Hass, Fake News, rechte Parolen – während die einen brüllen, ziehen sich die anderen genervt zurück. Bringt doch alles nichts mehr. Aber wer die Debatte kampflos aufgibt, überlässt sie den Populisten. Wir müssen die erreichen, die noch nicht verloren sind, bevor es die Falschen tun. Aber wie?
Ja, es nervt, mit Leuten zu diskutieren, die sich irgendwo zwischen „Die reißen uns die Ölheizung raus“ und „Deutschland wird islamisiert“ bewegen. Niemand steht morgens auf und denkt sich: Heute mal eine gepflegte Debatte über den Klimawandel mit Onkel Herbert, der glaubt, CO₂ sei eine Erfindung der Chinesen. Aber vielleicht sollten wir genau das öfter tun. Vielleicht nicht mit Onkel Herbert. Vielleicht auch nicht mit dem Berufsrassisten vom Nachbarhaus, der für die AfD im Stadtrat kandidiert. Aber vielleicht mit denen, die noch unsicher sind, die schwanken, die aus Unsicherheit oder Angst in die falsche Richtung schielen.
Ja, es ist anstrengend. Ja, es kostet Nerven. Ja, es ist entspannter, in der eigenen Blase zu bleiben. Aber wenn wir uns nicht mehr trauen, mit Menschen zu reden, nur weil sie nicht genau unserer Meinung sind, dann dürfen wir uns auch nicht aufregen, wenn sie zu den Falschen laufen. Wenn wir uns nur wegdrehen, überlassen wir denjenigen das Feld, die die Angst professionell bewirtschaften. Dann liefern andere die vermeintlichen „Erklärungen“ und „Lösungen“. Spoiler: Die progressive Mitte wird es nicht sein.
Wenn wir uns wegdrehen, überlassen wir anderen das Feld
Wir dürfen Rassismus, Antisemitismus und Fake News nicht unkommentiert stehenlassen. Wenn Wolfgang am Stammtisch dreimal hintereinander hört, dass „die Flüchtlinge unser Sozialsystem plündern“, dann glaubt er das irgendwann. Und wenn ihm niemand sagt, dass das einfach nicht stimmt, dann bleibt diese Version der Welt unangefochten.
Das heißt nicht, dass man mit eingefleischten Rechtsextremen diskutieren muss. Es wird aber eine große Zahl von Verunsicherten und Unentschlossenen geben, die noch nicht ganz verloren sind. Der Verwandte, der Bekannte, der Freund von früher. Davon wird ein Teil bereits AfD gewählt haben, ein anderer tendiert vielleicht dahin. Die Lösung kann nicht sein, sie in ihrer Blase zu lassen, wo sie nur noch bestärkt werden. Wenn niemand gegensteuert, werden sie immer tiefer in den Sumpf rutschen.
Letztlich geht es um nicht weniger als die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Und wenn wir nicht wollen, dass diese Gesellschaft weiter nach rechts kippt, dann bleibt uns vielleicht nichts anderes übrig, als uns dem unangenehmen Gespräch zu stellen. Denn wer sich nur empört und wegschaut, überlässt das Reden den Falschen. Und dann wundern wir uns am Ende wieder über Wahlergebnisse, die wir in Teilen hätten verhindern können.
Wir müssen reden, aber vielleicht anders als bisher. Fakten wie Betonklötze vor die Füße zu werfen, hat in den letzten Jahren offensichtlich zu nichts geführt, wenn man sich die Wahlergebnisse anschaut. Statt weiter achselzuckend auf Uneinsichtigkeit und Dummheit zu verweisen, sollten wir vielleicht einmal darüber nachdenken, warum so viele Menschen den Schwachsinn von AfD, Trump und Co. glauben, und die Art und Weise anpassen, wie wir unsere Botschaften vermitteln. Dann halten wir vielleicht den einen oder anderen davon ab, seine Stimme einer offen rassistischen und rechtsextremen Partei zu geben. Einen Versuch ist es wert.
Warum glauben so viele an den Mist?
Diese Frage stellen wir uns wohl alle. Die Liste der Gründe ist wahrscheinlich zu lang und zu individuell, um sie in ihrer Gesamtheit darzustellen. Einige Mechanismen lohnt es sich vielleicht dennoch anzuschauen. Sie zu verstehen gibt uns vielleicht eine kleine Chance, den einen oder anderen zum Umdenken zu bewegen oder zumindest wieder ins Gespräch zu kommen.
Der Mist ist einfach. Unser Gehirn ist faul. Kaum Rechenpower, aber täglich mit einer Flut von Informationen konfrontiert. Es bleibt deshalb lieber auf der Couch der mentalen Bequemlichkeit sitzen. Im Alltag schützt uns diese intellektuelle Faulheit vor der totalen Reizüberflutung. Am Familientisch ist sie jedoch die Ursache für so manchen kognitiven Fehlschluss, der uns schon den einen oder anderen Abend kopfschüttelnd nach Hause fahren ließ.
Was leicht verständlich ist, wirkt überzeugend
Studien konnten zeigen, dass wir geringe kognitive Anstrengung beim Verstehen und Erinnern von Informationen tendenziell eher mit Wahrheit in Verbindung bringen, hohe Anstrengung dagegen mit Unwahrheit. Psychologen nennen das „Kognitive Leichtigkeit“ beziehungsweise „Fluency“. Das bedeutet im Klartext: Wenn Onkel Herbert beim Essen seine Geschichten von der Klimalüge aus dem Ärmel schüttelt und seine Herleitungen dabei einfach strukturiert, dann muss sich das Hirn von Tante Birgit nicht so doll anstrengen wie bei unserer komplexen, wissenschaftlich belegten Widerlegung dieses Unsinns. Was Onkel Herbert sagt, erscheint für Tante Birgit deshalb ein bisschen glaubhafter.
Wir alle neigen dazu, Informationen eher zu glauben, wenn sie leicht zu verarbeiten sind, unabhängig vom tatsächlichen Wahrheitsgehalt. Leichtigkeit schafft eine Illusion von Wahrheit. Das betrifft sowohl einfache Sprache als auch einfache Lösungen, wurde aber auch auf weitaus banaleren Ebenen getestet.
Oder was glaubst Du: Welche Aussage trifft zu?
„Osorno liegt in Peru“
„Osorno liegt in Bolivien“
Solche Aussagen haben die Psychologen Reber und Schwarz 1999 ihren Studienteilnehmern in ähnlicher Form vorgelegt. Und siehe da: Die meisten stimmten Aussage 1 eher zu, obwohl die wenigsten wussten, wo Osorno wirklich liegt. Osorno ist eine Stadt in Chile. Aussage 1 lässt sich aufgrund der klareren Erkennbarkeit besser verarbeiten. Und das erzeugt in unserem Gehirn die Illusion von Wahrheit. Was sich leicht verarbeiten lässt, muss wahr sein. Und was sich leicht verarbeiten lässt, kann man sich auch leichter merken. Was uns zum nächsten Punkt bringt.

Der Mist wird ständig wiederholt. Joseph Goebbels sagte: „Eine Lüge muss nur oft genug wiederholt werden, dann wird sie geglaubt.“ Eine Taktik, der sich Trump und AfD ausgiebig bedienen. „Wahlbetrug!“, „Lügenpresse!“, „Umvolkung!“ – Begriffe, die so oft in die Welt gerotzt werden, dass sie selbst dann hängenbleiben, wenn man sie für Unsinn hält. Hab ich schon mal gehört, wird wohl was dran sein.
In einer Metaanalyse von Psychologen der Universitäten Basel und Freiburg konnte 2010 gezeigt werden, dass wir dazu neigen, Botschaften eher zu glauben, wenn wir sie leicht erinnern können, unabhängig von deren Wahrheitsgehalt. Psychologen sprechen hierbei von „Retrieval Fluency“ (Abrufflüssigkeit). Das erklärt wahrscheinlich auch, warum sich die Hirngespinste zu Klima, Asylpolitik und Corona gerade in denjenigen ländlichen Regionen im Osten gehalten haben, wo Meinungsvielfalt eher eingeschränkt ist. Wenn ich zum hundertsten Mal über den Gartenzaun die Geschichte vom grünen Teufel Habeck höre, der persönlich bei mir vorbeikommt, um meine funktionierende Ölheizung auszubauen, dann ist es doch nur eine Frage der Zeit, bis ich den Mist glaube. Die reine Wiederholung vereinfacht Erinnern. Leichtes Erinnern verwechseln wir gerne mit Wahrheit. Goebbels wusste das, Trump weiß das, die AfD weiß das. Gerhard vom Nachbarschaftsverein weiß das nicht, fällt aber darauf rein. Aber was für Fake News gilt, gilt auch für Fakten. Der Mechanismus funktioniert in beide Richtungen. Das sollten wir uns zunutze machen, auch wenn wir uns aus unserer akademischen Natur heraus nur ungern wiederholen.
Der Mist ist oft emotional. „Eine Fünfjährige wurde gegessen. Lebendig! Vom Flüchtling! Stand auf Facebook.“ Dieser kurze Ausschnitt aus der NDR-Dokumentation „Weltbahnhof mit Kiosk“ verdeutlicht, mit welchem weiteren Problem wir es zu tun haben. Fakten sind langweilig. Sie sind distanziert, bieten keine dramatischen Wendungen und keine großen emotionalen Höhepunkte. Eine gute Geschichte, die uns wütend, traurig oder ängstlich stimmt, bleibt hängen. Emotionen sind Katalysatoren für Erinnerung. Der Nachbar, der trotz Impfung an Corona stirbt – das bleibt im Kopf. Viel stärker als Deine viertelstündige Erklärung, warum man vom Einzelfall nicht auf die Gesamtheit schließen sollte. Je emotionaler die Geschichte, desto intensiver wird sie verinnerlicht. Und einfaches Erinnern gaukelt uns Wahrheit vor.
Fakten langweilen, Emotionen bleiben im Kopf
Der Mist ist platzsparend. Es wird unterschiedliche Gründe geben, warum Desinformation den einen trifft und den anderen nicht. Wie stark wir uns bei unserer Wahrheitsbeurteilung von geringer Anstrengung beeinflussen lassen, hängt aber zum Beispiel davon ab, wie voll unser Fass kognitiver Anstrengung bereits ist. Wo nicht viel Luft nach oben ist, will nicht viel nachgekippt werden. Schlechte Lebensumstände, Stress und negative Emotionen können diesen Füllstand in die Höhe treiben. Wer gerade seinen Job verloren hat, unglücklich mit seinen Familienverhältnissen ist oder sich vom Staat „betrogen“ fühlt, wird tendenziell weniger motiviert sein, sein restliches bisschen Energie in die tiefe Auseinandersetzung mit den komplexen Problemen der Welt zu stecken. Dann ist die mentale Abkürzung der willkommenere Weg. Kaum verwunderlich, dass Parteien, welche auf die Wahl dieser Abkürzung aufgrund fehlender echter Lösungen angewiesen sind, Angst und Wut schüren, um den Füllstand in die Höhe zu treiben.
Wenn wir mit Personen diskutieren, bei denen diese Sorgen und Ängste bereits geschürt wurden, sollten wir also in Betracht ziehen, dass ihr Fass bei diesen Themen schon voll ist. Die Abkürzung werden sie vermutlich nehmen, aber vielleicht haben wir die Richtung in der Hand.
Warum sind so viele von ihrer Meinung nicht abzubringen?
Haben wir uns erst mal eine Meinung gebildet, ist es häufig schwer, uns davon abzubringen. Zwei Mechanismen spielen dabei eine besonders entscheidende Rolle.

Bei unserer Wahrheitssuche neigen wir dazu, diejenigen Informationen zu suchen, die unsere Meinungen und Ansichten bestätigen. Das konnten die Psychologen Klayman und Young-won bereits 1987 bestätigen. Willkommen in der wohl kuscheligsten Komfortzone des menschlichen Geistes: dem Confirmation Bias. Wir sehen, was wir suchen. Und wir suchen tendenziell das, was dafür spricht, dass wir recht haben. Da nehmen wir uns alle nicht viel. Die Algorithmen von Instagram, YouTube und Co. helfen dabei, indem sie uns mit maßgeschneiderter Bestätigung füttern. Die tägliche Dosis vorgefilterter Inhalte streichelt unseren Nacken der Überzeugungen so sanft, dass wir gar nicht merken, wie gefangen wir in einer Blase sind.
Beide Seiten sehen sich im Recht
Ungeachtet der Seriosität der Quelle können wir so für jede Einstellung „Fakten“ finden, die diese bestätigen. Und genauso wenig, wie wir dubiosen Aussagen selbsternannter Telegram-Redakteure Seriosität zuschreiben, spricht ein großer Teil der Gegenseite unseren „politisch gelenkten, links-grün-versifften Systemmedien“ oder unserer „gekauften Wissenschaft“ Glaubwürdigkeit zu. Sie schenken uns mit der gleichen Inbrunst keinen Glauben, wie wir keinem „Hat Frank aus Wuppertal auf Telegram geschrieben“-Argument trauen. Beide Seiten sehen sich im Recht. Beide Seiten erhoffen sich Einsicht, die nicht eintreten wird.
Habe ich mir eine Überzeugung erst einmal mit viel Mühe und Hingabe erarbeitet, dann will ich sie nur ungern hinterfragen oder gar aufgeben. Das innere Ziehen, das dabei entsteht, wäre doch unerträglich. Die Überzeugung wird Teil meines Selbstbildes. Ich, der Neo in der Matrix. Ein Angriff auf meine Überzeugungen ist ein Angriff auf mein positives Selbstbild. Und dieses wollen wir verteidigen.
In der Psychologie bezeichnet man diesen Zustand negativer Gefühle, der entsteht, wenn zwei Kognitionen (Ideen, Einstellungen, Wahrnehmungen) im Widerspruch zueinander stehen, als kognitive Dissonanz. Erstmals wurde dieser Begriff von Leon Festinger 1957 verwendet. Kognitive Dissonanz entsteht allerdings nur, wenn ich Kognitionen zulasse, die im Widerspruch zu meinen Einstellungen stehen. Wenn ich mich also aktiv mit Gegenargumenten auseinandersetze. Generell versuchen wir, Dissonanzen zu vermeiden oder durch Rechtfertigung vor uns selbst aufzulösen. Wer eine starke Meinung hat, ignoriert deshalb gern Gegenargumente oder spricht ihnen Glaubwürdigkeit ab. Viel angenehmer, viel weniger schmerzhaft – und vor allem besser fürs Ego.
Bereit sein, auch mal falsch zu liegen
Wenn wir uns mit Wolfgang in den Diskurs begeben, sollten wir deshalb immer im Hinterkopf behalten, dass er womöglich viel Zeit und Energie in seine Überzeugungen gesteckt hat. Nicht unbedingt in die Recherche, aber dafür in die Aufrechterhaltung. Deshalb hat Wolfgang auch viel zu verlieren. Wir sollten überlegen, wie viel Dissonanz wir bei ihm auslösen, wenn wir ihn schon im ersten Satz mit Vorwürfen und Beleidigungen konfrontieren. Selbst auch mal die ein oder andere Unsicherheit eingestehen. Bereit sein, zuzugeben, auch mal falsch zu liegen. Mit gutem Vorbild vorangehen. Den steinigen Weg zusammen beschreiten, anstatt reflexartig ins eigene Lager zurückzuspringen. Und ja, es wird mühsam, wenn wir das Gegenüber ein Stück tragen müssen. Am Ziel der Reise, einer Gesellschaft, in der man sich zuhört und Vielfalt aushält, kommen wir aber nur gemeinsam an. Und vielleicht lernt der ein oder andere durch uns auf diesem Weg das Laufen.
Worauf sollten wir achten, wenn wir ins Gespräch gehen?
Tipp 1: Klare und einfache Sprache. Versuche, in klarer, einfacher und leicht verständlicher Sprache zu sprechen. Kurze, einprägsame Sätze. Je geläufiger die Begriffe, desto besser. Leichte Verständlichkeit schafft Glaubwürdigkeit. Komplexität schafft Distanz. Gerade wir Studis drücken uns gerne mal komplizierter aus, als wir es eigentlich müssten. Komplizierte Sätze und schicke Fremdwörter mögen im Uni-Seminar beeindrucken. Wolfgang von gegenüber, der Dir heute zum dritten Mal von der großen Weltverschwörung erzählt, schaltet dagegen nach dem ersten Nebensatz ab. Schaffst Du es, komplizierte Dinge simpel zu erklären, hält Dich Dein Gegenüber nicht nur für schlauer, sondern muss sich auch weniger das Hirn verknoten. Und was das Hirn nicht verknotet, fühlt sich – ob man will oder nicht – gleich ein bisschen wahrer an.
Tipp 2: Verpacke Deine Statistiken in Geschichten und Einzelfälle. Für große Zahlen und Statistik sind wir blind. Die COVID-19-Impfung hat vor schweren Verläufen geschützt? Darüber war sich die große Mehrheit der Wissenschaftler einig? Nett. „Ich hatte nach der Spritze drei Tage Kopfschmerzen“ hat Dein Argument trotzdem in jeder Diskussion geschlagen. Wir identifizieren uns mit Geschichten, nicht mit Tabellen. Identifikation ruft Gefühle hervor. Und wer fühlt, glaubt. In Deiner Diskussion über Corona gewinnt deshalb nicht der riesige Datensatz Deiner RKI-Studie, sondern die persönliche Erzählung von Tante Birgit, die „es ja selber erlebt hat“. Nervig? Ja. Aber nicht zu ändern. Spiel das Spiel deshalb mit: Überlege Dir, wie Du ein paar Deiner Fakten beim nächsten Mal in eine Geschichte oder einen spannenden Einzelfall verpacken kannst. Eine, die Emotionen weckt. Eine, die hängen bleibt. Geschichten erscheinen uns logischer und machen Deine Argumente schluckfreundlicher, ohne dass Dein Gegenüber direkt das Gefühl hat, seine Meinung ändern zu müssen. Der Dissonanz wirkst Du somit entgegen. Einzelfälle spiegeln nicht das Gesamtbild wider, das wissen wir. Birgit interessiert das aber nicht. Fakten, die Du in eine schöne Geschichte verpackst, dagegen schon.
Tipp 3: Wiederhole Deine Botschaften. Wieder und wieder und wieder. Sei ruhig penetrant. Wenn eine Information häufig wiederholt wird, fühlt sie sich irgendwann richtig an. Mach Dir die Effekte kognitiver Leichtigkeit zunutze. Wenn es Trump und der AfD gelingt, menschenverachtende Lügen durch einfache Wiederholung zu verankern, dann können auch wir es schaffen, unsere Botschaften mit derselben Taktik zu verbreiten. Wir müssen gegenhalten, anstatt uns nur darüber aufzuregen. Den Spieß umdrehen. Mit ein wenig Glück zeigen auch unsere Botschaften dann Wirkung. Also, werde nicht müde, wiederhole, wiederhole, wiederhole.
Zu viele Argumente erreichen oft das Gegenteil

auf den Kopf stellen
Tipp 4: Dosiere Deine Argumente sinnvoll – Weniger ist oft mehr. Ja, uns fallen viele Gründe ein, warum Ausländerhass keine Alternative ist, der Klimawandel menschengemacht ist und Wolfgangs Deutschland nicht islamisiert wird. Lass Deine Wahrheit aber nicht unter ihrer eigenen Masse zusammenbrechen. Das menschliche Gehirn ist kein Hochleistungsserver. Und mit der Menge an Gegenargumenten steigt auch die Menge an Informationen, die Wolfgang durchackern muss. Und das kostet Energie und geistigen Aufwand. Wer seinen Gesprächspartner mit zu vielen Argumenten zur Vernunft prügeln will, erreicht deshalb oft genau das Gegenteil: mentale Überforderung, Ablehnung, Rückzug ins bequeme Paralleluniversum. Psychologen sprechen hierbei vom Overkill-Backfire-Effekt: Je mehr Gegenargumente man liefert, desto wahrscheinlicher wird das Gehirn das gesamte Argumentationspaket einfach abstoßen wie ein schlecht programmiertes Windows-Update. Verstehen und Erinnern brauchen Platz im Kopf – und zu viele Informationen konkurrieren um dieselben Ressourcen. Die komplexe Realität kann deshalb manchmal ganz schön unglaubwürdig wirken. Serviere erst mal nur zwei bis drei knackige Argumente – mundgerecht, erinnerungsfreundlich, widerstandsfähig. Dosiere Deine Wahrheit. Sonst ist sie schneller weggewischt als Wolfgangs Whatsapp-Status.
Tipp 5: Verwende keine leicht angreifbaren Argumente. Wer in der Debatte auf wackelige Punkte setzt, gibt seinem Gegenüber nicht nur Munition, sondern reicht ihm gleich noch das passende Gewehr. Wir sind keine Richter, die Argumente fair und ausgewogen gewichten. Stattdessen kickt der sogenannte Negativbias: Der faule Apfel versaut die ganze Kiste. Dann kannst Du noch so brillante Argumente liefern – wenn sich darunter auch nur eine halbgare Behauptung versteckt, wird sich Dein Gegenüber darauf stürzen. Es reicht, wenn das schwächste Glied reißt, um die ganze Kette als unbrauchbar abzutun. Dann kreist die Debatte nur noch um den wackeligen Punkt, während das eigentliche Thema verdunstet. Mach es Deinem Gegenüber deshalb nicht so einfach. Überlege vorher, wie viel Angriffspotenzial Du ihm bietest. Weniger Argumente sind mehr, solange sie sitzen. Verzichte deshalb vielleicht auf „Diesen Winter war es viel wärmer als sonst“.
Bleib freundlich und lobe Dein Gegenüber auch mal
Tipp 6: Bleib freundlich. Auch wenn er es uns nicht einfach macht: Veralbere Wolfgang nicht! Menschen sind offener für Kritik, wenn sie sich vorher positiv wahrgenommen fühlen. Deshalb solltest Du früher bei Feedbacks in der Schule auch zuerst honorieren, dass frei und klar gesprochen wurde, bevor Du auf den mangelnden Inhalt des Vortrags eingegangen bist. Ja, es ist schwer. Nein, es fühlt sich nicht richtig an. Aber wenn Du Dein Gegenüber wirklich erreichen willst: Bleib freundlich und lobe es auch mal. Hau dem Klimawandel-Leugner nicht direkt um die Ohren, welchen Unsinn er redet. Sag vielleicht stattdessen: „Ich sehe, dass du dich echt umfangreich mit dem Thema befasst hast. Und ja, es gibt noch offene Fragen. Aber …“. Nicke vielleicht ein paar Mal zustimmend, wenn er wieder mit seinen Quellen jongliert. Erst das Ego streicheln, dann Deine Argumente setzen.
Kurz gesagt: Bleib nett. Oder sei wenigstens nicht gehässig. Sonst geht Wolfgang in seine Verteidigungshaltung, noch bevor die eigentliche Diskussion überhaupt angefangen hat.
Erwarte nicht zu viel.
Nein, Du wirst nicht alle damit erreichen. Nein, Du musst nicht in jede Diskussion gehen. Ja, es gibt unendlich viele Strategien, Tipps und kluge Ratschläge. Ein Teil davon wird Dir helfen. Beim Verstehen und beim Handeln. Dein Gegenüber wird nicht direkt alle seine Einstellungen über Bord werfen, nur weil Du mit ihm geredet hast. Darum geht es auch nicht. Wenn er beim nächsten Stammtisch wenigstens kurz ins Stocken gerät, bevor er irgendeinen Quatsch nachplappert, dann hast Du mehr erreicht, als Du denkst. Gib ihm Zeit. Weltbilder stürzen nicht in einer Debatte ein. Sie bröckeln langsam, oft unbemerkt, manchmal über Jahre.
Deshalb dranbleiben. Immer und immer wieder. Ohne den Anspruch, die Welt in einem Gespräch zu retten. Aber mit der Gewissheit, dass jeder Riss im falschen Narrativ eine Chance für etwas Besseres ist.
Text: Sebastian Teuber
Illustration: Rika Garbe
