Catcalling – für die­je­ni­gen, die sich als weib­lich iden­ti­fi­zie­ren, soll­te die­ser Begriff kein Fremdwort sein. Für die, denen es noch nichts sagt, wird es in Halle buch­stäb­lich auf den Bürgersteig geschrie­ben. Das Gesicht hin­ter die­ser Aktion, Cara, durf­ten wir ken­nen­ler­nen und erfuh­ren eini­ges über ihre per­sön­li­chen Erfahrungen und ihre Arbeit.

Der Begriff Catcalling kommt aus dem Englischen und bedeu­tet „hin­ter­her­pfei­fen“. Dieser Ausdruck tritt in Zusammenhang mit sexu­el­ler Belästigung auf. Eine offen­si­ve Herabwürdigung der Frau und die Selbstprofilierung der Überlegenheit und Dominanz des Mannes. Die Entschuldigungen oder Ausreden von Männern wie „Das soll­te nur ein Kompliment sein“ oder „Nimm das doch nicht so ernst“ sind Teil des gan­zen Problems. Die Akzeptanz und der Respekt gegen­über Frauen in der Öffentlichkeit gerät bei eini­gen Männern in Vergessenheit, und übrig bleibt allein die Reduzierung auf den weib­li­chen Körper. Diese erlangt Ausdruck durch unhöf­li­che und sexu­el­le Bemerkungen. Von Pfeif- und Kussgeräuschen bis hin zu Nachrufen wie „Geiler Arsch!“ oder „Wie viel für eine Nacht?“ – Grenzen sind weder räum­lich noch sprach­lich gesetzt. Eine Reaktion wird von den meis­ten Mädchen und Frauen ver­mie­den, aus Angst oder Unsicherheit. Während Männer, die Täter, durch die­se Situationen ihr Selbstbewusstsein stär­ken und sich mäch­tig füh­len, hin­ter­las­sen sie bei Frauen Spuren der Verunsicherung, und die Selbstwahrnehmung wird immer kritischer.

Wenn wir einen Blick in das Gesetz wer­fen, liegt nach dem AGG (Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz) ver­bo­te­ne sexu­el­le Belästigung vor, wenn ein „uner­wünsch­tes, sexu­ell bestimm­tes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betref­fen­den Person ver­letzt wird, ins­be­son­de­re wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekenn­zeich­ne­tes Umfeld geschaf­fen wird.“

Doch vie­les bei „Cat Calls“, wie Pfeifgeräusche, fällt unter kei­nen Tatbestand, denn es wird erst zur Straftat, wenn es zu sexu­ell bestimm­tem Körperkontakt kommt. Somit gehört die­se Art von Belästigung für aller­hand Frauen schon zur Normalität im Alltag, wie das Antanzen von hin­ten im Club ohne jeg­li­chen Augenkontakt oder Nachfrage, ob dies in Ordnung sei. Aussagen von Eltern, Freunden und Bekannten wie „Zieh das nicht an, das ist zu kurz“, „Ist der Ausschnitt nicht etwas zu tief?“ oder „Wenn du so raus­gehst, brauchst du dich nicht zu wun­dern, wenn du sol­che Blicke abbe­kommst“ sind kei­ne Seltenheiten. Jungs hin­ge­gen bekom­men dies in ihrer Jugend sel­te­ner bis gar nicht zu hören. Gleich­berechtigung sieht anders aus.

Foto: Hermine Clara Vulturius
Chalkback-Organisation

CatcallsofHalle ist Teil der welt­wei­ten Chalkback-Bewegung. Sie wur­de von der New Yorkerin Sophie Sandberg ins Leben geru­fen, die auch Gründerin des aller­ers­ten Accounts
@CatcallsofNYC ist. Ziel der Bewegung ist es, auf sexu­el­le Belästigung, die vor allem auf der Straße aus­ge­spro­chen wird, auf­merk­sam zu machen. Diese Aufmerksamkeit schaf­fen sie durch das Ankreiden. Mithilfe von Kreide wer­den die Catcalls der Männer auf die Bürgersteige in den jewei­li­gen Städten geschrie­ben. Chalkback rich­tet sich expli­zit an jun­ge Menschen. So sind laut einer Statistik der Website chalkback.org 88 Prozent der Nutzer der Instagram-Accounts unter 25 und 54 Prozent sogar unter 18. „Catcallsof“-Accounts gibt es inzwi­schen auf sechs Kontinenten, in 49 Ländern und in 140 Städten. Das ist eine bemer­kens­wer­te Reichweite, wenn man bedenkt, dass Sandberg ihren ers­ten Beitrag im Juli 2016 pos­te­te. Darauf abge­bil­det war der Satz „Hey beau­ti­ful“ mit der Bildunterschrift „Seems like a com­pli­ment? It doesn’t feel like one on a quiet street at 2am.“ Genau hier zeigt sich auch die Grenze, auf die sie auf­merk­sam machen möch­te. Chalkback wur­de im März 2019 gegrün­det, um einen Überblick über alle Accounts zu bekom­men und sie mit­ein­an­der zu vernetzen.

Eigene Erfahrungen

Das Interview fin­det in Caras Wohnung statt. Sie ist 20 Jahre jung, kommt ursprüng­lich aus einem Dorf nahe Heidelberg in Baden-Württemberg und stu­diert im 5. Semester Philosophie. Mit zwei Gläsern Wasser set­zen wir uns auf ihren Balkon.

Cara, Gründerin und Gesicht hin­ter dem Account „CatcallsofHalle“, star­te­te ihn im Februar 2020 auf Instagram. Der Gedanke, dass sie ein Teil der Bewegung sein will, kam aber schon im Sommer 2019 durch den Podcast der „CatcallsofMuc“-Betreiberinnen: „Mir gefiel die Idee, und ich infor­mier­te mich sofort, ob es einen für Halle gibt. Als ich kei­nen fand, fiel mir die Entscheidung nicht schwer, selbst ein Profil anzu­le­gen, da mich das Thema schon immer beschäf­tigt und noch mehr, seit ich in Halle woh­ne.“ Gesagt, getan. Für die Registrierung eines sol­chen Accounts muss nicht viel unter­nom­men wer­den, außer: „Die Anmeldung über die offi­zi­el­le Seite, damit sicher­ge­stellt wird, dass du kein Roboter bist und du der Bewegung nicht scha­den willst. Inhaltliche Vorgaben gibt es nicht, nur einen Leitfaden, der einem Ideen für den Anfang lie­fert“, erklärt Cara.

Für sie war letz­tes Jahr der ers­te Sommer, den sie in Halle ver­bracht hat. Sie kommt ursprüng­lich aus einem Dorf, wo jeder jeden kennt und die Wege nicht lang sind. Aber hier, in einer Stadt mit über 200 000 Einwohnern, kam Cara erst­mals bewusst mit Catcalling
in Berührung. „Es war der Sommer mei­nes Lebens, der mit den meis­ten Catcalls ein­her­ging. Ich und vie­le mei­ner Freundinnen waren sehr stark davon betrof­fen. Ob es nun im Speziellen an Halle lag oder dar­an, dass ich das ers­te Mal über­haupt in einer Stadt woh­ne, weiß ich nicht.“ Und das ist die har­te Realität. Auch ich habe mich in mei­nem Freundinnenkreis umge­hört, und die Begriffe Catcalling und sexu­el­le Belästigung waren für sie kei­ne Fremdwörter. Ganz im Gegenteil. Jede von ihnen konn­te mir Geschichten erzäh­len, die immer häu­fi­ger zum Alltag vie­ler Frauen wer­den. Doch was ist die bes­te Reaktion? „Die Polizei kann meis­tens nichts tun. Vorfälle wie Knutschgeräusche oder Nachpfeifen beru­hen auf kei­ner Rechtsgrundlage. Gespräche mit mei­nen Freundinnen haben mir sehr gehol­fen und ich habe auch gelernt zu reagie­ren und in Aktion zu tre­ten.“ Reaktion ist also bes­ser als zu igno­rie­ren? „Das kann man nicht pau­schal sagen. Für mich hat es einen ermäch­ti­gen­den Effekt, aber ich kann auch ver­ste­hen, wenn man es sich nicht zutraut. In man­chen Situationen ist es sogar klü­ger, nichts zu tun. Jedoch soll­te klar sein, dass, egal ob man han­delt oder eben nicht, es in kei­nem Fall die eige­ne Schuld ist, was gesche­hen ist. Zu sehr den Fokus dar­auf zu legen, dass Frauen sich weh­ren müs­sen, kann schnell zu einer Schuldumkehr füh­ren. Es ist ganz wich­tig, dass das jeder selbst ent­schei­det“, erläu­tert Cara.

Stetig wachsende Zahlen

Das Catcalling-Profil von Cara wächst ste­tig. Sind es zum Interview noch knapp 300 Abonnenten, zählt die Seite heu­te schon über 700 Follower. Doch wie hoch ist die Resonanz
ihres digi­ta­len und öffent­li­chen Auftrittes? Wenn sie ankrei­den geht, und das pas­siert viel­leicht ein­mal die Woche, dann ist es eine Arbeit von maxi­mal zehn Minuten. Was kann also alles in zehn Minuten pas­sie­ren? „Wöchentlich erhal­te ich zwei bis drei Nachrichten. Wenn ich ankrei­den gehe, kommt es zu unter­schied­li­chen Reaktionen. Menschenansammlungen, vor­bei­lau­fen­de Menschen mit kri­ti­schen Blicken oder man kommt mit Menschen ins Gespräch, die mehr dar­über erfah­ren wol­len. Alles ist dabei, und dass ich mit Kritik umge­hen muss, ist bei den Texten nicht über­ra­schend“, erzählt Cara. Und das ist nicht alles. „Einmal gab es einen Vorfall am Marktplatz. Während ich etwas über Oralsex ankrei­de­te, mach­ten sich zwei puber­tie­ren­de Jungs über mich lus­tig und film­ten mich dabei. In die­sem Moment war ich sehr unei­nig mit mir, wie ich mich am bes­ten ver­hal­ten soll­te. Getan habe ich im Endeffekt nichts. Ich habe fer­tig ange­krei­det und bin gegan­gen. Im Nachhinein weiß ich, dass ich mich anders hät­te ver­hal­ten sol­len. Ich hät­te sie anspre­chen und auf­klä­ren sol­len. Jedoch soll kei­ne Show um mei­ne Person ent­ste­hen. Neutral zu blei­ben, ist mir wich­tig. Ankreiden und wie­der weg.“ Damit muss sie umge­hen kön­nen, sagt sie. Egal ob es nega­ti­ve oder posi­ti­ve Kritik ist. Ihr Ziel, Aufmerksamkeit zu erlan­gen und die Menschen zu ani­mie­ren, dar­über nach­zu­den­ken, erreicht sie.

Foto: Hermine Clara Vulturius

Abschließend inter­es­sie­ren uns Caras Wünsche und Ziele für ihren Account: „Vorzugsweise kei­ne sexu­el­le Belästigung oder viel weni­ger. Gehen wir in klei­ne­ren Schritten vor, ist es mir wich­tig, dass man sich mit Definitionen von sexu­el­ler Belästigung aus­ein­an­der­setzt und dass wir klar machen, dass sexu­el­le Belästigung ganz objek­tiv auf­tre­ten kann.“

Ihr Rat an alle Mädchen und Frauen da drau­ßen: „Schreibt Euch kei­ne Schuld zu und ver­sucht Euch von Leuten abzu­wen­den, die das ver­su­chen. Hört auf Euch und ver­sucht Euch zu ermäch­ti­gen und Euch in Sicherheit zu brin­gen. Sucht Euch Hilfe. Findet her­aus, wie Ihr damit umge­hen müsst, damit es Euch am wenigs­ten schlecht geht. Es ist okay, frus­triert, wütend und trau­rig zu sein, dass die Welt so ist und sowas pas­siert. Das soll­te einen auch empören!“ 

Ihre abschlie­ßen­den Worte: „Es ist wich­tig zu zei­gen, wie es sich anfühlt und was der Effekt von sexu­el­ler Belästigung ist. Wir reden über die gleich­be­rech­tig­te Teilhabe an öffent­li­chen Räumen und dass jene ein­ge­schränkt wird in dem Moment, wo Frauen in der Öffentlichkeit sexu­ell beläs­tigt wer­den. Das erst ein­mal so hin­zu­stel­len und aus­zu­buch­sta­bie­ren, das kann der Auslöser sein, dass Leute zum Nachdenken ange­regt und die Effekte bewuss­ter werden.“

Hilfsmöglichkeiten, die Dir Sicherheit bieten

Zuallererst sei gesagt, dass es Dir kei­nes­falls unan­ge­nehm oder pein­lich sein soll­te, Hilfe in Anspruch zu neh­men oder über Erlebtes spre­chen zu wol­len. Leider sind Catcalls nicht zu ver­hin­dern, jedoch gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, damit Du Dich, beson­ders abends, siche­rer füh­len kannst. Unter der Nummer 030 / 120 74 182 kann man am
Wochenende bis 3.00 Uhr und unter der Woche bis 4.00 Uhr anru­fen. Dabei geben Betroffene immer wie­der den Standort durch, sodass die Angerufenen im Notfall auch Hilfe holen kön­nen. Über die Seite www.Dickstinction.com kön­nen Strafanzeigen erstellt wer­den, bei Erhalt eines Dick Pics ohne Zustimmung der Empfängerin. Unter den Nummern
0800 / 111 0 111, 0800 / 111 0 222 und 116 123 oder per Mail und Chat unter www.online.telefonseelsorge.de ist es auch mög­lich, anonym über eige­ne Erfahrungen mit sexu­el­ler Gewalt und Belästigung zu reden und sich bera­ten zu lassen.

Unsere Denkweise ändern

Wir als Gesellschaft müs­sen unser Verhalten und unse­re Denkweisen ver­än­dern. Nicht weg­schau­en, in kri­ti­schen Situationen Betroffene unter­stüt­zen, sich dazu stel­len. Frauen nicht immer ein­re­den, wovor sie alles Angst haben müs­sen, wie sie sich ver­hal­ten soll­ten oder zu klei­den haben, denn jeder Mensch soll­te sei­ne Persönlichkeit ganz nach sei­nen Vorstellungen ent­fal­ten kön­nen, unab­hän­gig von Geschlecht, Rasse oder sexu­el­ler Orientierung. Indem wir mehr und mehr auf sexu­el­le Belästigung auf­merk­sam machen, so vie­le Menschen wie mög­lich auf­klä­ren, sen­si­bler mit­ein­an­der umge­hen und zuhö­ren, schaf­fen wir es viel­leicht irgend­wann, dass eine gleich­be­rech­tig­te Nutzung des öffent­li­chen Raumes mög­lich ist und Catcalls ankrei­den der Vergangenheit angehört.

Text und Recherche: Amy Liebig und Hermine Vulturius

  • Wir dis­ku­tie­ren wei­ter – in unse­rem Podcast hastuGehört, zu fin­den über­all, wo’s Podcasts gibt. In die­ser Folge wol­len wir das Thema sexu­el­le Belästigung ver­tie­fen und auf Erfahrungen und Handlungsmöglichkeiten ein­ge­hen. Veröffentlicht wird sie vor­aus­sicht­lich Anfang November.
Foto: Hermine Clara Vulturius
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