Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen? Nicht wirklich. Einsatzkräfte müssen in Ausnahmesituationen wie einem Terroreinsatz einen kühlen Kopf bewahren, um Ordnung und Sicherheit wiederherstellen zu können. Max, 22, Bereitschaftspolizist, war mit seinen Kollegen einer der ersten Kräfte, die nach dem Notruf am 9. Oktober an der Synagoge ankamen. Im Gespräch mit uns betrachtet er den Terroranschlag aus beruflicher Perspektive, gibt Einblicke in seine privaten Gedanken und erzählt, wie es ist, seither den Verarbeitungsprozess in Halle zu begleiten.
Die Bereitschaftspolizei unterstützt bei Bedarf lokale Reviere in ihren alltäglichen Aufgaben, ist aber primär für deutschlandweite Großeinsätze, beispielsweise Demonstrationslagen oder Fußballspiele, zuständig. Nach der dreijährigen Grundausbildung bei der Polizei absolvierte Max vorschriftsmäßig eine Fortbildung, um für das breite Spektrum an Aufgaben geschult zu sein. Hierbei erlernt man unter anderem den Umgang mit dem Schlagstock und simuliert verschiedene Szenarien und Großübungen. Zu Max’ Job gehört auch eine latente Bereitschaft an freien Tagen, sodass ihn der Ruf zum Einsatz am 9. Oktober zu Hause erreichte.
Welche Aufgaben hatten du und deine Kollegen am Tag des Anschlags, als ihr am Tatort ankamt?
Erst mal haben wir alle Zugangsstraßen gesperrt, weil es ja Meldungen gab, dass an der Synagoge Sprengsätze vom Täter platziert wurden. Bis die Spezialkräfte eintrafen, um das zu überprüfen, hatten wir den Auftrag, die Bevölkerung zu schützen. Wie auch in der medialen Berichterstattung deutlich wurde, war ja lange Zeit sogar unklar, wie viele Täter es gibt. Das beste Beispiel ist die vermeintliche Geiselnahme in einem Supermarkt in der Südstadt. All das musste natürlich überprüft werden. Dabei hat man allerdings immer Kräftemangel, weil man erst mal alle Kräfte zusammenziehen muss.
Wart ihr überhaupt auf solch einen Einsatz vorbereitet?
Naja, genau auf so etwas vorbereiten kann man sich nicht, weil da jede Lage anders ist. Der Anschlag in Berlin war beispielsweise etwas anderes als der in Halle jetzt. Aber wir haben mittlerweile eine Konzeption für Terrorlagen. Dafür werden wir geschult, jeder Beamte muss diese einwöchige Fortbildung machen und diese regelmäßig auffrischen, sodass wir da vom Schießen über taktisches Vorgehen bis zur ersten Hilfe alles lernen.
War es persönlich dennoch schwierig, auf eine solche Ausnahmesituation zu reagieren?
Wir werden dahingehend schon geschult. Uns wird immer wieder gesagt: In den Übungen schießt man nur mit Farbmarkierungswaffen, aber nehmt das nicht auf die leichte Schulter. Letztendlich kommen bei dem realen Einsatz nämlich noch Stress und äußere Einflüsse hinzu, sodass es wichtig ist, dass man die Abläufe wie im Schlaf kann. Dass der Stress nicht überhandnimmt, dafür ist in dem Moment erst mal jeder für sich selbst verantwortlich. Wir werden auf Arbeit dahingehend geschult, dass wir fachlich richtig handeln. Klar wird auch darauf geachtet, dass, wenn jemand wirklich ein Problem mit einer Situation hat, mit ihm darüber gesprochen wird oder dass er auch zur Not rausgenommen wird. Wir haben aber natürlich auch entsprechende Einrichtungen, die im Nachgang zur Hilfe herangezogen werden können, wenn man das möchte.
Welche Strategien hattest du zur Bewältigung im Nachhinein?
Ich lasse mich grundsätzlich nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Klar ist es eine außergewöhnliche Situation, aber letztlich habe ich mir ja irgendwann mal etwas dabei gedacht, als ich mir diesen Beruf ausgesucht habe. Ich war auch schon darauf vorbereitet, dass irgendwann mal so etwas kommen kann. Wenn man dieses Bewusstsein hat, glaube ich, macht man sich in dieser Situation auch weniger Stress. Ändern kann ich es in dieser Situation sowieso nicht, und ich werde ja auch dafür bezahlt, dass ich meine Aufgaben erledige.
Das heißt, du hast dir eine Art Tunnelblick zugelegt?
Also Tunnelblick in der Hinsicht, dass man in so einer Situation die Augen für das Wesentliche behält.
Während es für Einsätze klare Abläufe gibt, gibt es dies wahrscheinlich nicht für die Verarbeitung danach, oder?
Man macht sich natürlich Gedanken darüber, und man hat das dann größtenteils mit den Kollegen ausgewertet, weil man in den nächsten Tagen vorrangig auf Arbeit war. Letztendlich wurde sich auch innerhalb unseres Einsatzzuges Zeit genommen, sich zusammen zu setzen. In dem Sinne haben wir das ganze nochmal Revue passieren lassen. Dabei wurde dann auch Verständnis geschaffen: Warum solltet ihr in dem Moment ausgerechnet das machen und nicht etwas anderes.
Es gab auch die eine oder andere Stimme, die dann gesagt hat: Man hätte sich kaum vorstellen können, dass so etwas mal in Halle passiert. Ich glaube, das denken viele. Da gibt es ja größere Städte wie Leipzig, wo man denken könnte, dass es eher mal dort passieren könnte. Aber wer hätte gedacht, dass es ausgerechnet im kleinen Halle passiert? Vielen von uns ist dann erst bewusst geworden, was eigentlich in diesem Einsatz hätte passieren können. Was für uns vielleicht noch fordernder gewesen wäre.
Hast du in den Tagen danach auch an Gedenkveranstaltungen teilgenommen?
Teilgenommen habe ich nur dienstlich, da wir in der Zeit danach jeden Tag auf Arbeit waren, weil wir von der Bereitschaftspolizei der einzige Zug in Halle sind. Entsprechend wurden wir für diese ganzen Veranstaltungen herangeholt. Ich denke aber schon, dass ich auch in meiner freien Zeit daran teilgenommen hätte.
Wie fühlt es sich an, die gesellschaftliche Verarbeitung danach zu begleiten? Der „unnormale“ Zustand hält für einen ja dadurch noch länger an.
Es war eigentlich der Ton unter allen Kollegen, dass man das gut fand, weil man so in dieser Situation erst mal drinbleibt. Es ist nun mal ein einschneidendes Erlebnis gewesen. Ich sage mal, der normale Revierpolizist, der kommt an dem Tag dahin, kommt in diese Extremsituation, und am nächsten Tag nimmt er wieder einen Unfall mit Sachschaden auf, bei dem ein Kratzer an der Autotür ist. So gesehen war es für uns schon besser, dass wir noch in dieser Situation drin waren.
Interview: Anja Thomas, Jonas Kyora