Außergewöhnliche Situationen erfor­dern außer­ge­wöhn­li­che Maßnahmen? Nicht wirk­lich. Einsatzkräfte müs­sen in Ausnahmesituationen wie einem Terroreinsatz einen küh­len Kopf bewah­ren, um Ordnung und Sicherheit wie­der­her­stel­len zu kön­nen. Max, 22, Bereitschaftspolizist, war mit sei­nen Kollegen einer der ers­ten Kräfte, die nach dem Notruf am 9. Oktober an der Synagoge anka­men. Im Gespräch mit uns betrach­tet er den Terroranschlag aus beruf­li­cher Perspektive, gibt Einblicke in sei­ne pri­va­ten Gedanken und erzählt, wie es ist, seit­her den Verarbeitungsprozess in Halle zu begleiten.

Dieses Interview erschien in
Heft 87 (Januar 2020)

Die Bereitschaftspolizei unter­stützt bei Bedarf loka­le Reviere in ihren all­täg­li­chen Aufgaben, ist aber pri­mär für deutsch­land­wei­te Großeinsätze, bei­spiels­wei­se Demonstrationslagen oder Fußballspiele, zustän­dig. Nach der drei­jäh­ri­gen Grundausbildung bei der Polizei absol­vier­te Max vor­schrifts­mä­ßig eine Fortbildung, um für das brei­te Spektrum an Aufgaben geschult zu sein. Hierbei erlernt man unter ande­rem den Umgang mit dem Schlagstock und simu­liert ver­schie­de­ne Szenarien und Großübungen. Zu Max’ Job gehört auch eine laten­te Bereitschaft an frei­en Tagen, sodass ihn der Ruf zum Einsatz am 9. Oktober zu Hause erreichte.

Welche Aufgaben hat­ten du und dei­ne Kollegen am Tag des Anschlags, als ihr am Tatort ankamt?

Foto: Jonas Kyora

Erst mal haben wir alle Zugangsstraßen gesperrt, weil es ja Meldungen gab, dass an der Synagoge Sprengsätze vom Täter plat­ziert wur­den. Bis die Spezialkräfte ein­tra­fen, um das zu über­prü­fen, hat­ten wir den Auftrag, die Bevölkerung zu schüt­zen. Wie auch in der media­len Berichterstattung deut­lich wur­de, war ja lan­ge Zeit sogar unklar, wie vie­le Täter es gibt. Das bes­te Beispiel ist die ver­meint­li­che Geiselnahme in einem Supermarkt in der Südstadt. All das muss­te natür­lich über­prüft wer­den. Dabei hat man aller­dings immer Kräftemangel, weil man erst mal alle Kräfte zusam­men­zie­hen muss.

Wart ihr über­haupt auf solch einen Einsatz vorbereitet?

Naja, genau auf so etwas vor­be­rei­ten kann man sich nicht, weil da jede Lage anders ist. Der Anschlag in Berlin war bei­spiels­wei­se etwas ande­res als der in Halle jetzt. Aber wir haben mitt­ler­wei­le eine Konzeption für Terrorlagen. Dafür wer­den wir geschult, jeder Beamte muss die­se ein­wö­chi­ge Fortbildung machen und die­se regel­mä­ßig auf­fri­schen, sodass wir da vom Schießen über tak­ti­sches Vorgehen bis zur ers­ten Hilfe alles lernen.

War es per­sön­lich den­noch schwie­rig, auf eine sol­che Ausnahmesituation zu reagieren?

Wir wer­den dahin­ge­hend schon geschult. Uns wird immer wie­der gesagt: In den Übungen schießt man nur mit Farbmarkierungswaffen, aber nehmt das nicht auf die leich­te Schulter. Letztendlich kom­men bei dem rea­len Einsatz näm­lich noch Stress und äuße­re Einflüsse hin­zu, sodass es wich­tig ist, dass man die Abläufe wie im Schlaf kann. Dass der Stress nicht über­hand­nimmt, dafür ist in dem Moment erst mal jeder für sich selbst ver­ant­wort­lich. Wir wer­den auf Arbeit dahin­ge­hend geschult, dass wir fach­lich rich­tig han­deln. Klar wird auch dar­auf geach­tet, dass, wenn jemand wirk­lich ein Problem mit einer Situation hat, mit ihm dar­über gespro­chen wird oder dass er auch zur Not raus­ge­nom­men wird. Wir haben aber natür­lich auch ent­spre­chen­de Einrichtungen, die im Nachgang zur Hilfe her­an­ge­zo­gen wer­den kön­nen, wenn man das möchte.

Welche Strategien hat­test du zur Bewältigung im Nachhinein?

Ich las­se mich grund­sätz­lich nicht so leicht aus der Ruhe brin­gen. Klar ist es eine außer­ge­wöhn­li­che Situation, aber letzt­lich habe ich mir ja irgend­wann mal etwas dabei gedacht, als ich mir die­sen Beruf aus­ge­sucht habe. Ich war auch schon dar­auf vor­be­rei­tet, dass irgend­wann mal so etwas kom­men kann. Wenn man die­ses Bewusstsein hat, glau­be ich, macht man sich in die­ser Situation auch weni­ger Stress. Ändern kann ich es in die­ser Situation sowie­so nicht, und ich wer­de ja auch dafür bezahlt, dass ich mei­ne Aufgaben erledige.

Das heißt, du hast dir eine Art Tunnelblick zugelegt?

Also Tunnelblick in der Hinsicht, dass man in so einer Situation die Augen für das Wesentliche behält.

Während es für Einsätze kla­re Abläufe gibt, gibt es dies wahr­schein­lich nicht für die Verarbeitung danach, oder?

Man macht sich natür­lich Gedanken dar­über, und man hat das dann größ­ten­teils mit den Kollegen aus­ge­wer­tet, weil man in den nächs­ten Tagen vor­ran­gig auf Arbeit war. Letztendlich wur­de sich auch inner­halb unse­res Einsatzzuges Zeit genom­men, sich zusam­men zu set­zen. In dem Sinne haben wir das gan­ze noch­mal Revue pas­sie­ren las­sen. Dabei wur­de dann auch Verständnis geschaf­fen: Warum soll­tet ihr in dem Moment aus­ge­rech­net das machen und nicht etwas anderes.

Es gab auch die eine oder ande­re Stimme, die dann gesagt hat: Man hät­te sich kaum vor­stel­len kön­nen, dass so etwas mal in Halle pas­siert. Ich glau­be, das den­ken vie­le. Da gibt es ja grö­ße­re Städte wie Leipzig, wo man den­ken könn­te, dass es eher mal dort pas­sie­ren könn­te. Aber wer hät­te gedacht, dass es aus­ge­rech­net im klei­nen Halle pas­siert? Vielen von uns ist dann erst bewusst gewor­den, was eigent­lich in die­sem Einsatz hät­te pas­sie­ren kön­nen. Was für uns viel­leicht noch for­dern­der gewe­sen wäre.

Hast du in den Tagen danach auch an Gedenkveranstaltungen teilgenommen?

Teilgenommen habe ich nur dienst­lich, da wir in der Zeit danach jeden Tag auf Arbeit waren, weil wir von der Bereitschaftspolizei der ein­zi­ge Zug in Halle sind. Entsprechend wur­den wir für die­se gan­zen Veranstaltungen her­an­ge­holt. Ich den­ke aber schon, dass ich auch in mei­ner frei­en Zeit dar­an teil­ge­nom­men hätte.

Wie fühlt es sich an, die gesell­schaft­li­che Verarbeitung danach zu beglei­ten? Der „unnor­ma­le“ Zustand hält für einen ja dadurch noch län­ger an.

Es war eigent­lich der Ton unter allen Kollegen, dass man das gut fand, weil man so in die­ser Situation erst mal drin­bleibt. Es ist nun mal ein ein­schnei­den­des Erlebnis gewe­sen. Ich sage mal, der nor­ma­le Revierpolizist, der kommt an dem Tag dahin, kommt in die­se Extremsituation, und am nächs­ten Tag nimmt er wie­der einen Unfall mit Sachschaden auf, bei dem ein Kratzer an der Autotür ist. So gese­hen war es für uns schon bes­ser, dass wir noch in die­ser Situation drin waren.

Foto: Jonas Kyora

Interview: Anja Thomas, Jonas Kyora

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