Es ist wieder Herbst und das bedeutet nicht nur, dass es Zeit ist, die Jacken aus dem Schrank zu holen und die Winterreifen aufzuziehen. Es bringt auch mit sich, dass die Bahnen und Mensen so voll sind, wie sonst zu keiner Zeit des Jahres. Denn sie sind zurück: die Erstis.
Tausende neue Studierende heißt die MLU wie jedes Jahr willkommen und seit dem 07. Oktober drängen sie in ihre neuen heiligen Hallen: Vorlesungssäle und Seminarräume. Lange wird es nicht dauern und sie stellen fest, vieles, von dem ihre Lehrer:innen angekündigt haben: „Das geht an der Uni aber so nicht durch!“, geht an der Uni ziemlich häufig durch. Das kann eine freudige Überraschung sein, wenn die Klausur am Semesterende doch nur ein zwanzigminütiger Ankreuztest ist, statt einer vierstündigen Abi-Prüfung oder blankes Entsetzen, wenn im Hörsaal die Thermoskannen mit Glühwein gezückt werden, nähern sich die Weihnachtsfeiertage. Erst recht, wenn die Professorin selbst eine dabeihat.
Ohnehin ist es doch beeindruckend, wie viele Gründe gefunden werden, Studienanfänger:innen Alkohol anzudrehen. Wenn man möchte, gibt’s das erste Uri schon im Ersti-Bag, gesponsert von der Uni selbst. Das eignet sich schon mal gut zum Vorglühen für die Stadtralley mit dem FSR, bei der auf halber Strecke die Orientierung ohnehin flöten geht, wenn es an jedem Zwischenstopp einen Kurzen gibt und gleich noch einen Zweiten für den Weg zur nächsten Station. Fast garantiert kommt es dabei auch zu einem Kulturkampf sondergleichen, nämlich ob der beliebteste Glasflaschensport deutscher Hochschulen nun Flunkyball genannt wird oder man sich selbst als Kulturbanause entlarvt, der das Ganze als beispielsweise “Bierball” bezeichnet… Laut dem Katapult Magazin nennt man das ganze übrigens nur in vier Städten Bierball – Halle ist keine davon – dafür finden sich in den Kommentaren noch Varianten wie „Bierkrieg“, „Sauf und Lauf“ und „Büchs deluxe“ (sic!). Eine Diskussion, die selbst in den Redaktionssitzungen der hastuzeit hin und wieder aufflammt (Kommentar aus dem Lektorat: „ich kenne noch, halte dich fest, Bierpolo. POLO!!!! dann zeig mir mal die Stelle mit den Pferden ey“).
Solchen großen Lebensfragen mussten sie sich bisher nicht stellen, in ihren provinziellen Kleinstädten, den Polylux-bestückten Klassenzimmern und den 30 bis 60 Minuten langen Busfahrten dazwischen. Für die Dozierenden wiederum sind sie nun leere Gefäße, bereit mit Wissen gefüllt zu werden. Ganz leer eigentlich nicht, aber Föderalismus sei Dank ist es ein bloßes Glücksspiel, ob man das nötige Vorwissen hat oder nicht. Dazu noch das Pokern, ob der Prof deswegen beschließt, bei der Ursuppe anzufangen oder nur ein trockenes: „Das müssten Sie ja in der Schule behandelt haben!“ in den Raum stellt. Je nach Kombination dieser Faktoren werden die ersten zwei Wochen sehr stressig oder sehr langweilig. Da kann es schon mal vorkommen, dass man akribisch Definitionen und Herleitungen mitschreibt, in der Hoffnung, es später zu verstehen, wenn man sich alles nochmal anschaut (mach ich ganz sicher!), während zwei Reihen weiter vorne gerade jemand auf seinem Laptop die League of Legends-Rangliste hinabstürzt. In den zwanzig Sekunden, in denen du das beobachtet hast, wurde übrigens Inhalt von der Tafel gewischt, der locker nochmal zwei A4-Seiten gefüllt hätte.
Aber Unileben heißt ja nicht nur, sich in Vorlesungen berieseln zu lassen. Zur Tagesmitte gilt es, die beim anstrengenden Mitdenken verbrannten Kalorien wieder aufzufüllen – es ist Zeit für die Mensa! Eine sensorische Rundumerfahrung für alle Sinne. Hunderte sich mischende Gespräche, von der Rekapitulation des letzten Partyabsturzes bis zur Planung des nächsten Forschungsprojekts über die nächsten fünf bis acht Jahre, immer wieder durchschnitten vom lieblichen BIIIIEEEEP, wenn jemand seine Mahlzeit bezahlt, und einem gelegentlichen DÖÖÖÖTTT, falls doch jemand noch nicht verstanden hat, dass die Karte erst mit Geld aufgeladen werden muss, bevor man etwas zu essen bekommt. Ok, dieser jemand warst du selbst. In der Nase tanzen die Aromen von Leberkäse mit Zwiebeln, Hefeklößen mit Heidelbeeren und dem, was auch immer das ist, was das Studentenwerk „Reibekäse“ nennt, Ballett. Mit den Augen sucht man währenddessen bereits nach einem freien Tisch (vergeblich – bis man durch die Schlange ist, wird der eh besetzt). Personal Space existiert beim Anstehen übrigens gar nicht und jedem Menschen auszuweichen, der irgendwie einmal durch alle Schlangen durch muss, könnte man schon fast zwischen den 13(!) Yogakursen des Unisportzentrums eingliedern. Nach dem Essen das Tablett zu beobachten, wie es von dem Förderband ins anscheinende Nichts transportiert wird, ist dann doch ein wohlverdienter Moment der Ruhe und Achtsamkeit. Warum stand das bisher nicht im Newsletter vom Wohlfühlcampus?
Doch bangt nicht, liebe Erstis. Wenige Monate und dann leeren sich Säle, Bahnen und Mensen wieder und auch ihr gehört bald schon zu den Veteran:innen der Campus (Campi? Campusse? Nee– es ist tatsächlich Campus, sagt der Duden) und seht die nächste Generation von unwissenden Studienanfänger:innen mit den gleichen Augen. Und irgendwie hat es doch auch was Schönes, wenn man denfrischen, flauschigen Stoff seines Abipullovers auf der Haut spürt und dabei noch so viel Freude an Kleinigkeiten hat wie etwa verschwindenden Tabletts auf ihrem eigenen kleinen Laufband.
Text und Foto: Stefan Kranz