Sie ist auf­fäl­lig rot und das Sym­bol Lon­dons, den­noch ste­ht sie in Halle mit­ten auf dem Mark­t­platz – die Büchertele­fonzelle des Vere­ines »Fre­unde der Stadt­bib­lio­thek«. Dort lan­den die Büch­er, die sich im Bücherbasar nicht verkaufen lassen. Denn die Werke sind mehr als bedruck­te Seit­en und sollen nicht im Alt­pa­pi­er, son­dern in den Hän­den neuer LeserIn­nen lit­er­arische Wel­ten eröffnen. 

Illus­tra­tion: Betül Benli

Die »Fre­unde der Stadt­bib­lio­thek Halle« arbeit­en ehre­namtlich und mit Spenden der beson­deren Art. Jeden Mittwoch zwis­chen 14.00 und 17.00 Uhr nehmen sie Büch­er an, die bei anderen Leuten aus­sortiert wer­den und zu schade für die blaue Tonne sind. Die Vere­ins­mit­glieder sortieren die Büch­er the­ma­tisch in die Regale ihres Dom­izils ein und ver­anstal­ten min­destens an einem Don­ner­stag im Monat den Bücherbasar im Kreuzvor­w­erk 10 in Halle. Der Clou für die Besuch­er: Die Büch­er kosten ger­ade mal einen Euro das Stück, bei Bild­bän­den vielle­icht ein wenig mehr, aber das ist eher die Aus­nahme. Das Sor­ti­ment ist groß: Romane, Schul­büch­er, Reiselit­er­atur, Kinder­büch­er und Mate­ri­alien für die Uni­ver­sität. Nie­mand ver­lässt den Basar, ohne nicht zumin­d­est ein Buch mit nach Hause zu nehmen.

Doch nicht jedes Buch find­et auch ein neues Regal. Weg­w­er­fen kommt für den Vere­in nicht in Frage. Er hat sich eine bessere Lösung gefunden.

Freier Zugang zur Literatur

Die Idee, Büch­er – teils anonym – kosten­los für die bre­ite Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ent­stand in den 1990er Jahren. Das Konzept dahin­ter ist die Ver­bre­itung und der Aus­tausch von Lit­er­atur. In Deutsch­land fan­den sich die ersten Büch­er­schränke, auch kosten­lose Freilicht­bib­lio­theken genan­nt, in Darm­stadt und Han­nover. Die Umset­zun­gen sind dabei so kreativ wie vielfältig. Von Vogel­häuschen an Garten­zäunen bis hin zu ganzen Lauben am Straßen­rand, alten Weinkisten oder über­dacht­en Bil­ly-Regalen – die Auswahl an Tauschbörsen ist im ganzen Bun­des­ge­bi­et, aber auch inter­na­tion­al, riesig. Allein in Deutsch­land gibt es über 1700 Büch­er­schränke, die im Inter­net aufge­lis­tet sind. Dabei gilt meist das Prinzip: Bring eins, nimm eins. Wer kein Buch zum Tauschen dabei­hat, darf sich natür­lich trotz­dem bedi­enen und kann später an einem anderen Ort eines hinterlassen.

In Sach­sen-Anhalt gibt es min­destens 27 offiziell bekan­nte Bücher­re­gale. Einige davon ste­hen auch in Halle, so sind es zwei Tele­fonzellen: Eine im Zoo und die andere auf dem Markt. Das E‑Center in Halle-Sil­ber­höhe besitzt ein frei zugänglich­es Bücher­re­gal. Weit­ere Stan­dorte find­en sich in den Franck­eschen Stiftun­gen, in einem Café der Kleinen Ulrich­straße, im Schäfers-Cáfe am Reileck und im Musik­laden Materie am Stein­tor. Auch hier gilt die Devise: Nimm, was dir gefällt, und bringe, was du nicht mehr brauchst.

Die Telefonzelle ohne Telefon

Früher standen die Kabi­nen im ganzen Bun­des­ge­bi­et und der DDR. Meist in gelb oder weiß, mit einem dick­en Adress­buch an ein­er Kette im Inneren. Ein Anruf kostete unge­fähr zwanzig Pfen­nig, und es ertönte ein Sig­nal, wenn man Klein­geld nach­schieben musste.

In Zeit­en der Handys und Smart­phones find­et man sie heute nur noch sel­ten. Wenn man mit ein­er Fla­trate sog­ar aus dem Aus­land gün­stig tele­fonieren kann, wer­den die Kabi­nen wortwörtlich nut­z­los. Den­noch gibt es für die alten Fern­sprech­er, in denen eine Per­son vielle­icht so viel Platz hat wie in ein­er Dusche, kreative Upcy­cling-Ideen, wie die Büchertelefonzellen.

Auf dem hal­lis­chen Mark­t­platz ste­ht eine davon. Nicht gelb, dafür typ­isch britisch: knall­rot und mit gekachel­ten Fen­stern. Nur tele­fonieren kann man nicht in ihr. Dafür wur­den Regale ver­baut, auf denen man aller­lei Büch­er find­en kann. Neues, Altes, Humor­volles oder Leicht­es. Die Auswahl wech­selt fast täglich, denn nicht nur der Vere­in »Fre­unde der Stadt­bib­lio­thek« füllt die Tele­fonzelle auf, son­dern auch Hal­lenserIn­nen, die nicht mehr wis­sen, wohin sie mit ihrer Lit­er­atur sollen. So kom­men und gehen die Büch­er, wan­dern von ein­er in die näch­ste Hand und kön­nen genau das tun, wozu sie ent­standen sind: Men­schen unter­hal­ten, sie etwas lehren oder eine Samm­lung vervollständigen.

Doch die Anfänge waren für den Vere­in schw­er, die rote Tele­fonzelle ist nicht die erste ihrer Art in Halle, und auch die Büch­er ver­schwinden teil­weise über Nacht.

Höhen und Tiefen

Die erste Büchertele­fonzelle in Halle – und in ganz Sach­sen-Anhalt – wurde im März 2015 in Zusam­me­nar­beit von den »Fre­un­den der Stadt­bib­lio­thek« und dem hal­líschen Zoo errichtet, wo sie bis heute anzufind­en ist. Eine zweite wurde in Halle-Neustadt noch im gle­ichen Jahr aufgestellt. Im Sep­tem­ber wurde die aus­ge­musterte gelbe Tele­fonk­abine in der Neustädter Pas­sage nahe dem Wochen­markt mit Büch­ern bestückt und feier­lich eröffnet. Doch schon kurze Zeit später der erste Schock: Der Schrank war bis auf das let­zte Buch geleert. Das lag allem Anschein jedoch weniger an der Res­o­nanz der Neustäd­terIn­nen, denn laut Vere­in seien die Büch­er ver­mut­lich gestohlen und beim Alt­pa­pi­er zu Klein­geld gemacht wor­den. »Der Kilo­preis für Papi­er von 9 Cent ist eini­gen Bürg­ern offen­bar Anlass genug, mit dem Hand­wa­gen nachts an unser­er Büchertele­fonzelle vor­beizuschauen«, berichtet der Vere­in. Die Tele­fonzelle war, im Gegen­satz zu ihrem Pen­dant im Zoo, näm­lich rund um die Uhr geöffnet. Sie wurde wed­er überwacht noch war sie gesichert, denn sie sollte rund um die Uhr zugänglich sein. Der Vere­in und viele Bewohner­In­nen der Neustadt war­fen die Flinte jedoch nicht ins Korn und füll­ten die Regale wieder. In ein­er Nacht kurz nach Wei­h­nacht­en wurde die Tele­fonzelle von Unbekan­nten in ihre Einzel­teile zer­legt. Übrig blieb nur ein Haufen Glas und Schrott, sie wieder aufzubauen war unmöglich.

Da sich der Vere­in allein durch Spenden finanziert, startete er einen Aufruf und bekam 530 Euro für eine neue Tele­fonzelle zusam­men. »Viele Neustädter haben uns ermutigt, das Pro­jekt fortzuset­zen. Durch großzügige Spenden hallesch­er Bürg­er kon­nten wir eine gebrauchte Tele­fonzelle erwer­ben. Wir haben sie aus Bay­ern nach Halle trans­portiert, zusam­menge­baut, geputzt, Ein­baut­en und Repara­turen durchge­führt. Nach rei­flich­er Über­legung und Prü­fung ander­er Möglichkeit­en haben wir uns bewusst für eine Auf­stel­lung am alten Stan­dort entsch­ieden«, schreibt der Vere­in auf sein­er Face­book-Seite. Und so wurde die Neustädter Tele­fonzelle im Feb­ru­ar 2017 wiedereröffnet.

Illus­tra­tion: Betül Benli

Doch schon wenige Monate später ereilte den Vere­in die näch­ste schlechte Nachricht, denn die Tele­fonzelle in wurde erneut zer­stört, dieses Mal durch ein Feuer. Zu ret­ten war sie nicht mehr und der Vere­in entsch­ied sich dazu, diesen Stan­dort aufzugeben. »Grund­sät­zlich möcht­en wir in Halle-Neustadt auch weit­er­hin eine solche Möglichkeit zum Bücher­tausch anbi­eten, unab­d­ing­bare Voraus­set­zung dafür ist jedoch ander­er Stan­dort.« – doch der wurde bis heute nicht gefunden.

Dafür kon­nte im Juli des gle­ichen Jahres eine weit­ere Bücherk­abine in Halle errichtet wer­den, dieses Mal mit einem zen­tralen Stan­dort: dem hal­lis­chen Mark­t­platz. Das High­light für jeden Besuch­er ist natür­lich, dass es sich um eine orig­i­nal Lon­don­er Tele­fonzelle han­delt und damit jede Menge neugierige Blicke auf sich zieht.

Doch trotz der guten Lage wurde auch diese Tele­fonzelle von Unbekan­nten kurz nach Sil­vester stark beschädigt. Neun Fen­ster­scheiben wur­den zer­schla­gen. Im Gegen­satz zu ihrer Schwest­er in Neustadt kon­nte sie schnell repari­ert und neu mit Büch­ern bestückt wer­den, da sich der Schaden in Gren­zen hielt.

Bish­er kam es zu keinen weit­eren Beschädi­gun­gen. »Unsere Büch­er-Tele­fonzelle am Markt wird sehr gut angenom­men«, berichtet der Vere­in. Allerd­ings sind mut­maßliche Alt­pa­pier­jäger nicht von den Büch­ern fernzuhal­ten, wie der Vere­in und Zeug­In­nen berichteten. So ver­schwindet in unregelmäßi­gen Abstän­den das kom­plette Inven­tar, zurück bleiben leere Regale und ent­täuschte Anwohner­In­nen. Bei einem Preis von cir­ca 9 Cent für ein Kilo­gramm Papi­er ist das kein lohnenswert­er Brotver­di­enst, und dazu schadet es der Idee, Büch­er an lese­hun­grige BesucherIn­nen zu brin­gen. »Eine Lösung haben wir nicht. Auf frisch­er Tat haben wir auch noch nie­man­den beim Aus­räu­men der Tele­fonzelle gese­hen, auch wenn uns davon berichtet wurde«, heißt es seit­ens des Vere­ins. Den­noch füllen sie die alte Fern­sprechk­abine wieder auf, und auch bei den BesucherIn­nen ist sie sehr beliebt. Es verge­ht fast kein Tag, an dem man keine Lese­hun­ri­gen in der Tele­fonzelle anfind­et, die entwed­er Büch­er brin­gen oder sich ein oder zwei mit nach Hause nehmen.

Büchertausch für die Seele

Dass diese Regale wahrschein­lich von Alt­pa­pier­samm­lern leerg­eräumt wer­den oder vor mutwilliger Zer­störung nicht sich­er sind, hält die Frei­willi­gen jedoch nicht ab, das Pro­jekt weit­erzuführen. Ganz im Gegen­teil: Es entste­hen sog­ar immer neue Horte des Lit­er­at­u­raus­tauschs. So kommt es auch vor, dass man die eine oder andere Bücherk­iste in einem Hau­sein­gang find­et oder ein Buch ein­sam auf ein­er Park­bank einen neuen Besitzer sucht.

Wer etwas ganz Spezielles aus­pro­bieren möchte, kann sich bei bookcrossers.de anmelden und das zu ver­schenk­ende Buch mit ein­er Num­mer reg­istri­eren. Der oder die Find­erIn kön­nen ihrer­seits den Stan­dort der gefun­de­nen Lek­türe ver­merken und es nach dem Lesen an einem anderen Platz aus­set­zen. So sind schon manche Geschicht­en um die Welt gereist, immer mit dem Ziel, jeman­den zu erfreuen.

Mit etwas Glück find­et sich ein weit­gereistes Buch auch in der Tele­fonzelle am Markt. Denn jedes Werk erzählt mehr als eine Geschichte, die es wert ist, nicht im Alt­pa­pier­con­tain­er zu landen.

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