Der Geruch von frischem Holz steigt einem in die Nase, wenn man die Türschwelle in den neueröffneten Unverpackt-Laden „abgefüllt“ übertritt. Die duftenden Regale sind alle selbstgebaut; ein Indiz von vielen, wie viel Arbeit die Betreiber Florian Thürkow und Hannes Schulz in den ersten Laden dieser Art in Halle gesteckt haben. In dem kleinen Geschäft am August-Bebel-Platz können seit dem 24.06. unterschiedliche Waren abgefüllt und in Mehrwegbehältern oder recyclebaren Verpackungen mitgenommen werden.
Am Morgen der Eröffnung kommt kurz vor knapp noch die letzte Ware an. Da geht es nicht um das Obst und Gemüse, was von Anfang an frisch in den Körben landen sollte; die Sorgenkinder waren einige Behälter, die am Tag davor noch nicht mit Trockenprodukten gefüllt werden konnten. Das weckte bei den beiden Besitzern die Befürchtung, dass es die gewünschte Lieferung nicht rechtzeitig in den Laden schaffen würde. Die Kundschaft bekommt von alledem nichts mit. Prall-gefüllt mit unterschiedlichen Sorten Nudeln, Reis, Nüssen, Müsli und vielem mehr zieren die länglichen Container nun endlich die Ladenwand. „Das sieht richtig schön aus“, schwärmt eine junge Kundin.
So manche Hürden mussten überstanden werden
Rückblickend gab es neben der fast nicht pünktlichen Lieferung ein paar weitere Stolpersteine, die auf dem Weg zur Eröffnung gemeistert werden mussten. Dazu gehörte zum Beispiel das Finden einer passenden Räumlichkeit. Der favorisierte Ort schien anfangs unerreichbar. „Die Location hier verbindet mehrere Viertel miteinander. Deshalb dachten wir, dass das hier schon einschlagen könnte. Es hieß erst sie sei schon weg, aber ich bin denen noch ein bisschen länger auf die Nerven gegangen“, erzählt Florian. Nachdem er den Eigentümern dann sein Konzept geschickt hatte, konnten sie sich letztendlich doch gegen viele weiter Interessenten durchsetzen.
Die tatsächliche Umsetzung des Projektes Unverpackt-Laden wurde mit dem erstandenen Verkaufsraum erst so richtig in Gang gesetzt. „Als wir die Zusage dann hatten, war klar: Jetzt müssen wir das auch machen.“ Demnach habe es von der anfänglichen Idee bis zum Start keine großen Überlegungen gegeben. Hannes bezeichnet es eher als „Kurzschlussreaktion“, die mit dem Verlangen nach einem nachhaltigeren Leben getroffen wurde: „Als Familienväter muss man ja viel Einkaufen und dabei haben wir festgestellt, dass man das gar nicht wirklich ohne Verpackungsmüll realisieren kann. Dieses Bewusstsein, dass man immer wieder Müll mit einkauft, war uns zuwider. Wir dachten, dass so ein Unverpackt-Laden doch eigentlich ganz nett wäre; leider gab es so etwas in Halle einfach nicht.“
Von Crowdfunding über Containergrößen zur Patchworkfamilie
Die zwei Familienväter haben in ihren gelernten Berufen weder etwas mit Lebensmitteln, noch mit Betriebswirtschaft am Hut. Hannes ist Grundschullehrer und Florian arbeitet als Informatiker.
„Durch die Crowdfunding-Aktion konnten wir uns den Businessplan schon mal sparen“, verrät Florian. Diese starteten sie am 11. März dieses Jahr. Staunend beobachteten sie, wie innerhalb von nur vier Tagen das erste Ziel von 20.000 Euro erreicht wurde. Das Abenteuer Unverpackt-Laden konnte somit auf jeden Fall mit einer Grundausstattung realisiert werden. Ambitioniert setzten die beiden sich auch ein zweites Ziel mit 38.000 Euro. Dieses wollten sie nutzen, um ihren zukünftigen Kunden weitere Features, wie eine Nusscreme-Maschine, Kaffeemaschine, Getränke und Eis, bieten zu können. Auch hier erfuhren sie mehr Unterstützung, als sie sich hätten erträumen können. Bis heute sind über 41.000 Euro zusammengekommen, was einen sehr gut ausgestatteten Laden ermöglichte.
War für die Finanzierung weniger Expertise nötig, mussten sie sich darüber hinaus mit vielen anderen Themen auseinandersetzen: Welche Bins (Behälter, aus denen die Ware abgefüllt wird) sind sinnvoll für den Verkaufsraum? Wie breit sollten die Regale sein, damit die gewünschten Bins auch reinpassen? Welche Lieferanten sollen den Laden bestücken? Wie viele Mitarbeiter können in welchem Arbeitsverhältnis beschäftigt werden? Und, und, und. Alles Aspekte, die für beide Neuland bedeuteten.
Unterstützung erhielten sie vor allem von Vorreitern: „Die Unverpackt-Community ist extrem genial! Die sind so kollegial, da gibt es kein Konkurrenzdenken!“, schwärmt Hannes. „Man konnte alles fragen! Über das richtige Regalsystem oder wie breit die Bretter sein müssen“, stimmt Florian ihm zu. Am Ende sei es natürlich ihre Entscheidung gewesen, wie sie das Geschäft tatsächlich ausstatten, aber unterschiedliche Meinungen und Erfahrungen waren für sie eine enorme Hilfe.
Für beide steht fest, dass „abgefüllt“ zusätzlich zu ihren Hauptbeschäftigungen läuft und auch weiter laufen wird. Gründe dafür sind zum einen die Liebe zu ihren Jobs und zum andern der Wunsch, das umgesetzte Geld wieder in den Laden zurückfließen lassen zu können: „Wir wollen vor allem unser Personal fair bezahlen. Momentan haben wir eine Vollzeitkraft und vier Pauschalkräfte, was wir auch gerne so beibehalten möchten.“
Das Projekt ist nicht dafür da, ihren Lebensunterhalt zu sichern. In erster Linie soll es den, wie sie sagen, „Hallensern, Halloren und Hallunken“ die Möglichkeit bieten, verpackungsfrei einkaufen zu können. Die beiden Väter verraten: „Ohne unsere Frauen hätten wir es gar nicht so weit geschafft. Eigentlich sind wir gerade wie eine große Patchworkfamilie.“
Mögliche weitere unverpackt Einkaufsmöglichkeiten in Halle fürchten sie nicht als Konkurrenz, im Gegenteil: „Umso mehr Läden das machen, desto schöner ist es. Es geht um mehr als nur die Bude voll zu haben!“, so Hannes.
Was steckt in den Behältern und wo kommt es her?
Das angestrebte Ziel war damals: regional, saisonal und unverpackt. Das versuchen sie auch weiter so gut es geht zu erfüllen. Für besonders wichtig halten die zwei Ladenbesitzer Regionalität bei Gemüse und anderen frischen Produkten. Der liefernde Biohof ist in Bruckdorf beheimatet, einem Stadtteil weit im Südosten Halles. Bei diesem wird alles noch sehr ursprünglich von Hand gepflügt. Massenproduktion jedweder Art sucht man dort also vergeblich; ebenso laufen auch die Regale im „abgefüllt“ nicht über. „Wenn‘s alle ist, ist es halt alle“, erklärt Florian. Sie setzten sich viel mit ihren Lieferanten auseinander; die Begeisterung von der Zusammenarbeit mit diesen bleibt nicht verborgen.
Den Großteil ihrer Ware beziehen sie von einem Bioverband aus Erfurt. Auch diese Produkte stammen, so weit wie möglich, aus der dortigen Region. Einiges kommt aus Hamburg, Lippenbalsam in kleinen Blechbüchsen aus Dresden — auch das ohne Produktion von Müll. Ein Pfandsystem, so wie wir es von Flaschen und verschiedenen Glasbehältern kennen, ist hier die Lösung. Der Käufer zahlt einen Euro Pfand pro Büchse, die circa ein halbes Jahr halten sollte. Bevor sich Florian und Hannes für dieses Produkt entschieden haben, fragten sie berechtigterweise beim Lieferanten nach: „Wie sieht das Ding denn aus, nach einem halben Jahr in der Frauenhandtasche?“ Für den ist das kein Thema, denn er könne sie scheinbar wieder so aufwerten, dass sie ohne Bedenken weiter verwendbar sind.
Auch der Kaffeelieferant aus Chemnitz kann mit Besonderheiten punkten. Er lege viel Wert auf die Arbeitsbedingungen der Bauern auf den Plantagen. So soll er eigene Leute vor Ort haben, die darauf achten würden, dass alles fair abläuft. Zusätzlich bestimmen die Bauern den Preis, wodurch eine faire Bezahlung garantiert werde. Auch hier wird aber durch die Verpackung des Kaffees Müll produziert. Zwar ist es schon ein Fortschritt, dass der Kaffee in einer großen Kunststofftüte geliefert wird, statt in vielen kleinen, aber das reichte Florian und Hannes noch nicht. Gemeinsam haben sie mit dem Verkäufer einen Deal ausgehandelt, durch den sie den Verpackungsmüll weiter reduzieren wollen. Die aufgeschnittene und entleerte Tüte geht wieder zurück an den Lieferanten. Dieser füllt sie erneut mit Kaffee und schweißt sie wieder zu. So passen natürlich etwas weniger Kaffeebohnen als vorher hinein, aber bis es zu einem markanten Unterschied kommt, kann die Verpackung mehrmals verwendet werden.
Eine ähnliche Abmachung haben sie mit dem Verkäufer der Reinigungs- und Waschmittel getroffen, die sie zum Verkauf anbieten. Diese werden in großen Kunststoffcontainern geliefert. Die Vorstellung, dass diese jedes Mal, nachdem sie leer sind, wieder im Müll landen, hat den beiden sehr missfallen. Also haben sie das auch hier nicht willenlos so hingenommen, sondern nachgefragt, ob es nicht die Möglichkeit gäbe, ein Mehrwegsystem einzuführen. Erneut haben die zwei eine positive Reaktion erfahren. Der Lieferant nimmt die Tonnen ab jetzt wieder zurück, wertet sie auf und verwendet sie erneut. Ein Bewusstsein der Müllvermeidung ist somit nicht nur bei den Besitzern des „abgefüllt“ da, sondern auch bei den Lieferanten. Solche Zusammenarbeit ist für die beiden sehr wichtig, denn nur im Großen lässt sich tatsächlich etwas verändern.
Mit einer Verpackung sind sie bis jetzt allerdings nur zu 98 Prozent zufrieden: Der des Eises. Es war eines der versprochenen Produkte, falls das zweite Crowdfunding-Ziel von 38.000 Euro erreicht werden konnte. Da tatsächlich genug finanzielle Unterstützung zusammenkam, sollte dieses Versprechen auch umgesetzt werden. Der ursprüngliche Lieferant, der sie damit in unverpackter Form versorgen sollte, sprang leider ab. Kugeleis wurde in den kleinen Räumlichkeiten, mit den vielen anderen Waren drumherum, nicht genehmigt. Letztendlich haben sie sich für eine Firma entschieden, die Stieleis in einer Verpackung verkauft, die zu 98 Prozent kompostierbar sind. Die restlichen 2 Prozent sind der Verschweißstreifen, der vorgeschrieben ist. Allerdings wird auch hier weiter geforscht, wie man dieses Problem aus der Welt schaffen kann.
Generell ist alles, was verkauft wird, Bio. Wäre das nicht der Fall, bräuchten sie zwei unterschiedliche Lager, die sie durch die Räumlichkeiten nicht zur Verfügung hätten.
Verpackungsarm und sonst so?
Der große Vorteil der Müllvermeidung bei diesem Ladenkonzept wird unterstützt durch weitere positive Aspekte. Für den ein oder anderen vielleicht etwas überraschend, ist es zum einen der Preis, der punkten kann. Natürlich darf man die Produkte hier nicht mit denen aus dem nächsten Discounter vergleichen. Richtet man aber seinen Blick auf andere Biomarken, stellt man schnell fest: Das kann auch einen positiven Unterschied für meinen Geldbeutel machen. Auch einige KundInnen reagieren bei dem Blick auf den Preis freudig überrascht: „Das ist echt günstiger, als ich gedacht hätte.“
Ebenso erleben Singlehaushalte und ältere Menschen den Vorteil, weniger kaufen und somit weniger schleppen zu müssen. Für Hannes hat vor allem der Einkauf mit Kindern in einem Unverpackt-Laden einen riesigen Mehrwert: „In herkömmlichen Supermärkten wird das rosa Müsli genommen mit dem fetten Einhorn drauf, ohne dass man weiß, was überhaupt drin ist. Hier kann man den Kindern zeigen: Magst du lieber das hier mit Schokostücken oder doch das mit Rosinen? Es ist ein viel bewussteres Einkaufen, schön ursprünglich.“
„Wir üben alle noch“
Zurück zum 24. Juni. Um genau 13.00 Uhr werden die Türen zu dem Raum geöffnet, an dem die beiden viele Stunden gearbeitet haben. Trotz den sehr warmen Temperaturen, auch im Laden, kamen viele neugierige Hallenser, Halloren oder Hallunken zum Geschäft und begutachteten die angebotene Ware. Zwei regionale Lieferanten haben Probierstationen davor aufgebaut und schenken Sekt aus oder verteilen Marmeladenbrote.
Drinnen haben die Beschäftigten alle Hände voll damit zu tun, das System zu erklären, Ware zu wiegen und Fragen zu den Produkten zu beantworten. „Puh, ich muss wieder raus, es ist viel zu heiß“, so oder so ähnlich ertönt es immer wieder. Die Hitze und die vielen Menschen auf einem Fleck machen es schwer, in Ruhe die Ware zu erkunden. Dennoch lassen sich die meisten nicht davon abschrecken.
Einige haben ihre Glasbehälter direkt mitgenommen und stehen etwas ratlos vor der Waage, die im Laden auf der Fensterbank platziert wurde. Direkt meldet sich eine freundliche Stimme von der Seite: „Kennen Sie sich mit dem System aus oder kann ich vielleicht helfen?“ Dankbar nehmen die meisten die Hilfe der MitarbeiterInnen an und lassen sich erklären, dass sie an dieser Waage ihre leeren Behälter wiegen und das Leergewicht mit einem Aufkleber auf das Gefäß kleben können. Dann dürfen sie es mit dem gewünschten Produkt befüllen und damit zur Kasse gehen. Von dem Gesamtgewicht wird das Leergewicht abgezogen, woraus sich der Endpreis ergibt. Die ein oder andere Nudel landet auch mal daneben. Ein entspanntes „Wir üben alle noch“, von den MitarbeiterInnen, lassen den kleinen Fauxpas aber schnell vergessen.
Viele stehen interessiert an dem Selbstbaukasten für Waschmittel, den man samt Zutaten erstehen kann. „Hm, gute Idee, aber irgendwie doch ein bisschen kompliziert“, sagt eine Kundin zu ihrer Begleitung. Für weniger experimentierfreudige kann auch ein bereits fertiges Waschmittel abgefüllt werden. Das begeistert wiederum eine weitere Kundin: „Ach, das ist ja wirklich gut, dann kann man sich das einfach so abfüllen“. Das System hat sie auf jeden Fall verstanden.
Bambustoilettenpapier, Baumwollslipeinlagen, festes Shampoo, Zahnpasta und weitere Kosmetikprodukte reihen sich neben diesen Artikeln ein. Einige bedienen sich an den kühlen Getränken und dem Eis. „Kann ich Ihnen vielleicht direkt den Müll abnehmen?“, bietet eine Mitarbeiterin den KundInnen an. Dieser wird nämlich strikt nach kompostierbarer Verpackung und nicht kompostierbaren Verschweißstreifen getrennt.
Die Besitzer sind durch das Betreuen der KundInnen, dem Begrüßen von Bekannten und dem Geben von Interviews voll ausgelastet. Dabei merkt man ihnen die Freude an, mit der sie ihren Laden präsentieren. Für den Abend haben Florian und Hannes einen Schnaps geplant – nach langen Wochen voller Arbeit mal eine Gelegenheit, um runterzufahren.