Über ein Drittel aller Studierenden ist armuts­ge­fähr­det. Lebensmittelpreise, Energiekosten und Mieten explo­die­ren. Gäbe es doch nur etwas, um dem ent­ge­gen­zu­wir­ken … Die BAföG-Reform 2024 steht vor der Tür und will eini­ges ver­än­dern und ver­bes­sern. Dennoch hagelt es Kritik.

Es bleibt knapp

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz BAföG, soll seit sei­ner Einführung in der BRD 1971 dafür sor­gen, dass Jugendliche und jun­ge Erwachsene ihrer gewünsch­ten Ausbildung nach­ge­hen kön­nen, auch wenn es dem Elternhaus selbst nicht mög­lich ist, die­se zu finan­zie­ren. Das Gesetz wur­de über die Jahrzehnte immer wie­der ange­passt und ver­än­dert. Im Jahr 2022 erschien die letz­te Reform, wel­che zum einen den Höchstbetrag auf 934 Euro, den Wohnbedarfszuschlag auf 360 Euro und die Altersgrenze auf 45 Jahre anhob. Zum ande­ren wur­den auch die Freibeträge für das Einkommen der Eltern um cir­ca 21 Prozent erhöht. Jetzt soll, pünkt­lich zum Wintersemester 2024/25, die nächs­te Reform folgen.

Anfang März wur­de die Gesetzesvorlage vor­ge­legt. Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger (FDP) stell­te die Veränderungen vor. Die größ­te Neuerung ist wohl die Studien­starthilfe in Höhe von 1000 Euro. Diesen ein­ma­li­gen Zuschuss kön­nen von nun an Menschen in Anspruch neh­men, wel­che vor Aufnahme eines Studiums schon Sozialleistungen bezo­gen haben und nicht älter als 25 Jahre sind. Das Geld kann unab­hän­gig vom BAföG bean­tragt wer­den und muss auch nicht zurück­ge­zahlt wer­den. Außerdem gibt es eine erneu­te Erhöhung der Einkommensfreibeträge um fünf Prozent.

Immer mehr Menschen in Deutschland neh­men ein Studium auf, doch das BAföG hat trotz eini­ger „Reformen“ nicht Schritt gehal­ten. 1991 erhiel­ten noch 26 Prozent der Studierenden Ausbildungsförderung, 2023 waren es nur noch 13 Prozent.

Die Einführung eines „Flexibilitätssemesters“ ermög­licht es, BAföG-Leistungen ohne Angabe von Gründen ein Semester län­ger zu bezie­hen, auch wenn die Förderungshöchstdauer über­schrit­ten ist. Zusätzlich kann jetzt ein Fachwechsel bis zum Beginn des fünf­ten Fachsemesters durch­ge­führt wer­den. Zuvor war dies nur bis zum vier­ten Fachsemester mög­lich. Neben die­sen Veränderungen ist ein all­ge­mei­nes Ziel der Reform die Reduzierung des büro­kra­ti­schen Aufwands bei Beantragung und Bewilligung durch, unter ande­rem, Digitalisierung.

Mitte Juni wur­de der Entwurf ein letz­tes Mal ange­passt und final im Bundestag beschlos­sen. Nun wird es auch eine Erhöhung des BAföG-Grundbedarfs von 452 Euro auf 475 Euro und eine Anpassung des Wohnbedarfszuschlags auf 380 Euro geben.

Was fehlt?

Nach Kaufkraft ver­gli­chen gab der Bund 2023 für stu­den­ti­sches BAföG (Zuschüsse und Darlehen) ähn­lich viel aus wie 1991. Die Geförderten beka­men 2023 durch­schnitt­lich 663 Euro pro Monat – deut­lich mehr als 1991 (567 Mark, infla­ti­ons­be­rei­nigt ≙ 547 Euro). Diese ver­meint­li­che Erhöhung liegt jedoch auch am gestie­ge­nen Anteil der Vollgeförderten.

Gerade in den letz­ten zwei Jahren sind durch hohe Inflation fast alle Preise gestie­gen. Dennoch soll­ten zunächst die BAföG-Leistungen dahin­ge­hend über­haupt nicht ange­passt wer­den. Bei der Frage nach einer Erhöhung der Beiträge ver­wies das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf die bereits getä­tig­ten Erhöhungen aus dem Jahr 2022 sowie die Einmalzahlung von 200 Euro. Zudem wur­den die bei­den Heizkostenzuschüsse von 230 und 345 Euro genannt. Dass die zuerst durch­ge­führ­ten Erhöhungen qua­si sofort von der dama­li­gen Inflation geschluckt wur­den, wur­de dabei nicht erwähnt. Erst nach Kritik inner­halb und außer­halb der Koalition sowie von Studierendenverbänden kam es zu einer Erhöhung.

„[L]ange Verfahren, wenig Flexibilität [und] zu wenig Geld“, so beschreibt der Stura den Zustand des BAföGs und kri­ti­sier­te noch vor der Erhöhung, dass die Bundesregierung beim Bürgergeld den Grundbedarfssatz, das Existenzminimum, mit 563 Euro ange­be. Im Kontrast dazu betrü­ge der BAföG-Bedarfssatz nur 452 Euro. Somit lie­ge eben die­ser Betrag unter dem Existenzminimum. Daran hat sich auch nach der Anpassung im Juni nicht viel geän­dert. Darüber hin­aus rei­che die Wohnkostenpauschale in Höhe von 380 Euro in den wenigs­ten Unistädten dafür aus, die Miete zu beglei­chen. Deshalb war der Stura der Auffassung, dass die BAföG-Reform ihrem Anspruch nicht gerecht wer­de, und fol­ger­te: „[…] [G]erechter Zugang zu Bildung ist auch in Zeiten poli­tisch gewoll­ter Sparpolitik nicht verhandelbar!“

Vollgeförderte erhal­ten den gesetz­li­chen Bedarfssatz und die Wohnkostenpauschale in vol­ler Höhe. Bei Teilgeförderten haben die Eltern (oder sie selbst) Einkommen über der Freigrenze.

Das Verwaltungsgericht Berlin sieht das Problem ganz ähn­lich. Anfang Juli 2024 kam es zum Entschluss, dass „die Regelungen im [BAföG] […] über die Höhe der Ausbildungsförderung für Studierende im Jahr 2021 […] gegen das Grundgesetz [ver­sto­ßen]“. Eine wei­te­re Erkenntnis des Verfahrens war, dass das „BAföG für Studierende […] nicht gerin­ger sein [darf] als [das] Bürgergeld“. Für eine Feststellung der Verfassungswidrigkeit ist jedoch das Verwaltungsgericht nicht zustän­dig. Daher wur­de das Verfahren an das Bundesverfassungsgericht über­ge­ben. Die fina­len Ergebnisse blei­ben abzuwarten.

Das bisschen Haushalt macht sich von allein …

Die Zahl der Menschen mit Anspruch auf BAföG-Leistungen wird sich durch die Reform erhö­hen, doch wesent­lich mehr Gelder für das BMBF, wel­ches über die Mittel zur BAföG-Förderung ver­fügt, wer­den nicht bereit­ge­stellt. Für die Pläne zur BAföG-Reform wur­den zunächst 150 Millionen Euro bewil­ligt. Letztlich soll­ten davon aber nur rund 61 Millionen genutzt wer­den. Die rest­li­chen 89 Millionen Euro hät­ten her­hal­ten müs­sen, um den Bundeshaushalt zu ret­ten. Auf die­se Weise woll­te die Bundesregierung aus­ge­rech­net bei Sozialleistungen spa­ren. Dabei ist es wich­tig zu erwäh­nen, dass jeder in Bildung inves­tier­te Euro auch einen Mehrwert gene­riert. Dennoch steht die „schwar­ze Null“, und selbst wenn Wirtschaftsverbände star­ke Kritik an der all­ge­mei­nen Sparpolitik des Finanzministers üben, bleibt der Kurs kon­stant. Ein Sondervermögen Bildung hät­te da den Rahmen, die Möglichkeiten und sehr wahr­schein­lich auch die Vorstellungskraft man­cher Parteien gesprengt.

Im Gegensatz zur Wohnkostenpauschale ist der Grundbedarfssatz preis­be­rei­nigt gesunken.
Kommentar: Blanker Hohn
Die FDP titelt auf ihrer Homepage: „BAföG wird an Lebenswirklichkeit von Studierenden ange­passt“. Aber was ist denn eigent­lich die Lebenswirklichkeit von Studierenden? Armut, Stress und Überlastung – vie­le müs­sen neben dem Studium arbei­ten, um sich das sel­bi­ge zu finan­zie­ren. Selbst mit BAföG reicht das Geld in vie­len Städten nicht aus, um die Lebenserhaltungskosten zu stem­men. Die 1000 Euro Studienstarthilfe, die eine posi­ti­ve Entwicklung dar­stel­len, sind da jedoch nur der buch­stäb­li­che Tropfen auf den hei­ßen Stein.
Das „Flexibilitätssemester“ ist der nächs­te Knackpunkt, der zwar in die rich­ti­ge Richtung gedacht ist, aber an der Realität vor­bei­schießt. Denn eine Arbeit neben dem (Vollzeit-) Studium und die omi­nö­se Regelstudienzeit, nach wel­cher die Bezugsdauer von BAföG fest­ge­legt wird, las­sen sich oft nur schlecht mit­ein­an­der verein­baren. Das ist auch nur einer von vie­len Gründen, war­um in der Regel die Regelstudien­zeit nicht der Regel ent­spricht. Das eine Semester mehr bekämpft nicht die sys­te­ma­ti­schen Probleme, die das Bachelor-Master-System mit sich gebracht hat.
Erst wur­den Studierende fast ver­ges­sen, als es um die Einmalzahlung ging. Nun haper­te es beim BAföG. Renten und Bürgergeld wur­den zu Recht erhöht, doch der Inflationsausgleich des BAföGs lässt wei­ter auf sich war­ten. Gerade für Menschen, die auf das Geld ange­wie­sen sind, ist die Reform 2024 eine gro­ße Enttäuschung. Die wirk­lich aku­ten Probleme, wie stei­gen­de Mieten, Heizkosten und Lebensmittelpreise, wer­den nicht kon­se­quent ange­gan­gen. Viel schlim­mer noch, sie wer­den von den offi­zi­el­len Stellen her­ab­ge­spielt und die ver­meint­li­chen Besserungen poli­tisch insze­niert.
Eine Grundsicherung ist das BAföG schon lan­ge nicht mehr. Chancen auf Bildung hän­gen immer stär­ker vom Einkommen der Eltern ab, und dar­an wird sich auch mit die­ser Reform nichts ändern. Dabei wären doch gera­de Investitionen in Bildung wich­tig, um für eine gerech­te Zukunft zu kämpfen.

Text: Johannes Wingert

Kommentar: Johannes Wingert

Illustration: Lena Buchmann

Diagramme: Konrad Dieterich; Datengrundlage: Statistisches Bundesamt, Bundesgesetzblatt, eige­ne Berechnungen

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