Seit dem weltweiten Ausbruch von COVID-19 arbeiten Wissenschaftler:innen mit Hochdruck an Lösungen, um dem Virus Einhalt zu gebieten und seine zahlreichen Folgen auf Gesundheit, Gesellschaft und Alltag zu erforschen.
Auch an der Martin-Luther-Universität leisten Forschungsgruppen in unterschiedlichen Projekten einen wichtigen Beitrag zum besseren Umgang mit der Pandemie. So beobachtet man am Institut für Politikwissenschaft, wie sich die Arbeit von Wahlkreisen in der gegenwärtigen Lage gestaltet und welche Rolle Parlamente in Zeiten von COVID-19 einnehmen. Politik- und Sprachwissenschaftler:innen beschäftigen sich zudem damit, wie sich die politische Kommunikation während der Pandemie entwickelt. Währenddessen ermöglichen im naturwissenschaftlichen Bereich Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung neue Ansätze für die Analyse und Bekämpfung des SARS-CoV-2-Virus: Dort tragen unter anderem Untersuchungen zu Viren-RNA und Proteinstrukturen dazu bei, ein besseres Verständnis vom Erreger zu bekommen. In der Geowissenschaft versucht man außerdem Antworten darauf zu finden, wie sich Luftverschmutzung auf den Krankheitsverlauf auswirkt und wie man gewonnene Daten und Erkenntnisse überhaupt sinnvoll darstellen kann. Die medizinische Fakultät veranstaltete im Rahmen der „RESTART-19“-Studie sogar ein Konzert, um das Übertragungsrisiko bei Großveranstaltungen untersuchen zu können. Darüber berichten wir im Detail in der Reportage „Für die Wissenschaft zum Konzert“.
Auf der Suche nach neuen Diagnoseverfahren
Damit COVID-19 bekämpft werden kann und um später besser gegen ähnliche Situationen gerüstet zu sein, ist es wichtig herauszufinden, wie sich die Krankheit verbreitet und Neuinfektionen entwickeln. Dafür sind schnelle, günstige und zuverlässige Tests notwendig.
Die Suche nach einer neuen Diagnostikmethode begann damit, dass sich Wissenschaftler:innen mit einer Pandemie konfrontiert sahen, die dringend Lösungen verlangte, und mündete in der Gründung einer globalen Arbeitsgemeinschaft – der „COVID-19 Mass Spectrometry Coalition“, in der Forscher:innen aus der ganzen Welt es sich zur Aufgabe gemacht haben, mittels der Massenspektrometrie das Virus und dessen Auswirkungen effizient zu untersuchen. Die Koalition dient in erster Linie dem Austausch von Forschungsergebnissen und gegenseitiger Unterstützung im gemeinsamen Ziel.
Unter den beteiligten Wissenschaftler:innen ist Prof. Dr. Andrea Sinz, Professorin für Pharmazeutische Chemie an der MLU und Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Massenspektrometrie, einer Arbeitsgemeinschaft, die sich mit der Entwicklung dieser Technik und deren Umsetzung befasst. „Der springende Punkt war, dass wir als Gemeinschaft mit unserer starken analytischen Technik etwas beitragen wollten anstatt nur untätig herumzusitzen“, so Sinz.
Hinter dem Begriff „Massenspektrometrie“ verbirgt sich ein Verfahren, mit dessen Hilfe Moleküle nach ihrer Masse getrennt und identifiziert werden können. Damit ist es möglich, zum Beispiel Proteine und deren Anzahl in einer Probe genau zu bestimmen. Das ist wichtig, da SARS-CoV‑2 Proteine enthält, anhand derer es genau erkannt und von anderen Viren unterschieden werden kann. Vor allem ein im Virusinneren befindliches Nukleoprotein ist für die Untersuchungen interessant, da es in hoher Zahl vorliegt. Wie alle anderen Proteine besteht auch dieses aus einer Kette von Aminosäuren, die in einer ganz spezifischen Abfolge auftreten. Die Besonderheit der Massenspektrometrie besteht nun darin, dass man mit ihr nicht nur die Proteine selbst, sondern auch diese einzigartige Sequenz von Aminosäuren nachweisen kann. Somit erkennt man auch jegliche Veränderungen, also Mutationen, innerhalb der Kette. Dies kann dazu beitragen, die Entwicklung des Virus besser nachzuvollziehen.
Das zurzeit gängige Verfahren in der Diagnostik des SARS-CoV‑2 ist die Polymerase-Kettenreaktion oder kurz PCR. Dabei wird ein Abschnitt des genetischen Materials vervielfältigt, um es hinterher nachweisen zu können. Bei der Massenspektrometrie hingegen schaut man sich nicht die Gene, sondern nur die Proteine an. Dies bietet zahlreiche Vorteile gegenüber der PCR. Das Virus kann direkt und sehr spezifisch anhand seiner Bestandteile nachgewiesen werden. Zudem ist der Test vergleichsweise schnell. Laut Prof. Dr. Sinz beträgt die reine Messzeit nur fünf Minuten, mit der Vorbereitung der Proben verlängert sich dies noch einmal auf höchstens eine halbe Stunde. Dies ermöglicht eine größere Testkapazität.
Doch nicht nur das Testen, sondern auch die Probenentnahme soll effizienter werden. Die bisher mit Hilfe eines Wattestäbchens durchgeführten Abstrichtests sind oft, vor allem
für Kinder, unangenehm und laufen Gefahr, beim Abtragen der Viren vom Wattestäbchen kontaminiert zu werden. Für die Massenspektrometrie reiche das kurze Gurgeln mit 15 Millilitern Kochsalzlösung aus, um ein klares Ergebnis zu bekommen, erklärt Sinz.
Eine Alternative zu den üblichen Methoden?
Allerdings wird die Massenspektrometrie die gängigen Verfahren nicht ersetzen können und dient eher als Ergänzung. Die für die Tests verwendeten Massenspektrometer sind vergleichsweise groß, was ihren Einsatz außerhalb von Kliniken und Laboren, zum Beispiel in einem Testzentrum an einer Autobahn, schwierig macht. Prof. Dr. Sinz fügt hinzu, dass es zwar tragbare Geräte gebe, die Technik allerdings noch weiter ausgebaut werden müsse.
Zudem sind die Geräte in der Anschaffung recht kostspielig, was sich laut Sinz jedoch bei einer hohen Probenzahl schnell rechne. Nach einmaliger Anschaffung des Geräts sind die Kosten der einzelnen Proben nämlich nicht mehr so hoch. Dadurch kann regelmäßiger und großflächiger getestet werden, zum Beispiel bei Großveranstaltungen oder in Schulen.
Trotzdem wird für die Bedienung eines Massenspektrometers geschultes Personal gebraucht, um die Testergebnisse zuverlässig auswerten zu können. „Das muss von Personen bedient werden, die häufig nicht viel über die Technik wissen. Deshalb muss ein Schutz gegeben sein, falls das Gerät nicht kalibrierbar ist und man falsche Messergebnisse erhalten würde.“ Das sei nicht per se ein Nachteil, allerdings ein Punkt, bei dem der Hersteller Vorkehrungen treffen müsse, so Prof. Dr. Sinz.
Das Verfahren kann also eine gute Ergänzung darstellen, ist jedoch stellenweise noch ausbaufähig. Ziel ist es nicht nur, die Gerätetechnik zu verbessern, um kleinere und günstigere Geräte zur Verfügung stellen zu können, sondern verschiedene massenspektrometrische Methoden weiter auszubauen. Schnellere Testabläufe sollen entwickelt werden, um das Verfahren im Hochdurchsatz einsetzen zu können. Außerdem sieht die Professorin auch Verbesserungsmöglichkeit bei bereits eingesetzten Methoden wie der PCR: „Ich glaube, das Problem, dass es so lang dauert, liegt daran, dass man die Abläufe noch optimieren muss und wie man die Leute informiert. Man sollte alles digitalisieren, anders geht es nicht.“
Für die weitere Erforschung bieten Deutschland und die MLU laut Prof. Dr. Sinz gute Möglichkeiten. In Ländern wie Italien, Spanien und Großbritannien wurden zu Beginn der Pandemie öffentliche Einrichtungen aufgrund des Lockdowns geschlossen, wodurch die Forschung gelähmt wurde. Sinz hingegen konnte in Halle bereits nach einer Woche wieder ihre Arbeit an der Universität aufnehmen.
Die Aufmerksamkeit, die Sinz’ Arbeitsgruppe durch das hoch relevante Forschungsthema erhielt, ist ihrer Meinung nach vor allem für das Bild der MLU nach außen wichtig.
„Die Möglichkeiten sind hier nicht schlecht, nur oft verborgen. Am Proteinzentrum hat man große Freiheiten. Die Ausstattung ist sehr gut und kann international absolut mithalten. Man braucht nicht zu denken: Alles spielt sich bloß in München oder Berlin ab und woanders läuft nichts. Das möchte ich den Studierenden mitgeben, dass man sich nicht verstecken darf und sich sagt: Ja, wir machen hier gute Sachen und haben auch einen guten Ruf.“
Digitale Sicherheit
Die Idee, Massenspektrometrie als Diagnostikverfahren für SARS-CoV‑2 einzusetzen, entstand vor allem aus der dringenden Situation heraus, die durch die globale Pandemie ausgelöst wurde. Am Institut für Informatik der MLU konnten hingegen bereits vor Corona durchgeführte Arbeiten zur Datensicherheit und anonymer Kommunikation mit dem Erscheinen der Corona-Warn-App neue Anwendungsmöglichkeiten finden.
Dr. Sandro Wefel widmet seine Arbeit dem Bereich der IT-Sicherheit. Dabei untersucht er zum Beispiel, welche Anforderungen an Apps, die sensible Informationen übermitteln, in Bezug auf Datenschutz gestellt werden sollten, und sucht ebenfalls Lösungen für digitale Lehre und Kommunikation. Zurzeit begleitet er eine Bachelorarbeit, die sich mit ebensolchen Fragen auseinandersetzt: „Wir wollen die Nutzer darin unterstützen, ein gutes Gefühl bei der Benutzung der Corona-App zu bekommen. Dass ihnen relativ wenig Gefahr droht, was ihre Privatsphäre, ihre Verbindungen – also ihre Kommunikation – angeht.“
Ziel ist es also, zu ermitteln, ob es mögliche Sicherheitslücken gibt, durch die eigentlich anonymisierte Daten einer bestimmten Person dieser ungewollt zugeordnet werden können. Das ist zum Teil gar nicht so einfach. Denn man braucht nicht nur die Technik und das fachliche Know-How, sondern auch eine Menge Geduld für die Arbeit mit abstrakten Problemen. So gilt es unter anderem herauszufinden, wie es sich vereinbaren lässt, dass man Daten zuverlässig Personen zuordnet und diese gleichzeitig ausreichend anonymisiert.
Die Schwachstellen im System
Mögliche Schwachstellen sind zum Beispiel die zentralen Server des Anbieters – bei der Corona-App ist dies die Telekom, über die der Datenaustausch läuft. Mittels IP-Nummer können eingeschickte Datenpakete theoretisch zum Gerät, das diese abschickt, zurückverfolgt werden. Wird auf dieser Ebene eine Schwachstelle in der Software gefunden, wird dies zunächst nur im kleinen Rahmen öffentlich gemacht, um die Gefahr zu minimieren, dass sie ausgenutzt wird. Daraufhin sucht man Lösungsansätze für das Problem und gibt die Informationen an die nötigen Stellen weiter.
„Entwicklern stellt man die Möglichkeit zur Verfügung, nachzubessern. Sie müssen im angemessenen Zeitraum reagieren, und wenn sie es nicht tun, wird die Schwachstelle ganz offengelegt“, so Dr. Wefel. Dabei entscheidet erst das vorliegende Sicherheitsproblem darüber, wie aufwendig und langwierig die Ausbesserungsarbeit ist. Besonders mühsam ist es laut Dr. Wefel dann, wenn die gesamte Infrastruktur umgebaut werden muss. Dabei müsse die App umprogrammiert, getestet und schließlich ersetzt werden. Bei der Corona-Warn-App geht er allerdings nicht davon aus: „Wir werden vermutlich keine Schwachstellen finden, die das Potential haben, das Netzwerk komplett anzugreifen. Es werden eher Verbesserungsmöglichkeiten sein. Dass man sagt: Bestimmte theoretische De-Anonymisierungsmöglichkeiten sind da, und wir hätten Vorschläge, wie man diese ausräumen kann.“ Da der Quellcode der App frei verfügbar ist, kann theoretisch jeder diesen überprüfen und Fehlerberichte, sogenannte Bug-Reports, einreichen und Korrekturen anbringen.
Ganz anders wird verfahren, wenn ein Problem auf Nutzerebene auftritt. Die App funktioniert über Bluetooth. Sendet sie nun Daten an ein anderes Handy, wird dabei auch eine individuelle Geräte-Kennnummer verschickt, mit deren Hilfe eventuell Aufenthaltsort und ‑zeit dieses Geräts festgestellt werden können. Auf diese Schnittstelle in den Smartphones hat man von außen allerdings keinen Zugriff, da sie von den Herstellern der Betriebssysteme vorgegeben ist. Sollte man herausfinden, dass die Gerätenummern nicht ausreichend anonymisiert sind, müsste man sich also direkt an Google oder Apple wenden.
Datenschutz im Uni-Alltag
Doch nicht nur bei der Corona-Warn-App spielt Datensicherheit eine Rolle. Gerade in der Lehre an Schulen und Unis mussten seit Beginn der Pandemie schnell digitale Lösungen gefunden werden. Bei der Umstellung von analog auf digital griffen viele auf bekannte und verbreitete Software wie Zoom oder Microsoft Teams zurück, die allerdings nicht ganz frei von Sicherheitsproblemen war. Dr. Wefel glaubt, dies sei vor allem aus der Not heraus geschehen und Funktionalität habe eine entscheidende Rolle gespielt.
Allerdings stehen inzwischen Alternativen zur Verfügung wie das Webkonferenzprogramm „BigBlueButton“. Dr. Wefel spricht sich dafür aus, auch lokale Möglichkeiten und freie Software zu nutzen. Damit könnten Entscheidungen getroffen werden, bei denen Sicherheit nicht vor der Funktionalität zurückweichen müsse. Zudem fügt er an, es sei schlecht für den IT-Standort Deutschland, sich lediglich an ein Produkt oder einen Hersteller, zum Beispiel Microsoft, zu binden. Dabei bemüht sich die Universität, Zugang zu unterschiedlichen Angeboten zu ermöglichen. Das Zentrum für multimediales Lehren und Lernen (LLZ) stellt zum Beispiel auf https://wiki.llz.uni-halle.de/Portal:Tools zahlreiche Kommunikationstools vor.
Dr. Wefel zieht den Schluss: „Man muss sich damit beschäftigen. Die Kernfunktionen sind in solchen Systemen schon enthalten. Beim Punkt Datenschutz geht es um die Nachvollziehbarkeit: Wo gehen meine Daten überhaupt hin?“
Nicht nur an der Martin-Luther-Universität, sondern weltweit hatte die Ausbreitung von COVID-19 eine starke Auswirkung auf die Forschungsarbeit. Dringend benötigte Daten zum Virus, dessen Ausbreitung und Folgen konnten vor allem am Anfang der Pandemie aufgrund von geschlossenen Arbeitsräumen und abgesagten Veranstaltungen nur schwer gesammelt werden. Inzwischen jedoch beteiligen sich Wissenschaftler:innen unterschiedlichster Bereiche daran, wichtige neue Erkenntnisse zu sammeln oder bereits erworbenes Wissen auf die aktuelle Pandemie zu übertragen, um diese besser zu verstehen. Halle trägt mit verschiedenen Projekten zu dieser Erkenntnisgewinnung bei. Dabei konnte die MLU mit ihren Forschungsgruppen durch die Arbeit an den aktuellen Problemen eine neue Aufmerksamkeit gewinnen und womöglich auch einen breiteren Austausch über Themen fördern, die sonst nur in Laboren und Uniräumen stattfinden.