Motocross ist eine Sportart mit geländetauglichen Fahrzeugen. Die jährliche Weltmeisterschaft dauert mehrere Monate. Eine Station im Kalender markiert jedes Jahr der Ort Teutschenthal im Saalekreis, neben anderen Austragungsorten in Italien, Indonesien oder Portugal.
Der Ursprung dieser Sportart liegt in England und wurde dort zu Beginn der 1900er Jahre erstmals ausgeübt. Seitdem entwickelten sich nicht nur Motorräder weiter, sondern auch Ausrüstung der Fahrer:innen sowie die Professionalität der Veranstaltungen und Vereine. Aber wer hätte erwartet, dass hier in Deutschland in der Nähe von Halle ein Verein existiert, der die größte Veranstaltung des Motocross-Sports ausrichtet? Nicht mal eine halbe Stunde entfernt, im Ort Teutschenthal befindet sich der Motorsportclub Teutschenthal, kurz MSC genannt. In seinem Talkessel befindet sich eine ca. 1,5 Kilometer lange Rennstrecke, auf welcher seit 1971 jährlich die Weltmeisterschaft des Motocross-Sports ausgetragen wird. Seither reisen mehrere zehntausend Menschen dorthin, um beste Motocross-Stimmung über ein ganzes Wochenende lang hautnah miterleben zu dürfen. Neben der Weltmeisterschaft, auch MXGP of Germany genannt, gibt es noch die Sachsen-Anhalt-Landesmeisterschaft sowie die Talkessel-Classics. Diese werden alle zwei Jahre auf älteren Motorrad-Modellen ausgeführt. Weiterhin gibt es die interne Clubmeisterschaft, bei der Fahrer:innen des Clubs sich gegeneinander in Rennen duellieren.
Der MSC Teutschenthal stellt sich vor
Allein dieses Jahr am 10. und 11. Juni 2023 strömten circa 25.000 Motocross-Fans in den Talkessel. Bei all der Rennaction könnte man glatt vergessen, wie viel Aufwand und Zeit der MSC-Verein jedes Jahr in die Vorbereitung dieses einen WM-Wochenendes steckt. Genau deshalb ist es lohnenswert, einmal hinter die Fassade des so perfekt erscheinenden Wochenendes zu schauen.
Christian Schmidtchen ist seit 2009 im Motosportclub Teutschenthal Mitglied und ehrenamtlich als Bereichsleiter des Streckenteams tätig. „Mit meinem 50 Personen großen Streckenteam bin ich für die Pflege und Präparation der ca. 1,55 km langen Motocross-Strecke zuständig.“
Christians Aufgaben sind dabei sehr vielfältig. Unter Anderem gilt es, alle Gefahrenstellen, wie Tunnelkanten (die Strecke ist partiell untertunnelt, um auch während eines Rennens in deren Innenbereich zu gelangen), Bewässerungsanlagen, Absprungkanten (um die Flugbahn der Fahrer:innen bei Sprüngen einzugrenzen), Flag-Marshal Positionen sowie Kurveninnenbereiche mit verpackten Strohballen abzupolstern beziehungsweise zu sichern. Des weiteren ist es notwendig, über die gesamte Saison die Zäune an der Strecke zu kontrollieren und instand zu halten. Beim diesem handelt es sich um einen klassischen Wildzaun mit Holzpfählen:
„Dieser gewährleistet, dass Fahrer und Motorrad bei einem ungewollten Abkommen von der Strecke von diesem Zaun ‚aufgefangen‘ werden. Zu diesem Zweck gibt der Zaun zu einem gewissen Teil nach, bei härteren Einschlägen brechen zusätzlich die Holzpfähle, dennoch fängt der Zaun Motorrad und Fahrer:in ein wenig auf, um ein unkontrolliert weites Abkommen von der Strecke zu vermeiden.“
In den Bereichen, in welchen Publikum am Zaun steht, ist dieser in doppelter Bauweise mit einem Sicherheitsabstand ausgeführt, wobei das streckennähere Element als Impaktzaun für Fahrer:innen dient und der äußere als Absperrung für die Zuschauer:innen.
Christians Team ist über die gesamte Veranstaltungssaison für die Streckenpräparation und für organisatorische Aufgaben zuständig. Zusätzlich betreut er die Flag-Marshals und Track-Clearer. Flag-Marshals sind die Sportwarte der Streckensicherung, welche entsprechende Signale mit Flaggen setzen, um nachfolgende Fahrer:innen bei einem Sturz zu warnen. Track-Clearer dürfen im Fall eines Sturzes die Strecke betreten, um gestürzten Fahrer:innen zu helfen, sobald der Flag-Marshal das Signal für die Nachfolgenden gesetzt hat. Hauptaufgabe ist es dabei, verletzte Pilot:innen, wenn notwendig, aus der Gefahrenstelle herauszuholen, um somit einen ungehinderten Rennablauf zu gewährleisten. Häufig kommt es vor, dass diese nur kurz benommen sind und das Rennen wieder aufnehmen, in diesem Fall ist keine Hilfestellung erlaubt. Für all diese Personen und deren Sicherheit ist Christian Schmidtchen zuständig.
Diese Verantwortung beginnt schon bei der Anwerbung und Betreuung der Flag-Marshals, welche üblicherweise kein Mitglied des Vereins sind.
„Bei der MXGP werden dabei circa 120 Personen für circa 60 Positionen an der Strecke benötigt. Die häufige Doppelbesetzung der Positionen ist notwendig, da die Tätigkeit ganztägig eine enorme psychische und physische Anstrengung bedeutet. Der MSC Teutschenthal veröffentlicht circa drei Monate vor der MXGP einen Flyer auf den sozialen Medien, woraufhin sich Interessenten bei mir melden.“
Neben allen organisatorischen und fachlichen Abläufen der Tätigkeit als Streckenchef kommuniziert Christian stets mit anderen Bereichsleitern und organisiert jedes Jahr zur WM das notwendige Marshals-Briefing mit dem Deutschen Motor Sport Bund e.V. (DMSB). Während des Rennwochenendes steht er in stetigem Kontakt zum Rennleiter. Dazu zieht Christian jedes Jahr Mitglieder aus seinem Team zur Unterstützung heran, da die Organisation für 120 Personen für ein Ehrenamt zu umfangreich geworden sei. Es herrsche ein schönes Vereinsleben, da der Club sehr viel für seine mehr als 250 Mitglieder mache und zum Teil bereits drei Generationen einer Familie dort tätig seien. Die Spanne reicht von der Verpflegung beim Rennwochenende bis hin zu gemeinsamen Vereinsausflügen zu anderen Motocross-Events. Sein persönliches Highlight war die MX of Nations 2013 im Talkessel mit circa 70.000 Besucher:innen, welche das Abschlussevent der MXGP-Saison darstellte und jährlich von unterschiedlichen Ländern ausgetragen wird.
Ein weiterer Helfer und Mitglied ist Lukas Erdmann. Lukas ist 20 Jahre alt, stammt aus Teutschenthal und ist seit 2019 offiziell dabei, war aber zuvor schon im Club tätig. Lukas ist mit dem Streckenteam des MSC dafür zuständig, dass die diese für jegliche Art von Rennen vorbereitet ist. Das heißt:
„[…] mögliche Gefahrenzonen für Fahrer:innen mit Stroh abpolstern, Trackmarker für die Kurssetzung zu stecken und die Zäune für die Zuschauer zu reparieren, zu erneuern und neu zu bauen.“
Er erzählt, dass zwischen den Bereichen ein besonderer Zusammenhalt herrscht und die Zusammenarbeit innerhalb des Vereins ihn mit Freude und Stolz erfülle, da jede:r genauso für den Sport brenne wie er selbst. Für ihn sei auch die WM das absolute Highlight im Jahr. Die Landesmeisterschaft empfindet er als schwerer vorzubereiten, weil hier beispielsweise das Unfallrisiko der Fahrer:innen größer sei als bei den Profis.
Auch Thomas Hölzke-Miosga aus Schraplau ist im Verein tätig. Zu Beginn seiner Mitgliedschaft war er an der Startanlage und im Fahrerlager tätig, wo er auch auf ein recht vielfältiges Aufgabengebiet stieß Zum Beispiel mussten Tage vor dem Rennwochenende die Parkflächen für teilnehmende Teams vorbereitet und nach Teamgröße und Fahrzeugen markiert werden. Ebenso gehörte es zu seinen Aufgaben, den Helikopter-Landeplatz vorzubereiten, ebenso wie die Reinigung und Wartung der Startanlage, damit eine reibungslose Funktion gewährleistet ist und somit jede:r Fahrer:in am Start die gleichen Bedingungen hat. Seit 2020 ist Thomas im Streckenteam vertreten. Dort sei sein Aufgabenbereich noch etwas umfangreicher:
„Vor den Rennveranstaltungen müssen wir dort in erster Linie die Strecke für Fahrer sichern und Gefahrenquellen, wie zum Beispiel Bewässerungsanlagen der Strecke oder Erdnägel für Werbematerialien und Kameratürme mit Strohballen polstern. Bei kleineren Veranstaltungen gehört auch das Bewässern der Strecke zum Aufgabengebiet unseres Streckenteams, bei der Weltmeisterschaft übernimmt das die externe sogenannte Watercrew.“
Weiterhin seien er und andere Mitglieder aus dem Streckenteam auch dafür zuständig, dass Zuschauerränge abgesperrt und gesichert werden. Während der Rennen müssen die Flag-Marshals und Track-Clearer abgesichert werden. Besonders am Verein schätze er den familiären Zusammenhalt und das Miteinander. Natürlich gäbe es auch Meinungsverschiedenheiten, welche sich aber schnell klären, wie in einer großen Familie. Für Thomas ist die WM die aufregendste Veranstaltung und auch die arbeitsintensivste.
„Die MXGP ist schließlich die Formel 1 der Offroad Motorräder und wird auch professionell betrieben. Das heißt natürlich auch: die ganze Welt schaut zu.“
Eng verknüpft mit dem Streckenteam ist derjenige, der für den Bau dieser zuständig ist. Das heißt, dass mit technischen Gerätschaften wie Traktor und Raupe der Hard-Pack-Track zu jeder Veranstaltung präpariert werden muss. Dieser Jemand, ist Daniel Richter. Seine Laufbahn im Verein begann 1996 mit Rasenmähen und führte über die Streckenvorbereitung zum Streckenbau. Er erzählt:
„Ich bin übrigens der Einzige, der das kann. Mein Sohn muss jetzt nachziehen und kennt sich schon ganz gut damit aus.“
Neben dem Streckenteam gibt es natürlich auch Mitglieder, die für die Social-Media-Kanäle zuständig sind, wie zum Beispiel Anna-Sophie Kaiser. Sie studiert Rechtswissenschaften an der MLU und ist nebenbei im Verein tätig. Seit fünf Jahren ist Anna offiziell Mitglied im Verein, sei aber davor mindestens genauso aktiv gewesen, sagte sie, da ihr Vater seit 28 Jahren schon Mitglied beim MSC ist und sie bereits im Grundschulalter als Besucherin immer vor Ort war. Annas Aufgabenbereich deckt die gesamte Social-Media-Betreuung des Teutschenthaler Vereins ab. Bereits Wochen und Monate vor Events schaltet sie Werbung, vor allem auf Instagram und Facebook. Ansonsten besteht ihre Aufgabe darin, die Leute durch produzierten Content zu unterhalten, die nicht vor Ort sein können. Sie erklärt:
„Wir haben als Verein immer einen Fotografen bei allen Veranstaltungen am Start , damit genug Content produziert wird, der eben dann regelmäßig gepostet werden kann und für das ganze Jahr bis zum nächsten Event verwendet wird.“
Um beispielsweise die Weltmeisterschaft austragen zu können, muss der Verein viele Voraussetzungen erfüllen. Darunter zählen laut Anna viele behördliche Auflagen, die vom Verein erfüllt werden müssen, wozu nicht nur Brandschutz und Umwelt, sondern auch Sicherheit, Verkehr, Parkflächen, ärztliche Versorgung und Internet für die Live-Übertragung der Rennen gehören. Bei ihr laufe die Organisation der Social-Media Bereiche für eine Veranstaltung ganzjährig, wobei das Arbeitspensum für die WM bedeutend höher sei.
„Zudem finde ich es wirklich verrückt, dass wir als Verein eine Profisport-Veranstaltung austragen“, gibt sie an.
Nicht nur Vereinsmitglieder, sondern auch Bürger:innen aus der Gemeinde Teutschenthal beteiligen sich an Vorbereitungen und der Organisation des MXGP of Germany. So stellen bei der WM Bauern und Bäuerinnen ihre Felder als Park- und Campingplätze zur Verfügung.
Aber es gibt auch Leute, die eben nicht so für diesen Sport und die Veranstaltungen des Vereins brennen. So kam es dieses Jahr häufiger vor, dass große Werbeplakate gestohlen und sogar teilweise abgebrannt wurden. Auf Instagram äußerte sich der Verein wie folgt:
„Insgesamt wurden fünf unserer großen Werbebanner zum MXGP of Germany angebracht. Mittlerweile fehlen schon wieder zwei. Warum macht man sowas?“
Der Teutschenthaler Club gab an, dass dieser die Werbeplakate nach Veranstaltung gerne an Fans verschenken würde. Aber auch bei Unzufriedenheiten bezüglich der Veranstaltung oder des Vereins könne man sich gerne an diesen wenden, um über Unannehmlichkeiten zu reden.
Auch Fahrer:innen schätzen die Arbeit des Vereins
Viele Fahrer:innen kommen jedes Jahr gern in den Talkessel nach Teutschenthal, wie zum Beispiel der deutsche MX2-Fahrer Simon Längenfelder, Fahrer für das Red Bull GasGas Factory Racing Team, der dieses Jahr leider verletzungsbedingt nicht an seinem Home-Grand Prix teilnehmen konnte, aber für seine Fans das ganze Wochenende vor Ort war. Simon beschreibt im Interview:
„Home GP ist sehr besonders, da man sehr viele Freunde, Familie und Fans sieht und man dadurch ein ganz anderes Gefühl am Wochenende hat. Die Strecke beim MSC gefällt mir sehr, ist immer sehr technisch und schwierig zu fahren. Das ist mein Style. Die Atmosphäre ist in Teutschenthal immer einzigartig. Es ist schön so viele Fans zu sehen, die so für den Sport leben.“
Er selbst verspürt vor heimischem Publikum natürlich immer etwas Druck, weil man performen möchte mit guten Rennergebnissen, was alles etwas schwerer mache. Das Event ist laut dem deutschen MX2-Piloten immer sehr gut vom Verein organisiert und das Fahrerlager schön nah bei der Strecke. Das einzige Problem für Simon und andere Fahrer sei die Lautstärke aufgrund der Partys, die immer im Talkessel stattfinden. Aber da gehören wohl nur die Fahrer dazu, die das stört – für Fans sind die Partys immer etwas Legendäres!
Apropos Fans
Neben circa 25.000 anderen Fans sind die BMX BANDE und CROSSFÜCHSE die wohl bekannteste Fangruppe beim deutschen Grand Prix. Die Mitglieder dieser Fangruppe besuchen den MXGP in Teutschenthal schon circa 15 Jahre, wodurch sich alle dort gefunden und gemerkt haben: „Wir haben alle die gleiche Macke!“ Die CROSSFÜCHSE waren bisher eher bekannt als Teil der sogenannten Roczen-Ultras, welche aber eine Namensänderung vornahmen, da der wohl berühmteste deutsche Motocross-Fahrer Ken Roczen vor ein paar Jahren beschloss, sein Motocross-Glück in den USA zu versuchen. Den GP beschreibt die Gruppe folgendermaßen:
„Toll an diesem GP ist natürlich, dass es auch unser Heim-GP als Ultra-Fans ist und man jedes Jahr aufs Neue bekannte Gesichter endlich wiedersieht, ob nun am Streckenrand oder unsere Idole im Fahrerlager. Man kennt sich inzwischen halt und auch die Fahrer kennen uns inzwischen ziemlich gut. Es ist einfach ein umwerfendes Gefühl unsere deutschen Jungs zum Heim GP anzufeuern und für sie alles zu geben, da sie das für uns schließlich auch tun.“
Die Organisation des Vereins beschreibt die deutsche Fangruppe als „der absolute Wahnsinn!“ Weiter heißt es:
„Man muss bedenken, dass dies alles in Vereinsarbeit passiert. Um sowas auf die Beine zu stellen, gehört eine Menge Leidenschaft für unseren geliebten Sport dazu und davor ziehen wird absolut den Hut. Das ist alles nicht selbstverständlich und wenn man bedenkt, was das alles an Geld, Schweiß und gewiss auch ab und zu an Tränen kostet… Wir sind so dankbar, dass der MSC und alle Helfer:innen das möglich machen! Und nur dadurch ist in Teutschenthal auch immer diese ganz besondere Atmosphäre: der Geruch, die Klänge, die vielen fröhlichen Menschen, und das alles ohne Gewalt – das ist irgendwie unbeschreiblich!“
Die Arbeit des Vereins kommt also nicht nur bei unparteiischen Zuschauer:innen an, sondern auch bei Fahrer:innen oder Fans aus der ganzen Welt. Die Arbeit des Vereins ist jedes Jahr aufs Neue unglaublich aufregend und gibt ein Gefühl des „Mittendrin statt nur dabei”! Wer also noch nicht von dem MX-Virus befallen ist, wie die CROSSFÜCHSE sagen würden, sollte nächstes Jahr zur WM definitiv einen Blick in den Teutschenthaler Talkessel werfen. Es lohnt sich, dabei zu sein, beim größten Motocross-Wochenende in ganz Deutschland, um gemeinsam unvergessliche Erinnerungen zu schaffen und vielleicht im nächsten Jahr wiederzukehren!
Text und Fotos: Elisa Elkner