Wenn Eltern oder Sorgeberechtigte ihre Kinder Gewalt oder Vernachlässigung aus­set­zen, sol­len staat­li­che Stellen ein­grei­fen. Doch das System hat Schwächen. An wel­chen Stellen der Kinderschutz ver­bes­sert wer­den soll­te und was wir alle dazu bei­tra­gen können.

Hinweis:
Dieser Artikel the­ma­ti­siert phy­si­sche sowie psy­chi­sche Gewalt an Kindern.

Halle (Saale), Dezember 2021: Auf einem Wertstoffhof fin­det eine Passantin einen toten Säugling. Wie sich im Prozess her­aus­stell­te, hat die Kindsmutter ihr Baby eine Woche vor dem Fund in der Kälte aus­ge­setzt, es ist erfro­ren. Basinghausen, Januar 2023: der vier­jäh­ri­ge Fabian stirbt nach einer mona­te­lan­gen Tortour an extre­mer kör­per­li­cher Misshandlung durch sei­ne Mutter und deren Lebensgefährten durch Verbluten und Ersticken. Dies ist nur zwei von vie­len trau­ri­gen Kinderschutzfällen, die sich jedes Jahr in Deutschland ereignen.

Hast du schon ein­mal den Begriff Kinderschutz gehört? Eine Bekannte, wel­che in der sta­tio­nä­ren Kinder- und Jugendhilfe arbei­tet, hat mich letz­tes Jahr durch ein Buch auf das Thema auf­merk­sam gemacht. Deutschland miss­han­delt sei­ne Kinder, lau­tet der pro­vo­kan­te Titel der Autoren Michael Tsokos (Professor für Rechtsmedizin) und Saskia Guddat (stell­ver­tre­ten­de Leiterin der Gewaltschutzambulanz der Charité). Durch zahl­reich dar­ge­stell­te Fälle wei­sen die bei­den Verfasser in ihrem Werk auf die gra­vie­ren­den Missstände im deut­schen Kinderschutzsystem hin.

Da das Buch 2014 ver­öf­fent­licht wur­de und ich selbst kei­ne Kinder habe, frag­te ich mich: wie aktu­ell ist die Problematik noch? Und bin ich als Kinderloser über­haupt vom Kinderschutz betroffen?

Durch mei­ne Recherche habe ich erfah­ren; Ja, Kinderschutz geht uns alle etwas an! Und das Thema ist durch ste­tig stei­gen­de Fallzahlen von Missbrauch, Misshandlung und Vernachlässigung noch immer hoch­ak­tu­ell! Allein in Halle (Saale) ging das Jugendamt 2022 ins­ge­samt 1.017 Hinweisen auf gefähr­de­te Kinder und Jugendlichen nach, damit ist die Stadt mit Abstand Vorreiter in Sachsen-Anhalt.

Aus die­sem Grund möch­te ich dir nach­fol­gend einen Einblick über Zahlen, Fakten und Missstände des deut­schen Kinderschutzsystems geben.

Wen betrifft der Kinderschutz?

Der Staat hat das staat­li­che Wächteramt inne, wodurch es zum Eingreifen ver­pflich­tet ist, wenn Eltern oder Sorgeberechtigte nicht in der Lage oder nicht gewillt sind, ihre Kinder vor Gewalt und Vernachlässigung zu schüt­zen. Eine staat­li­che Institution, die die Wächterrolle aus­führt, ist das Jugendamt. Nach §8a des Achten Sozialgesetzbuches sind aber auch Mitarbeiter:innen im päd­ago­gi­schen Berufsfeld und zuge­hö­ri­ge Behörden gesetz­lich dazu ver­pflich­tet, im Verdachtsfall ihrem Schutzauftrag nach­zu­kom­men und eine Meldung an das jewei­li­ge Jugendamt zu täti­gen. Jedoch kön­nen nicht nur Personen, wel­che im Alltag mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, Hinweise auf Kindeswohlgefährdungen geben. Gefragt ist auch die Aufmerksamkeit der Gesellschaft, denn Gewalt gegen­über Kindern geschieht über­all, auch in allen sozia­len Schichten. Sie ist kei­ne Seltenheit, son­dern täg­li­che Realität. Wegschauen und Schönreden schützt die Täter:innen und scha­det den Opfern. Jede:r die:der weg­schaut, trägt Mitschuld an miss­han­del­ten oder dadurch getö­te­ten Kindern.

Hinschauen und ein­grei­fen statt weg­schau­en! Kinderschutz geht uns alle an!

 2012201820212022
Geprüfte Fälle mög­li­cher Kindeswohlgefährdung106.623157.271197.770203.700
Bestätigte Kindeswohlgefährdung38.28350.41259.94862.279
kei­ne Kindeswohlgefährdung, aber Hilfebedarf33.88452.99567.65868.900
Inobhutnahmen40.22752.59047.52366.444
Inobhutnahme von Minderjährigen mit aus­län­di­scher Herkunft min­des­tens eines Elternteils4.76712.20111.30028.600
Herstellung, Besitz, Verbreitung kin­der- & jugendpor­no­gra­fi­schen Materials3.2397.44944.27642.075
Opfer sexu­el­ler Gewalt / Missbrauch14.86714.41017.49817.168
Todesfälle durch Missbrauch / Misshandlung167136145101
Trotz mitt­ler­wei­le zahl­rei­cher exis­tie­ren­der Maßnahmen zum Schutz von Minderjährigen vor kör­per­li­cher, sexu­el­ler und psy­chi­scher Gewalt sowie Vernachlässigung stei­gen die Zahlen jähr­lich wei­ter an. Quellen: Statistisches Bundesamt (Destatis), Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). *Der stei­le Anstieg erfass­ter Fallzahlen im Bereich Kinder­-/Jugendpornografie ist auf eine ver­schärf­te Gesetzeslage zurück­zu­füh­ren, wodurch zum Beispiel auch alar­mier­te Eltern oder „Sexting“ unter jun­gen Menschen in den Fokus der Strafverfolgung gera­ten sind. Hier arbei­tet die Bundesregierung an einer Gesetzesnovelle.

(Die Tabelle beinhal­tet ledig­lich poli­zei­lich gemel­de­te und straf­recht­lich ver­folg­te Fälle. Die Dunkelziffer wird weit­aus höher eingeschätzt)

Gesetzliche Regelungen

Auch wenn der Begriff Kinderschutz sich erst in den letz­ten Jahrzehnten ent­wi­ckelt hat, nimmt er recht­lich einen wich­ti­gen Stellenwert ein. Er bil­det den Oberbegriff für alle Aktivitäten des Staates und der Gesellschaft, wel­che Kindern und Jugendlichen ein geschütz­tes, gewalt­frei­es Heranwachsen ermög­li­chen sol­len. Es wird sich also um das Kindeswohl, das Wohlergehen der Kinder, geküm­mert. Laut §1631(2) des Bürgerlichen Gesetzbuches haben Kinder in Deutschland das Recht auf eine gewalt­freie Erziehung ohne kör­per­li­che Bestrafungen, see­li­sche Verletzungen und ande­re ent­wür­di­gen­den Maßnahmen. Sie haben also das Recht auf kör­per­li­che, see­li­sche und psy­chi­sche Unversehrtheit. Wird die­ses ver­letzt, wird von Kindeswohlgefährdung gespro­chen. Was sich für vie­le nach einer nor­ma­len Kindheit anhört, bleibt jähr­lich zahl­rei­chen Kindern und Jugendlichen ver­wehrt. Das machen die jähr­li­chen Statistiken deutlich.

Artikel 6 des Grundgesetzes und das ach­te Sozialgesetzbuch regeln, dass die Pflege und Erziehung der Kinder das natür­li­che Recht und die Pflicht der Eltern oder Sorgeberechtigten sind. Der Staat ist durch sein Wächteramt dazu ver­pflich­tet, die Ausführung des­sen zu über­wa­chen. Dies über­nimmt unter ande­rem das Jugendamt. Die Kinder- und Jugendhilfe hat eine bera­ten­de und unter­stüt­zen­de Rolle gegen­über den Erziehungsberechtigten und soll dazu bei­tra­gen, das Wohl der Kinder und Jugendlichen vor Gefahren zu schüt­zen. Das Jugendamt ist dazu berech­tigt, Minderjährige in Obhut zu neh­men, das heißt von ihrer:m Sorgeberechtigten räum­lich zu tren­nen und sta­tio­när in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe unter­zu­brin­gen, bis die Gefahr dau­er­haft abge­wen­det wur­de. Jedoch ist dies nur der Fall, wenn die Sorgeberechtigten nicht in der Lage oder gewillt sind, Gefahren von ihrem Kind abzu­wen­den, ein:e Minderjährige:r dar­um bit­tet oder als Immigrant:in unbe­glei­tet nach Deutschland ein­reist, sich eine Gefahr nicht durch ande­re Maßnahmen abwen­den lässt oder akut gewich­ti­ge Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung im Raum ste­hen. Das Familiengericht ist dazu befä­higt, auch gegen den Willen der Eltern, Maßnahmen zu tref­fen bis hin zur Unterbringung des Kindes in der sta­tio­nä­ren Kinder- und Jugendhilfe und der teil­wei­sen oder voll­stän­di­gen Entziehung der elter­li­chen Sorge. Die Trennung der:s Minderjährigen von der Familie bezie­hungs­wei­se deren Sorgeberechtigten ist dabei jedoch nur rech­tens, wenn die Gefahr nicht auf ande­re Weise abge­wen­det wer­den kann.

Auch das Bundeskinderschutzgesetz und die UN-Kinderrechtskonventionen set­zen sich für die Rechte der Kinder und Pflichten der Eltern ein.

Missstände im deutschen Kinderschutzsystem

Durch die stei­gen­den Zahlen der Missbrauchs- und Misshandlungsfälle von Minderjährigen stellt sich doch die Frage: wie gut ist das aktu­el­le System zum Kinderschutz?

Neben zahl­rei­chen zum Wohle des Kindes ver­lau­fen­den Fällen, gibt es doch auch immer wie­der Schlagzeilen über fehl­ge­schla­ge­ne Kinderschutzfälle, wel­che nicht immer, aber immer wie­der mit dem Tod einer:s Minderjährigen enden. Viele Menschen den­ken, es han­delt sich um weni­ge Einzelfälle, wenn sie in den Nachrichten von nega­ti­ven Verläufen hören oder lesen. Aber so ist es nicht. Die medi­al bekann­ten Fälle Staufen, Pascal, Kevin und Lüdge sind nur weni­ge Beispiele, wel­che auf die argen Missstände des deut­schen Kinderschutzsystems verweisen.

Im Buch „Deutschland miss­han­delt sei­ne Kinder“ wer­den zahl­rei­che die­ser Fälle the­ma­ti­siert und Fehlerquellen aufgezeigt.

Die Mitarbeiter:innen der Jugendämter sind kosntant überlastet.

Jugendämter sind Wächter des Kindeswohls. Die Mitarbeiter:innen der 559 Jugendämtern in Deutschland sind mit den aktu­el­len Zahlen kom­plett über­las­tet. Während von Kinderschutzxpert:innen eine Obergrenze von 35 Fällen pro Mitarbeiter:in emp­foh­len wird und ver.di 2019 eine Begrenzung auf maxi­mal 28 Fälle for­dert, sind in der Praxis min­des­tens 100 Fälle pro Mitarbeiter:in Realität – wie kann man da noch den Überblick behal­ten und wirk­lich zum Wohle des Kindes ent­schei­den? Wissenschaftler:innen der Hochschule Koblenz unter­such­ten 2018 die Arbeitsbedingungen von Fachkräften des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) in deut­schen Jugendämtern. Die auf­ge­deck­ten Mängel im Personalbedarf zei­gen, dass eine pro­fes­sio­nel­le sozi­al­päd­ago­gi­sche Arbeit und indi­vi­du­el­le Betreuung der Fälle durch die aktu­el­len struk­tu­rel­len Rahmenbedingungen im System der Kinder- und Jugendhilfe schwer umsetz­bar sind.

Mögliche Fehlerquellen kön­nen dabei in den ver­schie­de­nen Institutionen und Regelungen liegen.

So ist es auch all­ge­mein bekannt, dass Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung vom Jugendamt auf­grund ober­fläch­li­cher Überprüfung oder aus­blei­ben­der Hilfeanforderung durch die Eltern gar nicht oder zu spät erkannt wur­den. Meine Bekannte berich­tet mir vom Fall eines Kindes, wel­ches in einer sta­tio­nä­ren Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe unter­ge­bracht ist. Der ASD über­prüft regel­mä­ßig die Ordnung des Haushaltes der Eltern – jedoch geschieht dies mit vor­he­ri­ger Ankündigung und nur ein­mal im Monat. „Natürlich räu­me ich mei­ne Wohnung auf, wenn ich vor­her weiß, dass der ASD zur Überprüfung kommt, viel sinn­vol­ler sind doch unan­ge­kün­dig­te Besuche und Kontrollen“, erzählt sie. „Oft wird auch die Kooperation der Eltern über­be­wer­tet und die Aufmerksamkeit für das tat­säch­li­che Befinden des Kindes oder Jugendlichen lässt nach. Zu oft wer­den vom Jugendamt Entscheidungen zum Wohle der Eltern statt zum Wohle des Kindes getroffen.“

Auch die Vernetzung ver­schie­de­ner Institutionen und vor allem der inter­kol­le­gia­le Ärzteaustausch muss drin­gend ver­bes­sert wer­den, um so Informationen und Ereignisse bes­ser zusam­men­füh­ren und Hilfebedarf oder aku­te Gefährdungen schnel­ler erken­nen zu kön­nen. Natürlich sind Ärzt:innen ver­pflich­tet, bei Verdacht einer Kindeswohlgefährdung eine Meldung an das zustän­di­ge Jugendamt zu machen. Da Sorgeberechtigte, wel­che Missbrauch oder Misshandlungen ver­tu­schen wol­len, jedoch in den meis­ten Fällen soge­nann­tes Ärzte-Hopping betrei­ben (stän­di­ger Wechsel der behan­deln­den Kinderärzt:innen), ist für Ärzt:innen die Gefährdung oft­mals nicht recht­zei­tig erkenn­bar. Hier wer­den zum Schutz der Kinder drin­gend Gesetze benö­tigt, wel­che den Austausch der Ärzt:innen unter­ein­an­der in Verdachtsmomenten auch ohne Zustimmung der Eltern gestattet.

Des Weiteren müs­sen auch päd­ago­gi­sche Einrichtungen, wie Kitas und Schulen, stär­ker für das Thema sen­si­bi­li­siert und geschult wer­den, for­dern ver­schie­de­ne Vereine und Expert:innen, die sich für den Kinderschutz stark machen. Auch mei­ne Bekannte unter­stützt die­se Forderung: „Vielen Fachkräften fehlt aus­rei­chen­des Fachwissen über Anzeichen und Symptome von kör­per­li­cher, psy­chi­scher und sexu­el­ler Gewalt sowie Vernachlässigung. 2022 habe ich mich durch eine Weiterbildung zur Kinderschutzfachkraft zer­ti­fi­zie­ren las­sen. Das Wissen, wel­ches dabei ver­mit­telt wur­de, soll­te ein fes­ter inhalt­li­cher Bestandteil in der Ausbildung aller Personen sein, wel­che mit Kindern und Jugendlichen arbei­ten. Gewalt und Vernachlässigung äußert sich nicht allein durch kör­per­li­che Auffälligkeiten, wie blaue Flecke oder Knochenbrüche, son­dern häu­fig auch durch Verhaltensveränderungen und ‑auf­fäl­lig­kei­ten. Auch das Wissen über die recht­li­chen Grundlagen, Möglichkeiten und Grenzen des Jugendamtes und ande­rer Institutionen, die Rechte der Eltern und Kinder sind den meis­ten päd­ago­gi­schen Fachkräften nicht voll­um­fäng­lich bewusst. Hier muss drin­gend mehr auf­ge­klärt wer­den“, sagt mei­ne Bekannte. „Immer wie­der kommt es auch vor, dass päd­ago­gi­sches Personal Gewalt den Kindern gegen­über anwen­det. Da fällt mir direkt der medi­al bekann­te Fall Greta ein, bei wel­chem eine Erzieherin ein zwei­jäh­ri­ges Mädchen in der Kita erstick­te. Im Nachhinein stell­te sich her­aus, dass sie dies bereits in ver­schie­de­nen ande­ren Einrichtungen ver­such­te, mehr­fach Eltern und Personal ihr Verhalten auf­fäl­lig fan­den, jedoch kei­ner sei­ne Vermutungen äußer­te und somit auch kei­ne aus­rei­chen­den Maßnahmen ein­ge­lei­tet wur­den – bis ein Kind tot war“. Michael Tsokos for­dert in sei­nem Buch außer­dem die Einführung einer Instanz, wel­che die Entscheidungen des Jugendamtes kontrolliert.

Auch gesetz­lich müs­sen Änderungen her. „Viele wis­sen gar nicht, dass eine Kindeswohlgefährdung rein recht­lich erst mit der Geburt gül­tig ist. Alkohol- und Drogenmissbrauch und Obdachlosigkeit wäh­rend der Schwangerschaft und auch kör­per­li­che Übergriffe gegen­über der wer­den­den Mutter gel­ten ledig­lich als Risikofaktoren, das Jugendamt und ande­re Hilfen zum Wohl des Kindes kön­nen nicht grei­fen. Das ist fatal, denn die­se Kinder tra­gen oft irrever­si­ble kör­per­li­che und geis­ti­ge Schäden mit sich oder sind sehr ver­hal­tens­auf­fäl­lig. Das erle­be ich regel­mä­ßig bei mir auf Arbeit“, erzählt mei­ne Bekannte.

Michael Tsokos und Saskia Guddat pran­gern zusätz­lich in ihrem Buch an, dass der Tierschutz mehr wert sei als der Kinderschutz und ver­wei­sen dabei auf einen Fall, in wel­chem Eltern ihr Kleinkind in einer Wohnung zurück­lie­ßen. Die Nachbarn ver­mu­te­ten hin­ter Schreien aus der Wohnung eine Katze und infor­mier­ten den Tierschutz, wel­cher sich sofort auf­mach­te, um das Tier zu befrei­en. Nach dem Vorfinden des klei­nen, ver­wahr­los­ten und unter­ernähr­ten Mädchens in der Wohnung, war der Schreck bei allen Beteiligten groß – auch bei den Nachbar:innen, die kei­ne Kenntnisse von der Existenz des Kindes hatten.

Gewichtige Anhaltspunkte einer Kindeswohlgefährdung

In den meis­ten Fällen lie­gen Vernachlässigung, kör­per­li­cher, sexu­el­ler und psy­chi­scher Missbrauch nicht getrennt von­ein­an­der vor, son­dern über­schnei­den sich. Bei der Gefährdungslage ist unbe­dingt zwi­schen Risikofaktoren und gewich­ti­gen Anhaltspunkten einer Kindeswohlgefährdung zu unter­schei­den. Armut, psy­chi­sche und phy­si­sche Erkrankungen der Eltern oder der Kinder kön­nen die Gefährdung des Kindeswohl begüns­ti­gen, müs­sen aber nicht unbe­dingt eine aku­te Gefährdung dar­stel­len. Jedes Kind hat mal einen blau­en Fleck, ist lau­nisch oder schreibt eine schlech­te Note in der Schule.

Bei Auffälligkeiten ist unbe­dingt die Lokalisation der Verletzung, die Plausibilität der Erklärung und die Häufigkeit des Auftretens zu beach­ten. Erst hier­aus erge­ben sich gewich­ti­ge Anhaltspunkte:

Körperliche Auffälligkeiten

  • star­ke Gewichtsänderung (Über- / Untergewicht)
  • Schonhaltungen
  • man­geln­de Körperhygiene
  • regel­mä­ßig wie­der­keh­ren­de blaue Flecken, Griffmarken, Kratzer, Würgemale, Brüche, Prellungen, Bissspuren, Verbrennungen, Abdrücke (Hand, Gürtel etc.), aus­ge­ris­se­ne Haare, Schnitte
  • Schütteltrauma
  • alters­un­an­ge­mes­se­nes / erneu­tes Einnässen und Einkoten nach abge­schlos­se­ner Sauberkeitserziehung
  • Einrisse im Intimbereich / Mundwinkeln
  • Blutungen im Intimbereich
  • Verweigerung von Wickel- und Pflegetätigkeiten

Psychische Auffälligkeiten

  • Tiere gezielt quä­len / töten
  • impuls­ge­steu­er­tes / aggres­si­ves Verhalten
  • unan­ge­mes­se­nes Nähe-Distanzverhalten
  • ver­zerr­te Selbstwahrnehmung
  • auf­fäl­lig intro­ver­tier­tes Verhalten, sozia­le Isolation
  • Rückzug in Phantasiewelten (Traumata)
  • selbst- / fremd­ver­let­zen­des Verhalten
  • star­ke Ängste, Essstörungen, Schlafstörungen
  • Ticks, psy­chi­sche Erkrankungen
  • Parentifizierung
  • plötz­li­cher Leistungsabfall / Schul- und Kitaverweigerung
  • Substanzmittelgebrauch
  • Entwicklungsverzögerung
  • stark über­se­xua­li­sier­tes Verhalten

Medizinische Versorgung

  • Ausbleiben der U‑Untersuchungen
  • man­geln­de Zahnhygiene
  • unver­sorg­te Wunden
  • Häufige Arztbesuche / Fernbleiben von Ärzten
  • häu­fig wech­seln­de Ärzte (Ärzte-Hopping)

Existenzielle Grundversorgung

  • aus­fal­len­de Mahlzeiten, Mangelernährung
  • man­geln­des Bett, kein Warmwasser / Heizung
  • nicht genug Schlaf
  • zu lan­ge (drau­ßen) ohne Aufsicht
  • nicht alters­ge­rech­te Medien- /Internetnutzung
  • Fernbleiben der Bildungsanstalt
  • Isolation, Freiheitsberaubung

Sonstiges

  • Aussagen der:s Minderjährigen (unter ande­rem: „Ich will nicht nach Hause!“ / „Ich soll­te Papas Penis anfassen“)
  • Aussagen der Personensorgeberechtigten / des Umfeldes des jun­gen Menschen
  • Verhalten der Sorgeberechtigten, auch Abhängigkeiten (Alkohol‑, Drogen‑, Spielsucht …)
  • Zigarettenrauch in der Wohnung
  • abwer­ten­de Sprache, Drohungen
  • psy­chi­sche / phy­si­sche Erkrankungen der Sorgeberechtigten
  • Überforderung
  • Gewalt zwi­schen Eltern / Geschwistern
  • finan­zi­el­le Notlage
  • Missbrauch des Kindes zu Straftaten
  • ver­müll­ter / ver­dreck­ter Wohn- und Schlafbereich
  • offe­ne Waffen / Medikamentenzugang im Haushalt bezie­hungs­wei­se leich­ter Zugriff
  • Obdachlosigkeit
  • Öffentliches aggres­si­ves Verhalten der Personensorgeberechtigten

Wie verhalte ich mich in Verdachtsfällen?

Wenn du psy­chi­sche, kör­per­li­che und/oder sexu­el­le Gewalt oder Vernachlässigung gegen­über Kindern und Jugendlichen beob­ach­test oder ver­mu­test, schau nicht weg, son­dern wen­de dich an das Jugendamt oder die Polizei und schil­de­re dei­ne Beobachtungen. Dies kannst du nament­lich oder auch anonym machen. Zögere also bit­te im Verdachtsfall nicht, eine Hinweismeldung zu machen. Handel, wenn du dir Sorgen machst oder ein ungu­tes Gefühl bei der Situation eines Kindes oder Jugendlichen hast, eine mög­li­che Gefährdung selbst wahr­ge­nom­men oder von Betroffenen selbst Hinweise erhal­ten hast. Hilf, indem du Situationen schrift­lich doku­men­tierst, Aussagen wört­lich fest­hältst und zustän­di­ge Stellen informierst.

Du fin­dest Kontaktdaten des zustän­di­gen Jugendamtes dei­ner Stadt auf jugendamt.org

Du fin­dest Kontaktdaten eines Polizeireviers in dei­ner Umgebung unter www.polizei.de

Autor: anonym

Fotos: freestocks.org via Pexels, Marina Shatskikh (murrrchal­la] via Pexels, Ante via Pexels, Gurpreet Singh (tas­ve­er­anarts) via Pexels 

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