Wer vom Menschen erzäh­len will, muss über Unterdrückung reden. Ob ande­re oder Teile sei­ner selbst – gesell­schaft­li­che und inne­re Repressionen waren immer Teil des Menschen und sei­ner Geschichte. Genauso wie die Kunst als Ventil und Anklageschrift dient(e), die­ses Gefühl der Unfreiheit zu bear­bei­ten. Hier also drei Filme zum Titelthema:

The Last Duel (2021)

von Ridley Scott

152 min / US, UK / FSK 16

Basierend auf wah­ren Ereignissen erzählt „The Last Duel“ vom letz­ten gericht­li­chen Zweikampf Frankreichs. Am 29. Dezember 1386 tra­ten die eins­ti­gen Freunde Jean de Carrouges und Jaques Le Gris vor den Augen Gottes gegen­ein­an­der an, um die gro­ße Frage zu klä­ren: Hat Le Gris Carrouges’ Frau Marguerite ver­ge­wal­tigt, so wie die­se behauptet?

Ridley Scott ist ein Meister der epi­schen Historienfilme und wäh­rend auch hier immer wie­der dre­cki­ge Schlachten und Kämpfe gezeigt wer­den, ist der Film doch im Kern ein Drama. Er erzählt die Geschichte die­ser bei­den Männer und zeigt dabei vor allem ein gro­ßes Manko auf: Wie wenig es doch um Marguerite geht. Sollte ihr Mann ver­lie­ren, wird sie bei leben­di­gem Leibe ver­brannt. Auch steht nicht ihr mög­li­cher Schmerz im Raum, son­dern in ers­ter Linie der ver­letz­te Stolz der bei­den Duellanten. Ohne Frage ist das Teil unse­rer patri­ar­cha­len Geschichte, doch es hat auch Auswirkungen dar­auf, wie wir Geschichte noch heu­te ler­nen und begreifen.

Der Film basiert auf dem gleich­na­mi­gen Sachbuch von Eric Jager und wäh­rend das Duell und das Leben sei­ner Protagonisten detail­reich doku­men­tiert ist, gibt es zu Marguerite nur sehr spär­li­che Quellen. Frauen und ihre Geschichten wur­den nicht auf­ge­schrie­ben. „The Last Duel“ schafft, all das zu umrei­ßen und dabei eine völ­lig neue Perspektive zu schaf­fen. Die Freunde und Drehbuchautoren Matt Damon und Ben Affleck haben sich mit der Writerin Nicole Holofcener bewusst noch eine Frau mit ins Boot geholt, um Marguerite in ihrer eige­nen Geschichte einen ange­mes­se­nen Raum zu geben. Das Patriarchat der Vergangenheit prägt unser his­to­ri­sches Verständnis bis heu­te. Dieser Film hat einen Weg gefun­den, die­ses Verständnis ein­mal radi­kal aus­zu­he­beln. Ich emp­feh­le, nichts wei­ter über den Film zu lesen, und ihn sich ein­fach ein­mal anzu­se­hen – das macht ihn umso effektvoller!

Kopfplatzen (2019)

von Savaş Ceviz

99 min / DE / FSK 16

An der Oberfläche führt Markus ein gutes Leben: Er ist um die 30, attrak­tiv, erfolg­rei­cher Architekt und gut im Socializen. Doch er ist auch ein­sam und ver­steckt sich vor der Welt. Der Grund: Er ist pädo­phil. Und er hasst sich dafür.

Regisseur Savaş Ceviz bricht mit sei­ner Figur Markus bewusst jedes Klischee, was gesell­schaft­lich über pädo­phi­le Männer besteht. Er will nicht ver­ur­tei­len, er will Einsicht geben in einen Menschen, der im stän­di­gen Kampf mit sich und sei­ner Neigung ist. Markus ver­sucht ver­zwei­felt, nicht zum Täter zu wer­den, wäh­rend er in einer Gesellschaft lebt, die ihm so gut wie kei­nen Strohhalm bie­tet, an den er sich bei die­sem Kampf klam­mern kann. Die Vorurteile sind zu groß und eine tat­säch­li­che Differenzierung zwi­schen Pädophilie – eine Neigung, für die man grund­sätz­lich, wie bei jeder Sexualität, nichts kann – und Pädokriminalität – der tat­säch­li­che Missbrauch von Kindern – fin­det kaum statt. In küh­len, ruhi­gen Bildern beglei­tet der Film Markus bei sei­nem kon­ti­nu­ier­li­chen Ringen um Kontrolle über sich selbst und sei­nen Selbsthass. Der Film wird nie expli­zit – das muss er auch gar nicht; allein das Wissen um Markus’ Neigung ver­leiht selbst harm­lo­sen Momenten wie einer lan­gen Umarmung mit sei­nem Neffen eine ganz ande­re Konnotation. Ein Film, der auf­klä­ren will über ein Thema, für das fata­ler­wei­se kein öffent­li­cher Raum für Sachlichkeit oder gar Empathie besteht.

In Deutschland gibt es das Präventionsnetzwerk „Kein Täter wer­den“. Dorthin kön­nen sich Menschen mit pädo­phi­len und hebe­phi­len (sexu­el­le Anziehung durch puber­tie­ren­de Körper) Neigungen wen­den, ohne Furcht vor Vorverurteilungen haben zu müs­sen. Unter ande­rem bie­tet das Netzwerk Psychotherapien an, deren Ziel es ist, dass Betroffenen einen Umgang mit ihrer Sexualität und auch sich selbst fin­den, wäh­rend gleich­zei­tig durch die­se Maßnahmen Kinder vor Übergriffen geschützt wer­den. Außerdem ist das Netzwerk Ansprechpartner für Journalist:innen, Therapeut:innen und Menschen aus dem Umfeld pädo- und hebe­phi­ler Menschen. Diese Arbeit kann durch Spenden unter­stützt wer­den und vor allem durch Aufmerksamkeit. Schaut vor­bei, infor­miert euch und teilt auch ger­ne die­se Informationen – ihr wisst nie, wem die­se hel­fen könnten.

- https://www.kein-taeter-werden.de/spenden/

Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte (2009)

von Michael Haneke

144 min / DE, AT / FSK 12

1913, irgend­wo in Norddeutschland. In einem klei­nen Dorf kommt es zu rät­sel­haf­ten und bru­ta­len Zwischenfällen. Erst hat der Arzt des Ortes einen schwe­ren Sturz von sei­nem Pferd wegen eines gespann­ten Drahts, dann stirbt eine Frau bei einem selt­sa­men Arbeitsunfall. Anschließend wird der Sohn des Barons ent­führt und miss­han­delt. All die­se Ereignisse schü­ren Misstrauen in der Dorfgemeinschaft, deren sozia­le Dynamiken immer wei­ter für das Publikum ent­schlüs­selt wer­den. Es sind die letz­ten Jahre des Kaiserreiches; und zwi­schen Gott, Vaterland, der sozia­len Schicht und dem unbe­ding­ten Gehorsam gegen­über den Eltern muss hier jede:r Einzelne mit Nachdruck auf seinen:ihren Platz in die­sem Gefüge ver­wie­sen wer­den. Vor allem die Kinder des Dorfes ste­hen immer wie­der im Mittelpunkt der Geschichte. Michael Haneke erzählt von der Kindheit jener Generation, die spä­ter ein­mal pflicht­be­wusst Hitler zuju­beln und Gaskammern bau­en wird – in einem System, befreit von jeg­li­cher Empathie und Menschlichkeit, das sei­ne Wurzeln schon lan­ge vor 1933 in die Herzen der Leute geschla­gen hatte.

Text: Ronja Hähnlein

Illustrationen: Marlene Nötzold, Christophe Dang Ngoc Chan (CC BY-SA 3.0)

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:35mm_format_235_scope.svg

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