Der Matilda-Effekt beschreibt die sys­te­ma­ti­sche Diskriminierung von Wissenschaftlerinnen. Er wur­de nach der Frauenrechtlerin und Soziologin Matilda Joslyn Gage benannt. Sie setz­te sich gegen die ver­brei­te­te Annahme ein, dass Frauen nicht für das wis­sen­schaft­li­che Arbeiten geeig­net sei­en. Dieser Artikel soll eini­ge gran­dio­se wis­sen­schaft­li­che Leistungen beleuch­ten und die Forscherinnen sicht­bar machen.

Die Biochemikerin Rosalind Franklin ist eine der bekann­tes­ten Wissenschaftlerinnen, ihre Geschichte stellt eines der bes­ten Fallbeispiele für den Matilda-Effekt dar. Sie wid­met ihre Forschung am Londoner King’s College der Entschlüsselung der DNA mit­hil­fe von Röntgenstrahlung. Franklin ent­deckt zwei Formen von DNA-Molekülen, schafft es hoch­wer­ti­ge Bilder auf­zu­neh­men und erkennt, dass eine heli­ka­le Struktur vorliegt.

Photo 51, B Form
KDBP/1/1/867, King’s College London Archives

Im sel­ben Zeitraum erstel­len die Wissenschaftler Watson und Crick nach dem Besuch eines Vortrags von Franklin ein ers­tes, feh­ler­haf­tes DNA-Modell. Maurice Wilkins, der stell­ver­tre­ten­de Leiter des Labors, in dem Franklin tätig ist, lässt den bei­den Forschern heim­lich Kopien ihrer Unterlagen zukom­men. Darunter das berühm­te Foto 51 – der Beleg für die Existenz der Doppelhelix. Auch der Bericht über ihre Erkenntnisse wird ohne ihr Wissen von einem Mitglied des Begutachtungskomitees an Watson und Crick wei­ter­ge­ge­ben, was bei­den die letz­ten not­wen­di­gen Daten für ihr Modell lie­fert. Sie ver­öf­fent­li­chen ihre Arbeit im glei­chen Journal wie Franklins Bericht, wel­cher als Bestätigung inter­pre­tiert wird. Vier Jahre nach dem Tod von Franklin erhal­ten Watson und Crick den Nobelpreis für ihre Entdeckung. Ihr Beitrag oder ihre Person selbst fin­den in der Dankesrede der bei­den Männer kei­ne Erwähnung. Jahre spä­ter gesteht Watson in sei­nem Buch „Die Doppelhelix“, wie sehr das Forscherteam von Franklins Arbeit pro­fi­tiert hat, und äußert sich lie­ber zu ihrem Aussehen statt zu ihrer Arbeit:
„Sie tat ganz bewusst nichts, um ihre weib­li­chen Eigenschaften zu unter­strei­chen. Trotz ihrer schar­fen Züge war sie nicht unat­trak­tiv, und sie wäre sogar hin­rei­ßend gewe­sen, hät­te sie auch nur das gerings­te Interesse für ihre Kleidung gezeigt. Das tat sie nicht.“

Katherine Johnson, mathe­ma­ti­sche Forscherin bei der NASA, 1960

Ein kleiner Schritt für einen Menschen …

Als ein­zi­ge Schülerin der Analytischen Geometrie schließt Katherine Johnson ihr Studium in den Hauptfächern Mathematik und Französisch bereits im Alter von 18 Jahren mit einem Bachelor of Science ab. Sie bekommt die Möglichkeit, als eine der drei ers­ten Schwarzen Personen an der staat­li­chen Universität zu stu­die­ren, und ist die drit­te afro­amerikanische Person, wel­che einen Doktortitel in der Mathematik erhält. Später beginnt Johnson für die NACA, die Vorgängerorganisation der NASA, zu arbei­ten. In Zeiten der Segregation ist der „Verleih“ Schwarzer Mathematikerinnen an ande­re Abteilungen üblich. In der Abteilung für Flugforschung besteht sie als ers­te auf die Teilnahme an den Briefings. Johnson schafft als damals ein­zi­ge Frau den Übergang in eine ande­re Abteilung, da sie durch ihre Kenntnisse schnell unent­behr­lich wird. Aufgrund eines Fachbuchmangels zum Thema Weltraumfahrt schreibt sie mit einem Kollegen eine theo­re­ti­sche Abhandlung und wird die ers­te offi­zi­ell als Mitautorin benann­te Frau der Abteilung. Diese Abhandlung dient der NASA als Grundlage für die bemann­te Weltraumfahrt und ermög­licht unter ande­rem die ers­te Erdumrundung eines ame­ri­ka­ni­schen Astronauten. Außerdem berech­net Johnson die kor­rek­te Umlaufbahn für die Apollo-11-Mission, ent­wi­ckelt ein manu­el­les Navigationsschema und stellt die Berechnungen für den Rückweg der Apollo 13 zur Erde an. Neben zahl­rei­chen Auszeichnungen durch die NASA bekommt Johnson 2015 von US-Präsident Obama die Presidential Medal of Freedom, eine der höchs­ten zivi­len Auszeichnungen der USA, verliehen.

… ein großer Schritt für die Menschheit

Margaret Hamilton neben Ausdrucken der von ihr ent­wi­ckel­ten Flugsoftware für das Raumfahrtprogramm

Zur Apollo-11-Mission und der Mondlandung am 20. Juli 1969 gel­ten meist die ers­ten Gedanken den drei Besatzungsmitgliedern – Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins. Den wenigs­ten ist die Rolle von Margaret Hamilton bewusst. Die Mathematikerin gilt als die ers­te Software-Ingenieurin und ist bei der NASA für die Entwicklung der Flug­software zustän­dig. Diese ist für die Navigation zum Mond und zurück sowie für die Landung not­wen­dig. Sie ent­wi­ckelt Konzepte für asyn­chro­ne Software, wel­che die gleich­zei­ti­ge Ausführung meh­re­rer Operationen ermög­licht, ohne dabei ande­re zu blo­ckie­ren, und Methoden zu einer prio­ri­täts­ge­steu­er­ten Aufgabenausführung. Hierbei setzt Hamilton auf ein abge­stimm­tes Zusammenspiel von Hard- und Software sowie dem Menschen, was eine Kontrollübernahme durch den Piloten zu jedem Zeitpunkt ermög­licht. Gelegentlich nimmt die arbei­ten­de Mutter ihre Tochter mit ans MIT. Diese führt durch das Drücken eines Knopfes einen Systemabsturz her­bei, wor­auf­hin Hamilton sich für das Einrichten von Schutzvorrichtungen und Backup-Systemen ein­setzt. Entgegen der all­ge­mei­nen Meinung, dass Astronauten kei­ne Fehler machen, pas­siert auf der Apollo-8-Mission der glei­che Fehler; die­ser kann durch ihr Team inner­halb kür­zes­ter Zeit beho­ben wer­den. Auch die Landung der Mondfähre bei Apollo 11 steht auf­grund einer Fehlermeldung des Bordcomputers kurz vor dem Abbruch. Doch Hamiltons Software ist in der Lage, die zusätz­li­che Datenmenge, her­vor­ge­ru­fen durch die unge­plan­te Aktivierung eines Radargerätes, zu igno­rie­ren und sich auf das Landemanöver zu kon­zen­trie­ren, wodurch mit der Landung fort­ge­fah­ren wer­den konn­te. Nach dem Abschluss des Apollo-Programms grün­det sie Softwareunternehmen und erhält zahl­rei­che Auszeichnungen, dar­un­ter den höchst­do­tier­ten Exceptional Space Act Award, der je von der NASA ver­ge­ben wur­de, und auch sie erhält von Präsident Obama die Presidential Medal of Freedom.

Unsterbliche Zellen

Henrietta Lacks cir­ca 1945, vor ihrem Tod durch Gebärmutterhalskrebs 1951

Zell- und Gewebespenden sind für die Wissenschaft unab­ding­bar. Von beson­ders gro­ßer medi­zi­ni­scher Relevanz sind die HeLa-Zellen. Sie wer­den unter ande­rem zur Erforschung von Krebsmedikamenten, der Impfstoffentwicklung oder der Studierendenausbildung genutzt und sind beson­ders für ihre unbe­grenz­te Fähigkeit zur Zellteilung bekannt. Obwohl sie als eine der ers­ten und am häu­figs­ten ver­wen­de­ten Zelllinien der bio­me­di­zi­ni­schen Forschung zäh­len, bleibt ihre Herkunft für lan­ge Zeit ein Geheimnis. Die HeLa-Zellen ent­stam­men einer unfrei­wil­li­gen Gewebeentnahme. Entnommen wer­den sie der jun­gen afro­ame­ri­ka­ni­schen Frau und Mutter Henrietta Lacks, nach­dem sie den Kampf gegen eine beson­ders aggres­si­ve Form von Gebärmutterhalskrebs bereits acht Monate nach der Diagnose ver­lor. Dies geschieht, ohne sie davor in Kenntnis zu set­zen oder gar ihre Zustimmung ein­zu­ho­len. Auch ihre Familie erfährt nahe­zu 20 Jahre nicht von der unfrei­wil­li­gen Gewebeentnahme. Die Zellen wer­den bestrahlt und gene­tisch mani­pu­liert – die Erfolgsgeschichte ihrer Zellen beginnt. Noch heu­te „leben“ in den Laboren der Welt schät­zungs­wei­se 50 Millionen Tonnen HeLa-Zellen, sie wer­den noch immer zur Grundlagenforschung genutzt. Henrietta Lacks Zellen wur­den Berichten zufol­ge in mehr als 70 000 medi­zi­ni­schen Studien verwendet.

Schweigend zusehen?

Die Mikrobiologin Elisabeth Bik hat mani­pu­lier­te Bilder in hun­der­ten wis­sen­schaft­li­cher Artikel nachgewiesen

ür die nie­der­län­di­sche Mikrobiologin Elisabeth Bik lau­tet die Antwort auf die­se Frage ein­deu­tig „Nein“. In ihrer Arbeit kon­zen­triert sie sich auf bak­te­ri­el­le Genetik und Mikrobiomforschung, bekannt wird Bik aller­dings für das Aufdecken von wis­sen­schaft­li­chem Fehlverhalten in Bezug auf Bildmanipulationen in wis­sen­schaft­li­chen Publikationen. Die Whistleblowerin über­prüft über 20 000 Paper in den ver­schie­dens­ten Journalen und ent­deckt, dass bei­na­he jedes 25. Paper mani­pu­lier­te Western Blots auf­weist. Nachdem Briefe an Forscher:innen und Redakteur:innen unbe­ant­wor­tet blei­ben, ver­öf­fent­licht sie 2016 mit zwei Kollegen ein Paper zum wis­sen­schaft­li­chen Fehlverhalten und setzt sich für die Sicherstellung der Glaubwürdigkeit wis­sen­schaft­li­cher Forschungsarbeit ein. Ihre Arbeit hat dazu bei­getra­gen, dass ver­fälsch­te oder dupli­zier­te Bilder in Studien zur Behandlung von Alzheimer und Parkinson ent­deckt wur­den. Ihre Nachforschungen teilt sie unter ande­rem auf X und ihrem Blog (scienceintegritydigest.com). 2024 erhält Bik für ihre Arbeit den Einstein Foundation’s Institutional Award.

Blotting
bezeich­net in der Molekularbiologie ein Verfahren zum Transfer von Molekülen auf eine Membran. Der Western Blot beschreibt die Übertragung von Proteinen auf eine Trägermembran, wel­che durch anschlie­ßen­de Reaktio­nen nach­ge­wie­sen werden.

Deutschlands erste Ärztin

Nach der Ärztin Dorothea Erxleben ist unter ande­rem ein Lernzentrum der Universitätsmedizin Halle benannt.

Als Tochter eines Arztes und Gymnasiallehrers erfährt die 1715 in Quedlinburg gebo­re­ne Dorothea Erxleben ent­ge­gen den dama­li­gen gesell­schaft­li­chen Standards die glei­che schu­li­sche Ausbildung wie ihre jün­ge­ren Brüder. Den größ­ten Teil ihres Wissens sowie Kenntnisse in Latein bringt sie sich selbst bei und beglei­tet mit 16 ihren Vater bei Patientenbesuchen. Obwohl ihr ein Medizinstudium ver­wehrt bleibt, lässt ihr Vater sie in sei­ner Praxis assis­tie­ren. 1740 bit­tet sie den neu­en König Friedrich II. um Erlaubnis, stu­die­ren zu dür­fen. Ihrer Bitte wird statt­ge­ge­ben und sie wird an der Uni Halle zuge­las­sen. Zum Studium kommt es nie, da ihr Bruder, ohne den sie kei­nen Zugang zu den Vorlesungen erhält, zum Krieg ein­ge­zo­gen wird. Sie hei­ra­tet schließ­lich, bekommt Kinder und betä­tigt sich wei­ter­hin als Ärztin in der Praxis ihres Vaters, wel­che sie nach sei­nem Tod 1747 übernimmt. 

Da Erxleben kein Medizinstudium vor­wei­sen kann, erstat­ten männ­li­che Kollegen nach dem Tod einer Patientin Anzeige wegen medi­zi­ni­scher Pfuscherei, wor­auf­hin ihr der Betrieb der Praxis ver­bo­ten wird. Sie pro­tes­tiert gegen das Verbot und holt ihre Promotion mit dem Einreichen der Doktorarbeit nach. 1754 erlangt Erxleben als ers­te Frau in Deutschland die medi­zi­ni­sche Doktorwürde. Sie kri­ti­siert außer­dem den Einsatz teu­rer „Modemedikamente“ und ver­tritt somit auch einen gegen­tei­li­gen Ansatz zum dama­li­gen Trend der Medizin. Ihr Werdegang stellt für die dama­li­ge Zeit eine abso­lu­te Ausnahme dar. Gymnasialkurse für Frauen wer­den erst­mals 1893 ange­bo­ten, wäh­rend der Zugang zu deut­schen Universitäten erst durch den Bundesratsbeschluss 1899 mög­lich ist.

Text: Sarah Becker

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