Seit 2018 ist Lotti Brockmann Stipendiatin im evan­ge­li­schen Studienwerk Villigst. Da sie als Erstakademikerin nicht von den Möglichkeiten eines Stipendiums wuss­te, möch­te sie in die­sem Gastbeitrag ihr Wissen mit Euch tei­len und hofft, eini­ge Hemmschwellen abzubauen.

Haus Villigst im nord­rhein-west­fä­li­schen Schwerte

Was ist ein Stipendium?

Wir alle müs­sen unser Studium irgend­wie finan­zie­ren; dazu gibt es ver­schie­de­ne Möglichkeiten, wie zum Beispiel Studienkredite, Nebenjobs oder die Unterstützung der Eltern. Nicht alle Menschen haben das Privileg, eine finan­zi­el­le Unterstützung durch die Familie über ihr gan­zes Studium hin­weg zu erle­ben und auch Nebenjob und Studienkredite stel­len nicht immer eine opti­ma­le Möglichkeit dar.

Ein Stipendium hin­ge­gen ist eine Möglichkeit, das Studium ohne die Sorge, das Geld zurück­zah­len zu müs­sen, zu finan­zie­ren. Dafür gibt es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geför­der­te Stipendienwerke und eines davon ist das Evangelische Studienwerk Villigst, wo ich Stipendiatin bin. Die ver­schie­de­nen Begabtenförderungswerke sind meist par­tei­nah oder kon­fes­sio­nell gebun­den. Das evan­ge­li­sche Studienwerk ist – wie der Name schon sagt – ein kon­fes­sio­nel­les Stipendium, wobei die Ausrichtung nicht zu eng gele­sen wer­den darf. Mit evan­ge­lisch sind vor allem die zugrun­de lie­gen­den demo­kra­ti­schen Werte – wie zum Beispiel gesell­schaft­li­ches Verantwortungsbewusstsein – gemeint, aber auch kon­fes­si­ons­lo­se Studierende sowie Studierende ande­rer Konfessionen kön­nen sich bewer­ben. Meiner Meinung nach steht nicht unbe­dingt das reli­giö­se, son­dern vor allem das gesell­schafts­ori­en­tier­te Handeln im Studienwerk im Vordergrund.

Wie bin ich auf das evangelische Studienwerk aufmerksam geworden?

Als ich 2016 nach Halle gezo­gen bin, um zu stu­die­ren, war mir das gan­ze System der Universitäten fremd. Da mei­ne Eltern kei­ne Akademiker:innen sind, hat­te ich das Gefühl immer wie­der ins Dunkle zu tap­pen. Mir war nicht klar, dass es Fördermöglichkeiten wie die­se gibt. Und auch, als sich mei­ne Kommiliton:innen über Stipendien aus­tausch­ten, dach­te ich trotz­dem nie dar­über nach, dass auch ich mich dort bewer­ben könn­te. Ich hat­te Glück, dass mich mei­ne Professorin, die selbst in ihrer Studienzeit Stipendiatin bei Villigst war, in einem Gespräch auf das Stipendium auf­merk­sam mach­te und mir anbot, mich dafür zu emp­feh­len. Da die Professorin für mich ein Vorbild war, das mir ein biss­chen Licht in die unbe­kann­te Welt des Studierens brach­te, ver­trau­te ich auf ihre Unterstützung und bewarb mich.

Wie verläuft das Bewerbungsverfahren?

Der Bewerbungsprozess läuft zwei­stu­fig ab. Zunächst regis­triert man sich auf einem Online-Portal und dann wird man zu einer Vorauswahl ein­ge­la­den. Wenn die­ser Schritt geschafft ist, darfst Du an der Hauptauswahl in Villigst teil­neh­men. Zunächst wer­den dann vie­le Dokumente ange­for­dert, dazu gehö­ren etwa ein Motivationsschreiben und Gutachten über Deine fach­li­chen und sozia­len Aktivitäten. Eine Liste mit allen Dokumenten und was dafür zu tun ist, fin­det man auf der Website. Bei Villigst gilt seit eini­ger Zeit das „Windhundverfahren“. Das heißt, je frü­her Du Dich auf der Website anmel­dest und alles ein­reichst, des­to grö­ßer ist die Chance auf einen Platz in der Vorauswahl. Auf der Website gibt es eine Ampel, die Dir anzeigt, wie vie­le Kapazitäten noch vor­han­den sind.

Das Haus dient auch als Tagungsstätte der Evangelischen Kirche von Westfalen
Kurzer Überblick
Das Evangelische Studienwerk Villigst ist eines von ins­ge­samt 13 Begabtenförderungswerken in Deutschland. Die Finanzierung wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unter­stützt. Einen kur­zen Überblick aller Förderungswerke mit Informationen zu Ausrichtung, Zielgruppen und Bewerbung bie­tet das Faltblatt „Mehr als ein Stipendium“.

Die Vorauswahl fin­det dann meis­tens in Deiner oder in einer nahe­ge­le­ge­nen Stadt statt. Du wirst dann zu einem Vorstellungsgespräch ein­ge­la­den. Meistens fol­gen ein paar Fragen zu den Unterlagen, die ein­ge­reicht wur­den. Ich weiß noch, dass ich damals auf­grund mei­nes ers­ten, nicht abge­schlos­se­nen Studiums (Modedesign) eine Frage beant­wor­ten muss­te, die sich mit der gesell­schaft­li­chen Funktion von Mode auseinandersetzte.

Wenn die­ser Schritt geschafft ist und Du zur Hauptauswahl nach Villigst ein­ge­la­den wirst, kommt eine auf­re­gen­de, aber auch sehr schö­ne Zeit. Hier wird man nach Fachgruppen in das Auswahlverfahren ein­ge­ord­net und es gibt ver­schie­de­ne fach­li­che, per­sön­li­che und spie­le­ri­sche Aufgaben sowie ein indi­vi­du­el­les Auswahlgespräch. Für mich war die Hauptauswahl der ers­te Moment, in dem ich das Gefühl hat­te, auch als Erstakademikerin ein Teil der Gruppe sein zu kön­nen. Ein Team von Stipendiat:innen hat uns betreut und unter­stützt, wir spiel­ten Spiele, besuch­ten die Schafe im Park am Haus Villigst, mach­ten gemein­sa­me Entspannungsübungen. Abends saßen wir Bewerber:innen gemein­sam mit den Stipendiat:innen auf der gro­ßen Treppe im Haus Villigst, die seit der Gründung des Studienwerks ein Ort des Austausches und der Begegnung ist, und schlos­sen Freundschaften.

Wer kann sich um ein Stipendium bewerben und nach welchen Kriterien wird ausgewählt?

Grundsätzlich kön­nen sich alle bewer­ben, die noch kein Studium abge­schlos­sen und das drit­te Fachsemester nicht über­schrit­ten haben. Ab 2024 kön­nen sich auch Auszubildende bewerben.

Bei vie­len Begabtenförderungswerken spie­len auch die Noten eine wich­ti­ge Rolle im Aufnahmeverfahren. Anders in Villigst, denn Intelligenz hat vie­le Gesichter und zeigt sich in den unter­schied­lichs­ten Formen. Das evan­ge­li­sche Studienwerk sucht enga­gier­te und neu­gie­ri­ge Menschen, die die Welt nicht nur reflek­tie­ren, son­dern auch ver­än­dern wol­len. Hier wird der gan­ze Mensch mit sei­nen Leistungen, sei­nem gesell­schaft­li­chen Engagement und sei­ner Motivation gese­hen und bewer­tet. Dabei spielt es kei­ne Rolle, ob und wel­cher Konfession man ange­hört, son­dern wel­che Werte man ver­tritt. Diese sind bei­spiels­wei­se demo­kra­ti­sche Werte, wie gesell­schaft­li­che Mitgestaltung oder kri­ti­sches Denken.

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Villigst bie­tet auch ein Stipendium für Menschen mit Fluchterfahrung an, das sich nicht in den Angeboten oder der finan­zi­el­len Unterstützung von den ande­ren Stipendien unter­schei­det, aber durch ein geson­der­tes Auswahlverfahren einen Schutzraum für die Bewerber:innen bie­tet. Außerdem ermög­licht es Menschen ohne fes­te deut­sche Staatsbürgerschaft, sich für das Stipendium zu bewerben.

Welche Möglichkeiten werden den Stipendiat:innen durch das Evangelische Studienwerk geboten?

Für mich hat die Aufnahme in das Stipendium mir viel mehr Mut gege­ben, eine aka­de­mi­sche Laufbahn anzu­ge­hen, und mein Selbstvertrauen gestärkt. Zu erle­ben, dass ich nun als Erstakademiker:in finan­zi­el­le, per­sön­li­che und ideel­le Unterstützung durch das Studienwerk bekom­me, bedeu­te­te mir damals und bedeu­tet mir heu­te noch sehr viel. Mit der Aufnahme wird man loka­len Konventsgruppen zuge­teilt, in denen man sich ehren­amt­lich an gemein­schaft­li­chen Aktivitäten betei­li­gen kann. Jeder Gruppe ist ein Studienleiter:in zuge­ord­net, der Dich im Laufe dei­nes Studiums hin­sicht­lich beruf­li­cher Entscheidungen berät, dir aber auch in per­sön­li­chen und emo­tio­na­len Fragen zur Seite steht. Ich habe zum Beispiel mei­nen Studienleiter um Rat gefragt, als es um einen Studiengangwechsel ging, und es war für mich eine bestär­ken­de Erfahrung, dass es Raum für mei­ne Zweifel und Wünsche gab. Neben der grund­sätz­li­chen finan­zi­el­len Unterstützung gibt es auch die Möglichkeit, Stipendien für Praktika, Studium, Summerschool oder Sprachkurse im Ausland zu erhal­ten. Ich habe zum Beispiel im Sommer an einer Artist-in-Residence in Buda­pest teil­ge­nom­men, was ohne die Unterstützung von Villigst nicht mög­lich gewe­sen wäre.

Es gab Raum für mei­ne Zweifel und Wünsche

Außerdem gibt es die Möglichkeit, ein Sozial­semester zu absol­vie­ren, also ein Semester lang zum Beispiel in der Geflüchtetenhilfe oder in einem Seniorenzentrum mit­zu­ar­bei­ten und dabei von Villigst unter­stützt zu wer­den. Darüber hin­aus gibt es eine gan­ze Reihe von Möglichkeiten wie Sommerakademien und Mentoringprogramme.

Was macht Villigst – als Begabtenförderwerk – so besonders?

Einen ganz wich­ti­gen und beson­de­ren Aspekt sehe ich in der Geschichte vom evan­ge­li­schen Studienwerk, die bis in die Gegenwart hin­ein­wirkt. Die Geschichte von Villigst reicht bis in die Nachkriegszeit zurück. Es wur­de 1948 in dem gleich­na­mi­gen Ortsteil von Schwerte in Nordrhein-Westfalen gegrün­det. Damals kamen 16 jun­ge Student:innen nach Haus Villigst, um das durch den Krieg zer­stör­te Anwesen wie­der instand zu set­zen und in den nahe gele­ge­nen Industriebetrieben des Ruhrgebiets Geld zu ver­die­nen, von dem ihre aka­de­mi­sche Ausbildung bezahlt wur­de – das waren die ers­ten Stipendien!

In der Zeit der soge­nann­ten Werksemester wur­de der Grundstein für die Förderung gelegt: Interdisziplinärer Austausch, soli­da­ri­sches Handeln und Beratung in wich­ti­gen Lebensfragen gehö­ren bis heu­te zu den Grundpfeilern des Evangelischen Studienwerks. Die Etablierung und Ausgestaltung eines brei­ten demo­kra­ti­schen Bewusstseins unter und durch die Stipendiat:innen stellt seit­her einen bedeu­ten­den Anteil im Studienwerk dar. So haben seit Ende der 1960er Jahre die Stipendiat:innen ein brei­tes Mitspracherecht auf allen Ebenen des Evangelischen Studienwerks. Alle Stipendiat:innen kön­nen sich als akti­ve Mitglieder ein­brin­gen und das Begabtenförderwerk mit­ge­stal­ten. Es gibt ver­schie­de­ne Gremien und Konferenzen, in denen die Ausrichtung des Stipendiums dis­ku­tiert und ver­än­dert wird. Außerdem gibt es Arbeitskreise, die eige­ne Projekte initi­ie­ren und das Bildungsprogramm gestal­ten. Insgesamt wür­de ich sagen, dass in Villigst Transparenz und eine kri­ti­sche Diskussionskultur groß­ge­schrie­ben werden. 

Für mich ist das Stipendium eine sehr wich­ti­ge finan­zi­el­le, aber auch per­sön­li­che Stütze gewor­den und ich hof­fe wirk­lich sehr, dass vor allem die­je­ni­gen, die den­ken, dass sie nicht für ein Stipendium geeig­net sind, viel­leicht etwas weni­ger Scheu haben und sich bewerben!

Text: Lotti Brockmann

Fotos: ES_Juroschkin

Lotti hat frü­her in Halle stu­diert und ist mitt­ler­wei­le an der Akademie der Bildenden Künste Wien immatrikuliert.

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