Ob Schorre, Enchi oder Flower 2.0, in all diesen einst lebendigen Begegnungsräumen für junge Menschen herrscht mittlerweile gähnende Leere. Es bleibt zu klären, woher das Phänomen ‚Clubsterben‘ kommt und wie damit umzugehen ist – ein Blick in die Vergangenheit und Zukunft der hallischen Clublandschaft.
Der US-amerikanische Soziologe Ray Oldenburg beschreibt in seiner Abhandlung The Great Good Place die Wichtigkeit sogenannter third places für ein funktionierendes soziales Miteinander. Neben dem Zuhause als first place und dem Arbeitsplatz beziehungsweise der Uni als second place stellten third places örtlich abgetrennte, zwanglose und neutrale Begegnungsorte für Menschen dar, frei von Konsumzwängen und sozialen Implikationen. Sicherlich ist diese Theorie nicht einfach auf Clubs und Bars zu übertragen, stellen doch der Eintritt und die Getränkepreise klare Konsumzwänge dar, doch wichtig für die Entwicklung und Individualisierung junger Menschen sind sie zweifelsohne trotzdem. Das sieht auch der Soziologe Professor Reinhold Sackmann, welcher auf eine Pressefrage hin erklärt, Clubs nähmen „eine wichtige Rolle bei der Durchmischung von sozialen Kreisen“ ein, da sie „Bekanntschaften quer zu Milieus ermöglich[en]“. Für die Formung des sozialen Selbst seien sie gerade deswegen wichtig, da „das Spiel mit Anziehung und Zurückweisung, individueller Inszenierung und kollektiver Erfahrung von Grenzüberschreitung […] etwas [ist], was Jugend zu Jugend und junge Erwachsene zu Persönlichkeiten mach[e]“.
2024 gaben im Zuge einer Datenerhebung der IfD Allensbach immerhin 30 Prozent der deutschen Bevölkerung ab 14 Jahren an, zumindest ab und zu in Diskotheken zu gehen. Und doch führt das Statistische Bundesamt zumindest bis zum Jahr 2022 eine degressive Anzahl an Nachtclubs an. Tatsächlich hat sich die Menge einschlägiger Etablissements seit 2007 sogar etwa halbiert. Und auch das gelegentliche Verwenden von Ausreden „aus Faulheit“, um nicht mit in den Club zu gehen, ist bei der Gen Z auf einem Allzeithoch, während der Alkoholkonsum seit Jahren abnimmt. Diese Entwicklungen beschränken sich nicht nur auf Halle, sondern sind von Hamburg über Berlin bis nach Leipzig in einer Vielzahl an Städten und auch Dörfern zu beobachten.

Hat unsere Generation also einfach keine Lust mehr auf durchzechte Nächte mit Freund:innen?
„Clubs und Discos waren in den ‚Goldenen Zeiten‘ der 1960er bis 1990er Jahre […] Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen […]. Mit Tinder u.a. Plattformen sind Alternativen bei der Kontaktaufnahme entstanden“, antwortet Sackmann auf diese Frage. „Bei Tinder setze ich mich z.B. weniger Unsicherheiten aus, bekomme aber (scheinbar) mehr Auswahl als im Club.“ Diskotheken haben also ihren Charme als Kennenlern- und Begegnungsorte dadurch verloren, dass sich sowohl die platonische als auch sexuelle Bedürfnisbefriedigung über Internetdienste universell zugänglicher und zwangloser gestaltet. Unterstützt wird Sackmanns These durch eine weitere Allensbach-Umfrage, nach welcher rund 40 Prozent der Deutschen zwischen 14 und 29 Jahren Internetdienste wie Tinder oder Bumble nutzen, um kurz- wie langfristig neue Bekanntschaften zu schließen. Damit sind besonders die jüngeren Generationen als eigentliches Hauptpublikum von Clubs, welche demographisch in der Gesellschaft ohnehin schon immer schwächer vertreten sind, sozial nicht mehr auf diese Begegnungsorte angewiesen.
Doch nicht nur ein verändertes Verhalten junger Menschen ist verantwortlich für die versiegende Clubkultur. Als weiteren Einfluss benennt der Professor etwa die Covid-19-Pandemie, welche viele entsprechende Einrichtungen finanziell zur Schließung gezwungen hat. „Da der langfristige Trend gegen Clubs spricht, ist das Risiko der Betriebsgründung in diesem doch auch kapitalintensiven Bereich des Gaststättengewerbes größer als bei anderen Unternehmungen“, gibt er weiter als Begründung für ausbleibende Neueröffnungen an. An diese Stelle treten stattdessen etwa Bars, da „der Kapital- und Personal-Aufwand für die Gründung und den Betrieb von Bars deutlich geringer ist“. Sackmann betont jedoch, dass Bars durch ihre Größe sowie fehlende soziale Inklusion keineswegs die Diskos ablösen können.
Eine Chronik der hallischen Begegnungsorte
Doch weg von der Theorie und hin zur Praxis hier vor Ort: Unsere Zeitreise durch das hallische ‚Clubsterben‘ startet 2017 am Leipziger Turm. An Silvester öffnete das La Bim dort unter dem Motto Alles muss raus zum letzten Mal die Pforten, um in das neue Jahr 2018 hineinzufeiern. Grund für die Schließung war der Verkauf des Grundstücks an einen Großinvestor aus Leipzig durch die Erbengemeinschaft der ehemaligen Druckerei, welcher das in der DDR enteignete Grundstück 2009 zugesprochen wurde. Es folgte ein langes Bangen um die Zukunft des „Kulturortes“, wie er in einer Petition zum Erhalt der Einrichtung an den einstigen Oberbürgermeister Wiegand und seine Administration betitelt wird. Etwa 3.500 Unterschriften und über 600 mitfiebernde Kommentare hatte diese gesammelt – und doch blieb sie gänzlich unbeantwortet. Im April 2018 wurde dann der Auszug finalisiert.
Das LaBim war weitaus mehr als nur ein Nachtclub. Anfang der 1990er Jahre begann das Projekt als Studiokino an der gleichen Location, doch entwickelte sich schnell zu einem Kulturzentrum weiter. Bis zuletzt hatten dort Flohmärkte, Kinovorführungen, Poetry Slams und eben auch Partys stattgefunden. Den nächsten Schuppen auf unserer Liste traf es etwa zwei Jahre später: Im Dezember 2019 wurde der Szeneclub Chaiselongue „Chaise“ in Räumlichkeiten des Kulturzentrums Reil78 geräumt, nachdem es zuvor immer wieder Konflikte zwischen den Parteien gegeben hatte. Zuletzt hatten Symphatisant:innen der Chaise diese für mehrere Tage besetzt, um die Schließung zu verhindern.
2022 ging es dann auch mit der Schorre zu Ende. Ende Mai hatte die Diskothek die letzte Party vor der Schließung veranstaltet. Der Eigentümer hatte den Mietvertrag auslaufen lassen, um das Gebäude abzureißen und an dessen Stelle Senior:innenwohnungen zu bauen. Zwei Jahre später hat die Demontage des Kulturorts mit etwa 150 Jahren Geschichte trotz zahlreicher Gegenstimmen aus Stadtrat und Bevölkerung sowie einer Petition zum Erhalt der Schorre mit etwa 6.500 Unterschriften dann tatsächlich begonnen. Zu erwähnen bleibt, dass die Betreiber:innen bestreben, einen neuen Sitz für die Schorre zu finden. Am Ostersamstag dieses Jahres fand dann zum ersten Mal seit 2022 wieder eine Party der Organisator:innen statt – jedoch im Volkspark und nicht in einer eigenen Location.

Im vergangenen Jahr folgten gleich zwei Schließungen, die besonders Halles Studis schmerzlich betrauerten. Im Februar veranstaltete das Flower 2.0 die vorerst letzte Party. Der Inhaber der Karaoke-Hochburg war einige Jahre zuvor bei einem Unfall verstorben. Der Upperclub, ein kleinerer Veranstaltungsort der Palette, veranstaltet seither Flower 3.0‑Partys mit gratis Eintritt.
Auch das Enchilada „Enchi“ ist hier zu nennen, gleichwohl es eher eine Bar als ein Club war. Besonders an Montagen zog es viele junge Menschen in das ehemalige Bankgebäude zum sogenannten Cocktail Casino, wobei man sich die Preise der Drinks selbst erwürfeln konnte. Begründet wurde das plötzliche Ende des hallischen Ablegers des Franchise-Unternehmens mit personellen wie finanziellen Schwierigkeiten.
Jenseits der vier Club-Wände
Noch eher in das Profil der third places passen durch den Wegfall von Konsumzwängen „Treffpunkte im öffentlichen Raum wie der Bebel-Platz oder der Platz vor dem Landesmuseum“, welchen Sackmann eine ähnliche Funktionalität wie Clubs zuschreibt. Auch hier findet eine starke soziale Durchmischung statt, nur eben ohne Nebelmaschinen und hohe Eintrittspreise. Doch auch das geht mit gewissen Problemen einher. „Es [kommt] häufig zu Konflikten mit Anwohner:innen […], da diese Orte im Unterschied zu Clubs keine Schallisolierung haben“, erläutert der Professor dazu. Zu beobachten ist das besonders am August-Bebel-Platz, an dem es nicht selten zu Auseinandersetzungen zwischen jungen Erwachsenen und Anwohnenden kommt. Zwischenzeitlich hat die Stadt sogar einen privaten Sicherheitsdienst beauftragt, dort für Ordnung zu sorgen.

Eine Alternative zu etwaigen Plätzen unter freiem Himmel, welche spätestens im Winter sowieso keine wirkliche Option mehr darstellen, ist etwa das Projekt Reil78. 2001 hatten Aktivist:innen dort ein leerstehendes Kinderheim besetzt und zum Kulturzentrum ausgebaut. Heute ist das Haus „ein subversiver Ort für Musik, Kunst, Sport, Bildung, politischen Diskurs, sozialer Begegnung und für selbstorganisierte unkommerzielle Veranstaltungen“, geben die Betreiber:innen des Projekts auf ihrer Webseite an. Einzelpersonen können Räume für eigene Veranstaltungen anfragen, doch auch fest organisierte Küchen für alle „KüFas“ oder Selbstverteidigungstrainings werden hier regelmäßig angeboten.
Eine Schwierigkeit blieb für das Kulturzentrum jedoch lange Zeit bestehen: Haus und Gelände galten nach wie vor als besetzt. Das sollte sich nach jahrelangen Verhandlungen durch einen offiziellen Kaufvertrag mit der Stadt ändern. Im Juni 2024 stimmte der Stadtrat einem entsprechenden Beschluss über eine Summe von 30.000 Euro zu. Dieser hatte jedoch nur kurze Zeit Bestand, denn nach der Stadtratswahl im gleichen Monat hatten sich die Mehrheitsverhältnisse geändert. Die CDU beantragte direkt auf der ersten Sitzung der neuen Legislaturperiode, den Beschluss zurückzuziehen und bekam für diesen Vorstoß auch Zuspruch von der AfD sowie FDP. Dieser Antrag löste wiederum weitreichende Diskussionen aus. Kritik an der eigenen Fraktion kam etwa von dem ehemaligen Christdemokraten Alexander Vogt, welcher mittlerweile als parteiloser Oberbürgermeister im Amt ist. Durch eine Petition mit beinahe 18.000 Unterstützer:innen zeigte sich überdies ein breites zivilgesellschaftliches Interesse für den Erhalt der Kultureinrichtung. „Dies zeigt nochmal deutlich, dass die Reil78 ein wichtiger Anlaufpunkt für Menschen in der Stadt ist“, liest man dazu auf der Webseite der Betreiber:innen.

Schlussendlich fand der CDU-Beschluss VIII/2024/00185 durch eine Enthaltung aus den eigenen Reihen keine Mehrheit. Stattdessen kam es zu einer Stimmgleichheit von 26 Stimmen für und 26 Stimmen gegen den Verkauf des Grundstücks, wodurch „der Antrag oder die Vorlage [als] abgelehnt“ gilt, wie der Geschäftsordnung des Stadtrates zu entnehmen ist. Im Oktober des letzten Jahres musste die Stadt den Grund und Boden so tatsächlich zum vorher vereinbarten Preis abtreten.
Ein Zeichen dafür, dass der Verlust hallischer Kulturstätten ein Ende hat? Nun, das bleibt abzuwarten. Professor Sackmann jedenfalls findet „das Nachdenken über konfliktarme Begegnungsstätten im öffentlichen Raum sinnvoll. Die Ideen, die es [zum Beispiel] zu einer etwas komfortableren Nutzung der Ziegelwiese gab, sollte man […] wieder weiterverfolgen“. Ein Vorschlag, der auch bei Oberbürgermeister Vogt Anklang finden könnte. Auf eine Anfrage des StuRas antwortete er zumindest, er wolle „als OB […] die Clubkultur fördern, selbstverwaltete Freiräume […] unterstützen, sichere Treffpunkte gestalten und Freizeitmöglichkeiten schaffen“ und die Stadt so entwickeln, dass „es wieder mehr Studierende gibt, die auch gerne hier leben“. Konkrete Schritte hierfür nannte er jedoch nicht und auch zu einer entsprechende Presseanfrage der hastuzeit wollte sich Vogt ohne Rücksprache mit seiner Pressesprecherin, welche ihren Dienst erst nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe antrat, nicht äußern.
Text und Fotos: Till Menzel