In die­ser Reihe stellt unser Redakteur Paul regel­mä­ßig Persönlichkeiten vor, die Universität und Stadt geprägt haben. In die­ser Ausgabe geht es um den Arzt und Wissenschaftler Friedrich Hoffmann. 

Erinnerung ist eine selt­sa­me Sache: So man­che von den Zeitgenossen bewun­der­te Persönlichkeit ver­schwin­det nur all­zu kurz nach ihrem Tod im Schlund des Vergessens, wäh­rend von dem sich uner­müd­lich anhäu­fen­den Sand der Geschichte ver­schüt­te­te Individuen nach Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten wie­der ins Rampenlicht tre­ten. So man­cher Forscher, Komponist oder Industriepionier bleibt nur lokal in Erinnerung, wäh­rend ande­re berühm­te Köpfe auf dem gan­zen Globus bekannt sind. Einige weni­ge Personen schließ­lich hin­ter­las­sen in der popu­lä­ren Erinnerung ihren Namen als Etikett einer Sache, mit der sie im Grunde nur wenig zu tun haben. Wjatscheslaw Molotow etwa, die berüch­tig­te rech­te Hand Stalins, erfand zwar nicht die Brandflasche, dien­te jedoch den dafür ver­ant­wort­li­chen Finnen als iro­ni­scher Namensgeber. Einem wich­ti­gen Sohn der Saalestadt, einem wah­ren »hal­li­schen Kopf« wur­de ein ähn­li­ches Schicksal zuteil.

Vom Waisenknaben zum Dekan

Friedrich Hoffmann wird am 16. Februar 1660 in Halle als Sohn des Arztes Friedrich Hoffmann Senior und des­sen Frau Anna Maria Knorre gebo­ren. Die pri­vi­le­gier­te Stellung des Vaters eröff­net Friedrich Junior nicht nur eine frü­he Ausbildung durch Privatlehrer und den Besuch des städ­ti­schen Gymnasiums, son­dern bie­tet außer­dem auch einen Zugang zu phar­ma­zeu­ti­schem und che­mi­schem Fachwissen. Bereits mit zwölf Jahren inter­es­siert sich der Junge für die Profession des Vaters; sei­ne Lieblingsfächer sind Medizin und Chemie. Rosige Zukunftsaussichten also für den Arztsohn – doch im Jahre 1675 erschüt­tert eine Reihe von Schicksalsschlägen plötz­lich das Leben des Fünfzehnjährigen. Zuerst ster­ben die Eltern und eine Schwester an einer Krankheit, dann zer­stört ein Brand den Großteil des ererb­ten Besitzes, ein­schließ­lich der kost­ba­ren väter­li­chen Bibliothek. Friedrich Junior, nun Vollwaise, muss bei sei­nem Onkel Friedrich Ernst Knorre unter­kom­men. Drei Jahre spä­ter kehrt er sei­ner Heimatstadt den Rücken und beginnt mit 18 Jahren in Jena Medizin zu stu­die­ren, besucht jedoch auch mathe­ma­ti­sche und phi­lo­so­phi­sche Vorlesungen.

Hoffmann beginnt schon bald mit sei­nen Leistungen zu glän­zen: So betei­ligt er sich eif­rig an Disputationen und gibt sei­nen Kommilitonen sogar Nachhilfe in Chemie. 1680 wech­selt er vor­über­ge­hend nach Erfurt, wo er das Traktat »De auto­chei­ria« (Über den Selbstmord) ver­fasst. Ermutigt von sei­nem Lehrer Georg Wolfgang Wedel reicht er die­se Schrift nach sei­ner Rückkehr nach Jena als Dissertation ein; im fol­gen­den Jahr wird er Doktor der Medizin. Reisen in die Niederlande und nach England fol­gen, bei denen er zahl­rei­che nam­haf­te Forscher wie etwa Robert Boyle, Mitbegründer der moder­nen Naturwissenschaften sowie der ana­ly­ti­schen Chemie, ken­nen­lernt. 1685 lässt sich Hoffmann schließ­lich in Minden als Garnisionsarzt nie­der, nach­dem man ihn nach einem krank­heits­be­ding­ten Aufenthalt zum Bleiben über­re­det hat.

Lange hält es den jun­gen Mann jedoch nicht in sei­ner neu­en Heimat: 1686 zum Hofmedicus in Minden ernannt, wech­selt er schon im dar­auf­fol­gen­den Jahr nach Halberstadt. Privat bin­det er sich 1689 und hei­ra­tet in Zellerfeld die Apothekerstochter Anna Dorothea Herstell. 1693 schließ­lich folgt der Karrieredurchbruch, als Hoffmann die Gelegenheit erhält, ers­ter Professor für Medizin und Physik an der neu­ge­grün­de­ten Friedrichs-Universität in sei­ner Heimatstadt Halle zu wer­den – der Waisenjunge kehrt als ehr­wür­di­ger Professor an sei­nen Geburtsort zurück. In sei­ner neu­en Funktion baut Friedrich Hoffmann die medi­zi­ni­sche Fakultät auf, wird Dekan und schließ­lich sogar Prorektor, die höchs­te uni­ver­si­tä­re Position zur dama­li­gen Zeit. Die Gründung der Universitätsbibliothek lässt sich eben­so auf ihn zurück­füh­ren wie die Einrichtung zwei­er kos­ten­lo­ser Speisungen für Studenten aus dem Herzogtum Magdeburg und dem ange­schlos­se­nen Fürstentum Halberstadt; auch Halle gehört zum bran­den­bur­gisch-preu­ßisch regier­ten ehe­ma­li­gen Erzbistum. Die Zeit der eige­nen Not hat der rüh­ri­ge Gelehrte offen­bar eben­so wenig ver­ges­sen wie sei­nen Aufenthalt in Halberstadt selbst.

Hexen und hydraulische Menschen

Neben sei­ner Tätigkeit als Doktorvater und (gut besuch­ter) Dozent wid­met sich Friedrich Hoffmann auch inten­siv der Forschung. Zu Beginn des neu­en Jahrhunderts beschäf­tigt er sich etwa mit der theo­re­ti­schen Hexenforschung, einem für die Allgemeinheit auch aus medi­zi­ni­scher Sicht wich­ti­gen Thema – auch wenn sich zur glei­chen Zeit sein Professorenkollege Christian Thomasius vehe­ment gegen Hexenprozesse und soge­nann­te Teufelsbündnisse aus­spricht. In der nähe­ren Umgebung ist Hoffmann eben­falls tätig: Im Auftrag der Universität wird er in den klei­nen Ort Lauchstädt geschickt, um eine dort ent­deck­te Wasserquelle zu unter­su­chen. Nachdem der Gelehrte dem küh­len Nass exzel­len­te Heileigenschaften bestä­tigt hat, wird der klei­ne Ort rasch zu einem belieb­ten Heilbad, in dem sich schließ­lich – ein­hun­dert Jahre nach Hoffmanns Exkursion – auch pro­mi­nen­te Künstler und Denker wie Goethe, Gellert oder Hegel regel­mä­ßig ein­fin­den wer­den. Mit sei­nen reich­hal­ti­gen Kenntnissen der Chemie unter­sucht Hoffmann auch ande­re spä­ter berühm­te Heilquellen, so etwa die von Karlsbad (Karlovy Vary) in Böhmen.

Mit sei­nem Studienfreund Ernst Georg Stahl, der auf Hoffmanns Betreiben hin eben­falls Medizinprofessor in Halle gewor­den ist, debat­tiert er zudem über die Frage, wie die Bewegungen des mensch­li­chen Körpers zustan­de kom­men. Während Stahl die Ansicht ver­tritt, die Seele ver­ur­sa­che unbe­wuss­te Bewegungen des Körpers, argu­men­tiert Hoffmann, dass ein selbst­stän­di­ger Muskeltonus der­ar­ti­ge Bewegungen her­vor­brin­ge. Das auf die Theorien René Descartes’ bezo­ge­ne Bewegungsmodell des Menschen ist für Hoffmann das Zentrum sei­ner medi­zi­ni­schen Forschung: Der Körper sei eine Art hydrau­li­sche Maschine, in der ein »Nervenfluidum«, eine Zwischenform von Flüssigkeit und Kraft, über die Nerven ver­teilt Muskelspannung (Tonus) aus­lö­se. Krankheiten rühr­ten dem­zu­fol­ge aus Unregelmäßigkeiten im Nervenfluidum her, das mal einen zu hohen, mal einen zu nied­ri­gen Muskeltonus erzeuge.

Vor die­sem theo­re­ti­schen Hintergrund spie­len für den Arzt Hoffmann vor allem beru­hi­gen­de und stär­ken­de Arzneien eine gro­ße Rolle, die Krämpfe und Atonie (zu gerin­ger Tonus) aus­glei­chen sol­len. Neben sei­ner Beschäftigung mit Heilquellen ent­wi­ckelt Hoffmann des­halb auch eige­ne Medikamente, die er über einen eige­nen Vertrieb ver­kauft. Am bekann­tes­ten wird sein ab etwa 1704 her­ge­stell­ter schmerz­stil­len­der »Liquor ano­dy­nus mine­ra­lis Hoffmanni« – im Volksmund bald als »Hoffmanns Tropfen« bekannt, für die er sogar ein Herstellungsprivileg des Mainzer Kurfürsten erhält.

Illustration: aus G. F. Hertzberg, Geschichte der Stadt Halle an der Saale von den Anfängen bis zur Neuzeit. Halle 1889. Band 3, S. 105. Via flickr.com/photos/britishlibrary/11200879563

Königs Freund und aller Welt Schubladeninhalt

Nun als weit­hin bekann­ter Arzt und Forscher geach­tet, wird Friedrich Hoffmann bald sogar von Fürsten als medi­zi­ni­scher Ratgeber kon­sul­tiert – ein wis­sen­schaft­li­cher Dogmatiker ist der als welt­män­nisch und lie­bens­wür­dig bekann­te Gelehrte näm­lich kei­nes­wegs. Auch wenn sei­ne 1709 in Berlin ange­tre­te­ne Stellung als Leibarzt König Friedrich Wilhelms I. auf­grund eines Streites mit einem Amtskollegen nur drei Jahre währt, kann Hoffmann den »König in Preußen« sogar zu sei­nen Freunden zäh­len. Auch Kaiser Karl VI. sucht den Rat des Professors aus Halle; die Erforschung der Karlsbader Quellen erfolgt auf sei­ne Einladung hin.

Als Friedrich Hoffmann am 12. November 1742 im hohen Alter von 82 Jahren in sei­ner Heimatstadt stirbt, zählt er nicht nur zu einer ihrer ange­se­hens­ten Persönlichkeiten, son­dern gilt auf­grund sei­nes zwei Jahre zuvor publi­zier­ten Hauptwerkes »Medicina ratio­na­lis sys­te­ma­ti­ca« auch als einer der wich­tigs­ten medi­zi­ni­schen Systematiker sei­nes Jahrhunderts. Als Mitglied der Leopoldina, der Royal Society, der Preußischen sowie der Russischen Akademie der Wissenschaften geehrt, kann Hoffmann die Betreuung von über 300 Doktoranden zu sei­nen Leistungen zäh­len; nicht weni­ge sei­ner Schüler wer­den spä­ter zu fürst­li­chen Leibärzten und Universitätsdozenten. Auch sei­ne bei­den Kinder weiß er gut ver­sorgt: Die Tochter Maria Sophie hei­ra­tet einen hohen preu­ßi­schen Staatsbeamten, der Sohn Friedrich (III.) tritt in die Fußstapfen sei­nes Vaters und wird Professor der Medizin in Halle.

Erinnerung ist eine selt­sa­me Sache: Zu sei­nen Lebzeiten noch als bedeu­ten­de wis­sen­schaft­li­che (doch nicht unum­strit­te­ne) Leistung aner­kannt, fin­det sich Friedrich Hoffmanns Theorie vom hydrau­li­schen Menschen heu­te nur noch in den Schubladen der Medizingeschichte – in der Abteilung »Sackgassen und Irrtümer«. Wenn auch von der Heimatstadt mit der Benennung einer Straße und einer Grabstätte auf dem Stadtgottesacker gewür­digt, liegt das Ansehen des berühm­ten Leibarztes und Mitbegründers der Universität längst unter dem Schutt spä­te­rer Ereignisse begra­ben. Selbst sei­nen schmerz­stil­len­den Verkaufsschlager, des­sen Rezept er und sei­ne Erben lan­ge eifer­süch­tig geheim hiel­ten, lie­ßen die Zeitläufe nicht unbe­rührt: Statt aus einer Mischung von schwef­li­ger Säure und Ethanol besteht die noch heu­te bekann­te Tinktur seit Anfang des 19. Jahrhunderts aus drei Teilen Ethanol und einem Teil Äther. »Hoffmanns Tropfen« sind im Grunde kei­ne mehr – und doch wird Friedrich Hoffmann aus­ge­rech­net durch ihre Bezeichnung am nach­drück­lichs­ten im kol­lek­ti­ven Gedächtnis weiterleben.

0 0 vote
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments