Arbeitnehmer und andere Beschäftigte haben ein Recht auf Schutz vor Unfällen und anderen Gesundheitsgefahren. Aber schaut man sich die Arbeitsschutzunterweisungen genau an, sind viele Vorgaben für den Arbeitsalltag, je nach Genus, einschränkend und die Mittel zur Kontrolle und Einhaltung des Arbeitsschutzes rar oder unhandlich.
Beim Durchlesen des Arbeitsschutzgesetzbuches ist kein offensichtlicher Sexismus zu finden. Allerdings fällt die Formulierung „Der Arbeitgeber hat die Beurteilung je nach Art der Tätigkeiten …“ auf. Übersetzt bedeutet dies, dass der Arbeitgeber entscheidet, wer von seinen Beschäftigten qualifiziert ist, eine Aufgabe beziehungsweise Tätigkeit zu übernehmen. Der Arbeitgeber muss kontrollieren, ob ein Arbeitnehmer die geeignete Ausbildung beziehungsweise Zertifikate hat oder, je nach Arbeit, körperlich dazu fähig ist. Allerdings kann diese Entscheidung durch klassisches Rollendenken beeinflusst werden. Männern wird meist nachgesagt, dass sie eher „schwere“ Arbeit verrichten und Frauen eher „leichtere“ Tätigkeiten. Hier ist aber nicht der Schwierigkeitsgrad der Handlung gemeint, sondern die Verschiedenheit der Aufgabenbereiche. Aufgrund der Rollenerwartungen kann die gleiche Arbeitssituation eine unterschiedliche Belastung für Frauen und Männer bedeuten. Ein Beispiel ist, dass von Mitarbeiterinnen ein freundlicher und geduldiger Umgang mit den Kunden erwartet wird und von Mitarbeitern eher ein selbstbewusstes Auftreten. Zudem werden Aufgaben, die sich um das Tragen und Heben drehen, als „Männerarbeit“ bezeichnet.
Der Arbeitsschutz beinhaltet Maßnahmen, Mittel und Methoden zum Schutz der Beschäftigten vor arbeitsbedingten Gefährdungen. Daher gehören zu den Zielen die Unfallverhütung, der Schutz der Arbeitnehmer, die Verringerung der Folgen von Arbeitsunfällen und die Förderung der Gesundheit. Anhand der Ziele ist zu erkennen, dass es beim Arbeitsschutz zwei wichtige Aspekte gibt: den Schutzaspekt, also die Vermeidung von Gesundheitsschäden, und den Förderungsaspekt, welcher sich auf die Gesundheit bezieht. In den meisten Fällen bieten Firmen Sportangebote an, oder der Arbeitgeber hat eine Kooperation mit einer Gesundheitskasse, die regelmäßige medizinische Untersuchungen durchführen. Außerdem existieren folgende Verordnungsziele vom Arbeitsschutz: geeignete Arbeitsmittel und die fachgerechte Verwendung, Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren, Maßnahmen zum Drittschutz im Gefahrenbereich und die Unterweisung der Beschäftigten. |
Eigentlich ist die Trage- und Hebelast nicht rechtsverbindlich festgelegt. Nach der Lastenhandhabungsverordnung hat der Arbeitgeber geeignete organisatorische Maßnahmen zu treffen oder geeignete Arbeitsmittel einzusetzen, um Gefährdungen zu vermeiden. Kann eine solche Belastung nicht vermieden werden, muss der Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen (neu) beurteilen und anhand der Ergebnisse geeignete Maßnahmen treffen, damit eine Gefährdung der Sicherheit und Gesundheit möglichst geringgehalten wird. Nur für Risikogruppen ist die Traglast rechtlich festgelegt; so dürfen Schwangere gerade mal fünf Kilogramm anheben. Viele Arbeitgeber beschränken deswegen die Traglast, die der Arbeitnehmer heben darf. Als Orientierung wird die sogenannte Hettinger-Tabelle von 1981 herangezogen. In der Tabelle wird unterschieden, ob es sich um ein gelegentliches Heben und Tragen (weniger als zweimal je Stunde; bis zu vier Schritten) handelt, ein häufiges Heben und Tragen sowie nach Geschlecht und Alter.
Sexismus ist ein Oberbegriff für eine breite Palette von Einzelphänomenen unbewusster und bewusster Diskriminierung auf der Basis des Geschlechtes. Grundlage von Sexismus sind sozial geteilte, implizite Geschlechtertheorien beziehungsweise Geschlechtervorurteile, die von einem ungleichen sozialen Status von Frauen und Männern ausgehen und sich in Geschlechterstereotypen, Affekten und Verhaltensweisen zeigen. Daher gibt es verschiedene Arten von Sexismus: Der traditionelle oder offene Sexismus ist die unmissverständliche auf das Geschlecht bezogene Diskriminierung. Unter modernem Sexismus versteht man die Leugnung von Diskriminierung sowie die Ablehnung von Maßnahmen, die darauf abzielen, soziale Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern abzubauen. Diese Form des Sexismus zeigt sich nicht offen, sondern indirekt. Der Neosexismus ist der Konflikt egalitärer Werte und negativer Emotionen gegenüber Frauen. Hostiler Sexismus bezeichnet den feindlichen Sexismus. Das Gegenteil dazu bildet der benevolente (wohlwollende) Sexismus. Darüber hinaus gibt es den ambivalenten Sexismus, der das Zusammenspiel aus hostilem und benevolentem Sexismus bildet. |
Die unterschiedlichen Belastungen haben zur Folge, dass Männer die größte Exposition bei Risiken am Arbeitsplatz, wie bei Unfällen, beim Heben von schweren Lasten sowie bei Lärm erleben. Hingegen haben Frauen eine stärkere Ausprägung bei Erkrankungen der oberen Gliedmaßen, durch häufige „leichte Montagearbeiten“ (Arbeit am Fließband oder Dateneingabe), Stress und Tätigkeiten seitens der Öffentlichkeit.
Aber auch die richtige Schutzbekleidung und Werkzeug sind Bestandteile des Arbeitsschutzes. Ein Beispiel sind Bekleidungen und Werkzeuge im handwerklichen Bereich (zum Beispiel Techniker, Fliesenleger oder Maurer).
Wenn man in ein Fachgeschäft für Schutzbekleidung geht, ist es als Frau wesentlich schwieriger, passende Bekleidung zu finden, als für Männer, da in den meisten Fällen die passenden Größen für Frauen nicht vorrätig und nicht in dem jeweiligen Modell bestellbar sind. Daher muss häufig auf die Größen für Männer zurückgegriffen werden, was den Einkauf zu einer Tortur gestaltet. Mal passt alles um die Hüfte, dann ist der Bereich um den Oberschenkel viel zu eng und die Hose zu kurz. Nimmt man die gleiche Größe bei einem anderen Modell, passt vielleicht die Länge, aber man bekommt den Knopf nicht mehr zu. Nach zwei Stunden Anprobe hat man dann eine Hose, bei der oben alles passt. Eigentlich ist die Beinbreite viel zu groß und wird bei der Arbeit stören, aber man nimmt sie dennoch. Dann fällt der netten Beraterin ein, dass man noch integrierte Knieschützer in der Hose hat und man noch testen muss, ob sie denn optimal sitzen. Tun sie nicht. Natürlich kann man sich Knieschützer holen, die man sich über die Hose ziehen kann, aber mit dem vielen zerknitterten Stoff, der an die Haut gepresst wird, kann sich ein Acht-Stunden-Arbeitstag sehr schmerzhaft entwickeln. Braucht man also die Knieschützer, geht die ganze Tortur von vorne los.
Bei den Werkzeugen bemerkt man erst beim Arbeiten, dass sie eher für Männer ausgelegt sind. Zum Beispiel sind viele Griffe von Werkzeugen, oder generell Konzeptionen eines Werkzeugs, eher für Männer gestaltet, da sie in den meisten Fällen größere Hände haben als Frauen.
Weitere Probleme bei männerdominierten Berufen sind die sanitären Anlagen und Umkleidemöglichkeiten. Gerade bei einer Baustelle existiert meistens nur eine mobile Toilettenkabine für alle. Auch eine Umkleidemöglichkeit für Frauen ist eher selten, entweder wird die Arbeitskleidung schon zuhause angezogen oder es wird im Umfeld der Arbeitsstelle eine Lösung gefunden.
Hingegen kommen Männer in handwerklichen Berufen, wie Friseur, Schneider oder Goldschmied, zwar leichter an Arbeitsschutzkleidung, jedoch sind die Werkzeuge hier mehr auf Frauen ausgelegt. Es stellt sich also die Frage, warum gerade diese Schwierigkeiten bei den Werkzeugen auftreten und warum bei Arbeitsschutzkleidung tendenziell Frauen mehr Probleme haben, passende Kleidung zu finden.
Eigene Erfahrungen
Wie Sexismus beim Arbeitsschutz aussieht, hängt nach meiner Erfahrung ganz von den Branchen und den Arbeitgebern ab. Bei Beschäftigungen, in denen die Geschlechter gleich verteilt sind, ist der Sexismus schwach ausgeprägt. Hingegen werden bei Berufen, bei denen ein Geschlecht dominiert, viele Differenzen auftreten.
Ich persönlich habe schon in vielen verschiedenen Tätigkeiten gearbeitet. Unter anderem im Einzel- und Fachhandel, in der Gastronomie, in der Physiotherapie, in der Kinderbetreuung, bei archäologischen Ausgrabungen und aktuell in der Verwaltung. In allen Bereichen wird der Arbeitsschutz anders gehandhabt. Den Sexismus beim Arbeitsschutz habe ich allerdings erst deutlich bei der Ausgrabung und in der Verwaltung bemerkt.
Bei der Ausgrabung habe ich die Tortur mit der Arbeitsschutzkleidung selbst durchlebt. Die Tatsache, dass Werkzeuge mehr auf Männer ausgelegt sind, ist mir erst bei der Arbeit aufgefallen. Meine männlichen Kollegen konnten mit vielen Werkzeugen sicherer umgehen, da sie den Griff besser greifen konnten und somit auch mehr Sicherheit hatten.
In der Verwaltung ist mir erst deutlich geworden, wie unterschiedlich die Regelungen beim Heben und Tragen im Arbeitsschutz behandelt werden können. Im Einzel- und Fachhandel, in der Gastronomie, bei der Betreuung und bei der Ausgrabung gab es keine Vorgaben, wie viel getragen werden darf. Die Regelung war, wenn der Angestellte einen Gegenstand nicht heben oder tragen kann, dass er sich Hilfe oder Hilfsmittel (Hubwagen oder Sackkarre) organisiert. In der Verwaltung allerdings habe ich zum ersten Mal genaue Vorgaben erhalten, nur 10 kg tragen zu dürfen. Meine männlichen Kollegen durften jedoch bis zu 35 kg tragen.
Bei der Arbeitsschutzunterweisung habe ich mir am Anfang nicht viele Gedanken gemacht, da ich davon ausgegangen bin, in der Verwaltung nicht viel oder Schweres tragen zu müssen. Dennoch kam es zu zwei Situationen:
Mir wurde aufgetragen, das Lager aufzuräumen. Ich musste prüfen, was ist leer, was kann weg, was muss bleiben. Um an eines der Regale zu gelangen, musste ich einen Kohlegrill wegtragen. Der Grill war aus Blech und nach meiner persönlichen Einschätzung nicht schwer. Zufällig kam mein Chef vorbei, als ich gerade den Grill anheben wollte. Er stoppte mich und verlangte, dass ich mir einen männlichen Kollegen dazu hole. Ich musste, unter der Aufsicht von meinem Chef, einen Kollegen holen, der mir den Grill vier Schritte weitergetragen hat und wieder zurück. Ich musste ihn also zweimal bei seiner Arbeit unterbrechen.
Der andere Vorfall ergab sich daraus, dass ein leerstehender Schrank zehn Schritte in einen anderen Raum getragen werden musste. Der Schrank war leicht zu händeln und nicht schwer. Ein neuer Kollege und ich wollten die Aufgabe erledigen, da der Bereich freigemacht werden musste. Auch hier schritt mein Chef wieder ein. Ich musste einen Kollegen mit Rückenproblemen (es war ansonsten kein anderer männlicher Kollege da) dazu holen. Dies zeigt, dass Sexismus viele Gesichter hat. Auch wenn man ihn in bestimmten Bereichen nicht direkt bemerkt, so kann er sich trotzdem in irgendeiner Form manifestiert haben. Gerade am Arbeitsplatz ist Sexismus stark von der Ausrichtung nach Geschlechterrollen des Berufes geprägt. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Was kann jeder Einzelne dazu beitragen oder verändern, um die Situation in Zukunft zu verbessern?
Text: Jana Reh
Illustrationen: Leonie Onischka
Infografik: Konrad Dieterich