Geschlechtergerechte Sprache ist eine Herausforderung, manch­mal eine Überwindung. Aber sie ist unbe­streit­bar wich­tig. Wir haben jetzt auch damit ange­fan­gen, es ein­heit­lich zu machen. Aus der Flut der mög­li­chen Zeichen haben wir uns den Doppelpunkt aus­ge­sucht. Ein sehr per­sön­li­cher Brief über die Tücken einer sich wan­deln­den Sprache.

Liebe Leser:innen,
kurz nach­dem ich „Leser“ tip­pe, erstarrt mein rech­ter Zeigefinger ver­un­si­chert über der Tastatur mei­nes Laptops. Fast auto­ma­tisch zuckt er nach oben rechts – hin zum Stern. Nicht Sternchen, Gendern ist kei­ne zu ver­nied­li­chen­de Angelegenheit. Dann, nach die­sem kur­zen Schwenk, erin­nert sich mein Finger und schnellt fast ruck­ar­tig zurück nach unten – hin zum Doppelpunkt. 

Ich unter­wer­fe mich noch etwas unge­lenk die­ser Schreibweise. Der Doppelpunkt über­rascht. Nicht weil wir jetzt gen­dern, son­dern weil er viel­leicht nicht die gewöhn­lichs­te aller Arten der gerech­ten Sprache ist.

Gendern ist nicht ein­fach. Gendern wird auch nicht immer kon­se­quent ange­wandt. Manch einer stol­pert über einen uner­kann­ten Handwerker, nimmt sich dann aber umso mehr Zeit für die Französinnen und Franzosen, die sich nur schwer in einem Wort ver­ei­nen las­sen. Aber nichts­des­to­trotz ist es wich­tig. Das möch­te ich dahin­stel­len – als gege­ben. Wer sich zu Hause am Küchentisch noch dar­über strei­ten muss, dem spre­che ich mein herz­li­ches Beileid aus. 

Wir, die has­tu­zeit, haben uns seit der letz­ten Ausgabe auf eine Form zu gen­dern geei­nigt, näm­lich auf den Doppelpunkt. Und wer die­sen nicht ver­wen­den möch­te, der muss sich eine zei­chen­lo­se Variante des Genderns aus­su­chen oder schreibt dann eben geschlech­te­run­ge­recht. Doppelpunkt oder kein Doppelpunkt, vor die­ser Frage steht ab sofort jede:r Autor:in. Es gab vie­le ande­re Möglichkeiten. Um die soll es nun auch gehen. 

Illustration: Ellen Neugebauer 

Zuerst möch­te ich die ver­meint­lich ein­fachs­te Form vor­stel­len. Die Paarform. Eigentlich ein Gewinn. Sie ist sprach­lich kor­rekt, man merkt, dass der Sprecher oder die Sprecherin sich Zeit nimmt, um Sprache gerecht zu machen. Es gibt nur zwei Probleme. Ihre Stärke, das Sich-Zeit-Nehmen, ist auch ihre Schwäche. Jeder muss selbst wis­sen, ob er die Zeit hat; oft geht die Anrede dann aber in einem unver­ständ­li­chen Genuschel unter. Ich habe schon oft genug Menschen „Professoren und Professoren“ sagen hören. Länge ist nicht nur beim Sprechen manch­mal hin­der­lich, auch beim Schreiben. Und man den­ke nur an den Tintenverbrauch und die hohen Druckerpatronenkosten. Ein Alptraum, nicht nur für Schwaben. 

Nicht zu ver­ges­sen, die Paarform lie­fert nicht, was sie ver­meint­lich zu ver­spre­chen scheint. Sie ver­bin­det zwar Mann und Frau, aber sie schafft es nicht, an alles dazwi­schen und dane­ben zu den­ken. So bleibt das drit­te Geschlecht zum Beispiel voll­kom­men unbe­rück­sich­tigt. Also ver­ges­sen wir sie ganz schnell wie­der, die Paarform. 

Kommen wir lie­ber zum Binnen‑I oder zum Schrägstrich. Beide mit ähn­li­chen Nachteilen behaf­tet. Nicht nur, dass sie zu unglaub­lich umständ­li­chen Satz- und Denkstrukturen füh­ren kön­nen („Bist du der/die ein­zi­ge Bäcker/in unter dei­nen Freund/innen?“), sie stel­len uns vor die gram­ma­ti­ka­li­sche Sisyphusarbeit, „Arzt“ zu gen­dern. „ÄrztIn“ geht ja nicht, weil „Arzt“ nicht mit „Ä“, aber „ArztIn“ ja auch nicht, weil „Ärztin“ nicht mit „A“. Außerdem wer­den wie­der nur Mann und Frau mitgedacht. 

Illustration: Ellen Neugebauer 

Dann gibt es noch die gen­der­neu­tra­le Methode: In man­chen Fällen das Partizip („Studierende“), in ande­ren Fällen ein­fach ein von sich aus geschlech­ter­ge­rech­tes Wort („Menschen“). Mit dem Partizip ist es so eine Sache. Es ver­mag die kon­ser­va­ti­ve Kundschaft nicht zu ver­är­gern, man­che klam­mern sich aber an den gram­ma­ti­ka­li­schen Strohhalm, sprin­gen auf die Barrikaden und schrei­en, dass Studierende ja wohl nicht immer stu­die­ren, son­dern manch­mal (wahr­schein­lich sogar meis­tens) mit ande­rem beschäf­tigt sei­en. Oft wohl mit Alkohol, in dem Fall wäre dann „Suffköpfe“ wohl am gerech­tes­ten. Wenn wir sol­che Menschen aber igno­rie­ren, sto­ßen wir auf ein alt­be­kann­tes Problem. Unsere alten Feinde, die Ärzte und Ärztinnen und alle mit glei­chem Berufsbild, aber ande­rer Geschlechtsidentität, stel­len uns auch beim Partizip ein Bein. „Ärz-ten­de“ gibt es nicht, die „Ärzteschaft“ ist nicht gen­der­ge­recht, und die „Verarztenden” impli­zie­ren eine kon­kre­te Aktivität. Einfach eine doo­fe Berufsgruppe. 

Wie wäre es zur Abwechslung mit dem gene­ri­schen Femininum? Statt also immer ein­falls­los die „Ärzte“ zu sagen, machen wir eine 180-Grad-Wende und sagen ab heu­te nur noch die „Ärztinnen“. Das ist pro­vo­kant, macht auf die Problematik auf­merk­sam, es ist erfri­schend und neu. Ein Problem bleibt aber, gerecht wird Sprache dadurch nicht. 

Jetzt, schon sehn­süch­tig erwar­tet, kom­men wir zur wohl berühm­tes­ten Form des Genderns – der Gender Gap. Sie kommt meis­tens als Stern daher, aber auch ger­ne als Unterstrich, Leerzeichen, Punkt oder Doppelpunkt. Jede Art hat ihre indi­vi­du­el­len Vor- und Nachteile. Der Doppelpunkt ist schlank und fällt nicht auf, wenn man denn nicht auf­fal­len will. Das war wohl das ent­schei­den­de Argument für die has­tu­zeit, ein weni­ger holp­ri­ger Lesefluss.

Illustration: Ellen Neugebauer

Der Stern ist popu­lär. Das Leerzeichen aber macht aus einem zwei Wörter. Die Gender Gap hat jeden­falls einen unschlag­ba­ren Vorteil: Sie nimmt alle mit. Ob es die Zacken des Sterns sind oder der Unterstrich, auf dem sich alle ver­sam­meln kön­nen, die Gender Gap denkt auch Menschen zwi­schen Mann und Frau mit. Es wäre aber nicht Gendern, wenn nicht auch hier Kritik laut wür­de. Grammatikalisch ist die­se Art oft falsch, und bei Einzelpersonen sto­ßen wir auf ähn­li­che Probleme wie beim Binnen‑I, ins­be­son­de­re bei der:dem Ärztin:Arzt. Soll das so aussehen? 

Es gibt kei­ne abso­lut rich­ti­ge Art zu gen­dern. Jede hat ihre Vor- und Nachteile. Der Doppel­punkt, für den wir uns ent­schie­den haben, ist nicht zwin­gend bes­ser oder schlech­ter als die ande­ren Alternativen. Man muss sich selbst aus­su­chen, wel­che man am bes­ten, am ange­nehms­ten oder am anstö­ßigs­ten fin­det. Es ist wich­tig, sich zu strei­ten, über Doppelpunkt oder Binnen‑I, über Unterstrich oder Partizip. Denn wie wir spre­chen, so den­ken wir. Unsere Sprache bestimmt, wie wir leben, und sie ent­wi­ckelt sich immer fort. Sprachwandel gibt es, Sprachzerfall nicht. So wird es irgend­wann völ­lig nor­mal sein, geschlechter­gerecht zu sprechen.

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