H.P. Lovecraft hat es getan, genau­so wie George R. R. Martin oder Agatha Christie: Sie alle schrie­ben Geschichten für Pulp Magazines. Im deut­schen Sprachraum sind die­se Werke vor allem unter der Bezeichnung Heft- oder Groschenroman bekannt und erfreu­en sich noch immer gro­ßer Beliebtheit. Eine Hommage. 

Foto: Lisa Kollien

Sie tra­gen Titel wie »Fürstenkinder«, »Heimatroman« oder »Der Landarzt«. Man fin­det sie fast nie im Buchhandel, dafür aber in Hülle und Fülle im Zeitschriftenhandel. Sie sind preis­wert, kom­pakt und pas­sen in jede Tasche. Aber kaum jemand redet über sie: Die Groschenromane. Als Trivialliteratur ver­schrien, fris­ten sie ein Schattendasein unter ihren gro­ßen Schwestern, die mehr Anerkennung und media­le Aufmerksamkeit bekom­men – den Büchern. Dabei sind die Heftromane für vie­le AutorInnen ein Sprungbrett in den seriö­sen Literaturmarkt. In der Universität wer­den sie kaum bespro­chen, mit etwas Glück in einem Vortrag erwähnt. Doch wie nicht alles Gold ist, was glänzt, sind auch Groschenromane weni­ger tri­vi­al, als es den Anschein hat.

Eine kleine Geschichte des Groschenromans

Durch die Erfindung des Buchdrucks mit beweg­li­chen Lettern im 15. Jahrhundert durch Johannes Gutenberg war es erst­mals mög­lich, ein Massenprodukt mit geis­ti­gem Inhalt in Umlauf zu brin­gen. Zuvor wur­den Bücher nur in so genann­ten Schreibschulen (die sich in Klöstern befan­den) per Hand abge­schrie­ben und an aus­ge­wähl­te, betuch­te Kunden ver­kauft. Zwar gab es vor der euro­päi­schen Druckerpresse den Buchdruck in China und Korea, die­ser konn­te sich aller­dings inter­na­tio­nal nicht durch­set­zen. Spätestens seit der Einführung des euro­päi­schen Drucks im 19. Jahrhundert wur­de die Drucktechnik
voll­ends vom Markt ver­drängt. Auf der Basis von Gutenbergs Drucktechnik ent­wi­ckel­te sich der Zeitungs- und Buch­druck bis hin zum Digitaldruck, wie er heu­te existiert.

Doch natür­lich wur­de schon weit­aus frü­her auch im gemei­nen Volk mit Literatur gehan­delt. Schon in der Antike schrie­ben Dichter und Philosophen ihre Texte auf Schriftrollen, lie­ßen ihre Ergüsse von ihren Schülern dupli­zie­ren und ver­kauf­ten sie dann auf dem Wochenmarkt. So gelang­te unter ande­rem Ovid zu Berühmtheit, des­sen »Metamorphosen« – ero­ti­sche, mys­ti­sche und span­nen­den Geschichten – noch heu­te in vie­len Lateinklassen gele­sen wer­den. Diese poe­ti­schen Schriftrollen wur­den in regel­mä­ßi­gen Abständen wei­ter­ge­führt. Mit ein wenig Fantasie kann man sie als ers­te Fortsetzungsgeschichten bezeich­nen, dem Vorläufer des Heftromans.

Im 19. Jahrhundert hat­te der Groschenroman sei­nen Aufschwung in Europa und den Vereinigten Staaten. So nann­te man sie in den USA »Dime Novel«, in Britannien tru­gen sie den Titel »Penny Dreadful«, und in Deutschland kann­te man sie unter dem Begriff »Groschenroman«.

Diese Namen tei­len alle die glei­che Eigenschaft. Dime und Groschen sind Synonyme für Kleingeld, der Penny ist selbst­er­klä­rend. Das bedeu­te­te, dass die Heftromane für ver­hält­nis­mä­ßig wenig Geld erwor­ben wer­den konn­ten. Novel und Roman beschrei­ben den Inhalt, denn die Hefte sind zur Unterhaltung gedacht. Kurzgeschichten, Sagen, Gedichte, Fortsetzungsgeschichten – für jede Vorliebe und jedes Genre fin­det sich ein eige­nes Heft. »Dreadful« bedeu­tet über­setzt schreck­lich. Das hat­te zunächst weni­ger mit dem Inhalt zu tun, son­dern mit dem min­der­wer­ti­gen Papier, der schlech­ten Tinte und der ein­fa­chen Bindung. Im Vergleich dazu wur­de ein Buch mit wesent­lich mehr Aufwand her­ge­stellt, das Papier war hoch­wer­ti­ger, die Tinte teu­rer und die Bindung meist aus Leinen oder sogar Leder. Dadurch war es nur für den gut betuch­ten Teil der Bevölkerung erschwinglich.

Die Hefte fan­den beson­de­ren Anklang bei der arbei­ten­den Bevölkerungsschicht. Sie boten für wenig Geld eine kur­ze Ausflucht aus dem Alltag. In Deutschland erhiel­ten sie den Beinamen »Eisenbahnliteratur« (auch heu­te fin­det man die Groschenromane unter ande­rem im Bahnhofskiosk), denn auf der Reise konn­te man ein Heft zur Unterhaltung schnell durch­le­sen. Erst durch die Verbreitung von Radio und Fernsehen geriet der Heftroman nach und nach in den Hintergrund. Durch fal­len­de Papierkosten und Tintenpreise wur­de es zudem auch für die Buchverlage güns­ti­ger, Romane zu dru­cken und spä­tes­tens seit der Erfindung des Taschenbuchs dräng­te das Buch als Massenware die Hefte kom­plett an den Rand.

Trivialität ist relativ

Fotos Geldstück: Person or Persons Unknown (CC BY-SA 4.0), https://commons.wikimedia.org/wiki/ File:10_pfennig_1993,_Germany_(reverse).jpg https://commons.wikimedia.org/wiki/ File:10_pfennig_1993,_Germany_(obverse).jpg

Groschenromane wer­den der Trivialliteratur zuge­ord­net. Damit wer­den sie in der Wissenschaft meist nur müde belä­chelt. Dennoch gibt es die Romane noch immer, und sie haben sich als Sammelobjekte und in Fangemeinden eine Nische erkämpft. So wer­den sich eini­ge der Studierenden sicher noch an »Dr. Stefan Frank – der Arzt, dem die Frauen ver­trau­en« erin­nern. Als Serienheld von RTL flim­mer­te der cha­ris­ma­ti­sche Chirurg und Gynäkologe zur Primetime über die Bildschirme tau­sen­der ZuschauerInnen. 2001 war dann das Serien-Aus. Aber Dr. Frank prak­ti­zier­te schon vor der TV-Umsetzung und tut es wei­ter­hin: Als Romanheld im Heftformat.

Sweeney Todd ist den meis­ten durch die Tim-Burton-Verfilmung aus dem Jahr 2007 mit Johnny Depp und Helena Bonham Carter ein Begriff. Der mör­de­ri­sche Barbier aus der Fleet Street fei­er­te aller­dings schon 1979 sei­nen Durchbruch auf dem Broadway, damals in den Hauptrollen dar­ge­stellt durch Len Cariou und Angela Lansbury (die Verfilmung von 1936 fand noch wenig media­len Anklang). Doch auch vor der Bühnenfassung rich­te­te Todd eine Menge Schaden an, eben­falls auf bil­li­gem Papier und im Heftformat, von 1846 bis 1847 unter dem Titel »The String of Pearls: A Romance«.

Auch der Name Jerry Cotton dürf­te von vie­len schon ein­mal gehört wor­den sein. Der FBI-Agent aus Connecticut, vom deut­schen Autor Delfried Kaufmann erfun­den, löst sei­ne Fälle seit 1954 und durf­te in den 1960er Jahren auch auf den TV-Geräten die Welt von Unrecht befrei­en. Die Auflage des Heftes liegt bei über 850 Millionen Exemplaren, 2010 gab es mit Christian Tramitz in der Rolle des Cotton eine Neuverfilmung.

Trivialliteratur ist aller­dings wenig tri­vi­al. Auch bei Heftromanen gibt es gute und schlech­te Geschichten. Sinnvoller zur Beschreibung ist der Begriff Populärliteratur. Dieser ist ein Sammelbegriff für Lesestoff, der weit ver­brei­tet ist, sich aber von der Hochliteratur abgrenzt. Dadurch kann eine gro­ße Bandbreite an Themen abge­deckt wer­den, es ist also buch­stäb­lich für jeden Leser etwas dabei. Angefangen beim Liebesroman hin zum Western, Krimi oder Science-Fiction. Dadurch kommt es aller­dings vor, dass sich Inhalte wie­der­ho­len, genau­so wie Figuren und ihre Charaktere. Sie die­nen allem vor­an der Unterhaltung und Erbauung. Einen gro­ßen Anteil an der Popularität der ein­fa­chen Romanhefte haben weib­li­che Leser. Sie tausch­ten die Groschenromane, wel­che von Liebe und dem Guten in der Welt han­del­ten, unter­ein­an­der aus und tra­fen sich zur Diskussion in Lesezirkeln. Später wur­den auch Abenteuerromane an vor­nehm­lich männ­li­che Leser ver­kauft. Im ers­ten Weltkrieg kamen jun­ge Soldaten auf den Geschmack der Hefte. Der Serienheld, also die Figur, die immer wie­der auf­taucht, ist eine Erfindung des Groschenromans. Im ers­ten Weltkrieg dien­ten die Helden, die in jeder Geschichte eine Herausforderung zu bestehen hat­ten und am Ende erfolg­reich tri­um­phier­ten, zur Erbauung im Schützengraben.

The Circle of Dime

Die Populärliteratur fin­det sich heu­te in gro­ßen Mengen auch in Buchform. Allein in Deutschland wer­den jähr­lich cir­ca 90 000 Neuerscheinungen auf den Markt gewor­fen. Vom kit­schi­gen Liebesroman über den Historienschinken bis hin zur anspruchs­vol­len Literatur ist alles in den Buchhandlungen zu fin­den. Unter die­ser Masse an Literaturprodukten eine Auswahl zu tref­fen, die in einen wis­sen­schaft­li­chen Kontext gesetzt wer­den könn­te, ist eine Herkulesaufgabe.

Die Schwierigkeit bei den Romanheften stellt sich allein schon mit der Frage, wo genau die Analyse begin­nen soll. So gibt es Fortsetzungsromane wie »Dorian Hunter – Dämonenkiller«, die im Zwei-Wochen-Rhythmus in den Zeitungsauslagen lan­den. Wird in eine lau­fen­de Nummer ein­ge­stie­gen, berich­tet ein kur­zes »Was bis­her geschah« über die ver­gan­ge­nen Ereignisse. Die Handlung eines Ausgabe selbst ist in sich geschlos­sen. Es wird in die Geschichte ein­ge­lei­tet, es folgt ein furio­ser Showdown und ein schein­ba­res gutes Ende. Doch dann gelangt man an einen Cliffhanger, der dazu ani­mie­ren soll, auch in vier­zehn Tagen die nächs­te Ausgabe zu erste­hen. In den Fällen der Liebesromane gibt es wie­der­um eine in sich abge­schlos­se­ne Handlung mit roman­ti­schen und ero­ti­schen Zügen, aller­dings schei­nen die Figuren sich von Heft zu Heft nur anhand ihrer Namen zu unterscheiden.

Foto: Lisa Kollien

Dennoch wer­den die Hefte wei­ter­hin ver­kauft. Vier Verlage ver­öf­fent­li­chen die Eisenbahnliteratur in Deutschland: Bastei Lübbe, der auch mit einem gro­ßen Taschenbuchangebot in den Buchhandlungen ver­tre­ten ist, Cora, Kelter und der Erich-Pabel-Verlag, bei wel­chem unter ande­ren die Reihe »Perry Rhodan« erschien. Interessant ist zudem, dass vie­le heu­te bekann­te AutorInnen ihre ers­ten Gagen durch Geschichten in den Groschenheften erhiel­ten, bis sie bei gro­ßen Verlagen in das Buchprogramm auf­ge­nom­men wur­den. Neben George R. R. Martin zäh­len in Deutschland auch Karl May, Wolfgang Hohlbein und Hedwig Courths-Mahler zu den AutorInnen, die durch den Verkauf ihrer Werke spä­ter zu gro­ßer Popularität gelangten.

Die Fangemeinde bei Groschenromanen ist erstaun­lich groß, auch wenn man sie sel­ten in der Bahn sieht. Die Hefte haben einen Sammlerwert und wer­den teil­wei­se für hor­ren­de Preise auf dem Gebrauchtmarkt gehan­delt. Auch erscheint in unre­gel­mä­ßi­gen Abständen ein eige­ner Preiskatalog, der letz­te datiert vom Jahr 2016/2017. Im Fachhandel gibt es spe­zi­el­le Folien für die Aufbewahrung, im Internet Pflege- und Lagerhinweise.

Der Unterhaltungsaspekt der Heft­romane steht klar im Vordergrund, und sel­ten scheint die­ser Aspekt in der Literaturrezeption Betrachtung zu fin­den. Das kann aber auch von Vorteil sein, denn man könn­te fast behaup­ten, dass die klei­ne Schwester der gro­ßen Bücher so ein wenig geschützt wird. So kann man genau das tun, wozu die Romanhefte gedacht sind: Für eine kur­ze Zeit in einem Abenteuer ver­schwin­den und sei­ne Gedanken bei einem leich­ten Roman ent­span­nen, bevor es wie­der an die nächs­te Schiller-Interpretation geht.

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