Die Möglichkeiten, wäh­rend des Studiums ein oder meh­re­re Semester im Ausland zu ver­brin­gen, sind an der hal­li­schen Universität viel­sei­tig: Ob allein orga­ni­siert, inter­na­tio­nal mit dem DAAD oder euro­pa­weit mit dem Programm »Erasmus+«. Über letz­te­res führ­te Lisas Reise wäh­rend des Sommersemesters an die »Państwowa Wyższa Szkoła Zawodowa w Nysie« in Polen.

Polen – dar­an schei­nen wohl weni­ge Studierende für ein Auslandssemester zu den­ken, denn BewerberInnen für die Plätze gibt es am Germanistischen Institut weni­ge. Dabei ver­bin­det Deutschland und Polen eine lan­ge, gemein­sa­me Geschichte, die bis in das Mittelalter zurück­reicht. Und auch lite­ra­risch ver­bin­det bei­de Länder ein star­kes Band. So ent­schied ich mich bewusst für Nysa, einer klei­nen Stadt nahe der Grenze zur Tschechischen Republik, die mit dem Fernbus cir­ca zehn Stunden von Halle ent­fernt liegt.

Vom Wohnheim durch die Stadt
Alles was man für vier Monate braucht. Foto: Lisa Kollien

Am bes­ten kann man die Stadt vom Wohnheim aus erkun­den, denn die­ses liegt direkt am Fluss Nysa Kłodzka, der im Glatzer Schneegebirge 20 Kilometer süd­lich der Stadt ent­springt und spä­ter in Rybna in die Oder mün­det. Das Wohnheim, in dem neben 35 Erasmusstudierenden auch vie­le pol­ni­sche Studierende woh­nen, liegt in einem Stadtteil, der frü­her Friedrichstadt hieß. Nach dem zwei­ten Schlesischen Krieg ließ Friedrich der Große sie als eigen­stän­di­ge Stadt errich­ten. Auf einem Hügel öst­lich des Wohnheims befin­det sich das Fort Preußen, das heu­te zu Besichtigungen und für Feste zur Verfügung steht.

Ebenfalls in die­sem Teil der Stadt befin­det sich das Denkmal zu Ehren von Joseph Freiherr zu Eichendorff, dem gro­ßen Romantiker des aus­ge­hen­den 19. Jahrhunderts. In Schlesien gebo­ren, stu­dier­te Eichendorff auch ein Jahr in Halle, bevor er sein Studium in Heidelberg fort­setz­te. Zwei Jahre vor sei­nem Tod im Jahr 1857 ver­schlug es ihn nach Nysa, da sein Schwiegersohn hier sta­tio­niert wur­de. Sein Grab befin­det sich heu­te auf dem Jerusalemer Friedhof, nur weni­ge Gehminuten von der Gedenkstätte ent­fernt. Sein Wohnhaus wur­de aller­dings nach dem Zweiten Weltkrieg voll­stän­dig zerstört.

Vom Friedhof aus führt der Weg am Fluss ent­lang zum Stausee von Nysa, dem Jezioro Nyskie. 1971 fer­tig­ge­stellt, ist der See heu­te ein Bade- und Erholungsparadies.

Auf der ande­ren Seite des Flusses befin­det sich ein gro­ßer Park. Wie ein grü­nes Band umschließt er die gan­ze Stadt, wes­halb ein Spaziergang bis zu zwei Stunden dau­ern kann.

Die Innenstadt ist vom Park aus gut zu errei­chen. Die Kirche St. Peter und Paul, eine Barockkirche aus dem 18. Jahrhundert, schließt sich an den Park an. An ihrer Seite fin­det sich auch der Neptunbrunnen. Nun ist der Kern Nysas erreicht. Im Zentrum steht die Kirche St. Jakobus und Agnes, die gera­de restau­riert wird. Hier wur­de 2009 Maria Merkert – die Gründerin der »Kongregation der Schwestern von der Heiligen Elisabeth« – selig­ge­spro­chen. Das Mutterhaus des Klosters befin­det sich ein paar Meter wei­ter auf dem Salzmarkt an der Jesuitenkirche St. Marien und dem Carolinum-Kollegium. Ich hat­te das Glück, Schwester Margarita, die Archivarin des Klosters, die sich der Aufarbeitung der Geschichte Maria Merkerts ver­schrie­ben hat, ken­nen­zu­ler­nen und das Kloster zu besich­ti­gen. So lern­te ich, dass zum Beispiel auch das hal­li­sche Krankenhaus »St. Elisabeth und St. Barbara« zu der Schwesternschaft gehört.

Weiter geht es am Bischofspalast vor­bei zurück in den Stadtpark. Überraschend ist, dass es in den Parks und am Flussufer vie­le öffent­li­che Fitnessgeräte gibt. Von Steppern zu Rudergeräten bis zu Hantelbänken ist für alle Sportliebenden etwas dabei. Besonders gefal­len hat mir, dass es im Park eige­ne Wege für Radfahrende und Zufußgehende gibt. Wird die Straße gekreuzt, ist es für FußgängerInnen von Vorteil, dass es fast aus­schließ­lich Zebrastreifen gibt. Generell gehen sehr vie­le sport­li­che Menschen bei Wind und Wetter im Park ihren Hobbys nach.

Der Spaziergang endet beim Breslauer Tor und am Denkmal der gefal­le­nen pol­ni­schen Soldaten des Aufstands von 1920. Der Weg zurück ins Wohnheim geht vor­bei am Institut für Philologie und der Polizeischule sowie dem Rektorengebäude der Hochschule. Die Berliner Brücke führt über die Glatzer Neiße, und der Ausgangspunkt ist erreicht.

Eigennamen Polnisch – Deutsch
Brzeg – Brieg
Nysa – Neiße
Nysa Kłodzka – Glatzer Neiße
Opole – Oppeln
Rybna – Reibnig
Warszawa – Warschau
Wrocław – Breslau 

Postkarten aus ganz Europa

Das Wohnheim in Nysa ist etwas gewöh­nungs­be­dürf­tig. So kommt es fast täg­lich zu klei­nen Stromausfällen, lau­war­mes Wasser ist beim Duschen an der Tagesordnung, und lau­te Partys der MitbewohnerInnen fin­den fast wöchent­lich auf dem Flur statt, denn alle Erasmusstudierenden leben auf einer Etage. Für umge­rech­net 80 Euro ist aber im Grunde alles da, was man braucht: Bett, WLAN und Badezimmer. In einem Raum von geschätzt 15 Quadratmetern habe ich mir vier Monate mit einer Studentin aus Mexiko und einer aus Griechenland das Zimmer geteilt.

Das Gute an dem Wohnheim ist natür­lich, dass hier vie­le Menschen aus den unter­schied­lichs­ten Regionen zusam­men­kom­men. Meine Mitbewohnerin aus Mexiko zum Beispiel war schon sechs Monate in Nysa, blieb also ein gan­zes Jahr zum Austausch. Eine ande­re Studierende kam nach einem Vierzehn-Stunden-Flug aus Indien, mit gera­de ein­mal 19 Jahren erfüll­te sie sich den Traum von Europa. Auch vie­le Studierende aus der Türkei ver­schlug es an die Hochschule. Fast jedes Wochenende nutz­ten sie ihr Zeit und bereis­ten ganz Europa. Eine von ihnen schick­te mir ins Wohnheim sogar jedes Mal eine Postkarte.

Schnell fin­det sich Anschluss, und zusam­men haben wir ver­schie­de­ne Reisen durch Polen unter­nom­men. Angefangen beim wöchent­li­chen Essengehen, über Tagesausflüge nach Wrocław, Opole oder Kraków, habe ich mir mit drei wei­te­ren Studentinnen ein Auto gemie­tet, und wir sind zusam­men durch ganz Polen gefah­ren; die Pfingstferien haben es mög­lich gemacht. So sahen wir nicht nur die Hauptstadt Warszawa, son­dern auch Gdańsk, Elbląg und Poznań. Gesprochen wur­de natür­lich auf Englisch, denn mei­ne Mitfahrerinnen kamen aus der Tschechischen Republik und Frankreich. Wir vier waren auch regel­mä­ßig zusam­men jog­gen, denn wir woll­ten ein Souvenir, das kei­ner hat­te: Eine Medaille vom 10-Kilometer-Lauf in Nysa, wel­che wir uns auch tap­fer erlau­fen haben.

Auch die Unterrichtssprache ist in Nysa in der Regel Polnisch oder Englisch. Im Germanistischen Institut wird sogar Deutsch gespro­chen, ein Vorteil, der auch mei­nen KommilitonInnen zugu­te­kam, denn so konn­ten sie nicht nur ihr Deutsch ver­bes­sern, son­dern mir auch ein paar pol­ni­sche Wörter bei­brin­gen. Zudem durf­te ich auch ein Praktikum absol­vie­ren, das ich an der ört­li­chen Oberschule »Rolnik« mach­te. Für zehn Wochen wohn­te ich dem Deutschunterricht bei, hos­pi­tier­te und lehr­te sogar eigen­stän­dig im Unterricht. Die Klassen dort sind im Aufbau ähn­lich einer hie­si­gen Berufsschule, bei der gleich­zei­tig das Abitur erlangt wird.

Zudem ver­an­stal­ten die Dozierenden an der PWSZ vie­le Ausflüge, Workshops und zusätz­li­che Seminare, um den Unterricht span­nend und abwechs­lungs­reich zu gestal­ten. Praxis ist hier genau­so wich­tig wie Theorie. So wer­den Schulen besucht, wo ein Tag lang Unterricht gehal­ten wird, es gab eine zwei­wö­chi­ge Exkursion nach Cottbus an eine städ­ti­sche Schule, und auch die Kooperation mit dem Goethe-Institut ist sehr eng. So fand im Sommersemester auch ein Workshop zum Thema »Spiele im Fremdsprachenunterricht« statt.

Ein wenig wie Halle

Nysa und Halle ver­bin­det nicht nur his­to­risch eine lan­ge Geschichte, auch im Stadtbild las­sen sich eini­ge Gemeinsamkeiten erken­nen. So fin­den sich auf dem Marktplatz zwi­schen baro­cken Hausfassaden auch sozia­lis­ti­sche Plattenbauten. Ein gan­zes Viertel im Westen der Stadt ähnelt Halle-Neustadt, und auch die Einkaufsmöglichkeiten sind äqui­va­lent: Aldi, Lidl, Rossmann, Deichmann, Takko und KiK rei­hen sich anein­an­der, ange­führt von einer rie­si­gen Kauflandfiliale. Einige der Produkte wer­den sogar mit den deutsch­spra­chi­gen Aufschriften ver­kauft – nicht nur der Harzer Käse. Allerdings fiel mir auf, dass die Qualität der Lebensmittel viel höher ist als im hie­si­gen Discounter, und das teil­wei­se zu einem Viertel des Preises. Das liegt zum Beispiel dar­an, dass Pestizide auf den Feldern offi­zi­ell ver­bo­ten sind. Das ist nicht nur am Obst und Gemüse zu sehen, son­dern auch in der Natur zu hören. Auf mei­nem Weg zum Praktikum bin ich mor­gens durch den Park gegan­gen; die Vogelkonzerte und das Insektenbrummen sind im Vergleich zu Halle ohren­be­täu­bend. Auch die Pflanzen wir­ken grö­ßer und grü­ner als in der Saalestadt.

Auf der ande­ren Seite gibt es in Polen kein Pfandsystem für Flaschen, Gläser oder Dosen, die dann am Straßenrand lie­gen oder die Mülleimer ver­stop­fen. Auch die Luft hat eine ganz ande­re Qualität. Zwar liegt Nysa nicht im unmit­tel­ba­ren Kohlerevier so wie Katowice, geheizt wird den­noch mit Kohle und – nach mei­nen KommilitonInnen – mit allem, was sich eben ver­feu­ern lässt. Wenn ich im Frühjahr abends in das Wohnheim zurück­kam, haf­te­te mei­nen Haaren der rau­chi­ge Duft eines Lagerfeuers an.
Dennoch habe ich mein Herz an Polen ver­lo­ren. Das Auslandssemester war ein gro­ßes Abenteuer, das ich sofort wie­der machen wür­de und nur jedem ans Herz legen kann.

Erasmus+
ist ein Programm der Europäischen Kommission zur Förderung all­ge­mei­ner und beruf­li­cher Bildung sowie Jugend- und Sportaktivitiäten auf euro­päi­scher und inter­na­tio­na­ler Ebene.
Zum Auslandssemester bie­tet das International Office der MLU vie­le Veranstaltungen an. Zudem gibt es für jedes Institut KoordinatorInnen, die ger­ne für Fragen und Bewerbungen zur Verfügung ste­hen. Es ist mög­lich, ab dem drit­ten Fachsemester in das euro­päi­sche Ausland zu gehen, wobei sich die Partnerhochschulen von Institut zu Institut unter­schei­den. Bis zu zwölf Monaten kann man in der Regel im euro­päi­schen Ausland zu blei­ben, aller­dings kann man die­se auch um ein Praktikum erwei­tern. Man erhält zudem ein Stipendium (die Höhe ist abhän­gig vom Gastland), die Möglichkeit Sprachkurse zu bele­gen, und man kann sich an der MLU und der Gastuniversität auf ein geschul­tes Team ver­las­sen, das mit Rat und Tat hel­fend zur Seite steht.

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