Es ist das Perpetuum Mobile, das den Kapitalismus auf­recht erhält: Kaufen und Wegschmeißen, Kaufen und Wegschmeißen und so wei­ter. In einem immer schnel­le­rem Rhythmus schei­nen wir uns auf Kosten der Umwelt der Verlockung nach neu­en Besitztümern hin­zu­ge­ben, wäh­rend Gebrauchtes getrost aus­sor­tiert wird. Doch dass Konsum weder teu­er noch zulas­ten der Umwelt sein muss, bewei­sen neue Initiativen wie Umsonstläden. 

Foto: Sophie Ritter

Dick ein­ge­packt in eine grü­ne Regenjacke, mit über­di­men­sio­na­ler Mütze und robus­ten Stiefeln steht Karoline Schönhardt bes­tens aus­ge­rüs­tet hin­ter der Theke ihres Umsonstlädchens, wel­ches sie im Mai letz­ten Jahres in ihrer haus­ei­ge­nen Garage eröff­ne­te. Es ist kurz nach 9 Uhr und die ers­ten Kunden fal­ten bereits Kleidungsstücke aus­ein­an­der, durch­stö­bern das Bücherregal oder wägen ver­schie­de­ne Paar Schuhe gegen­ein­an­der ab. Bei all dem Treiben herrscht eine locke­re, herz­li­che Atmosphäre; Schönhardt und ihre Kundschaft unter­hal­ten sich ange­regt. Derweil bringt ein älte­res Ehepaar Sachen vor­bei, die es nicht mehr braucht – es ist ein reges Geben und Nehmen. Über einen Artikel in der MZ sei­en sie auf das Umsonstlädchen gesto­ßen, seit­dem kom­men sie regel­mä­ßig, um Gegenstände abzu­ge­ben oder Schönhardts Lädchen nach klei­nen Schätzen zu durch­su­chen. Ein jun­ger Vater auf der Suche nach Lesestoff betrach­tet einen alten Atlas. »Nehmen Sie den ruhig mit, mit Atlanten könn­te ich mei­nen Weg pflas­tern!«, ruft Schönhardt mit ihrem öster­rei­chi­schen Akzent.

Der Raum der Wünsche

Wer von der Stadtmitte aus kom­mend an der Haltestelle Melanchtonstraße, zu errei­chen mit den Linien 3, 8 und 16, aus­steigt und die Cansteinstraße rechterhand her­un­ter­läuft, sieht nach nicht mal fünf Minuten den Umsonstlädchen-Container mit gleich­na­mi­gen Graffiti vor sich auf­tau­chen. Dessen Inhalte kom­men in der geräu­mi­gen Garage seit­lich dahin­ter schließ­lich an Ort und Stelle: Kleidungsstücke, Bücher, Tütensuppen, Vasen, alte Puppen und vie­le wei­te­re gewöhn­li­che, mal unge­wöhn­li­che Gegenstände sta­peln sich auf jedem frei­en Fleck. Es ist nahe­lie­gend, hier­bei an den Raum der Wünsche in sei­ner Form als Versteck für ver­schie­dens­te Dinge zu den­ken, den Harry Potter und sei­ne Gefährten im Laufe ihrer Zeit in Hogwarts ent­de­cken. Um im Umsonstlädchen fün­dig zu wer­den, reicht es aller­dings, wäh­rend der Öffnungszeiten vor­bei­zu­schau­en, statt im 7. Stock gegen­über dem Wandteppich von Barnabas dem Bekloppten drei­mal auf- und abge­hend sich fest vor­zu­stel­len, was einen im Raum der Wünsche erwar­ten soll. Montag bis Donnerstag von 9.00 Uhr bis 10.00 Uhr darf jeder vor­bei­schau­en, der nach neu­en Besitztümern stö­bern möch­te, wäh­rend der Container zur Abgabe von Gegenständen rund um die Uhr ein­satz­be­reit ist. Die Öffnungszeiten ihres Lädchens habe sie extra so gelegt, dass auch Studierende vor­bei kom­men kön­nen, sagt Schönhardt. Dennoch sehe sie kaum jun­ge Gesichter, was sie sehr scha­de fin­de. Tatsächlich sind es an jenem Vormittag eher älte­re Menschen und jun­ge Eltern, die kurz vorbeischauen.

Foto: Sophie Ritter

Dabei müss­te der Laden, rein prag­ma­tisch betrach­tet, doch gera­de von Studierenden auf­ge­sucht wer­den – wie es der Name schon ver­rät, ist näm­lich in Schönhardts Lädchen alles umsonst. Wer sich unwohl fühlt mit dem Gedanken, nur zu neh­men, darf auch ger­ne etwas geben, sei­en es Zuwendungen in Form von bei­spiels­wei­se aus­sor­tier­ter Kleidung oder Geld für die Spendendose. Mit besag­ter Unterstützung finan­zie­ren vie­le Umsonstläden anfal­len­de Kosten wie die Miete. Mehr Ausgaben braucht es in der Regel nicht, die Mitarbeiter sind meist ehren­amt­lich beschäf­tigt. Das Umsonstlädchen in Halle wird als Liebhaberprojekt allein von Schönhardt betrie­ben, und da sich alles in ihrer haus­ei­ge­nen Garage abspielt, ent­fällt somit auch die Miete. Die Erlöse ihrer Spendendose gehen voll­stän­dig an aus­ge­wähl­te sozia­le Projekte. Dennoch wür­de sie ihren Laden nicht als sozia­les Projekt betrach­ten; so gehe es ihr in ers­ter Linie auch nicht dar­um, mit­tel­lo­sen Menschen aus­zu­hel­fen. Dies grenzt Schenkläden oder Kost-Nix-Läden, wie sie auch genannt wer­den, von kari­ta­ti­ven Angeboten wie der Tafel oder Kleiderkammern ab, wo die eige­ne Bedürftigkeit oft­mals nach­ge­wie­sen wer­den muss. »Selbst wenn jemand mit einem Porsche vor mei­ner Garage par­ken und sich die Tüten voll­stop­fen wür­de, ist mir das egal.«, so Schönhardt.

Eine Alternative zu Altkleidercontainern

In ers­ter Linie geht es der Ladeninhaberin dar­um, dass gut erhal­te­ne Waren nicht unnö­tig weg­ge­schmis­sen wer­den – »Müll ver­mei­den und Freude berei­ten«, so liest man es auf den Social-Media-Auftritten ihres Lädchens. Damit reiht sich ihr Anliegen mühe­los in das vie­ler Umsonstläden Deutschlands ein: Mehr Nachhaltigkeit im Umgang mit bereits pro­du­zier­ten Gegenständen sowie Ressourcenschonung bei der Produktion neu­er Kon­sumwaren. Ähnlich wie bei Secondhandläden geht es dar­um, auf die Herstellung neu­er Güter zu ver­zich­ten und statt­des­sen auf bereits gebrauch­te zurück­zu­grei­fen. Dass sich das loh­nen kann, zeigt sich beson­ders am Beispiel Kleidung: Seit Anfang des Jahrtausends ver­dop­pel­te sich der Verkauf von Kleidung welt­weit, wäh­rend die durch­schnitt­li­che Nutzungsdauer eines Kleidungsstücks zurück­ging. Allerdings zulas­ten der Umwelt, so ver­ur­sacht die gesam­te Textilproduktion in einem Jahr mehr als eine Milliarde Tonnen CO₂. Ein wei­te­res Übel ist die Vergiftung von Gewässern in den Herstellungsländern durch Chemikalien, wel­che zur Produktion der Kleidung benö­tigt wer­den, sowie die Verschmutzung der Meere durch Mikroplastik aus Textilfasern. Fast fashion ist auf dem bes­ten Weg, sich als Unwort für Wegwerfmode von Ketten wie H & M, Zara und Primark zu etablieren.

Foto: Sophie Ritter

Offensichtlich wird immer mehr Menschen bewusst, dass umwelt­be­wuss­ter Konsum nicht beim Kauf von Bio-Produkten an der Gemüsetheke auf­hört – son­dern da gera­de erst beginnt. Wer über die nöti­gen finan­zi­el­len Mittel ver­fügt, kauft nach­hal­tig und fair pro­du­zier­te Mode. In Halle ist dies unter ande­rem im »Ankleidezimmer« mög­lich – auf der Seite fairtrade-halle.de als eines von meh­re­ren Geschäften aus­ge­wie­sen, wel­ches ver­ant­wor­tungs­voll pro­du­zier­te Mode in der Saalestadt ver­kauft. Ist man nicht gewillt oder in der Lage, für Mode bestimm­te Summen aus­zu­ge­ben, stel­len Umsonstläden eine preis­güns­ti­ge Alternative dar, eben­so wie Kleidertauschpartys. Beides Alternativen zu her­kömm­li­chen Läden, wel­che oben­drein auch die Frage beant­wor­ten, wohin mit aus­sor­tier­ter, aber noch funk­ti­ons­tüch­ti­ger Kleidung. So ändern sich bei vie­len Menschen im Laufe ihres Lebens der modi­sche Geschmack und die Figur – neue Klamotten müs­sen her, alte weg. Spätestens seit der NDR-Doku »Die Altkleiderlüge« aus dem Jahre 2011 steht die oft­mals letz­te Ruhestätte gebrauch­ter Kleidung mas­siv unter Kritik. Anders als von vie­len groß­zü­gi­gen Spendern ange­nom­men, lan­det die Kleidung nicht direkt bei den Ärmsten der Armen, son­dern wird an Secondhandläden in Deutschland oder im Ausland, meist Osteuropa, wei­ter­ver­kauft. Etwa 60 Prozent der Spenden, wel­che min­der­wer­ti­ge Ware dar­stel­len, gelan­gen auf die Märkte von Entwicklungsländern und rui­nie­ren dort die loka­le Textilindustrie. Völlig unbrauch­ba­re Ware, 15 bis 20 Prozent der Spenden, wird zu Putzlappen oder Dämmmaterialien für Autos wei­ter­ver­ar­bei­tet. In den Kleiderkammern Deutschlands lan­det indes kaum ein Teil der Spenden: ledig­lich 10 Prozent.

Zwar gilt dies nicht für alle Container – die Verbraucherzentrale Hamburg hat bei­spiels­wei­se das Label von FairWertung, das Siegel des Deutschen Zentralinstituts für sozia­le Fragen (DZI) sowie das BVSE Qualitätssiegel Textilsammlung vom Bundes­verband Sekundär­rohstoffe und Entsorgung als seri­ös ein­ge­stuft. Auch das Symbol der ört­li­chen Abfallbehörde spricht dafür, dass die Spenden tat­säch­lich ihren Zweck erfül­len. Wer aber auf Nummer sicher gehen möch­te, kann der ört­li­chen Kleiderkammer einen Besuch abstat­ten. In der Saalestadt fin­det sich zum Beispiel in der Evangelischen Stadtmission Halle e. V. ein dank­ba­rer Abnehmer aus­sor­tier­ter Kleidung. Für einen gerin­gen sym­bo­li­schen Beitrag kön­nen Bedürftige an der dort ansäs­si­gen Tafel und Kleiderkammer zusätz­lich zu ihrer staat­li­chen Unterstützung Gegenstände mit­neh­men, die sonst im Müll lan­den würden.

Foto: Sophie Ritter

Von der Utopie zur Umsonstladen-Bewegung

Neben alt­be­währ­ten Möglichkeiten, nach­hal­tig und zugleich kari­ta­tiv aus­zu­sor­tie­ren wie bei Kleiderkammern, eta­blie­ren sich seit gerau­mer Zeit eine Vielzahl neu­er Möglichkeiten, wie sich anhand des Beispiels Umsonstläden beob­ach­ten lässt. Dabei geht es den Inhabern sol­cher Läden meist um mehr als »nur« Nachhaltigkeit, son­dern sie sind zugleich Ausdrucksform einer prak­ti­schen Kapitalismuskritik: Muss alles mit »Wert« auto­ma­tisch Geld kos­ten? Wer bestimmt eigent­lich den »Wert« unse­rer Waren? Und wis­sen wir den »Wert« von Gegenständen über­haupt noch zu schät­zen? Ein Gegenentwurf ent­steht – wel­cher durch eben­je­nen Umstand ermög­licht wird, dass wir in einer Wegwerfgesellschaft leben, in der funk­ti­ons­tüch­ti­ge Dinge ohne jeg­li­che Notwendigkeit all­zu ger­ne gegen das neu­es­te Modell aus­ge­tauscht wer­den. Dieses Paradoxon scheint kei­nen Grund zur Sorge zu geben, dass Umsonstläden sich eines Tages selbst abschaf­fen könn­ten. Eher im Gegenteil, nach­dem vor nun­mehr 20 Jahren in Hamburg der ers­te Umsonstladen Deutschlands eröff­ne­te, ist der Siegeszug der Umsonstladen-Bewegung unge­bro­chen: Über 80 mögen es mitt­ler­wei­le in ganz Deutschland sein (Stand Dezember 2014). Allein in Halle fin­det sich, abge­se­hen vom bereits erwähn­ten Umsonstlädchen von Karoline Schönhardt, noch ein zwei­ter Umsonstladen, geführt vom Postkult e. V.

Zwar ist es noch zu früh, um die Postwachstumsgesellschaft aus­zu­ru­fen, doch die Verbreitung von Umsonstläden und Co. steht im Zeichen einer zuneh­mend rele­van­ten Kontroverse über Konsum und des­sen Nachhaltigkeit. Nicht nur wie wir weg­wer­fen, son­dern bereits die Art und Weise, wie wir zu neu­em Eigentum gelan­gen, hat Auswirkungen auf öko­no­mi­sche sowie auf öko­lo­gi­sche Aspekte unse­res Daseins auf die­sem Planeten. Die Utopie einer nach­hal­ti­gen Welt, wel­che den Kapitalismus nicht län­ger so hin­nimmt wie er ist: Umsonstläden sind tat­säch­lich ein Raum der Wünsche.

  • Das Umsonstlädchen von Karoline Schönhardt fin­det Ihr in der Ludwigstraße 21. Öffnungszeiten Montag bis Donnerstag 9.00 Uhr bis 10.00 Uhr.
  • Der Umsonstladen von Postkult e.V. befin­det sich im Böllberger Weg 5. Öffnungszeiten Montag, Mittwoch und Freitag 16.00 Uhr bis 19.00 Uhr, Dienstag und Donnerstag 10.00 Uhr bis 13.00 Uhr.
Foto: Sophie Ritter
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