Mark Benecke ist ein deutscher Kriminalbiologe, Spezialist für forensische Entomologie, Autor, Politiker und Schauspieler. Hier stellt er sich nun unseren Fragen zum Thema True Crime.
Was glauben Sie, warum sind True-Crime-Fälle so interessant für die Menschen?
Menschen mögen Rätsel, ganz allgemein. Menschen, die dem Tod oder Gewalt und Missbrauch ein bisschen zu nah gekommen sind, mögen vielleicht etwas grimmigere Rätsel. Anderen ist langweilig und sie brauchen etwas, was sie ablenkt. Wieder andere würden vielleicht jemanden töten oder sich rächen, trauen sich aber nicht und gießen das Ganze dann in True Crime, wo sie als „die Guten“ etwas über „die Bösen“ lernen können.
Warum sind wir eigentlich so fasziniert von True Crime und wie erklären Sie sich den riesigen Erfolg des Genres?
Naja, es gibt ja schon mindestens ein Buch aus dem dreizehnten Jahrhundert dazu*. Ob das jetzt ein „Erfolg“ ist oder nicht, weiß ich nicht. Mögliche Gründe habe ich ja schon in der vorigen Frage angedeutet. Hinzu kommt, dass seit der Erfindung der naturwissenschaftlichen Kriminalistik durch Edgar Allan Poe und Arthur Conan Doyle eine Vermengung von Erfundenem und der Freude an messbaren Spuren sozusagen schon in der Natur der Sache liegt. Wie „true“ True Crime im einzelnen ist, das schwankt doch sehr stark.
Haben Streamingdienste dazu beigetragen, dass wir uns mehr für das Thema interessieren?
Das war nur Corona-bedingt, weil viele Menschen da auf einmal wieder mehr gelesen und eben auch Podcasts gehört haben. True Crime an sich ist auch schon in der Welt der Bücher und Zeitschriften seit sehr langer Zeit ein „Hit“. Es gibt allerdings in Mitteleuropa immer weniger schwere Verbrechen, so dass „True“ Crime hier vielleicht eine Lücke füllt.
Hören wir so etwas wie True-Crime-Podcasts gerne, weil wir eine gewisse Lust an der Angst haben?
Ich höre keine Podcasts, daher kann ich es dir nicht sagen. Wer Spaß an Angst hat, kann aber auch Horrorfilme gucken, daher glaube ich eher, dass True Crime etwas für Menschen sein könnte, die selbst Erfahrungen mit Verbrechen und Missbrauch gemacht haben oder sich eben besonders „gut“ im Vergleich zu den Bösen fühlen möchten.
Welche positiven oder negativen Auswirkungen könnte True Crime auf die Menschen haben?
Wenn es nach mir ginge: Dass erst die Spuren gemessen werden müssen und danach alles andere kommt. Keine Spuren, keine sinnvollen und tatsächlichen Fallbeschreibungen, sondern nur Wortgeklingel. Beruflich bin ich froh, dass viele Fälle gründlich aufgeschrieben wurden, da ich sie dann mit neuen Fällen vergleichen kann und etwas für die Vorbeugung weiterer, künftiger Fälle daraus ableiten kann.
Was halten Sie von dem Gedanken, dass Krimis und True-Crime-Geschichten deswegen so beliebt sind, weil wir mit ihnen Bedrohungsszenarien mental durchspielen können – um uns darauf vorzubereiten, aus sicherer Distanz vom Sofa aus?
Ich kenne dazu keine Untersuchung. Grundsätzlich ist das möglich, weil ja auch alle Tiere einschließlich Menschen gerne spielen und „herumtoben“, um sich zu erproben und vorzubereiten auf ernstere Auseinandersetzungen. Vielleicht sind auch die News-Meldungen zu Verbrechen vor allem dazu da, uns erstens ein bisschen vorzubereiten und zweitens zu warnen, wo es gefährlich sein könnte. Ob das immer gut klappt, ist eine andere Frage, aber das Interesse könnte daher rühren, klaro.
Macht es für die Zuschauenden einen Unterschied zu wissen, dass es sich um wahre Verbrechen handelt und nicht um ein erfundenes, wie zum Beispiel in einem Krimi?
Würde mich wundern. Menschen drehen sich ihre Wirklichkeit ja dauernd zurecht: Katze streicheln, Pute und Rind totfoltern, „denn das ist ja was anderes“.
Sind die Fälle einzig zum Unterhaltungswert da oder können sie auch zur Aufklärung beitragen?
Du meinst, wie in Fernsehsendungen oder Zeitungsberichten, wo Fotos oder ähnliches zum echten Fall gezeigt werden und Zeug:innen gesucht werden? Ja, das führt manchmal zu Hinweisen und der Aufklärung der Tat.
Es macht den Eindruck, dass mehr Frauen sich mit dem Thema True Crime beschäftigen als Männer. Woran könnte das liegen?
An allem, was wir bisher schon besprochen haben, aber auch daran, dass Frauen sich weniger ekeln. Blut, Sperma, Haare, Insekten und dergleichen sind bei Männern unbeliebter. Grundsätzlich lesen Frauen aber auch mehr Bücher und Zeitschriften aller möglichen Fachrichtungen oder Märchen-Geschichten.
Gibt es einen Fall, der Sie eventuell besonders interessiert hat oder der Sie besonders mitgenommen hat?
Für mich sind alle Fälle gleich. Anders könnten wir im Team nicht arbeiten. Wenn du Fälle bewertest, hast du deine Unbefangenheit verloren. Wir kämpfen nicht für irgendwen, sondern nur für die messbare Wahrheit.
Sind Sie durch Ihre Arbeit auch schon auf das Thema True Crime gestoßen? Wenn ja, wie kam es dazu?
True Crime ist für mich eine Informationsquelle. Ich habe eins meiner Bücher daher auch True-Crime-Autoren gewidmet, nämlich François Gayot de Pitaval (1673 – 1743), Julius Eduard Hitzig (1780 – 1849) und Willibald Alexis (1842 – 1890).
Denken Sie, dass Ihre Arbeit im Bereich der Kriminalbiologie oder der forensischen Entomologie dazu beitragen kann, dass Verbrechen oder Morde öfter aufgeklärt werden können?
Ja.
Interview und Illustration: Emily Hohenwaldt
Foto: Vincent Grundke