Nach langem Warten hat es das Fernsehformat der bekannten Drag Queen „RuPaul“ endlich nach Deutschland geschafft. Der deutsche Ableger ist die perfekte Einstiegsdroge in die Welt der Drag Queens. Doch traut er sich auch an die unangenehmeren Themen heran?
Das international bekannte Format „RuPaul’s Drag Race“ nahm seine Anfänge im Jahr 2009. Zehn Drag Queens aus den USA lieferten sich ein Battle um 20.000 US-Dollar. Das Grundkonzept der Fernsehshow ist seither das gleiche: In verschiedenen Challenges müssen die Drag Queens ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen. Mal geht’s ums Schauspielern, mal ums Singen, Improvisieren, Tanzen, oder das Nähen von Outfits. Danach laufen die Queens mit Kleidung zu einem bestimmten Motto über den „Runway“ und werden von den Juror:innen bewertet. Gewinner:innen erhalten einen Geldpreis, Personen mit einer guten Performance sind „safe“ und die Drag Queens auf den letzten beiden Plätzen kämpfen in einem „Lip Sinc for your Life“ darum, in der Show bleiben zu dürfen. Auf recht theatralische Weise verkündet RuPaul dann stets „Shantay you stay“ oder„Sashay away“.
„Drag Race“ gewann nach und nach an Beliebtheit, sodass auf die erste Staffel 15 weitere folgen sollten (Stand Mai 2024). Trotz der Tatsache, dass die seit vielen Jahrzehnten bestehende Kunstform oft kritisch beäugt wird, rückte Drag immer mehr in den Mainstream. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis die US-amerikanischen Staffeln um internationale Versionen erweitert wurden. Ob Kanada, Australien, Mexiko oder Schweden: In insgesamt 15 Ländern gibt es mittlerweile Spin-offs des Formats. Zum Glück der deutschen Fans kam 2023 auch die erste Staffel von „Drag Race Germany“ dazu, die von Barbie Breakout, Gianni Jovanovic und Dianne Brill gehostet wird. Die Teilnahme von Jovanovic wurde von vielen Seiten zelebriert, da er sich neben seinem Aktivismus für die LGBTQ+-Community auch für die Rechte von Sinti*zze und Rom*nja einsetzt.
Drag ist eine Kunstform, bei der sich Personen in einem übertriebenen Stil kleiden, typischerweise ist dieser besonders feminin. Oft überzeichnen sie dabei Stereotype und Geschlechterklischees. Meist hat Drag nichts mit dem eigenen Geschlechtsbewusstsein zu tun, die meisten Drag Queens sind queere Cis-Männer. Doch in der Szene gibt es auch Drag Queens und Kings, die trans, heterosexuell und AFAB (asigned female at birth) sind. Drag Entertainer treten oft in Clubs auf und ihr wohl am häufigsten präsentiertes Talent ist „lip-syncing“, viele haben aber auch Comedy Shows, singen, tanzen und vieles mehr.
Die Staffel umfasst zwölf Folgen, die ab dem 05.09.2023 wöchentlich bei Paramount+ erschienen. Elf Teilnehmer:innen wirkten bei der Staffel mit: Barbie Q, Kelly Heelton, Lélé Cocoon, Loreley Rivers, Yvonne Nightstand, Nikita Vegaz und The Only Naomi aus Deutschland, Victoria Shakespears und Tessa Testicle aus der Schweiz sowie Metamorkid und Pandora Noxx aus Österreich. Unter den Kandidat:innen im Alter von 22 bis 41 Jahren waren einige mit Migrationshintergrund, Victoria Shakespears und Kelly Heeltonkommen ursprünglich aus Brasilien und Barbie Q aus Bolivien. Ihre kulturellen Hintergründe und auch der Umgang ihrer Heimatländer mit der LGBTQIA+-Community wurden im Laufe der Staffel mehrfach thematisiert. Dennoch wurden auch kritische Stimmen laut, der Cast hätte diverser gestaltet werden sollen. Ein Highlight war die Teilnahme der AFAB-Queen (assigned female at birth) Pandora Noxx, die das Format als erste Cis-Frau gewann.
Für „RuPaul‘s Drag Race“-Fans aus dem deutschsprachigen Raum war es sicher eine seltsame Erfahrung, dass die Show zum ersten Mal auf die „deutsche“ Kultur ausgerichtet wurde. Unter anderem gab es die Musical-Challenge „Dragort“, die Comedy-Challenge „Barbie Salesch“ und das Laufsteg-Motto „Angela Merkel“. Im wöchentlichen Lip-Sync reichten die ausgewählten Songs von Klassikern wie „Atemlos“ von Helene Fischer über englischsprachige Popsongs bis hin zu „Rock Me Amadeus“ von Falco. Als Gastjuror:innen waren neben anderen Shirin David, Rafaella Zollo und Estefania Elisa am Start.
Dass Drag politisch und oft mit Aktivismus verbunden ist, zeigte sich auch bei „Drag Race Germany“. Im Mai 2023 fand in der Münchner Stadtbibliothek eine Lesung für Kinder mit einer Drag Queen und einem Drag King statt. Von Seiten der AfD, CSU und der Freien Wähler kam es aufgrund der Veranstaltung teilweise zu ungerechtfertigter Kritik: der queeren Kunstform wurde ein Zusammenhang mit Frühsexualisierung und Pädophilie nachgesagt. Drag-Race-Germany-Hostess Barbie Breakout klärte im „Black Brown Queeren Podcast“ von Dominik Djialeu und Zuher Jazmati über die Vorwürfe auf: „Es gibt eine relativ klar nachzuvollziehende Timeline zwischen einem der letzten großen Schoolshootings in Amerika und der Erfindung der Problematik von Drag als Kindergefährdung durch die Republikaner. Das ist auch bei den Rechtskonservativen hier drüben angekommen.“ Die Vorwürfe seien eine Ablenkungskampagne davon, dass die rechten und konservativen Politiker:innen kein Interesse daran hätten, ihre oft weniger privilegierten Wählergruppen zu entlasten. Es fehle an Wahlprogrammen für den richtigen Umgang mit Herausforderungen wie künstlicher Intelligenz. „Und was machen sie, wenn sie keine Lösungen anbieten können? Täuschungskampagnen.“ Auch die Queens erzählten davon, wie sie von den Vorwürfen beeinflusst wurden. Metamorkid berichtete, es seien Fotos von ihr in einem Video des „katholischen Widerstandes“ verwendet worden, in dem Drag Queens als Kinderschänder:innen dargestellt wurden.
Immer wieder fällt im Laufe der Staffel von „Drag Race Germany“ auf, dass ein Bogen zwischen lustigen Momenten und ernsten Themen geschlagen wird. Sowohl die bolivianische Queen Barbie Q als auch Victoria Shakespears aus Brasilien kritisieren in einer der ersten Folgen, wie in ihren Heimatländern mit der LGBTQIA+-Community umgegangen werde. Shakespears berichtet: „Brasilien ist das Land, in dem die meisten queeren Menschen und vor allem Transmenschen getötet werden, nur weil sie so sind wie sie sein möchten.“ Barbie Q ergänzt: „Wir sind mehr als eine Drag Queen hier, wir sind Botschafter für etwas, das sehr viel größer ist als wir.“ Auch HIV und AIDS wurden in der Show thematisiert. Während der AIDS-Krise in den 80er und 90er Jahren starben vor allem viele queere Männer an der Krankheit. The Only Naomi trägt die rote HIV-Schleife, um sich solidarisch mit den Betroffenen zu zeigen. In einem sehr emotionalen Gespräch mit der HIV-positiven Hostess Barbie Breakout meinte sie: „Sobald man vergisst, wie viel Struggle dahintersteht, geht auch der Struggle der Menschen verloren und ich möchte das wertschätzen.“
Auch persönliche Traumata und Erfahrungen mit Drogenabhängigkeit, Rassismus und Homophobie flossen oft in die Gespräche der Queens ein. Dabei stellte sich bei vielen der Teilnehmer:innen heraus, dass Drag ihnen geholfen hat, mit ihren Erlebnissen umzugehen. Nikita Vegaz berichtete: „Drag ist ein bisschen wie dein Superhelden-Umhang. Du fühlst dich unbesiegbar.“ Pandora Noxx erzählte, durch Drag habe sie ihre weibliche Seite besser kennengelernt. Die lesbische Cis-Frau sei oft als „zu maskulin“ kritisiert worden. Auch Lorelei Rivers ist von der „Power of Drag“ überzeugt: „Es ist schön […], Genderstereotype zu durchbrechen und der Gesellschaft etwas zu zeigen, an das sie nicht gewöhnt ist und worüber sie aufgeklärt werden sollte.“
Dass Shows wie „Drag Race“ mittlerweile im Mainstream angekommen sind und queere Themen dadurch entstigmatisiert werden, kann zu einer höheren Awareness beitragen, auch wenn die rechten und konservativen Gegenstimmen lange nicht verstummen werden. Hostess Barbie Breakout beteuert: „Es ist toll, dass die Show jetzt gerade im deutschsprachigen Raum ankommt und dass die Leute sehen können, dass wir keine Kinderschänder sind. Wir sind Menschen mit normalen Wünschen und Träumen und wir wollen keinem etwas Böses.“ Laut Kelly Heelton sei es auch wichtig, junge Menschen mit Themen wie Drag in Berührung zu bringen, damit sie nicht als unaufgeklärte Erwachsene Hass gegen die ihnen unbekannten Thematiken entwickeln würden. „Wir müssen den Kindern alle Farben der Welt zeigen.“
Im Februar 2024 wurde leider bekannt, dass es keine weiteren Staffeln vom deutschen Ableger geben wird. Der Grund sind Sparmaßnahmen des Streaminganbieters Paramount+, welcher auch weitere internationale Originalinhalte aus dem Programm genommen hat. Dennoch ist die erste Staffel auf jeden Fall sehenswert. „Drag Race Germany“ ist viel mehr als ein Reality-TV-Format, auch wenn es die Zuschauenden auf eine ähnliche Art zum Lachen oder zum Weinen bringt. Gerade für Menschen, die nicht der queeren Community angehören, ist die Show sicher eine gute Möglichkeit, um sie besser kennenzulernen. Die Performances und Outfits der Queens sind zudem definitiv sehenswert. Drag Race Germany – I wish you would have stayed!
Text und Bilder: Martha Röckel