Patriotismus, aber bit­te ohne unbe­grün­de­ten Stolz. Das geht, zumin­dest für mich. Die emo­tio­na­le Nähe zu mei­ner Geburtsstadt prägt mich sehr in mei­ner Identifikation. Ein Faktor des­sen ist auch der Schriftsteller Stefan Heym. 

Julian in Chemnitz
Wir expor­tie­ren!
Wir expor­tie­ren!
Wir machen Export in Offizieren!
Wir machen Export!
Wir machen Export!
Das Kriegsspiel ist ein gesun­der Sport!

Das ist der Beginn des 1931 ver­öf­fent­lich­ten Gedichtes „Exportgeschäft“, ent­stan­den unter einer Schulbank, in einer frei­en Religionsstunde. 

Stefan Heym, damals noch unter sei­nem Geburtsnamen Helmut Flieg, wur­de in Folge der Veröffentlichung sei­nes Werkes der Schule ver­wie­sen. Dieser Akt war gewis­ser­ma­ßen der Startpunkt für ein unglaub­lich beweg­tes Leben. 

91 Jahre spä­ter begann auch für mich ein neu­es Kapitel mit dem Verlassen der­sel­ben Schule – im Gegensatz zu Heym jedoch mit mei­nem Abiturzeugnis und ohne von Nazis ver­folgt zu wer­den. Er emp­fand also aus nach­voll­zieh­ba­ren Gründen nie eine so enge Bindung zu unse­rer gemein­sa­men Heimat Chemnitz. Dagegen war ich schon lan­ge ein klei­ner Lokalpatriot. Mit mei­nem Auszug aus der Stadt wur­de die­se Einstellung nur stär­ker. Ironischerweise hat gera­de Stefan Heym dar­an einen Anteil.

Ostdeutsche Erfahrungen

Wenn mich jemand frag­te, wo der Ursprung der Liebe zu mei­ner Heimatstadt liegt, wür­de ich es an zwei Punkten fest machen. Der ers­te ist mein Ostdeutsch-Sein. Die Frage, ob es so etwas wie eine ost­deut­sche Identität gibt, beja­he ich. Sie mag kon­stru­iert sein, wie so man­ches an Identitäten. Sie ist – im Gegensatz zu mei­nem in Ostdeutschland lie­gen­den Geburtsort – kein Faktum. Sie ist etwas his­to­risch Gewachsenes und offen­sicht­lich über Generationen hin­weg Feststellbares. Obschon unse­re Eltern anders mit ihr umge­hen mögen als wir. 

Ich neh­me mich nicht nur als Deutscher, son­dern als Ostdeutscher wahr. Unabhängig davon, wie es poli­tisch und geschicht­lich zur Herausbildung einer sol­chen Wahrnehmung bei Menschen kom­men konn­te, bedeu­tet die Identifikation als „ost­deutsch“ für mich, Unterschiede auf­zu­zei­gen, Ungerechtigkeiten zu kri­ti­sie­ren und rea­lis­tisch auf Schwächen und Stärken mei­ner Heimat hin­zu­wei­sen. Da ist kein Platz für Nationalismus und Pessimismus. Ich kann nichts dafür, dass ich dort gebo­ren wur­de, aber wenn ich schon mal da bin, kann ich ver­su­chen, etwas dar­aus zu machen. 

Der zwei­te Punkt liegt dar­in, dass ich ganz ein­fach zwan­zig Jahre in die­ser Stadt, in Chemnitz, gelebt habe. Meine gesam­te Kindheit und Jugend spiel­ten sich an den immer glei­chen Plätzen, auf den immer glei­chen Straßen ab. Ich weiß, was mei­ne Heimat aus­macht, war­um es lohnt, in ihr zu leben oder sie zu besu­chen. Natürlich nei­ge ich dazu, Vergangenes manch­mal zu glo­ri­fi­zie­ren, aber ich kann sehr ehr­lich behaup­ten, dass mein Heranwachsen von vie­len posi­ti­ven Erfahrungen geprägt war. Es gibt für mich kei­nen Grund, Chemnitz ande­ren gegen­über schlecht zu reden. Realistisch sein bleibt da für mich die Zauberformel. Wie oben bereits ange­klun­gen ist, soll­ten Probleme immer aus­ge­spro­chen wer­den, genau­so aber wie Erfolge und Potentiale. 

Genau bei die­sem zwei­ten Aspekt kommt Heym ins Spiel.

Heymvorteil 

Wer in Chemnitz nach Spuren des Ehrenbürgers Heym sucht, der wird zur Genüge fün­dig. Orte, Institutionen, Preise, über­all fin­det sich die Beschäftigung mit ihm. Ich weiß nicht, wann genau ich sei­nen Namen das ers­te Mal hör­te, aber ich ver­mu­te, dass es in Zusammenhang mit dem Stefan-Heym-Wettbewerb war. Dabei dür­fen Schüler:innen der gan­zen Stadt ihre eige­nen Texte ein­rei­chen. Ausgerichtet wird er vom Karl-Schmidt-Rottluff-Gymnasium, also dort, wo er und ich zu ganz unter­schied­li­chen Zeiten Schüler waren. 

Ohne noch zu wis­sen, in wel­chem Fach, wur­de uns vor allem die Anekdote des „Exportgeschäfts“ gelehrt, um uns zu ver­mit­teln, wer die­ser Mann war. Durch Lehrkräfte und ers­te eige­ne Recherchen wuss­te ich so zu Beginn nur, dass er viel beach­te­te Bücher geschrie­ben und gegen die Nazis Widerstand geleis­tet hat­te. Beides war mir zutiefst sym­pa­thisch und von da an hör­te ich genau­er hin, wenn von Stefan Heym die Rede war. 

Von die­sem Halbwissen ange­facht, empör­te ich mich spä­ter in der Oberstufe wie mei­ne Deutschlehrerin dar­über, dass eine neu gebau­te Schule den Titel „Stefan-Heym-Gymnasium“ erhielt und eine Kooperation mit der Stefan-Heym-Gesellschaft anstreb­te, mit der unse­re Schule eine lan­ge Partnerschaft verband. 

Ich hat­te in die­sem Mann mei­nen per­sön­li­chen Lokalhelden entdeckt.

Glückliche Fügungen

Zum wirk­li­chen Enthusiasten über ihn wur­de ich aller­dings erst in den letz­ten Jahren. Mein Großvater, zu des­sen per­sön­li­cher Bückware in der DDR begehr­te Bücher gehör­ten, gewähr­te mir frei­en Zugang zu sei­ner Sammlung und neben Thomas Mann oder Karl Marx staub­te ich auch eine gan­ze Reihe der bekann­tes­ten Werke Heyms ab. 

Bückware

Bückware bezeich­net Waren im Einzelhandel, für die Kund:innen oder Verkäufer:innen sich sinn­bild­lich oder tat­säch­lich unter den Ladentisch bücken müs­sen. In der DDR han­del­te es sich um Artikel, die knapp und nur durch Tausch oder per­sön­li­che Beziehungen erhält­lich waren. Vielfach wur­den in der DDR Waren, die nicht in aus­rei­chen­der Menge ver­füg­bar waren, nur auf Nachfrage oder an Bekannte ver­kauft. Anders als in der Bundesrepublik konn­te es sich dabei auch um Waren des täg­li­chen Bedarfs han­deln.

Quelle: Wikipedia

So kam eines zum ande­ren. Ich stol­per­te über ein Interview mit ihm aus den 80er-Jahren, das mich für sei­ne Lebensgeschichte begeis­ter­te und nach­dem ich, es ist noch gar nicht lan­ge her, erst die „Fünf Tage im Juni“ und anschlie­ßend sein „Schwarzenberg“ gele­sen hat­te, war es dann end­gül­tig um mich gesche­hen. In ers­te­rem ver­ar­bei­tet Stefan Heym lite­ra­risch die Lage in der DDR rund um den Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953, „Schwarzenberg“ han­delt von der gleich­na­mi­gen Kreisstadt, die weder von den Alliierten noch von der Sowjetunion besetzt war. 

Klartext!

Die Faszination für sei­ne Bücher und sein Handwerk rührt von zwei Aspekten her. Zum einen von Heyms Art des Schreibens und zum ande­ren von sei­nen per­sön­li­chen Hintergründen, die ele­men­tar für sein Werk waren. 

Sein Schreibstil mag für man­che gewöh­nungs­be­dürf­tig sein. Viele lan­ge Sätze, die ange­rei­chert sind mit einer Sprache, wie sie heu­te wohl als eher alt­ba­cken emp­fun­den wer­den dürf­te. Doch ich fin­de Gefallen an die­ser eigen­sin­ni­gen Form, denn sie ent­hält doch eine bestechen­de Klarheit. Er bringt Situationen wun­der­bar auf den Punkt, auch, wenn er dafür gele­gent­lich ein oder zwei Nebensätze mehr ein­baut. Er ver­steckt sich nicht hin­ter Metaphern oder über­zeich­ne­ten sprach­li­chen Bildern. 

Wer die Autobiographie des gebür­ti­gen Chemnitzers gele­sen hat, der erkennt, wie eng Heyms Arbeiten mit sei­nem per­sön­li­chen Leben ver­knüpft sind. Sicher, es ist Gang und Gebe, dass Autor:innen ihre Inspiration zunächst aus dem eige­nen Umfeld erhal­ten. Doch bei Stefan Heym erscheint mir die­ser Umstand noch ein­drück­li­cher. Ob Zweiter Weltkrieg, Situation der Arbeiter:innen in den USA und der UdSSR, Zustände in der DDR oder Beschäftigung mit dem Glauben, er hol­te sich den Stoff für sei­ne Geschichten direkt aus dem Leben. Er hat­te den Anspruch, nicht den idea­len, son­dern den wirk­li­chen Menschen darzustellen. 

Heym war Zeit sei­nes Lebens kri­ti­scher Denker. Seine Vision einer gerech­ten Gesellschaft stets vor Augen schreck­te er nie davor zurück, sich ein­zu­brin­gen. Dabei war er den herr­schen­den Instanzen der Staaten, für deren Demokratisierung er sich ein­setz­te, nicht sel­ten ein Dorn im Auge. Er geriet in das Visier des Senators McCarthy, der förm­lich davon beses­sen war, alles, was nach Kommunismus aus­sah, zu besei­ti­gen. Auch die SED ließ Heym über­wa­chen, was ihn jedoch nicht davon abhielt, wei­ter öffent­lich Position zu bezie­hen. Stefan Heym war ein Unangepasster, ein Kritiker, aber viel­leicht auch jemand, der es des­halb schwer hat­te, irgend­wann ein­mal wirk­lich anzukommen.

Nachwirkung

Mit Heym ist da also ein Mann, der so vie­les von dem ver­kör­per­te, was mich begeis­tert und er kam auch noch aus mei­ner Stadt, war auf mei­ner Schule! Selbstverständlich ist das ein Zufall und kei­ne Leistung. Gleichzeitig ver­dankt sich die­sem Zufall, dass Chemnitz, mei­ne alte Schule und ich selbst um ein gro­ßes Vorbild und einen prä­gen­den Charakter rei­cher sind.

Für den Lokalpatrioten in mir gilt: mei­ne Heimat ist auch Stefan-Heym-Stadt. 

Text: Julian Herold

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