Das dreck­ige Geschirr tage­lang ste­hen lassen oder die Hausar­beit auf die lange Bank schieben – Prokrasti­na­tion hat viele Gesichter. Lei­der kommt auch die Erde zunehmend ins Schwitzen, weil ihre Bewohner­In­nen den Kli­maschutz zu lange aufgeschoben haben. Doch damit soll jet­zt Schluss sein: Tausende Jugendliche auf der ganzen Welt demon­stri­eren für eine Wende in der Klimapoli­tik, auch in Halle. Wir haben deshalb den »Inter­na­tion­al Fri­day for Future« zum Anlass genom­men, um ein­mal etwas genauer hinzuschauen. 

Seit August des ver­gan­genen Jahres set­zt sich die 16-jährige Schwedin Gre­ta Thun­berg für die Anerken­nung und vor allem die Bekämp­fung der weltweit­en Kli­makrise ein. Neben den vie­len kleinen Din­gen, die ein jed­er zum Schutz der Umwelt beitra­gen kann – Gre­ta verzichtet beispiel­sweise auf Reisen mit dem Flugzeug und nimmt stattdessen den Zug –, ging sie noch einen Schritt weit­er. Sie ließ jeden Fre­itag die Schule sausen und demon­stri­erte stattdessen vor dem Stock­holmer Par­la­ments­ge­bäude für die Ein­hal­tung des Paris­er Kli­maschutz­abkom­mens. Dieser Streik find­et sei­ther unter dem Leitgedanken »cli­mate jus­tice« statt, also der gerecht­en Verteilung der Umweltschutz­maß­nah­men unter den Län­dern der Erde. Je nach­dem, ob die jew­eili­gen Staat­en mehrheitlich zu den Verur­sach­ern oder den Lei­d­tra­gen­den gehören und wie leis­tungs­fähig sie sind, sollen sie Ver­ant­wor­tung übernehmen. Das heißt konkret: Reiche Län­der, wie etwa Gre­tas Heimat­land, sollen ihren hohen Entwick­lungs­stand nutzen, um schnell­st­möglich auf fos­sile Brennstoffe zu verzicht­en und so den Emis­sion­sausstoß pro Jahr um 15 Prozent senken. Andere Schwellen­län­der, beispiel­sweise Indi­en und Nige­ria, seien hinge­gen für die Kli­makrise nicht im gle­ichen Maße ver­ant­wortlich zu machen. Als über­ge­ord­netes Ziel soll die Begren­zung der Erder­wär­mung auf 1,5 Grad Cel­sius erre­icht werden.

Am 15. März schloss sich eine Großzahl der schulpflichti­gen Ein­wohn­er aus rund 1800 Städten in 110 Län­dern zum Inter­na­tion­al Fri­day for Future der Schwedin an. Sie blieben dem Unter­richt fern, um gemein­sam für eine grünere Zukun­ft zu demon­stri­eren. Mit solch immenser inter­na­tionaler Aufmerk­samkeit hat­te wohl nie­mand gerech­net – am wenig­sten die engagierte Schü­lerin selbst.

Die Mächtigen wachrütteln

Unter dem Mot­to »Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukun­ft klaut!« führt der Protestzug an besagtem Fre­itag in Halle vom Riebeck­platz über einen Stopp am Leipziger Turm bis auf den Mark­t­platz. Nach Wochen, in denen lediglich Demon­stran­tInnen im zwei- beziehungsweise kleinen dreis­tel­li­gen Bere­ich gezählt wur­den, machen dieses Mal laut Ver­anstal­ter schätzungsweise 1300 Demon­stran­tInnen unüberseh- und hör­bar mit bemal­ten Plakat­en und Sprechchören auf sich aufmerk­sam. Neben zahlre­ichen Schü­lerIn­nen sind auch die neu gegrün­dete Bewe­gung Par­ents for Future sowie viele Studierende anzutr­e­f­fen, die alle ein gemein­sames Ziel ver­fol­gen: die Mächti­gen wachrüt­teln, um den unaufhalt­samen Kli­mawan­del zumin­d­est einzudämmen.

Wachrüt­teln scheint in der Tat nötig zu sein, denn seit Jahrzehn­ten war­nen Wis­senschaft­lerIn­nen vor den Fol­gen unseres mod­er­nen Lebensstils. Zwar set­zen sich Poli­tik­erIn­nen auf der ganzen Welt immer wieder ambi­tion­ierte Ziele, wie zum Beispiel im Paris­er Umweltschutz­abkom­men, das 2016 in Kraft getreten ist; jedoch ist der Erfolg über­schaubar. Prob­lema­tisch ist zum Beispiel, dass dem­nach jedes Land selb­st über die Maß­nah­men entschei­det, um das im Ver­trag fest­geschriebene Ziel zu erre­ichen, die glob­ale Erwär­mung auf »deut­lich unter 2 Grad Cel­sius« zu lim­i­tieren. Und so war­nen ForscherIn­nen, dass nach heutigem Stand der Bemühun­gen allen­falls eine Beschränkung auf cir­ca 3 Grad Cel­sius real­is­tisch sei – eine Entwick­lung, die uns die Erde wohl übel­nehmen wird. Diese Aus­sicht­en wollen Gre­ta und ihre Mit­stre­i­t­erIn­nen nicht hin­nehmen. Wenn die beste­hen­den Regeln de fac­to nicht effek­tiv genug sind, fordern sie eine Verän­derung des gesamten poli­tis­chen Systems.

In der Straßen­bahn in Halle fällt Meli­na (14) durch ihr »Warning«-Schild auf, das eine schmelzende Eiskugel in Form der Erde abbildet. Sie prangert an: »Die Uhr tickt. Wir müssen den Poli­tik­ern die Augen öff­nen, da es so nicht weit­er geht.« Auch drei weit­ere Schü­lerIn­nen des Neuen Städtis­chen Gym­na­si­ums, die am Rande der Kundge­bung auf dem Markt ste­hen und aufgeregt disku­tieren, beschäftigt das The­ma. Die 13-jährige Siri erzählt von Sci­ence-Fic­tion-Fil­men, in denen auf der Erde keine Pflanzen mehr wach­sen und sich die Ober­fläche unseres blauen Plan­eten durch das Ansteigen des Meer­esspiegels so stark verän­dert hat, dass sie heute wohl kaum jemand wieder­erken­nen würde. In so ein­er Welt wolle sie nicht leben, und deshalb sei sie mit ihren Klassenkam­eradIn­nen auf die Straße gegan­gen. Alle Schü­lerIn­nen sind sich an diesem Tag einig, dass es wichtig und richtig sei, ihre Mei­n­ung durch die Fri­days for Future zum Aus­druck zu brin­gen, denn son­st fän­den sie kaum Gehör.

Foto: Anja Thomas

Und was ist mit den Studieren­den der Stadt? Geht sie die Zukun­ft etwa nichts an? Doch, das tut sie, schließlich wer­den die Schü­lerIn­nen nur rund ein Jahrzehnt länger mit den Fol­gen des heuti­gen Umgangs mit der Umwelt leben müssen. Eine Rei­he von Studieren­den, die sich der Aktion angeschlossen haben, betont deshalb die Notwendigkeit, die Schü­lerIn­nen in ihrem Bestreben zu unter­stützen. Aleš (23) war zu Beginn der Proteste von Gre­ta und ein­er Hand­voll weit­er­er AktivistIn­nen selb­st in Stock­holm und ist begeis­tert, welche Kreise diese Bewe­gung inzwis­chen gezo­gen hat. »Wichtig ist, dass die schweigende Mehrheit eine Stimme bekommt«, antwortet er auf die Frage, warum er heute dabei sei. Er selb­st ver­suche einen Beitrag zu leis­ten, indem er über die Proteste hin­aus, wie Gre­ta, veg­an lebe – eine Antwort, die man sehr häu­fig von Demon­stran­tInnen erhält. Seinem Kom­mili­to­nen Fabi­an (22) gefällt beson­ders die poli­tis­che Par­tizipa­tion der Jugendlichen, wobei ja son­st immer gemeck­ert werde, dass die junge Gen­er­a­tion poli­tisch gän­zlich unin­ter­essiert sei. Weit­ere inhaltliche Aspek­te, die den Teil­nehmerIn­nen der Demon­stra­tion am Herzen liegen, sind unter anderem der schnell­st­mögliche Kohleausstieg und eine Verkehr­swende, die Reduk­tion von Müll und Plas­tik sowie eine Wende in der Klimapoli­tik um 180 Grad.

Ziviler Ungehorsam?

An welchem The­ma kommt man inzwis­chen kaum mehr vor­bei, wenn man sich mit den Fri­days for Future beschäftigt? Genau, an der Debat­te über das »Schulschwänzen«. Mit den Prinzip­i­en der Bewe­gung mag ein Großteil der Gesellschaft, der diese Bewe­gung beobachtet, noch mit­ge­hen, aber Regeln und Geset­ze sind den Deutschen nun ein­mal heilig – also auch die beste­hende Schulpflicht. In manchen kon­ser­v­a­tiv­en Kreisen regte sich Empörung über Bun­de­spräsi­dent Frank-Wal­ter Stein­meier, der die Schü­lerIn­nen­streiks ver­meintlich befür­wortet haben soll. Wer genau hin­hört, wird jedoch fest­stellen, dass er lediglich das Engage­ment der Kli­maschützerIn­nen lobt und sie ermutigt »inner­halb der Schule, natür­lich als The­ma im Schu­lun­ter­richt, und natür­lich auch außer­halb der Schulzeit« damit weit­erzu­machen. Über diese Aus­sage macht sich bei eini­gen Schü­lerIn­nen jedoch Miss­mut bre­it, da sie zum einen nicht mehr nur Worte hören, son­dern Tat­en sehen wollen, und zum anderen bere­its ent­täuscht von den ange­priese­nen Bil­dung­sein­rich­tun­gen sind. Wie Gre­ta haben tausende weit­ere Schü­lerIn­nen zwar den Kli­mawan­del in der Schule behan­delt, aber die gelehrte Notwendigkeit sofor­ti­gen Umdenkens und Han­delns blieb seit­ens der Schule leere Worte – der Vor­wurf lautet deshalb: Inkon­se­quenz. Dies scheint der Grund zu sein, weshalb an diesem Inter­na­tion­al Fri­day for Future wohl auch immer wieder dieselbe Frage gestellt wird: »Für welche Zukun­ft sollen wir denn in der Schule lernen?«

Nicht wenige der Schulen in Halle dro­ht­en ihren Schü­lerIn­nen mit dem Ein­trag von Fehlstun­den, einem Ver­weis, Tadel oder der Note 6 für etwaige Tests, wenn sie nicht zum Unter­richt erscheinen wür­den. Diese Strafen macht­en dur­chaus Ein­druck auf einige Schü­lerIn­nen. So würde wahrschein­lich auch ein Teil der Demon­stran­tInnen die Schul­bank drück­en, wenn nicht ein paar ver­ständ­nisvolle LehrerIn­nen eine Exkur­sion zur Demo trock­en­em Frontalun­ter­richt vorge­zo­gen hät­ten. Und auch einige Eltern unter­stützen ihre Sprösslinge, wie zum Beispiel die Mut­ter ein­er 14-Jähri­gen, die ihre Tochter am Mor­gen der Demon­stra­tion in der Schule krankmeldete, damit sich diese am Protestzug beteili­gen kann.

Kri­tik­er führen immer wieder an, dass den meis­ten Schü­lerIn­nen der Protest gele­gen käme, um der unbe­liebten Lehrzeit zu ent­ge­hen. Diese These lässt sich am heuti­gen Tag wed­er bele­gen, noch wider­legen. Anton (19) und seine kleine Schwest­er führen jedoch an, dass die Leis­tun­gen in der Schule, ihrer Ansicht nach, nicht unter dem poli­tis­chen Engage­ment für den Kli­maschutz lei­den dür­fen. Einige Studierende kom­men eben­falls ins Grü­beln, als sie gefragt wer­den, wie sie sich wohl ver­hal­ten hät­ten, wenn nicht ger­ade Semes­ter­fe­rien wären. Egal, wie sich jed­er Einzelne entschei­den würde, bei den Befragten herrscht Einigkeit darüber, dass man die wis­senschaftlichen Erken­nt­nisse über den Kli­mawan­del nicht ver­drän­gen könne, dass es – in Gre­tas Worten – nicht mehr an der Zeit sei, hoff­nungsvoll zu sein, son­dern zu handeln.

Foto: Anja Thomas

Doch das sehen nicht alle so. Neben unzäh­li­gen Poli­tik­erIn­nen, die Kri­tik am Fern­bleiben vom Unter­richt üben, gibt es auch noch solche, die den Jugendlichen jegliche Kom­pe­tenz absprechen. So der Bun­desvor­sitzende der FDP Chris­t­ian Lind­ner, der einige Tage vor dem Inter­na­tion­al Fri­day for Future twit­terte: »Ich finde poli­tis­ches Engage­ment von Schü­lerin­nen und Schülern toll. Von Kindern und Jugendlichen kann man aber nicht erwarten, dass sie bere­its alle glob­alen Zusam­men­hänge, das tech­nisch Sin­nvolle und das ökonomisch Mach­bare sehen. Das ist eine Sache für Profis.« In der Tat blickt die junge Gen­er­a­tion auf weitaus weniger Leben­szeit zurück und ver­fügt über weniger Erfahrun­gen, jedoch kann dies auch ein Vorteil sein: Haben nicht viele großen Inno­va­tio­nen der Men­schheit mit ein­er Por­tion Naiv­ität und Ide­al­is­mus begonnen?

»Mutter Erde fiebert«

Auch Gre­ta gibt offen zu, dass sie sich für zu jung hält, Lösun­gen bere­it zu stellen. Nichts­destotrotz nutzt sie die Aufmerk­samkeit durch die Medi­en, um den Fokus auf die Wis­senschaft und deren beden­kliche Erken­nt­nisse zu lenken – daraus ent­stand nun der neue Zusam­men­schluss Sci­en­tists for Future.

Inzwis­chen haben rund 2300 ForscherIn­nen aus Deutsch­land, Öster­re­ich und der Schweiz eine Stel­lung­nahme unterze­ich­net, um den Kindern und Jugendlichen beizuste­hen und die drin­gende Notwendigkeit zu Han­deln zu unter­mauern. Durch ihre Arbeit ist es nun jed­erzeit möglich die wichtig­sten Fak­ten über den Kli­mawan­del auf der Web­seite der Organ­i­sa­tion einzuse­hen. Darunter sind neben Bestä­ti­gun­gen von sub­jek­tivem Empfind­en, wie beispiel­sweise, dass »die Jahre 2015, 2016, 2017 und 2018 [weltweit] die heißesten Jahre seit Beginn der Wet­ter­aufze­ich­nun­gen« waren, auch erschreck­ende Szenar­ien für die Zukun­ft: »Ins­ge­samt beste­ht durch unzure­ichen­den Schutz der Böden, Ozeane, Süßwasser­res­sourcen und Arten­vielfalt – bei gle­ichzeit­iger Erder­wär­mung als ‚Risikovervielfach­er‘ – die Gefahr, dass Trinkwass­er- und Nahrungsmit­telk­nap­pheit in vie­len Län­dern soziale und mil­itärische Kon­flik­te aus­lösen oder ver­schär­fen und zur Migra­tion größer­er Bevölkerungs­grup­pen beitragen.«

Debat­ten über den Kli­mawan­del sowie Schad­stoffe und Gren­zw­erte sind oft­mals recht abstrakt und scheinen aus heutiger Sicht teil­weise in weit­er Ferne liegende Zukun­ftsmusik zu sein. Ver­mut­lich ist das ein Grund dafür, dass sich einige so ver­hal­ten, als ob sie die Kli­makrise nichts angin­ge. Die ForscherIn­nen ent­lar­ven deshalb auch mögliche Fol­gen der Erder­wär­mung, die vielle­icht nicht jedem sofort in den Sinn kom­men: Beispiel­weise die große Gesund­heits­ge­fahr, die durch die wach­sende Ver­bre­itung von Infek­tion­skrankheit­en und Allergien dro­ht. Die Kli­makrise ist schon längst keine The­o­rie mehr, wie der zunehmende Anstieg von extremen Wet­ter­ver­hält­nis­sen Men­schen vielerorts spüren lässt. Es han­delt sich in der Tat um eine Krise, die auch als solche benan­nt wer­den muss. Aber warum tun das so wenige?

Poli­tik­erIn­nen wie auch die Nor­mal­bürg­erIn­nen dürften nun eines von der »Fri­days for Future«-Bewegung gel­ernt haben: »You are nev­er too small to make a dif­fer­ence.« Denn wenn eine junge Schü­lerin aus Schwe­den so viele Men­schen mitreißen kann, was kön­nen wir dann alle gemein­sam schaf­fen? Es han­delt sich um eine von Men­schen gemachte Krise, die auch nur von Men­schen selb­st aufge­hal­ten wer­den kann. Beson­ders in den west­lichen Län­dern dieser Erde sind genü­gend Erken­nt­nisse und eben auch die Mit­tel vorhan­den, um dies zu bew­erk­stel­li­gen – man muss sie nur ein­set­zen. Ein­er der AktivistIn­nen von Sci­en­tists for Future, der Arzt Dr. Eckart von Hirschhausen, betont, dass der Umweltschutz keines­falls nur Verzicht bedeuten muss, im Gegen­teil: Die Pflege unseres Leben­sraumes bewirkt langfristig sog­ar einen Zuwachs an Leben­squal­ität – für die Flo­ra und Fau­na unseres Plan­eten sowie für uns und nach­fol­gende Generationen.

  • Zu den The­men Umweltschutz und Nach­haltigkeit find­et im Som­merse­mes­ter wieder eine Vor­tragsrei­he an der MLU statt. Weit­ere Infor­ma­tio­nen erhal­tet Ihr unter www.nachhalltig.de
Foto: Anja Thomas
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