Woher weiß ich, dass der Täter nicht aus dem eige­nen Umfeld kommt? Wer hat Schuld und wer ist viel­leicht nur zu Unrecht ver­ur­teilt wor­den? Dies sind eini­ge Fragen mit denen sich True Crime beschäf­tigt. Somit hier ein klei­ner Einblick in die Welt des Ungelösten und der rea­len Verbrechen. Nervenkitzel und Faszination garantiert.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Gattung in der Literatur popu­lär. Dabei wer­den kei­ne fik­ti­ven Geschichten, son­dern wah­re Verbrechen, also rea­le Kriminalfälle, auf­ge­ar­bei­tet und erzählt. Vor allem Straftaten, die beson­ders schwer­wie­gend oder per­fi­de sind, genau­so wie Vermissten- oder Mordfälle und damit even­tu­ell ver­bun­de­ne Serientäter wer­den häu­fig beleuch­tet. Vorwiegend wird sich dort auf die spe­zi­el­le Vorgehensweise der Täter, die oft aus nie­de­ren Beweggründen han­deln, fokus­siert. Dabei sind die Taten häu­fig unge­wöhn­lich oder sie haben gro­ße media­le Aufmerksamkeit bekom­men, weil die Rechtsentscheidung sehr umstrit­ten gewe­sen ist. Zudem wird ver­sucht, Einblicke in die Polizeiarbeit zu geben.

Gerade im heu­ti­gen Zeitalter ist die Methode der digi­ta­len Verbreitung im Internet, zum Beispiel durch Podcasts oder Fernsehserien, häu­fig bekannt. Von Programmen wie „Aktenzeichen XY“ hat jeder schon ein­mal gehört. „Während wir frü­her dar­auf war­ten muss­ten, dass ein­mal im Monat am Abend eine Sendung kam, sind heut­zu­ta­ge Medien anders ver­füg­bar und der Konsum selbst steu­er­bar“, ist auch die Antwort von Dr. med. Steffen Lau, Chefarzt und stell­ver­tre­ten­der Klinikdirektor für foren­si­sche Psychiatrie an der Universitätsklinik in Zürich, dar­auf. Gerade wegen der Verbreitung in Netzwerken, Büchern oder Zeitungen gibt es ganz ande­re Möglichkeiten, den Fall zu ana­ly­sie­ren und auch sei­ne eige­nen Ideen und Gedankengänge mit ein­zu­brin­gen. Dabei kön­nen auch eige­ne Theorien auf­ge­stellt und mit ande­ren Personen gemein­sam Fälle ana­ly­siert wer­den. Dies bringt den Vorteil mit sich, dass durch sol­che Aktivitäten auch neue Lichtblicke in die Polizeiarbeit gebracht wer­den und Fälle neu auf­ge­rollt und even­tu­ell sogar gelöst wer­den kön­nen. Nicht umsonst gibt es bereits Fälle, bei denen die Polizei mit­hil­fe einer Online-Community einen Sachverhalt wie­der auf­ge­rollt und sogar gelöst hat. Somit ist True Crime in ver­schie­dens­ten Formen unaus­weich­lich und allgegenwärtig.

Jedoch erge­ben sich gera­de wegen der gro­ßen media­len Öffentlichkeit auch vie­le Fehler, die die poli­zei­li­che Arbeit, die eini­ge Kritikpunkte mit sich bringt, erschwe­ren kön­nen. Dem Täter wird hier viel Raum gege­ben und dies übt auf vie­le Menschen eine gewis­se Faszination aus. Dadurch wird die­ser roman­ti­siert und sym­pa­thi­siert und es ent­ste­hen Fan-Kulte. Auch kann True Crime bewir­ken, dass wir die­sem Thema gegen­über abge­stumpft wer­den. Fälle kön­nen in Fernsehsendungen durch Dialoge aus­ge­schmückt wer­den, die so nie statt­ge­fun­den haben, nur um die Neugierde zu wecken und eine Abgrenzung zu „nor­ma­len“ Dokumentarfilmen zu fin­den. Viele True-Crime-Dokumentationen kön­nen jedoch auch ehe­ma­li­ge Betroffene ret­rau­ma­ti­sie­ren. „Viele Dokus sind heut­zu­ta­ge aber mit Triggerwarnungen ver­se­hen, um das zu ver­hin­dern. Wenn die Dokus gut gemacht sind, füh­ren sie zu mehr Verständnis und weni­ger Vorurteilen, ohne die Taten zu ent­schul­di­gen“, so wie­der Dr. med. Steffen Lau.

Doch war­um genau sind wir so fas­zi­niert von die­sen Fällen? Was reizt uns an die­sen Berichten? Warum beschäf­ti­gen wir uns lie­ber mit wah­ren Verbrechen anstatt mit aus­ge­dach­ten Kriminalfällen? Zum einen, weil das Geschehene von einem Menschen han­delt, bei dem der Verstand genau weiß, dass es wirk­lich pas­siert ist. Wir bekom­men so das Gefühl, nah am Geschehen dabei zu sein. Auch Dr. med. Steffen Lau, der im März 2023 ver­stor­ben ist, äußer­te sich hier­zu in einem Interview mit Watson: „True Crime hat einen ähn­li­chen Effekt wie Horror, näm­lich die soge­nann­te Angst-Lust. Das Böse ist über­all, und auch wenn man sich das im siche­ren Zuhause ansieht, hat man das Gefühl, nicht zu 100 Prozent sicher zu sein.“ Die soge­nann­te Angst-Lust beschreibt die Gefühlslage, aus einer Angstsituation Lust zu emp­fin­den. Zum ande­ren kön­nen wir bei unge­lös­ten Fällen auch selbst mit­rät­seln, was pas­siert sein könn­te. Wir bekom­men nicht nur Einblicke in die Opfer, son­dern auch in poten­ti­el­le Täter. Und genau das fas­zi­niert die meis­ten Menschen an die­sen gan­zen Fällen. Wenn wir uns damit beschäf­ti­gen, wer­den Gefühle in uns aus­ge­löst, die von Erschrockenheit wegen des Geschehenen bis hin zu Neugierde rei­chen, weil wir doch wis­sen wol­len, was pas­siert ist. Denn wenn man sich einen Krimi anschaut, kön­nen wir uns selbst ein­fa­cher sagen, dass es sich ja nur um Kunstblut han­delt und alles nur gestellt ist. Somit fällt es uns dabei leich­ter, uns davon zu distan­zie­ren. Jedoch ist die­se Distanzierung bei True Crime nicht mög­lich. Hier wis­sen wir, dass es wirk­lich so pas­siert ist. Die Angst-Lust wird in uns aus­ge­löst und rückt uns somit näher an das Geschehen her­an. Weil genau das auch uns pas­sie­ren könnte.

Die Frage „Wer war es“ hält hier­bei die Leute im Bann. Sie fes­selt uns. Die teil­wei­se grau­en­haf­ten Geschichten fas­zi­nie­ren uns und erlau­ben auch Einblicke in unse­re eige­nen dunk­len Gedanken.

Text und Illustrationen: Emily Hohenwaldt

Interview zum Artikel:

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