Hass, Fake News, rech­te Parolen – während die einen brül­len, zie­hen sich die ande­ren genervt zurück. Bringt doch alles nichts mehr. Aber wer die Debatte kampf­los auf­gibt, über­lässt sie den Populisten. Wir müs­sen die errei­chen, die noch nicht ver­lo­ren sind, bevor es die Falschen tun. Aber wie?

Ja, es nervt, mit Leuten zu dis­ku­tie­ren, die sich irgend­wo zwi­schen „Die rei­ßen uns die Ölheizung raus“ und „Deutschland wird isla­mi­siert“ bewe­gen. Niemand steht mor­gens auf und denkt sich: Heute mal eine gepfleg­te Debatte über den Klimawandel mit Onkel Herbert, der glaubt, CO₂ sei eine Erfindung der Chinesen. Aber viel­leicht soll­ten wir genau das öfter tun. Vielleicht nicht mit Onkel Herbert. Vielleicht auch nicht mit dem Berufsrassisten vom Nachbarhaus, der für die AfD im Stadtrat kan­di­diert. Aber viel­leicht mit denen, die noch unsi­cher sind, die schwan­ken, die aus Unsicherheit oder Angst in die fal­sche Richtung schielen.

Ja, es ist anstren­gend. Ja, es kos­tet Nerven. Ja, es ist ent­spann­ter, in der eige­nen Blase zu blei­ben. Aber wenn wir uns nicht mehr trau­en, mit Menschen zu reden, nur weil sie nicht genau unse­rer Meinung sind, dann dür­fen wir uns auch nicht auf­re­gen, wenn sie zu den Falschen lau­fen. Wenn wir uns nur weg­dre­hen, über­las­sen wir den­je­ni­gen das Feld, die die Angst pro­fes­sio­nell bewirt­schaf­ten. Dann lie­fern ande­re die ver­meint­li­chen „Erklärungen“ und „Lösungen“. Spoiler: Die pro­gres­si­ve Mitte wird es nicht sein.

Wenn wir uns weg­dre­hen, über­las­sen wir ande­ren das Feld

Wir dür­fen Rassismus, Antisemitismus und Fake News nicht unkom­men­tiert ste­hen­las­sen. Wenn Wolfgang am Stammtisch drei­mal hin­ter­ein­an­der hört, dass „die Flüchtlinge unser Sozialsystem plün­dern“, dann glaubt er das irgend­wann. Und wenn ihm nie­mand sagt, dass das ein­fach nicht stimmt, dann bleibt die­se Version der Welt unangefochten.

Das heißt nicht, dass man mit ein­ge­fleisch­ten Rechtsextremen dis­ku­tie­ren muss. Es wird aber eine gro­ße Zahl von Verunsicherten und Unentschlossenen geben, die noch nicht ganz ver­lo­ren sind. Der Verwandte, der Bekannte, der Freund von frü­her. Davon wird ein Teil bereits AfD gewählt haben, ein ande­rer ten­diert viel­leicht dahin. Die Lösung kann nicht sein, sie in ihrer Blase zu las­sen, wo sie nur noch bestärkt wer­den. Wenn nie­mand gegen­steu­ert, wer­den sie immer tie­fer in den Sumpf rutschen.

Letztlich geht es um nicht weni­ger als die Frage, in wel­cher Gesellschaft wir leben wol­len. Und wenn wir nicht wol­len, dass die­se Gesellschaft wei­ter nach rechts kippt, dann bleibt uns viel­leicht nichts ande­res übrig, als uns dem unan­ge­neh­men Gespräch zu stel­len. Denn wer sich nur empört und weg­schaut, über­lässt das Reden den Falschen. Und dann wun­dern wir uns am Ende wie­der über Wahlergebnisse, die wir in Teilen hät­ten ver­hin­dern können.

Wir müs­sen reden, aber viel­leicht anders als bis­her. Fakten wie Betonklötze vor die Füße zu wer­fen, hat in den letz­ten Jahren offen­sicht­lich zu nichts geführt, wenn man sich die Wahlergebnisse anschaut. Statt wei­ter ach­sel­zu­ckend auf Uneinsichtigkeit und Dummheit zu ver­wei­sen, soll­ten wir viel­leicht ein­mal dar­über nach­den­ken, war­um so vie­le Menschen den Schwachsinn von AfD, Trump und Co. glau­ben, und die Art und Weise anpas­sen, wie wir unse­re Botschaften ver­mit­teln. Dann hal­ten wir viel­leicht den einen oder ande­ren davon ab, sei­ne Stimme einer offen ras­sis­ti­schen und rechts­ex­tre­men Partei zu geben. Einen Versuch ist es wert.

Warum glauben so viele an den Mist?

Diese Frage stel­len wir uns wohl alle. Die Liste der Gründe ist wahr­schein­lich zu lang und zu indi­vi­du­ell, um sie in ihrer Gesamtheit dar­zu­stel­len. Einige Mechanismen lohnt es sich viel­leicht den­noch anzu­schau­en. Sie zu ver­ste­hen gibt uns viel­leicht eine klei­ne Chance, den einen oder ande­ren zum Umdenken zu bewe­gen oder zumin­dest wie­der ins Gespräch zu kommen.

Der Mist ist ein­fach. Unser Gehirn ist faul. Kaum Rechenpower, aber täg­lich mit einer Flut von Informationen kon­fron­tiert. Es bleibt des­halb lie­ber auf der Couch der men­ta­len Bequemlichkeit sit­zen. Im Alltag schützt uns die­se intel­lek­tu­el­le Faulheit vor der tota­len Reiz­überflutung. Am Familientisch ist sie jedoch die Ursache für so man­chen kogni­ti­ven Fehlschluss, der uns schon den einen oder ande­ren Abend kopf­schüt­telnd nach Hause fah­ren ließ.

Was leicht ver­ständ­lich ist, wirkt überzeugend

Studien konn­ten zei­gen, dass wir gerin­ge kogni­ti­ve Anstrengung beim Verstehen und Erinnern von Informationen ten­den­zi­ell eher mit Wahrheit in Verbindung brin­gen, hohe Anstrengung dage­gen mit Unwahrheit. Psychologen nen­nen das „Kognitive Leichtigkeit“ bezie­hungs­wei­se „Fluency“. Das bedeu­tet im Klartext: Wenn Onkel Herbert beim Essen sei­ne Geschichten von der Klimalüge aus dem Ärmel schüt­telt und sei­ne Herleitungen dabei ein­fach struk­tu­riert, dann muss sich das Hirn von Tante Birgit nicht so doll anstren­gen wie bei unse­rer kom­ple­xen, wis­sen­schaft­lich beleg­ten Widerlegung die­ses Unsinns. Was Onkel Herbert sagt, erscheint für Tante Birgit des­halb ein biss­chen glaubhafter.

Wir alle nei­gen dazu, Informationen eher zu glau­ben, wenn sie leicht zu ver­ar­bei­ten sind, unab­hän­gig vom tat­säch­li­chen Wahrheitsgehalt. Leichtigkeit schafft eine Illusion von Wahrheit. Das betrifft sowohl ein­fa­che Sprache als auch ein­fa­che Lösungen, wur­de aber auch auf weit­aus bana­le­ren Ebenen getestet.

Oder was glaubst Du: Welche Aussage trifft zu?

„Osorno liegt in Peru“

„Osorno liegt in Bolivien“

Solche Aussagen haben die Psychologen Reber und Schwarz 1999 ihren Studienteilnehmern in ähn­li­cher Form vor­ge­legt. Und sie­he da: Die meis­ten stimm­ten Aussage 1 eher zu, obwohl die wenigs­ten wuss­ten, wo Osorno wirk­lich liegt. Osorno ist eine Stadt in Chile. Aussage 1 lässt sich auf­grund der kla­re­ren Erkennbarkeit bes­ser ver­ar­bei­ten. Und das erzeugt in unse­rem Gehirn die Illusion von Wahrheit. Was sich leicht ver­ar­bei­ten lässt, muss wahr sein. Und was sich leicht ver­ar­bei­ten lässt, kann man sich auch leich­ter mer­ken. Was uns zum nächs­ten Punkt bringt.

Können wir reden?

Der Mist wird stän­dig wie­der­holt. Joseph Goebbels sag­te: „Eine Lüge muss nur oft genug wie­der­holt wer­den, dann wird sie geglaubt.“ Eine Taktik, der sich Trump und AfD aus­gie­big bedie­nen. „Wahlbetrug!“, „Lügenpresse!“, „Umvolkung!“ – Begriffe, die so oft in die Welt gerotzt wer­den, dass sie selbst dann hän­gen­blei­ben, wenn man sie für Unsinn hält. Hab ich schon mal gehört, wird wohl was dran sein.

In einer Metaanalyse von Psychologen der Universitäten Basel und Freiburg konn­te 2010 gezeigt wer­den, dass wir dazu nei­gen, Botschaften eher zu glau­ben, wenn wir sie leicht erin­nern kön­nen, unab­hän­gig von deren Wahrheitsgehalt. Psychologen spre­chen hier­bei von „Retrieval Fluency“ (Abrufflüssigkeit). Das erklärt wahr­schein­lich auch, war­um sich die Hirngespinste zu Klima, Asylpolitik und Corona gera­de in den­je­ni­gen länd­li­chen Regio­nen im Osten gehal­ten haben, wo Meinungsvielfalt eher ein­ge­schränkt ist. Wenn ich zum hun­derts­ten Mal über den Gartenzaun die Geschichte vom grü­nen Teufel Habeck höre, der per­sön­lich bei mir vor­bei­kommt, um mei­ne funk­tio­nie­ren­de Ölheizung aus­zu­bau­en, dann ist es doch nur eine Frage der Zeit, bis ich den Mist glau­be. Die rei­ne Wiederholung ver­ein­facht Erinnern. Leichtes Erinnern ver­wech­seln wir ger­ne mit Wahrheit. Goebbels wuss­te das, Trump weiß das, die AfD weiß das. Gerhard vom Nachbarschaftsverein weiß das nicht, fällt aber dar­auf rein. Aber was für Fake News gilt, gilt auch für Fakten. Der Mechanismus funk­tio­niert in bei­de Richtungen. Das soll­ten wir uns zunut­ze machen, auch wenn wir uns aus unse­rer aka­de­mi­schen Natur her­aus nur ungern wiederholen.

Der Mist ist oft emo­tio­nal. „Eine Fünfjährige wur­de geges­sen. Lebendig! Vom Flüchtling! Stand auf Facebook.“ Dieser kur­ze Ausschnitt aus der NDR-Dokumentation „Weltbahnhof mit Kiosk“ ver­deut­licht, mit wel­chem wei­te­ren Problem wir es zu tun haben. Fakten sind lang­wei­lig. Sie sind distan­ziert, bie­ten kei­ne dra­ma­ti­schen Wendungen und kei­ne gro­ßen emo­tio­na­len Höhepunkte. Eine gute Geschichte, die uns wütend, trau­rig oder ängst­lich stimmt, bleibt hän­gen. Emotionen sind Katalysatoren für Erinnerung. Der Nachbar, der trotz Impfung an Corona stirbt – das bleibt im Kopf. Viel stär­ker als Deine vier­tel­stün­di­ge Erklärung, war­um man vom Einzelfall nicht auf die Gesamtheit schlie­ßen soll­te. Je emo­tio­na­ler die Geschichte, des­to inten­si­ver wird sie ver­in­ner­licht. Und ein­fa­ches Erinnern gau­kelt uns Wahrheit vor.

Fakten lang­wei­len, Emotionen blei­ben im Kopf

Der Mist ist platz­spa­rend. Es wird unter­schied­li­che Gründe geben, war­um Desinformation den einen trifft und den ande­ren nicht. Wie stark wir uns bei unse­rer Wahrheitsbeurteilung von gerin­ger Anstrengung beein­flus­sen las­sen, hängt aber zum Beispiel davon ab, wie voll unser Fass kogni­ti­ver Anstrengung bereits ist. Wo nicht viel Luft nach oben ist, will nicht viel nach­ge­kippt wer­den. Schlechte Lebensumstände, Stress und nega­ti­ve Emotionen kön­nen die­sen Füllstand in die Höhe trei­ben. Wer gera­de sei­nen Job ver­lo­ren hat, unglück­lich mit sei­nen Familienverhältnissen ist oder sich vom Staat „betro­gen“ fühlt, wird ten­den­zi­ell weni­ger moti­viert sein, sein rest­li­ches biss­chen Energie in die tie­fe Auseinandersetzung mit den kom­ple­xen Problemen der Welt zu ste­cken. Dann ist die men­ta­le Abkürzung der will­kom­me­ne­re Weg. Kaum ver­wun­der­lich, dass Parteien, wel­che auf die Wahl die­ser Abkürzung auf­grund feh­len­der ech­ter Lösungen ange­wie­sen sind, Angst und Wut schü­ren, um den Füllstand in die Höhe zu treiben.

Wenn wir mit Personen dis­ku­tie­ren, bei denen die­se Sorgen und Ängste bereits geschürt wur­den, soll­ten wir also in Betracht zie­hen, dass ihr Fass bei die­sen Themen schon voll ist. Die Abkürzung wer­den sie ver­mut­lich neh­men, aber viel­leicht haben wir die Richtung in der Hand.

Warum sind so viele von ihrer Meinung nicht abzubringen?

Haben wir uns erst mal eine Meinung gebil­det, ist es häu­fig schwer, uns davon abzu­brin­gen. Zwei Mechanismen spie­len dabei eine beson­ders ent­schei­den­de Rolle.

Vielleicht hilft Koffein

Bei unse­rer Wahrheitssuche nei­gen wir dazu, die­je­ni­gen Informationen zu suchen, die unse­re Meinungen und Ansichten bestä­ti­gen. Das konn­ten die Psychologen Klayman und Young-won bereits 1987 bestä­ti­gen. Willkommen in der wohl kusche­ligs­ten Komfortzone des mensch­li­chen Geistes: dem Confirmation Bias. Wir sehen, was wir suchen. Und wir suchen ten­den­zi­ell das, was dafür spricht, dass wir recht haben. Da neh­men wir uns alle nicht viel. Die Algorithmen von Instagram, YouTube und Co. hel­fen dabei, indem sie uns mit maß­ge­schnei­der­ter Bestätigung füt­tern. Die täg­li­che Dosis vor­ge­fil­ter­ter Inhalte strei­chelt unse­ren Nacken der Überzeugungen so sanft, dass wir gar nicht mer­ken, wie gefan­gen wir in einer Blase sind.

Beide Seiten sehen sich im Recht

Ungeachtet der Seriosität der Quelle kön­nen wir so für jede Einstellung „Fakten“ fin­den, die die­se bestä­ti­gen. Und genau­so wenig, wie wir dubio­sen Aussagen selbst­er­nann­ter Telegram-Redakteure Seriosität zuschrei­ben, spricht ein gro­ßer Teil der Gegenseite unse­ren „poli­tisch gelenk­ten, links-grün-ver­si­ff­ten Systemmedien“ oder unse­rer „gekauf­ten Wissenschaft“ Glaubwürdigkeit zu. Sie schen­ken uns mit der glei­chen Inbrunst kei­nen Glauben, wie wir kei­nem „Hat Frank aus Wuppertal auf Telegram geschrieben“-Argument trau­en. Beide Seiten sehen sich im Recht. Beide Seiten erhof­fen sich Einsicht, die nicht ein­tre­ten wird.

Habe ich mir eine Überzeugung erst ein­mal mit viel Mühe und Hingabe erar­bei­tet, dann will ich sie nur ungern hin­ter­fra­gen oder gar auf­ge­ben. Das inne­re Ziehen, das dabei ent­steht, wäre doch uner­träg­lich. Die Überzeugung wird Teil mei­nes Selbstbildes. Ich, der Neo in der Matrix. Ein Angriff auf mei­ne Überzeugungen ist ein Angriff auf mein posi­ti­ves Selbstbild. Und die­ses wol­len wir verteidigen.

In der Psychologie bezeich­net man die­sen Zustand nega­ti­ver Gefühle, der ent­steht, wenn zwei Kognitionen (Ideen, Einstellungen, Wahrnehmungen) im Widerspruch zuein­an­der ste­hen, als kogni­ti­ve Dissonanz. Erstmals wur­de die­ser Begriff von Leon Festinger 1957 ver­wen­det. Kognitive Dissonanz ent­steht aller­dings nur, wenn ich Kognitionen zulas­se, die im Widerspruch zu mei­nen Einstellungen ste­hen. Wenn ich mich also aktiv mit Gegenargumenten aus­ein­an­der­set­ze. Generell ver­su­chen wir, Dissonanzen zu ver­mei­den oder durch Rechtfertigung vor uns selbst auf­zu­lö­sen. Wer eine star­ke Meinung hat, igno­riert des­halb gern Gegenargumente oder spricht ihnen Glaubwürdigkeit ab. Viel ange­neh­mer, viel weni­ger schmerz­haft – und vor allem bes­ser fürs Ego.

Bereit sein, auch mal falsch zu liegen

Wenn wir uns mit Wolfgang in den Diskurs bege­ben, soll­ten wir des­halb immer im Hinterkopf behal­ten, dass er womög­lich viel Zeit und Energie in sei­ne Überzeugungen gesteckt hat. Nicht unbe­dingt in die Recherche, aber dafür in die Aufrechterhaltung. Deshalb hat Wolfgang auch viel zu ver­lie­ren. Wir soll­ten über­le­gen, wie viel Dissonanz wir bei ihm aus­lö­sen, wenn wir ihn schon im ers­ten Satz mit Vorwürfen und Beleidigungen kon­fron­tie­ren. Selbst auch mal die ein oder ande­re Unsicherheit ein­ge­ste­hen. Bereit sein, zuzu­ge­ben, auch mal falsch zu lie­gen. Mit gutem Vorbild vor­an­ge­hen. Den stei­ni­gen Weg zusam­men beschrei­ten, anstatt reflex­ar­tig ins eige­ne Lager zurück­zu­sprin­gen. Und ja, es wird müh­sam, wenn wir das Gegenüber ein Stück tra­gen müs­sen. Am Ziel der Reise, einer Gesellschaft, in der man sich zuhört und Vielfalt aus­hält, kom­men wir aber nur gemein­sam an. Und viel­leicht lernt der ein oder ande­re durch uns auf die­sem Weg das Laufen.

Worauf sollten wir achten, wenn wir ins Gespräch gehen?

Tipp 1: Klare und ein­fa­che Sprache. Versuche, in kla­rer, ein­fa­cher und leicht ver­ständ­li­cher Sprache zu spre­chen. Kurze, ein­präg­sa­me Sätze. Je geläu­fi­ger die Begriffe, des­to bes­ser. Leichte Verständlichkeit schafft Glaubwürdigkeit. Komplexität schafft Distanz. Gerade wir Studis drü­cken uns ger­ne mal kom­pli­zier­ter aus, als wir es eigent­lich müss­ten. Komplizierte Sätze und schi­cke Fremdwörter mögen im Uni-Seminar beein­dru­cken. Wolfgang von gegen­über, der Dir heu­te zum drit­ten Mal von der gro­ßen Weltverschwörung erzählt, schal­tet dage­gen nach dem ers­ten Nebensatz ab. Schaffst Du es, kom­pli­zier­te Dinge sim­pel zu erklä­ren, hält Dich Dein Gegenüber nicht nur für schlau­er, son­dern muss sich auch weni­ger das Hirn ver­kno­ten. Und was das Hirn nicht ver­kno­tet, fühlt sich – ob man will oder nicht – gleich ein biss­chen wah­rer an.

Tipp 2: Verpacke Deine Statistiken in Geschichten und Einzelfälle. Für gro­ße Zahlen und Statistik sind wir blind. Die COVID-19-Impfung hat vor schwe­ren Verläufen geschützt? Darüber war sich die gro­ße Mehrheit der Wissenschaftler einig? Nett. „Ich hat­te nach der Spritze drei Tage Kopfschmerzen“ hat Dein Argument trotz­dem in jeder Diskussion geschla­gen. Wir iden­ti­fi­zie­ren uns mit Geschichten, nicht mit Tabellen. Identifikation ruft Gefühle her­vor. Und wer fühlt, glaubt. In Deiner Diskussion über Corona gewinnt des­halb nicht der rie­si­ge Datensatz Deiner RKI-Studie, son­dern die per­sön­li­che Erzählung von Tante Birgit, die „es ja sel­ber erlebt hat“. Nervig? Ja. Aber nicht zu ändern. Spiel das Spiel des­halb mit: Überlege Dir, wie Du ein paar Deiner Fakten beim nächs­ten Mal in eine Geschichte oder einen span­nen­den Einzelfall ver­pa­cken kannst. Eine, die Emotionen weckt. Eine, die hän­gen bleibt. Geschichten erschei­nen uns logi­scher und machen Deine Argumente schluck­freund­li­cher, ohne dass Dein Gegenüber direkt das Gefühl hat, sei­ne Meinung ändern zu müs­sen. Der Dissonanz wirkst Du somit ent­ge­gen. Einzelfälle spie­geln nicht das Gesamtbild wider, das wis­sen wir. Birgit inter­es­siert das aber nicht. Fakten, die Du in eine schö­ne Geschichte ver­packst, dage­gen schon.

Tipp 3: Wiederhole Deine Botschaften. Wieder und wie­der und wie­der. Sei ruhig pene­trant. Wenn eine Information häu­fig wie­der­holt wird, fühlt sie sich irgend­wann rich­tig an. Mach Dir die Effekte kogni­ti­ver Leichtigkeit zunut­ze. Wenn es Trump und der AfD gelingt, men­schen­ver­ach­ten­de Lügen durch ein­fa­che Wiederholung zu ver­an­kern, dann kön­nen auch wir es schaf­fen, unse­re Botschaften mit der­sel­ben Taktik zu ver­brei­ten. Wir müs­sen gegen­hal­ten, anstatt uns nur dar­über auf­zu­re­gen. Den Spieß umdre­hen. Mit ein wenig Glück zei­gen auch unse­re Botschaften dann Wirkung. Also, wer­de nicht müde, wie­der­ho­le, wie­der­ho­le, wiederhole.

Zu vie­le Argumente errei­chen oft das Gegenteil

Perspektivwechsel: Da kannst du dich
auf den Kopf stellen

Tipp 4: Dosiere Deine Argumente sinn­voll – Weniger ist oft mehr. Ja, uns fal­len vie­le Gründe ein, war­um Ausländerhass kei­ne Alternative ist, der Klimawandel men­schen­ge­macht ist und Wolfgangs Deutschland nicht isla­mi­siert wird. Lass Deine Wahrheit aber nicht unter ihrer eige­nen Masse zusam­men­bre­chen. Das mensch­li­che Gehirn ist kein Hochleistungsserver. Und mit der Menge an Gegenargumenten steigt auch die Menge an Informationen, die Wolfgang durch­ackern muss. Und das kos­tet Energie und geis­ti­gen Aufwand. Wer sei­nen Gesprächspartner mit zu vie­len Argumenten zur Vernunft prü­geln will, erreicht des­halb oft genau das Gegenteil: men­ta­le Überforderung, Ablehnung, Rückzug ins beque­me Paralleluniversum. Psychologen spre­chen hier­bei vom Overkill-Backfire-Effekt: Je mehr Gegenargumente man lie­fert, des­to wahr­schein­li­cher wird das Gehirn das gesam­te Argumentationspaket ein­fach absto­ßen wie ein schlecht pro­gram­mier­tes Windows-Update. Verstehen und Erinnern brau­chen Platz im Kopf – und zu vie­le Informationen kon­kur­rie­ren um die­sel­ben Ressourcen. Die kom­ple­xe Realität kann des­halb manch­mal ganz schön unglaub­wür­dig wir­ken. Serviere erst mal nur zwei bis drei kna­cki­ge Argumente – mund­ge­recht, erin­ne­rungs­freund­lich, wider­stands­fä­hig. Dosiere Deine Wahrheit. Sonst ist sie schnel­ler weg­ge­wischt als Wolfgangs Whatsapp-Status.

Tipp 5: Verwende kei­ne leicht angreif­ba­ren Argumente. Wer in der Debatte auf wacke­li­ge Punkte setzt, gibt sei­nem Gegenüber nicht nur Munition, son­dern reicht ihm gleich noch das pas­sen­de Gewehr. Wir sind kei­ne Richter, die Argumente fair und aus­ge­wo­gen gewich­ten. Stattdessen kickt der soge­nann­te Negativbias: Der fau­le Apfel ver­saut die gan­ze Kiste. Dann kannst Du noch so bril­lan­te Argumente lie­fern – wenn sich dar­un­ter auch nur eine halb­ga­re Behauptung ver­steckt, wird sich Dein Gegenüber dar­auf stür­zen. Es reicht, wenn das schwächs­te Glied reißt, um die gan­ze Kette als unbrauch­bar abzu­tun. Dann kreist die Debatte nur noch um den wacke­li­gen Punkt, wäh­rend das eigent­li­che Thema ver­duns­tet. Mach es Deinem Gegenüber des­halb nicht so ein­fach. Überlege vor­her, wie viel Angriffspotenzial Du ihm bie­test. Weniger Argumente sind mehr, solan­ge sie sit­zen. Verzichte des­halb viel­leicht auf „Diesen Winter war es viel wär­mer als sonst“.

Bleib freund­lich und lobe Dein Gegenüber auch mal

Tipp 6: Bleib freund­lich. Auch wenn er es uns nicht ein­fach macht: Veralbere Wolfgang nicht! Menschen sind offe­ner für Kritik, wenn sie sich vor­her posi­tiv wahr­ge­nom­men füh­len. Deshalb soll­test Du frü­her bei Feedbacks in der Schule auch zuerst hono­rie­ren, dass frei und klar gespro­chen wur­de, bevor Du auf den man­geln­den Inhalt des Vortrags ein­ge­gan­gen bist. Ja, es ist schwer. Nein, es fühlt sich nicht rich­tig an. Aber wenn Du Dein Gegenüber wirk­lich errei­chen willst: Bleib freund­lich und lobe es auch mal. Hau dem Klimawandel-Leugner nicht direkt um die Ohren, wel­chen Unsinn er redet. Sag viel­leicht statt­des­sen: „Ich sehe, dass du dich echt umfang­reich mit dem Thema befasst hast. Und ja, es gibt noch offe­ne Fragen. Aber …“. Nicke viel­leicht ein paar Mal zustim­mend, wenn er wie­der mit sei­nen Quellen jon­gliert. Erst das Ego strei­cheln, dann Deine Argumente setzen.

Kurz gesagt: Bleib nett. Oder sei wenigs­tens nicht gehäs­sig. Sonst geht Wolfgang in sei­ne Verteidigungshaltung, noch bevor die eigent­li­che Diskussion über­haupt ange­fan­gen hat.

Erwarte nicht zu viel.

Nein, Du wirst nicht alle damit errei­chen. Nein, Du musst nicht in jede Diskussion gehen. Ja, es gibt unend­lich vie­le Strategien, Tipps und klu­ge Ratschläge. Ein Teil davon wird Dir hel­fen. Beim Verstehen und beim Handeln. Dein Gegenüber wird nicht direkt alle sei­ne Einstellungen über Bord wer­fen, nur weil Du mit ihm gere­det hast. Darum geht es auch nicht. Wenn er beim nächs­ten Stammtisch wenigs­tens kurz ins Stocken gerät, bevor er irgend­ei­nen Quatsch nach­plap­pert, dann hast Du mehr erreicht, als Du denkst. Gib ihm Zeit. Weltbilder stür­zen nicht in einer Debatte ein. Sie brö­ckeln lang­sam, oft unbe­merkt, manch­mal über Jahre.

Deshalb dran­blei­ben. Immer und immer wie­der. Ohne den Anspruch, die Welt in einem Gespräch zu ret­ten. Aber mit der Gewissheit, dass jeder Riss im fal­schen Narrativ eine Chance für etwas Besseres ist.

Text: Sebastian Teuber

Illustration: Rika Garbe

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