Zwänge, Konsum, Verschwendung – für vie­le das Weihnachtsfest 2022. Doch bleibt da noch viel vom Festtags-Spirit? Nicht wirklich.

Jahrelang habe ich Weihnachten eher als eine Verpflichtung, denn als ein Fest ange­se­hen. Auf den letz­ten Drücker bin ich in die Innenstadt gelau­fen, da ich ja unbe­dingt allen noch so ent­fern­ten Verwandte etwas schen­ken muss­te. Innerhalb von weni­gen Stunden wur­den has­tig alle Geschenke zusam­men­ge­kauft und ver­packt. Doch wenn man mal so drü­ber nach­denkt, ist die­ser unacht­sa­me Konsum so ganz und gar nicht weih­nacht­lich. Größer, schö­ner, teu­rer – das ist für vie­le das Motto an Weihnachten. Dabei wird an Kosten nicht gespart. Durch das Weihnachtsgeschäft erwirt­schaf­tet der deut­sche Einzel­handel allein etwa 20 Prozent sei­nes gesam­ten Jahresumsatzes. Es zeigt sich also deut­lich: Den Deutschen geht es an Weihnachten um das Kaufen. Eine teu­re Uhr für die Partner:in, kit­schi­ge Weih­nachtsdeko für die Nachbar:innen aus der Wohnung neben­an oder ein fern­ge­steu­er­tes Rennauto für die Kinder, das nach zwei Tagen inten­si­ver Bespielung ent­we­der in der Ecke ver­staubt oder gar nicht mehr funktioniert.

Zurück blei­ben lee­re Geldbeutel, mittelmä­ßige Erinnerungen an ein wei­te­res Konsum­-, par­don, Weihnachtsfest und natür­lich ein paar Kilo mehr auf den Rippen von dem viel zu üppi­gen Festtagsessen, des­sen Reste dann letzt­endlich im Kühlschrank ver­schim­meln. Es geht nicht mehr um einen hohen per­sön­li­chen oder emo­tio­na­len Wert beim Akt des Schen­kens, son­dern viel eher um den Wettbewerb des bes­ten Geschenks. Man will prah­len kön­nen, wie viel man sich die Präsente hat kos­ten las­sen, und inves­tiert Stunden um Stunden in auf­wän­di­ge Verpackungen für den kur­zen Wow­-Effekt, bevor das Geschenkpapier in Fet­zen geris­sen wird. Nicht sel­ten kommt es vor, dass die ent­fern­te Verwandtschaft beim obli­ga­to­ri­schen Festtagsbesuch nicht ein­mal mehr auf rich­ti­ge Geschenke zurück­greift, son­dern ein­fach aus Bequemlichkeit eine wahl­los aus­gesuchte Karte mit Katzenmotiv oder einem mehr oder weni­ger lus­ti­gen Spruch und etwas Bargeld verschenkt.

Money, Money, Money

Doch bei so einem Konsumverhalten sind die Profiteur:innen im Endeffekt die Einzelhänd­ler:innen, wobei sich dabei noch das Argu­ment vor­hal­ten lie­ße, man möch­te doch nur die loka­le Wirtschaft stär­ken. Den mit Abstand größ­ten Nutzen zie­hen aus die­sem Verhal­ten ein­zig und allein Großkonzerne wie Ama­zon, die durch schlech­te Arbeitsbedingungen und bil­li­ge Massenprodukte zuneh­mend das Aussterben von Innenstädten zu verantwor­ten haben. Was ist aus dem Fest der Näch­stenliebe gewor­den? Wo ist die Zeit hin, in der man die Verwandten und Freund:innen noch aus Zuneigung besucht und beschenkt hat und nicht aus purer Verpflichtung und sozia­lem Druck? Bereits seit dem 19. Jahrhundert set­zen sich Wirtschaftler:innen, Politolog:innen und Soziolog:innen schon mit der Thematik des Schenkens aus­ein­an­der. Der US­-Amerika­nische Wirtschaftswissenschaftler Gordon Tullock ging 1966 sogar so weit, dem Men­schen zu unter­stel­len, mit einem Geschenk auch immer das eige­ne Ansehen stei­gern zu wol­len. Indes gin­gen die Ökonomen Amihai Glazer und Kai Konrad 1996 mit der Theo­rie, Geschenke sol­len auch immer den eige­nen Wohlstand nach außen hin symbolisie­ren, sogar noch einen Schritt wei­ter. So viel also zum altru­is­ti­schen Fest der Nächstenliebe und den bunt ver­pack­ten Päckchen unter der Nordmanntanne.

Oh Tannenbaum

Apropos Weihnachtsbaum, der unbe­dach­te Konsumwahn hört natür­lich nicht bei den Geschenken auf. An die 30 Millionen Tan­nen wur­den 2019 für eine ein­fa­che Tradition gefällt, Tendenz stei­gend. Das sind 30 Mil­lionen Bäume, die für ein paar Wochen die Wohnung voll­na­deln und spä­tes­tens im neu­en Jahr gemäß der Devise „Aus den Augen, aus dem Sinn“ an den Straßenrand geschmis­sen wer­den. Dabei gibt es mit der wie­der­ver­wend­ba­ren Tanne im Topf bereits eine nach­hal­ti­ge­re Alternative. Diese ren­tiert sich bei den aktu­ellen Baumpreisen, sofern man sie regel­mä­ßig pflegt, bereits nach einem Jahr und ist zudem deut­lich umwelt­freund­li­cher. Doch der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier, und was unse­re Vorfahr:innen vor hun­der­ten von Jah­ren schon gemacht haben, scheint unter dem Gesichtspunkt dann doch völ­lig in Ordnung zu sein. Im Wohnzimmer wird die Tanne schwer mit fun­keln­den Kugeln, Lametta und blinken­den Lichterketten behängt, wobei ein vorbild­licher Haushalt natür­lich kar­ton­wei­se Christ­baumkugeln im Keller oder auf dem Speicher hor­tet, um jedes Jahr aufs Neue für die näch­sten Baumschmuck­-Trends gewapp­net zu sein.

Das hört bei Privathaushalten natür­lich nicht auf. Auch Städte müs­sen in viel grö­ße­ren Dimensionen auf die­sen Trend auf­sprin­gen. Ganze 25 Meter ist die „Douglasie“ auf dem hal­le­schen Marktplatz groß, die mit über zwei­tausend LED­-Lämpchen den Weihnachtsmarkt erleuch­tet. Im Januar wird die statt­li­che Tanne wohl auch wie­der ver­schwin­den. Doch muss das Fest der Besinnlichkeit wirk­lich Jahr für Jahr so statt­fin­den? Ich für mei­nen Teil wer­de ver­su­chen, die­ses Weihnachtsfest ganz der Nächstenliebe zu wid­men. Plätzchen backen mit der WG, ein klei­nes Tannenbäum­chen im Topf besor­gen und kein Kaufrausch weni­ge Tage vor Weihnachten. Stattdessen gut durch­dach­te, per­sön­li­che Geschenke für die Menschen, die mir im Leben wirk­lich viel bedeuten.

Text: Till Menzel
Fotos: Any Lane, Kaique Rocha (via Pexels)

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