Günther Dehn war einer der ers­ten Hochschullehrer, die dem Berufsbeamtengesetz zum Opfer fie­len. Vorrangig die Studierendenschaft in Halle hat­te zuvor gegen den Theologen pro­tes­tiert. Aufgrund der poli­ti­schen Auseinandersetzungen stand die Schließung der Universität zur Debatte. Der Fall Dehn ist für die Umbruchphase zwi­schen dem Ende der Weimarer Republik und dem begin­nen­den Nationalsozialismus bedeut­sam. Die Auswirkungen rei­chen jedoch bis heu­te: So ist der Name ‚Martin-Luther Universität‘ auf eben jene Ereignisse Anfang der 1930er Jahre zurück zu führen.

„Günther Dehn spielt eine her­aus­ra­gen­de Rolle, weil er dazu gemacht wor­den ist: Seine exal­tier­te Stellung wur­de kon­stru­iert“, erklärt Professor Dr. Friedemann Stengel. Der Kirchenhistoriker lei­te­te 2013 eine Kommission: Das Projekt ‚Ausgeschlossen‘ unter­such­te die ras­sis­ti­schen und poli­ti­schen Hintergründe für die in den Jahren 1933 bis 1945 durch­ge­führ­ten Entlassungen an der Universität Halle. Unter den damals bekann­ten 41 Männern und zwei Frauen fin­det sich der Name Günther Dehn. Der Theologe war Opfer einer deutsch­land­wei­ten Kampagne gegen die Weimarer Republik, die Demokratie, das Judentum, sozia­lis­ti­sche Bestrebungen und den Pazifismus. 

Flugblatt über Günther Dehn
Flugblatt des Nationalsozialistischen Deutschen Stundentenbunds, Hochschulgruppe Halle (Saale), 1932 (Quelle: Universitätsarchiv Halle-Wittenberg)

Eine politische Alternative

Anfang der 1930er Jahre ist Günther Dehn eine wis­sen­schaft­lich und kir­chen­po­li­tisch bekann­te Person. Nach einer Ehrenpromotion in Münster wird er als Professor an die Universität in Halle beru­fen. Für sei­ne Nominierung gibt es vor allem einen Grund, erläu­tert Prof. Stengel: „Er bie­tet eine poli­ti­sche Alternative“. Denn in den 1930er Jahren ist Adolf Grimme preu­ßi­scher Kultusminister: Ein reli­giö­ser Sozialist, der ver­sucht, das Profil der Universitäten zu ver­än­dern. Angesichts einer Professorenschaft, die fast durch­weg deutsch-natio­nal ein­ge­stellt ist, möch­te Grimme Personen an die Universitäten holen, die repu­bli­ka­ni­sche, demo­kra­ti­sche und sozia­lis­ti­sche Akzente setzen. 

Dehn als Inbegriff der Weimarer Republik

Zeitgleich zu Dehns Berufung wird ein Vortrag zum Thema Kirche und Völkerversöhnung publik, den er 1920 in Magdeburg gehal­ten hat. In die­ser Rede spricht sich Günther Dehn dage­gen aus, Gefallene des Ersten Weltkriegs wie christ­li­che Märtyrer zu behan­deln und ihnen Denkmäler in den Kirchen auf­zu­stel­len. Er argu­men­tiert nicht im Sinne des Pazifismus, wie Stengel betont: „Dehn sagt deut­lich, dass es das Recht des Verteidigungskrieges gibt. Wer für das Vaterland fällt, ist ein Patriot, aber kein christ­li­cher Märtyrer“.
Nach die­sem Vortrag wird Günther Dehn mit dem Vorwurf kon­fron­tiert, er habe alle Soldaten als Mörder bezeich­net. „Bis Ende der 1990er Jahre gibt es immer wie­der Prozesse um die­sen Satz, ‚Soldaten sind Mörder‘. Um einen Satz, der Dehn ledig­lich zuge­schrie­ben wur­de, den er über­haupt nie so gesagt hat“.

Durch die­se Debatte wird er zum Pazifisten, Sozialisten und zum Inbegriff der ver­hass­ten Weimarer Republik gemacht. 

Mögliche Schließung der Universität Halle

Während die Universität unter dem demo­kra­ti­schen Rektor Gustav Aubin lan­ge ver­sucht, Günther Dehn  zu schüt­zen, atta­ckiert ihn vor allem die poli­tisch rechts ein­ge­stell­te Studierendenschaft, expli­zit der Nationalsozialistische Studentenbund. Parallel dro­hen vie­le Akademiker:innen, an die Universitäten Leipzig und Jena abzu­wan­dern. Der Kirchenhistoriker Prof. Stengel führt aus: „In der Öffentlichkeit wird ver­mu­tet, der Staat wer­de wegen der poli­ti­schen Auseinandersetzung die Universität Halle schlie­ßen müssen“.

Als Dehn am 3. November 1931 zu sei­ner Antrittsvorlesung nach Halle kommt, demons­trie­ren zahl­rei­che Studierende auf dem Platz vor dem Melanchtonianum. Es flie­gen Feuerwerkskörper, die Türen zum Hörsaal wer­den ein­ge­drückt. Dehn selbst kann die Menschenmassen nicht durch­que­ren, er wird unter Polizeischutz in den Hörsaal gebracht. Er erin­nert sich in sei­ner Autobiografie Die alte Zeit. Die vori­gen Jahre an eine Vorlesung: „Das Getrampel hör­te nicht auf und wur­de nur durch Johlen und Pfeifen unter­bro­chen. […] In Sprechchören wur­de geru­fen: ‚Dehn raus!‘ […]. Kleine Gruppen rie­fen dazwi­schen: ‚Dehn hoch!‘, was wenig nützte“.

Studierende ver­tei­len Flugblätter: ‚Dehn ver­re­cke, Juda ver­re­cke‘. „Günther Dehn wird auch noch zum Juden gemacht, was wirk­lich abstrus ist“, erläu­tert Stengel. Diese Zuschreibung ist auf eine zeit­glei­che Attacke an der Universität Heidelberg zurück­zu­füh­ren: Der betrof­fe­ne Mathematik-Dozent namens Gumbel war Jude und Pazifist. „Durch die­se zeit­li­che Parallelität kam es zu einer Kettenschließung von Judentum, Pazifismus, Sozialismus und Bolschewismus“.Auch an den fol­gen­den Tagen demons­trie­ren natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Studierende mit Unterstützung der städ­ti­schen Sturmabteilung (SA). Sie for­dern den Rücktritt des Rektors und pro­tes­tie­ren gegen Minister Grimme. „Es war mir von Anfang an klar, daß die­ser gan­ze Kampf emi­nent poli­ti­sche Hintergründe hat­te und durch natio­nal­so­zia­lis­ti­sche wie deutsch-natio­na­le Verbände künst­lich in die Studentenschaft hin­ein­ge­tra­gen wor­den ist“, erin­nert sich Günther Dehn 1962 in sei­ner Autobiografie.

Martin Luther als Inbegriff des ‚Deutschtums‘

1931/32 berich­ten vie­le Zeitschriften und Zeitungen über die Debatten um Günther Dehn. In die­sem Kontext taucht zum ers­ten Mal der Vorschlag sei­tens der theo­lo­gi­schen Fakultät und eini­ger Senatoren auf, der Universität den Namen Martin Luthers zu geben. 

Die Universität nach Martin Luther zu benen­nen war ein poli­ti­sches Zeichen gegen die Werte der Weimarer Republik. Vielleicht des­halb stimm­te der Senat erst im zwei­ten Anlauf, nach der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Machtergreifung, für die Namensgebung. (Quelle: Lucas Cranach der Ältere)

Ursprünglich hieß die Universität Halle Vereinigte Friedrichs-Universität. In der Weimarer Republik sol­len die alten Fürstennamen von den Universitäten abge­trennt wer­den. Auch im Universitätsstatut aus dem Jahr 1930 trägt die Universität Halle kei­nen Namen mehr. „Nur noch der natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Studenten- und Dozentenbund ver­wen­den den Namen Vereinigte Friedrichs-Universität“, erklärt Stengel. „Sie gerie­ren sich gewis­ser­ma­ßen als Monarchisten“. Der Vorschlag, der Universität den Namen Martin Luthers zu geben, ist ein Protest gegen die Weimarer Republik: „Martin Luther ist in die­ser Zeit kein Zeichen des Fortschritts, der Demokratie und des Sozialismus. Luther steht für Nationalismus, für Konservativismus und für ‚Deutschtum‘. Außerdem hat der Name etwas Antikatholisches“, erläu­tert Stengel.

Gesetz zur ‚Wiederherstellung des Berufsbeamtentums‘

Damit sich die Lage in Halle beru­higt, wird Günther Dehn 1932 beur­laubt und ver­bringt mit einem Auslandsstipendium die nächs­ten Monate in England. Von dort ver­öf­fent­licht er Dokumente aus dem Universitätsstreit mit einem Nachwort: Was in Halle pas­sier­te, sei ein düs­te­res Vorzeichen für kom­men­de Zeiten. „Eine fins­te­re Prophetie, die nur weni­ge Wochen spä­ter Wirklichkeit gewor­den ist“, meint Stengel.

Nach einer Klage des Dekans Ernst Kohlmeyer im Senat wird Dehn auf die ers­te inter­ne Liste von 16 Personen in Preußen gesetzt, die nach dem ‚Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums‘ aus poli­ti­schen Gründen ent­las­sen wer­den sol­len. Im November 1933 folgt die frist­lo­se Kündigung. Der Theologe erin­nert sich in sei­nen ver­schrift­lich­ten Lebenserinnerungen: „Ich kann nur sagen, dass ich die­sen Beschluss damals als einen Dolchstoß in den Rücken emp­fun­den habe“. Bei der Bücherverbrennung 1933 wer­den eini­ge sei­ner Schriften vernichtet.

Günther Dehn muss nach Berlin zurück­keh­ren und wird Gemeindepfarrer in Schöneberg. „Zu dem Zeitpunkt hat­te er drei Söhne im Teeniealter, für die bereits in Halle neue Schulen gefun­den wor­den waren, wobei die grö­ße­re Last im fami­liä­ren Bereich bei mei­ner Großmutter lag. Diese Turbulenzen haben noch lan­ge nach­ge­wirkt“, erin­nert sich Ulrich Dehn an die Erzählungen sei­nes Großvaters. 

Luise und Günther Dehn bei ihrer Silberhochzeit 1941 in Berlin (Quelle: Bildarchiv der Evangelischen Kirche im Rheinland, ID: 4.062; Bildrechte: CC BY-SA 3.0 DE)

Mit der Stadt hat er sich erst viel spä­ter ver­söhnt, beschreibt Günther Dehn in Die alte Zeit. Die vori­gen Jahre: Erst als „… unser […] Sohn, der wäh­rend des Krieges in Halle vor der Fakultät […] die ers­te Prüfung ableg­te, ganz erfüllt davon war, wie freund­lich er von den Examinatoren behan­delt wor­den sei“.

Aufklärung politischer Debatten

„Die genau­en Hintergründe des Falls blie­ben lan­ge unbe­kannt“, erzählt Prof. Stengel. „Viele Universitäten haben sich schwer getan mit den kon­kre­ten, his­to­ri­schen Zusammenhängen
ihrer Professorenschaft und deren Verfolgung im Nationalsozialismus“. 
Erschwerend käme hin­zu, dass im Fall Dehns über einen gro­ßen Zeitraum nur wenig Akten öffent­lich zugäng­lich gewe­sen sei­en. „Die Verantwortlichkeit für die Entlassung Günter Dehns war lan­ge unklar“. Das änder­te sich erst mit jenem durch Prof. Stengel gelei­te­ten Projekt aus dem Jahr 2013, das die Hintergründe für die im Nationalsozialismus durch­ge­führ­ten Entlassungen an der Universität Halle untersuchte. 

Reflektieren von Geschichte umfas­se nicht nur den Vorgang des Erinnerns, meint der Kirchenhistoriker: „Bei his­to­ri­scher Relevanz geht es um Aufklärung poli­ti­scher Debatten, weil sie Wirklichkeit evo­ziert haben“. So ist der Fall um Günther Dehn bis heu­te relevant.

0 0 vote
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

1 Kommentar
Inline Feedbacks
View all comments
Alex
Alex
2 Jahre zuvor

Ein wich­ti­ger und inter­es­san­ter Artikel, zumal in die­sen Zeiten. Sehr schön geschrie­ben, Clara. Ein biss­chen mehr zur Vita Dehns bis zu sei­nem Tod wäre viel­leicht noch inter­es­sant gewe­sen, aber ist ja nicht schlimm. Viele Grüße von einem ehe­ma­li­gen Redaktionsmitglied 😉