In eine Geschichte ein­zu­tau­chen ist ja stets irgend­wie eine Reise durch Zeit und Raum. Doch bleibt es nicht immer nur bei einer Metapher – manch­mal nut­zen die Erzähler:innen das Thema Zeit ganz bewusst als krea­ti­ves Mittel, um ihren Figuren und/oder ihrem Publikum eine ganz neue Erfahrung zu besche­ren. So gesche­hen auch bei fol­gen­den Geschichten:

The Beast (2023)

von Bertrand Bonello

FR, CAN / 146 min / FSK 12

Es ist das Jahr 2044. AI nimmt einen bedeu­ten­den Teil des Lebens ein und hat die größ­ten Katastrophen abge­wen­det. Doch ein Problem sieht sie nach wie vor: Die Emotionen der Menschen. Darum wird die­sen emp­foh­len, Gefühle durch eine gene­ti­sche Umkodierung zu eli­mi­nie­ren. Auch Gabrielle ent­schei­det sich für die­sen Schritt. Während der „Reinigung“ streift sie durch die Erinnerungen frü­he­rer Leben. Paris 1910, LA 2014 – immer wie­der trifft sie dabei auf dem glei­chen Menschen: Louis. Jenen Mann, der ihr auch im Warteraum vor der „Reinigung“ begeg­ne­te. Und wäh­rend die bei­den eigent­lich dort sind, um sich ihre Gefühle aus­trei­ben zu las­sen, mer­ken sie, welch star­ke Emotionen sie in der Vergangenheit mit­ein­an­der verbanden.

Was in einer Mainstreamproduktion zu einer gro­ßen Romanze hoch­sti­li­siert wor­den wäre, wird in die­sem Indiefilm zu einer weit­aus viel­schich­ti­ge­ren Geschichte. Gebrielle und Louis hat­ten unter­schied­li­che Leben und Begegnungen und nun haben sie auch unter­schied­li­che Haltungen zu der Frage, inwie­fern das Eliminieren die­ser Erinnerungen und damit ver­bun­de­nen Emotionen rich­tig sei. Was bleibt vom Menschen ohne sie? „The Beast“ zeigt wie­der ein­mal, welch klu­ge und ori­gi­nel­le Stories durch Science Fiction erzählt wer­den kön­nen, wenn das Genre nicht nur den Major Studios über­las­sen wird.

Palm Springs (2020)

von Max Barbakow

US / 90 min / FSK 16

„Täglich grüßt das Murmeltier“ ist wohl das bekann­tes­te Beispiel für ein Time Loop Movie, doch bei wei­tem nicht der ein­zi­ge Vertreter. Das Genre ist recht anfäl­lig für Eintönigkeit, ist durch die Zeitschleife ja nicht nur die Welt der Figuren begrenzt, son­dern auch der Erzählraum für die Macher:innen. Diese sind gezwun­gen, neu zu den­ken, um fri­sche Geschichten erzäh­len zu kön­nen und ich will behaup­ten, Max Barbakow ist das mit „Palm Springs“ aus­ge­zeich­net gelungen.

Nyles hängt auf einer Hochzeit ab, und das schon seit gerau­mer Zeit. Tag ein, Tag aus das glei­che. Inzwischen kennt er jedes Detail der Zeitschleife, aber hat sich ziem­lich gut mit sei­nem Schicksal arran­giert. Mittlerweile genießt er regel­recht das Fehlen jeder Konsequenz sei­nes Handels. Doch wird sei­ne Welt ordent­lich durch­ge­schüt­telt an dem Tag, an dem die Schwester der Braut, Sarah, eben­falls zufäl­lig in die Zeitschleife gerät. Sie macht dar­auf­hin so ziem­lich jede Phase durch, die man in einer sol­chen Situation wohl durch­macht – Leugnung, Neugier, Spaß und schließ­lich die gro­ße Suche nach dem Ausweg. Für Nyles wie­der­um bedeu­tet Sarahs „Auftauchen“ Veränderung; etwas, das er gar nicht mehr zu ken­nen scheint. Unter der Sonne der kali­for­ni­schen Wüste ent­wi­ckelt sich aus die­ser Dynamik eine erfri­schen­de, aber ernst­zu­neh­men­de Komödie – per­fekt für einen ent­spann­ten Abend.

Mein Ende. Dein Anfang. (2019)

von Mariko Minoguchi

DE / 111 min / FSK 12

„Relativität besagt, dass Zukunft und Vergangenheit die glei­che Gültigkeit für die Gegenwart haben.“, erzählt Physikdoktorant Aron in der ers­te Szene des Films. „Das führt doch zu der berech­tig­ten Frage, war­um wir Menschen uns an unse­re Vergangenheit erin­nern, aber nicht an die Zukunft.“ Und fast scheint es so zu sein, als er und Nora sich das ers­te Mal begeg­nen – ein Erkennen ohne sich zu ken­nen, ein Erinnern an die gemein­sa­me Zukunft. Doch dann wird auch Natan in ihr Leben tre­ten und sei­ne Zeit eben­so untrenn­bar an die ihre geknüpft.

Was hier etwas phi­lo­so­phisch klin­gen mag, ent­fal­tet sich auf der Leinwand zu einem berüh­ren­den und sehr nah­ba­ren Drama. Mariko Minoguchi schafft mit ihrem Debüt als Regisseurin und Drehbuchautorin eine Geschichte vol­ler Liebe, Schmerz und Angst. Sanft und vol­ler Detailverliebtheit ver­webt sie die Lebenslinien und Handlungsstränge der drei Hauptfiguren, wäh­rend sich dem Publikum dabei nach und nach das gesam­te Muster ihres Teppichs offen­bart. Am Ende ist dar­auf einer der bes­ten deut­schen Filme der letz­ten Dekade zu erkennen.

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