Natron wird häu­fig als Pestizidentferner ange­prie­sen. Zahllose Beiträge las­sen sich dazu fin­den. Doch wie wis­sen­schaft­lich und sinn­voll ist das Ganze?

Definitiv nur Natron

Zurzeit wird in der Landwirtschaft noch haupt­säch­lich auf Pestizide gesetzt, die auf bezie­hungs­wei­se in Obst und Gemüse ver­blei­ben kön­nen und so auf unse­ren Tellern lan­den. Neben der her­kömm­li­chen Methode, die Früchte ein­fach mit etwas Wasser abzu­wa­schen, schwö­ren ande­re auf ein Natronbad. Online fin­den sich dazu zahl­rei­che Beiträge, die einem das Backtriebmittel Natron (Natriumhydrogencarbonat) als Pestizidentferner anprei­sen, und lei­der mischt sich dort viel zu oft Fakt mit Fehlinformation.

  • „Der Natron-Trick: So wirst Du Pestizide auf Obst und Beeren los“
  • „Ist Natron der Schlüssel zu rei­nem Obst & Gemüse?“
  • „Warum Du Dein Obst und Gemüse mit Natron waschen solltest“

… so oder ähn­lich schal­len einem die Titel von Websiteartikeln und Blogeinträgen ent­ge­gen. Dabei bezie­hen sich die meis­ten Beiträge zur Wunderwaffe Natron auf eine US-ame­ri­ka­ni­sche Studie aus dem Jahr 2017, die im Journal of Agricultural and Food Chemistry erschie­nen ist. Sie wird zum Teil als der wis­sen­schaft­li­che Beleg für die Wirksamkeit des Na­tron-Bads ange­führt, doch was steckt dahinter?

Was sagt die Studie?

In der Studie wur­den drei Waschmethoden für Äpfel unter­sucht. Einmal das Abspülen mit Leitungswasser, dann das Einlegen in ein Bleichmittel auf Natriumhypochlorit-Basis und schließ­lich das Natronbad (10 g/l). Dafür wur­den die Äpfel zunächst gewa­schen und frisch mit zwei Pestiziden (Phosmet und Thiabendazol) besprüht. Nach unter­schied­li­cher Einwirkzeit durch­lie­fen die Früchte die oben genann­ten Waschmethoden.

Zunächst wird der Apfel mit Pestiziden ver­setzt, dann folgt das Bleichmittel- bezie­hungs­wei­se Natronbad. Final wur­de der Apfel noch mit wenig bide­stil­lier­tem Wasser abgespült.

Die Studie zeig­te, dass durch 15-minü­ti­ges Einlegen in der Natronlösung ein Großteil der bei­den Pestizide auf der Oberfläche der Äpfel ent­fernt wer­den konn­te. Allerdings gilt dies nicht für Verbindungen, wel­che in den Apfel ein­dran­gen und so unbe­ein­flusst von den unter­schied­li­chen Waschmethoden im Inneren ver­blie­ben. Die Reinigungseffekte des Bleichmittels als auch des Leitungswassers waren deut­lich geringer.

Wie gehen Medien damit um?

Die Studie wird oft falsch ver­stan­den, falsch zitiert und auch lei­der viel zu sel­ten kri­tisch hin­ter­fragt. So könnt Ihr davon lesen, wie zum Beispiel die Äpfel mit „Chlor“, einem gif­ti­gen gel­ben Gas, gewa­schen wur­den. Ein Blog­beitrag emp­fiehlt ein „Natron-Peeling“ für Bio-Äpfel. Nur lei­der kann das nicht funk­tio­nie­ren, da nur durch das Lösen von Natron die wirk­sa­men Hydroxidionen ent­ste­hen. Eine ande­re Quelle legt nahe, die Natronlösung auf­zu­he­ben und öfter zu ver­wen­den. Die Konzentration der Lösung geht zurück, die Wirkung sinkt und der Effekt ist futsch. Da kann gleich auf ein Wasserbad zurück­ge­grif­fen werden.

Warum funktioniert’s?
Durch das Lösen von Natron in Wasser ent­steht eine leicht basi­sche Lösung. Die dar­in ent­hal­te­nen Hydroxidionen kön­nen dann dazu bei­tra­gen, Pestizide anzu­grei­fen und zu zer­set­zen. Die Abbauprodukte las­sen sich schließ­lich mit etwas Wasser abwaschen.

Das größ­te Problem aller Beiträge ist aber, dass die Studie ver­all­ge­mei­nert wird und damit sug­ge­riert, dass die Befunde auf alle Pestizide und Obst- bezie­hungs­wei­se Gemüsesorten über­trag­bar wären, was sie defi­ni­tiv so ein­fach nicht sind. Denn sei es die öli­ge, wachs­ar­ti­ge Schale einer Zitrone oder die dün­ne, wei­che Schale einer Erdbeere: die Beschaffenheit der Oberfläche von Früchten und so auch deren Aufnahmefähigkeit für Pestizide kann sich stark unter­schei­den. Im Kontrast dazu hat die Studie eben nur Äpfel und ledig­lich zwei Pestizide unter­sucht. Andere Einwände wie dass in der EU stren­ge­re Grenzwerte gel­ten als in den USA, als auch dass eines der ver­wen­de­ten Pestizide (Phosmet) seit 2022 nicht mehr in der EU zuge­las­sen ist, wer­den nur sehr sel­ten the­ma­ti­siert. Außerdem hat die Studie nicht unter­sucht, inwie­fern sich ein 15-minü­ti­ges Wasserbad, ohne Bleichmittel und Natron, auf die Pestizidbelastung aus­wir­ken könn­te, was letzt­lich die Aussagekraft der Ergebnisse schmälert.

Aber wer braucht schon Natron, wenn es Lemonist gibt?

Lemonen ohne Zitronen

Vielleicht habt Ihr schon ein­mal von Lemonist gehört. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, soll­tet Ihr die Höhle der Löwen im linea­ren Fernsehen oder auf RTL+ ver­fol­gen. Die Gründer war­ben dort im Jahr 2022 für ihr Produkt. Lemonist ist eine erwerb­ba­re Mischung aus Salz, Zitronensäure und natür­lich Natron, die dafür vor­ge­se­hen ist, Obst und Gemüse von Pestiziden zu rei­ni­gen. Sie bezeich­nen es selbst als den „bes­ten Pestizid-Entferner der Welt“.

Auffälligerweise ziert Name und Logo eine Verbindung zu Zitronen. Klar, das Produkt ent­hält ja auch Zitronensäure. Jedoch wird die­se nicht aus Zitronen, son­dern durch Fermentation von zucker­hal­ti­gen Rohstoffen wie etwa Mais oder Melasse her­ge­stellt. Das gesam­te Produkt hat also nie eine ein­zi­ge Zitrone zu Gesicht bekommen.

Begründungen zur Wirksamkeit von Lemonist

fin­den sich nur spär­lich auf den ent­spre­chen­den Kanälen und der Website. Es wird immer wie­der auf selbst durch­ge­führ­te Tests ver­wie­sen. Allerdings sind die ange­führ­ten wis­sen­schaft­li­chen Tests nicht trans­pa­rent dar­ge­stellt, ins­be­son­de­re deren Ergebnisse. Ab und zu geis­ter­te ein­mal eine Zahl her­um, dass Lemonist 89 Prozent aller Pestizide einer Probe ent­fer­nen konn­te, jedoch nichts Konkretes. Ein ech­ter Nachweis bleibt aus.

Aber ist es wirk­lich den gan­zen Aufwand und das Geld wert für ein Produkt, das am Ende eh im Abfluss lan­det? Was sind denn die Alternativen?

Was könnt Ihr tun, um Pestizide zu reduzieren?

Die Stichworte lau­ten: regio­nal, sai­so­nal und bio. Zwar wer­den auf eini­gen Bio-Proben auch Pestizidrückstände gefun­den, aller­dings in deut­lich gerin­ge­ren Konzentrationen. Außerdem hat das Monitoring des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit aus dem Jahr 2022 gezeigt, dass die Grenzwerte für Pestizide bei Produkten aus Deutschland in über 99 Prozent der unter­such­ten Proben ein­ge­hal­ten wur­den. Ähnlich schnit­ten auch pflanz­li­che Lebensmittel aus dem EU-Ausland ab. Produkte aus Drittländern über­schrit­ten die Höchstwerte in 4 Prozent aller Fälle.

Natürlich sind regio­na­le und Bio-Produkte oft teu­rer, was gera­de für Studierende ein Problem sein kann. Ob bio oder kon­ven­tio­nell, das Netzwerk der Verbraucherzentralen emp­fiehlt, Obst und Gemüse vor dem Verzehr bezie­hungs­wei­se der Nutzung mit (war­mem) Wasser abzu­spü­len und mit einem Tuch abzu­trock­nen. Sollten Pestizidrückstände vor­han­den sein, sorgt bei­des dafür, dass ein Großteil ent­fernt wer­den kann.

Ursachenbekämpfung

Der Wunsch nach einem Pestizidentferner bekämpft nur ein Symptom, nicht die Ursachen. So wird in der EU nach Ansicht des Pesticide Action Networks (PAN) viel zu wenig für eine rea­le Reduktion beim Einsatz von Pestiziden getan. Mehr Bio-Anbau und neue nach­hal­ti­ge Anbaumethoden in der Landwirtschaft wür­den dafür sor­gen, dass sich die Nutzung von Pestiziden und so auch die Pestizidbelastung der Lebensmittel immer wei­ter reduzieren.

Bis dahin müsst Ihr selbst ent­schei­den, ob Euer Obst in Natron baden darf oder ob Euch doch die Wasserdusche reicht.

Text und Illustrationen: Johannes Wingert

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