te die­sen Austausch für wich­tig“, betont sie und erwähnt, dass ihre Großmutter aus Polen stammt: „Deshalb woll­te ich das Land mei­ner Vorfahren kennenlernen“.

„Ein Kommilitone hat vor kurzem vom ‚Verbrecher Putin‘ gesprochen“

Jonas war schon vor dem Auslandssemester ver­traut mit Polen: „Ich wuss­te bereits, dass Krakau eine wun­der­schö­ne Stadt ist“. Deshalb war Kraków, wie es auf Polnisch heißt, sein Favorit unter den pol­ni­schen Städten. „Krakau ist his­to­risch inter­es­sant und hat kul­tu­rell eini­ges zu bie­ten“. Als Geschichtsstudent beschäf­tig­te er sich inten­siv mit Mittel- und Osteuropa: „Ich betrach­te Polen als eines der fas­zi­nie­rends­ten Länder in Europa“. Nach einem kur­zen Schweigen äußert er den Eindruck, dass das Bewusstsein für die Bedeutung der Region unter den Deutschen seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine zuge­nom­men habe. „Ich hof­fe, dass die­ser Austausch zwi­schen jun­gen Menschen dazu bei­tra­gen kann, die­ses Verständnis wei­ter zu ver­tie­fen“, sagt er. Meret nickt zustim­mend und fügt hin­zu: „Für mich war es inter­es­sant, Osteuropa näher ken­nen­zu­ler­nen, beson­ders mit Blick auf die vie­len Menschen, die hier­her geflüch­tet sind“. Die Politikstudentin wur­de sich der Nähe zur Ukraine beson­ders bewusst, als sie nach Breslau fuhr und zahl­rei­che Flixbusse nach Charkiw bemerk­te. Im Studium habe sie eine Belarussin ken­nen­ge­lernt, erzählt Meret wei­ter. In deren Erzählungen stimm­te sie vor allem der Rassismus gegen­über Geflüchteten im Kontext des Krieges gegen die Ukraine nach­denk­lich. Auch in Kommentaren unter den pol­ni­schen Studierenden wird die Solidarität mit der Ukraine und die Ablehnung Russlands deut­lich. „Viele reden abwer­tend über die Sowjetunion und über Russland. Ein Kommilitone hat vor kur­zem vom ‚Verbrecher Putin‘ gespro­chen“, berich­tet Meret. Jonas ergänzt: „Ich weiß nicht, ob es allein die geo­gra­fi­sche Nähe ist, die mich inten­si­ver damit beschäf­ti­gen lässt. Die Begegnungen mit Ukrainer:innen in Polen, die hier zahl­rei­cher sind als in Deutschland, machen den Krieg präsenter“.

„Die unzähligen polnischen Nationalflaggen sind ein Unterschied zu Deutschland “

Dass Meret und Jonas für ein Semester in Polen stu­die­ren kön­nen, wird durch das Erasmus-Förderprogramm ermög­licht. Dieses besteht seit 1987 und unter­stützt jähr­lich knapp 300.000 Studierende in ganz Europa. Benannt ist das Programm nach Erasmus von Rotterdam, einem Theologen, Philosophen, Philologen, Priester, Lehrer und Schriftsteller der Nordischen Renaissancezeit. Die Finanzierung des Erasmus+-Programms, wie es seit 2014 heißt, erfolgt unter ande­rem durch die Europäische Kommission und die Exekutivagentur Bildung. In Deutschland ist der Deutsche Akademische Austauschdienst, kurz DAAD, für die Vergabe der Fördermittel zustän­dig. Zwischen 2020 und 2022 nutz­ten über 40.000 deut­sche Studierende das Erasmus+ Stipendienprogramm, um im Ausland zu stu­die­ren oder Praktika zu absol­vie­ren. Dabei stan­den mehr als 30 euro­päi­sche Länder sowie eini­ge außer­eu­ro­päi­sche Staaten zur Auswahl. Spanien führt dabei als das bei allen Erasmus-Studierenden belieb­tes­te Land. Polen ist als Zielland weni­ger populär.

Jonas war erstaunt, dass sein Entschluss, ein Auslandssemester in Polen zu absol­vie­ren, den­noch posi­tiv auf­ge­nom­men wur­de. „Ehrlich gesagt hät­te ich nega­ti­ve Kommentare erwar­tet, da immer noch gesell­schaft­li­che Stigmata und Vorurteile gegen­über Polen exis­tie­ren“, erzählt er. Der Geschichtsstudent betont, dass vie­le Deutsche eine gewis­se Distanz gegen­über dem Land ver­spü­ren. Meret teil­te zuvor die­se Distanz, da sie Polen noch nie bereist hat­te. Umso grö­ßer war ihre Überraschung über die ähn­li­chen Kulturen: „Knödel zum Beispiel und Rotkohl ken­ne ich auch als tra­di­tio­nel­le deut­sche Speisen“, über­legt sie. Ein Unterschied, den die Studentin bemerkt hat, ist die kon­ser­va­ti­ve Prägung. „Bei der Parade zum Unabhängigkeitstag am 11. November lau­fen jedes Jahr offen Rechtsradikale mit. Auch die unzäh­li­gen pol­ni­schen Nationalflaggen sind ein Unterschied zu Deutschland“. Rechtsradikale sind immer offe­ner als Teil der Gesellschaft prä­sent, wäh­rend Nationalismus ver­stärkt Akzeptanz im öffent­li­chen Raum findet.

„Hier gibt es Räume, die queeren Menschen einen sichereren Ort bieten möchten”

Bezüglich der Einflüsse der rechts­po­pu­lis­ti­schen PiS-Regierung (auf deutsch “Recht und Gerechtigkeit”), die bis vor kur­zem an der Macht war, habe Meret im Alltag jedoch ver­gleichs­wei­se wenig mit­be­kom­men. Jonas betont, dass er vor allem Gemeinsamkeiten zwi­schen den Ländern sieht, da Deutschland und Polen Nachbarn − und lan­ge Zeit Mitglieder der EU sind. Trotzdem hat­te sich Jonas vor sei­nem Auslandsaufenthalt Gedanken über Themen wie Feminismus, die Rechte von LGBT-Personen und Rassismus gemacht. „In Gesprächen mit Menschen aus Krakau und ande­ren pol­ni­schen Städten haben alle bestä­tigt, dass Krakau meist eine welt­of­fe­ne Stadt ist”, erklärt er. „Hier gibt es Räume, die quee­ren Menschen einen siche­re­ren Ort bie­ten möch­ten, um Zeit zu ver­brin­gen. Wie die­ses Café, in dem wir gera­de sit­zen, das mit einer Regenbogenfahne ein Zeichen setzt“, lächelt er, wäh­rend er mit einer locke­ren Handbewegung in die Richtung der Flagge deu­tet. Das stimmt zuver­sicht­lich, immer­hin wur­de die Woiwodschaft (=Verwaltungsbezirk) Kleinpolen, in dem sich Krakau befin­det, als “LGBT-freie Zone” erklärt – ein Begriff, der sich in Polen für Gebiete eta­bliert hat, in denen Gemeinden, Landkreise oder Provinzen offi­zi­ell behaup­ten, frei von der soge­nann­ten “LGBT-Ideologie” zu sein. Diese Deklarationen sind vor­nehm­lich sym­bo­li­scher Natur und besit­zen kei­ne recht­li­che Legitimation. Jedoch sind sie Bestandteil einer poli­ti­schen Bewegung, die dar­auf abzielt, die Rechte und die Sichtbarkeit von quee­ren Personen ein­zu­schrän­ken. Trotz der Unterschiede zwi­schen LGBT als Identität und einer Ideologie wird der Begriff von kon­ser­va­ti­ven und vor allem rech­ten poli­ti­schen Gruppierungen genutzt, um LGBT-Personen zu stig­ma­ti­sie­ren und zu dis­kri­mi­nie­ren. Insbesondere in Polen haben poli­ti­sche Parteien wie die PiS die­se Problematik auf­ge­grif­fen und eine ableh­nen­de Haltung offen­bart, indem sie LGBT als “impor­tier­te” Ideologie brandmarkten

Im Kontext der Parlamentswahl, bei der sich die Oppositionsparteien gegen die PiS durch­set­zen konn­ten, hat­te Jonas das Gefühl, dass an der Universität viel inof­fi­zi­ell dis­ku­tiert wur­de, ohne dass Positionen expli­zit aus­ge­spro­chen wur­den. „Indirekt habe ich von vie­len Kommiliton:innen eine gewis­se Erleichterung nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses wahr­ge­nom­men“, erzählt er. Einige Dozent:innen hät­ten auch kri­tisch Positionen hin­ter­fragt, die von der PiS-Regierung stark unter­stützt wur­den. Als klas­si­sche lin­ke Blase wür­de Meret aber eher die Erasmus-Student:innen beschrei­ben: „Viele pol­ni­sche Studierende gehö­ren eher zum libe­ra­len Spektrum.“ Jonas stimmt dem zu und wei­tet die­se Aussage aus, indem er den Grundtenor der gesam­ten Universität als libe­ral beschreibt.

Im Seminar „Erinnerung an den Holocaust in Politik und Medien“, das sowohl von Meret als auch von Jonas besucht wird, haben die Studierenden beob­ach­tet, dass all­mäh­lich die Rolle Polens in der Aufarbeitung des Holocausts the­ma­ti­siert wird. „Wir behan­deln auch die Tatsache, dass eini­ge pol­ni­sche Menschen Mittäter waren und Verbrechen began­gen haben“, erklärt Meret. Doch nicht nur das: „Auch jun­ge Menschen in Krakau außer­halb der Universität schät­ze ich als libe­ral und pro­eu­ro­pä­isch ein“, erzählt Jonas nach einem kur­zen Moment des Nachdenkens.

„Viele Menschen haben eine Verbindung zu Deutschland“

Der letz­te Geschmack hei­ßer Schokolade und des Espresso Tonics ist ver­klun­gen, die lee­ren Tassen ste­hen unbe­ach­tet auf dem Tisch. Langsam füllt sich die Bar. Jonas fragt sich, ob wohl noch ande­re Deutsche unter den Gäst:innen sind. Er erin­nert sich dar­an, wie herz­lich er und ande­re Deutsche in Polen emp­fan­gen wur­den. Über Ressentiments gegen Deutschland sei­tens der PiS-Regierung habe er nur aus Medienberichten gehört. „Ich glau­be, ich ver­brin­ge ein­fach nicht viel Zeit mit der Wählerschaft der PiS, daher ist das für mich kein all­täg­li­ches Thema“, lacht er. Selbst bei Reisen in klei­ne­re Städte in Polen habe er kei­ne der­ar­ti­gen Ressentiments erlebt. „Im Gegenteil, vie­le Menschen haben eine Verbindung zu Deutschland, sei es durch beruf­li­che Tätigkeiten oder Deutschunterricht in der Schule“, fügt er hin­zu. Meret reflek­tiert: „Ich kann mir vor­stel­len, dass unse­re Jugend und unser jun­ges Alter eine gewis­se posi­ti­ve Wirkung haben“.

„Man merkt einfach, dass die Universität gut ist“

Meret streicht sich durch die kur­zen Haare, wäh­rend sie dar­über nach­denkt, wel­che Unterschiede ihr zwi­schen der Krakauer Universität und ihrer Heimatinstitution auf­ge­fal­len sind. Sie berich­tet, dass die inter­na­tio­na­len und die pol­ni­schen Studierenden, die gemein­sa­me Seminare besu­chen, sich an der Universität in Krakau häu­fig in Diskussionen ein­brin­gen. „Das liegt vor allem dar­an, dass die Wortbeiträge bewer­tet wer­den. Die Dozierenden mar­kie­ren den Namen mit einem Kreuz oder Sternchen, wenn man sich betei­ligt, und das fließt in die Gesamtnote ein“. Die Universität in Krakau an sich sei sehr modern und gut aus­ge­stat­tet, ergänzt sie. Mit rund 40.000 Studierenden ist sie die zweit­größ­te in Polen. Gegründet wur­de die Jagiellonen-Universität 1364 vom pol­ni­schen König Kasimir dem Großen als Studium Generale. Damit ist sie die ältes­te sla­wi­sche, zweit­äl­tes­te mit­tel­eu­ro­päi­sche und eine der ältes­ten Universitäten Europas. „Man merkt ein­fach, dass die Universität gut ist. Vor allem im Gespräch mit Pol:innen mer­ke ich, dass die Uni pres­ti­ge­reich inner­halb Polens ist. Ich glau­be, vie­len Menschen in Deutschland ist das gar nicht bewusst“, erzählt Jonas.

Meret sind außer­dem Unterschiede in der Wertschätzung ihres Studienfachs Politikwissenschaft auf­ge­fal­len: „In Deutschland wird der Studiengang oft als ‚Laber-Fach‘ abge­wer­tet, wäh­rend er hier einen höhe­ren Stellenwert hat. Die Studierenden wer­den als zukünf­ti­ge Regierungsmitglieder ange­se­hen. Das spie­gelt sich auch in der Kleidung mei­ner Kommiliton:innen wider: for­ma­ler und schi­cker als in Deutschland“.

„Viele junge Leute freuen sich über den internationalen Austausch“

Ihre Freund:innen lern­ten Meret und Jonas haupt­säch­lich über ihre Seminare ken­nen. Die Zeit zwi­schen den Unterrichtseinheiten ver­brin­gen die Studierenden oft in Cafés oder in den Milchbars, den soge­nann­ten Bar Mleczny, in denen erschwing­li­che pol­ni­sche Speisen ange­bo­ten wer­den. Diese Orte sind beliebt, da die Gebäude der Jagiellonen-Universität über die gan­ze Stadt ver­teilt lie­gen und es kei­ne uni­ver­si­tä­re Cafeteria und kei­ne Mensa gibt. Zu Beginn des Semesters nahm Meret auch an den Erasmus-Kennenlern-Veranstaltungen teil. Allerdings zog sie sich im Laufe der Zeit etwas aus der Erasmus-Blase zurück. „Ich hat­te das Gefühl, dass ich nicht so gut zu den Leuten pas­se und habe mich zuneh­mend unwohl gefühlt“, erin­nert sich die Studentin. Für vie­le sei das Auslandssemester haupt­säch­lich mit Feiern und Alkohol ver­bun­den. „Es gab hier eine Situation, in der sich eine Person sexu­ell über­grif­fig ver­hal­ten hat“. Sie betrach­tet den Aspekt des exzes­si­ven Feierns kri­tisch: „Natürlich kön­nen Partys toll sein und man lernt mit­un­ter inter­es­san­te Menschen ken­nen. Aber ich den­ke, es kann über­wäl­ti­gend sein, wenn man sich dazu gedrängt fühlt, Alkohol zu kon­su­mie­ren und auf Partys zu gehen, ein­fach weil es das Erasmus-Studentennetzwerk för­dert“. Bezüglich die­ser Partykultur warnt sie: „Ich wür­de defi­ni­tiv jedem, der über­legt, an einem Erasmus-Programm teil­zu­neh­men, raten, vor­sich­tig zu sein“. Meret war es stat­tes­sen wich­ti­ger, Menschen aus Polen ken­nen zu ler­nen: „Ich habe mehr Lust dar­auf, in einen ech­ten Austausch zu tre­ten und gemein­sa­me Aktivitäten zu unter­neh­men, anstatt mich nur zum güns­ti­gen Biertrinken zu tref­fen“, erklärt Meret und ergänzt lachend: „Was man hier natür­lich gut machen kann“. Auf vie­len Erasmus-Veranstaltungen kos­tet ein gro­ßes Bier nur 5 zł, umge­rech­net rund 1,25 €. Zudem wür­den die Erasmus-Partys oft in Standard-Clubs statt­fin­den. „Krakau hat eine viel­fäl­ti­ge Subkultur, in der man zu prak­tisch jeder Musikrichtung tan­zen kann. Es ist scha­de, wenn man das nicht aus­nutzt“, betont die Studentin.

Auch Jonas hat pol­ni­sche Freund:innen gefun­den. „Das war etwas, für das ich aus mei­nem deut­schen Bekanntenkreis Unverständnis erfah­ren habe. Viele dach­ten, hier kön­ne nie­mand Englisch spre­chen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Viele jun­ge Leute freu­en sich über den inter­na­tio­na­len Austausch“.

„Ich schätze Krakau für die Vielzahl an Museen und die kulturellen Angebote“

Neben dem Studium hat Meret einen klei­nen Nebenjob: „Ich arbei­te für eine pol­ni­sche Familie, die lan­ge in Wien gelebt hat. Ihre Tochter ist 10 Jahre alt. Um sicher­zu­stel­len, dass sie ihre Deutschkenntnisse nicht ver­liert, unter­hal­te ich mich ein­mal in der Woche mit ihr“. Ansonsten besucht sie ger­ne ver­schie­de­ne Cafés in Krakau und geht gele­gent­lich fei­ern oder in eine Bar mit Freund:innen. Jonas hin­ge­gen erkun­det am liebs­ten Museen und Ausstellungen, hin und wie­der geht er ins Kino. „Ich schät­ze Krakau für die Vielzahl an Museen und die kul­tu­rel­len Angebote, die für Studierende prak­tisch kos­ten­los sind.“ Auch die Umgebung von Krakau haben bei­de bereist. „Ich war in Danzig, Breslau und Auschwitz. Als Nächstes steht Warschau auf mei­nem Plan“, berich­tet Meret. Jonas erzählt, dass die Zugverbindungen in Polen gut und kos­ten­güns­tig sei­en. „Ich habe vor allem Tagesausflüge unter­nom­men und vie­le klei­ne­re, aber his­to­risch sehr inter­es­san­te Städte im Süden Polens besucht. Katowice zum Beispiel ist nur eine Stunde mit dem Zug von Krakau entfernt“.

„Ich hoffe, ein tieferes Verständnis für die Vielfalt und Komplexität Europas zu erlangen“

Von dem Erasmus-Aufenthalt erhofft sich Meret, ihre eige­nen Grenzen zu erkun­den und sich bewusst zu wer­den, wel­che Bedürfnisse sie hat. „Ich erken­ne bei­spiels­wei­se, dass ich nicht jeden Tag mit ande­ren fei­ern muss, nur weil das zur Erasmus-Erfahrung vie­ler gehört. Es ist auch in Ordnung, sich zurück­zu­leh­nen und ande­re Dinge zu unter­neh­men, auf die ich mehr Lust habe, − sei­en es kul­tu­rel­le Aktivitäten oder auch ein­fach mal einen ruhi­gen Abend zu Hause zu ver­brin­gen“. Außerdem sei die­se Erfahrung auch eine Gelegenheit für Meret, um selbst­stän­di­ger zu wer­den. Jonas hin­ge­gen legt sei­nen Fokus dar­auf, die pol­ni­sche Sprache zu erler­nen, was für ihn sei­ne per­sön­li­che Motivation dar­stellt. Darüber hin­aus strebt er danach, eine grö­ße­re Sensibilität für die unter­schied­li­chen Sichtweisen ent­wi­ckeln: „Ich hof­fe, ein tie­fe­res Verständnis für die Vielfalt und Komplexität Europas zu erlan­gen, ins­be­son­de­re für Orte, die oft von Westeuropa ver­ges­sen wer­den“. Nach kur­zem Nachdenken meint er abschlie­ßend: „Ich emp­feh­le allen deut­schen Studierenden, offen für Städte und Länder zu sein, die nicht als typi­sche Erasmus-Ziele gel­ten. Dort gibt es so viel zu ent­de­cken und es kann eine berei­chern­de Erfahrung sein“.

Meret und Jonas ver­ab­schie­den sich. Auf dem Marktplatz tren­nen sich ihre Wege. Meret muss zu Hause noch ein Seminar-Paper lesen, wäh­rend Jonas ein nahe­ge­le­ge­nes Kino ansteuert.

Text und Bilder: Clara Hoheisel

Hinweis: Dieser Text ent­stand im Rahmen eines Stipendiums der Internationalen Journalistenprogramme e.V. und erschien erst­mals in einer pol­ni­schen Version auf Onet.pl.

0 0 vote
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments